Demenz und Aggression: Wenn das Gedächtnis schwindet und das Verhalten sich ändert

Alzheimer und andere Demenzerkrankungen verändern nicht nur das Gedächtnis, das Denken und die Alltagsfähigkeiten der Betroffenen, sondern können auch zu deutlichen Veränderungen im Verhalten führen. Eine besonders herausfordernde Begleiterscheinung ist aggressives Verhalten, das sowohl für die Erkrankten selbst als auch für ihre Angehörigen und Pflegekräfte eine immense Belastung darstellen kann. Es ist wichtig zu verstehen, dass Aggression bei Demenz in der Regel kein Ausdruck von Boshaftigkeit ist, sondern vielmehr ein Symptom der Erkrankung, das verschiedene Ursachen haben kann.

Der Verlauf der Demenz und seine Auswirkungen auf das Verhalten

Der Verlauf einer Demenz ist individuell, folgt jedoch bestimmten Mustern:

  1. Frühe Phase (MCI): Leichte Beeinträchtigungen des Denkens und Erinnerns treten auf, die den Alltag zunächst kaum einschränken. Veränderungen werden manchmal selbst wahrgenommen, oft aber zuerst von Angehörigen bemerkt.
  2. Mittlere Phase: Zunehmende Vergesslichkeit im Alltag, insbesondere was das Kurzzeitgedächtnis betrifft. Es wird schwieriger, neue Informationen zu behalten. Gespräche sind anstrengender, Worte fehlen oder der Gedanke geht verloren. Gegenstände werden häufiger verlegt. Hinzu kommen erste Probleme mit der Orientierung in Raum und Zeit. Viele alltägliche Aufgaben gelingen noch gut, aber es entsteht oft Scham und Unsicherheit, die zum Rückzug und zur Vermeidung ungewohnter Situationen führen können. Auch die Stimmung kann sich verändern, Reizbarkeit, Traurigkeit oder Verunsicherung treten auf.
  3. Fortgeschrittene Phase: Die Krankheit wird deutlich sichtbar. Neben dem Kurzzeitgedächtnis ist nun auch das Langzeitgedächtnis beeinträchtigt. Erinnerungen an das eigene Leben treten in den Hintergrund. Orientierungsprobleme treten auch in vertrauter Umgebung auf, und bekannte Gesichter werden nicht mehr erkannt. Es kommt zu tiefgreifenden Veränderungen im Verhalten und im Wesen. Viele Erkrankte zeigen einen ausgeprägten Bewegungsdrang und starke Unruhe. Orientierungslosigkeit und Hilflosigkeit können in Misstrauen, Reizbarkeit, Nervosität und aggressive Ausbrüche umschlagen. Der Tag-Nacht-Rhythmus gerät aus dem Gleichgewicht, was zu Schlafstörungen führen kann. Eine selbstständige Lebensführung ist in diesem Stadium nicht mehr möglich.
  4. Endstadium: Die Erkrankten sind vollständig auf Pflege angewiesen. Es kommt zum Verlust der Sprache, selbst engste Familienmitglieder werden nicht mehr erkannt, völlige Orientierungslosigkeit tritt auf, und die Betroffenen leben nur noch im unmittelbaren Moment. Inkontinenz tritt auf, und Schluckstörungen erschweren die Nahrungsaufnahme. Das Immunsystem ist geschwächt, und die Anfälligkeit für Infektionen steigt.

Ursachen für Aggression bei Demenz

Aggressives Verhalten bei Menschen mit Demenz kann verschiedene Ursachen haben:

  • Körperliche Ursachen: Schmerzen, Unwohlsein, Infektionen oder andere körperliche Beschwerden können zu Aggressionen führen. Demenzpatienten können oft nicht mehr äußern, dass und wo es ihnen weh tut. Eine Nahrungsverweigerung kann somatisch bedingt sein, etwa durch eine Gastritis, durch Zahn- oder Kieferschmerzen.
  • Psychische Ursachen: Überforderung, Verunsicherung, Angst, Frustration, Hilflosigkeit oder das Gefühl, nicht verstanden zu werden, können in Aggression umschlagen. Auch der Verlust von Kontrolle und Autonomie kann zu aggressivem Verhalten führen.
  • Umweltbedingte Ursachen: Reizüberflutung, Lärm, grelles Licht, eine ungewohnte Umgebung oder Veränderungen im Tagesablauf können Stress und Angst auslösen und zu Aggressionen führen.
  • Form der Demenz: Die Form der Demenzerkrankung beeinflusst die Symptome. Menschen mit Frontotemporaler Demenz sind häufig stark enthemmt. Versucht man, diese Enthemmung zu bremsen, können sie aggressiv werden. Bei vaskulärer Demenz können starke Stimmungsschwankungen zu Aggressionen führen, bei Menschen mit Alzheimer sind es eher Wahnsymptome.
  • Biografische Ursachen: Unverarbeitete Konflikte, traumatische Erlebnisse oder frühere Verhaltensmuster können im Rahmen der Demenz wieder aufbrechen und sich in aggressivem Verhalten äußern. Ein Beispiel ist der Patient mit frontotemporaler Demenz, der im Pflegeheim Fliesen von der Wand riss und aggressiv wurde, weil er sich über den in seinen Augen handwerklichen Pfusch aufregte, dies aber nicht mehr äußern konnte.

