Die Rolle des Mandelkerns (Amygdala) bei Angst und Gehirnfunktion

Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, ist eine Hirnstruktur, die traditionell als "Angstzentrum" des Gehirns betrachtet wurde. Neuere Forschungen stellen diese Ansicht jedoch in Frage und zeigen, dass die Rolle der Amygdala komplexer ist als bisher angenommen. Dieser Artikel untersucht die Funktion der Amygdala im Zusammenhang mit Angst, ihre Lage im Gehirn und wie sie mit anderen Hirnstrukturen interagiert, um unser Verhalten und unsere Emotionen zu beeinflussen.

Einführung in die Amygdala

Die Amygdala (Corpus amygdaloideum) ist ein Teil des limbischen Systems im Gehirn. Es handelt sich um zwei bohnengroße Ansammlungen von Nervenzellen, die tief in den Schläfenlappen des Gehirns liegen. Der Mandelkern ist über verzweigte Bahnen mit anderen Hirnregionen verbunden und spielt eine wichtige