Umgang mit Aggression bei Demenz: Tipps und Strategien

Der Umgang mit Aggression bei Demenz erfordert viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Verständnis. Es gibt jedoch verschiedene Strategien, die helfen können, aggressive Situationen zu vermeiden oder zu deeskalieren:

  • Ursachenforschung: Versuchen Sie, die Ursache für das aggressive Verhalten herauszufinden. Handelt es sich um Schmerzen, Überforderung, Angst oder eine andere Ursache?
  • Deeskalation: Verlassen Sie die Situation kurzzeitig, atmen Sie tief ein und versuchen Sie, ruhig zu bleiben. Sprechen Sie langsam und tief mit dem Betroffenen. Vermeiden Sie es, zu diskutieren oder zu widersprechen.
  • Wertschätzung: Reagieren Sie wertschätzend und versuchen Sie, die Perspektive des Betroffenen zu verstehen. Nehmen Sie Körperkontakt auf, sofern der Betroffene dies zulässt.
  • Ablenkung: Lenken Sie die Aufmerksamkeit des Betroffenen auf etwas Positives oder Interessantes. Das kann eine beruhigende Melodie, ein Fotoalbum oder eine angenehme Tätigkeit sein.
  • Anpassung der Umgebung: Schaffen Sie eine ruhige und reizarme Umgebung. Vermeiden Sie Lärm, grelles Licht und unnötige Veränderungen.
  • Struktur und Routine: Sorgen Sie für einen geregelten Tagesablauf mit festen Mahlzeiten, Ruhephasen und Aktivitäten.
  • Kommunikation: Sprechen Sie in einfachen, klaren Sätzen und vermeiden Sie es, zu hetzen oder zu drängen.
  • Selbstfürsorge: Achten Sie auf Ihre eigenen Bedürfnisse und nehmen Sie sich Auszeiten, um Kraft zu tanken. Sprechen Sie mit anderen Angehörigen, Freunden oder professionellen Helfern über Ihre Erfahrungen.

Medikamentöse Behandlung von Aggression bei Demenz

Auch wenn nicht-medikamentöse Maßnahmen immer im Vordergrund stehen sollten, kann in manchen Fällen eine medikamentöse Behandlung notwendig sein, um aggressive Verhaltensweisen zu lindern. Diese sollte jedoch nur unter strenger ärztlicher Aufsicht erfolgen, da Medikamente Nebenwirkungen haben können.

Lesen Sie auch: Neuronale Kommunikation durch Synapsen

  • Antidementiva: Eine Basistherapie mit Antidementiva kann in einigen Fällen auch Verhaltensprobleme reduzieren.
  • Antidepressiva: Bei Depressionen sollten Trizyklika vermieden werden, da diese das cholinerge Defizit noch verstärken können.
  • Neuroleptika: Risperidon ist gegen Verhaltensstörungen bei Alzheimer-Demenz zugelassen, wenn nicht-medikamentöse Verfahren fehlschlagen und ein hohes Risiko für Eigen- und Fremdgefährdung besteht.

Hilfsangebote für Angehörige

Die Pflege von Menschen mit Demenz und aggressivem Verhalten kann sehr belastend sein. Es gibt jedoch verschiedene Hilfsangebote, die Angehörige in Anspruch nehmen können:

  • Gesprächskreise für pflegende Angehörige: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann helfen, nicht allein mit seinen Gefühlen, Ängsten und Gewalterfahrungen zu bleiben.
  • Ambulante Pflegedienste: Sie können bei der Pflege und Betreuung zu Hause unterstützen und den Angehörigen Entlastung verschaffen.
  • Tagespflege und Kurzzeitpflege: Sie bieten eine vorübergehende Betreuungsmöglichkeit und ermöglichen den Angehörigen eine Auszeit.
  • Demenz- und Pflegeberatungsstellen: Sie informieren über Hilfsangebote und unterstützen bei der Organisation der Pflege.
  • Selbsthilfegruppen: Sie bieten eine Möglichkeit zum Austausch mit anderen Betroffenen und zur gegenseitigen Unterstützung.
  • Schulungen für Angehörige: In Kursen für pflegende Angehörige können Sie lernen, mit schwierigem Verhalten und seelischen Auffälligkeiten bei Demenz umzugehen.
  • Alzheimer Gesellschaften: Sie bieten Beratung, Unterstützung und Informationen für Betroffene und Angehörige.

Lesen Sie auch: Serotonin: Ein Schlüsselregulator im Gehirn

Lesen Sie auch: Puzzeln: Ein mentaler Booster

tags: #macht #demenz #bosartig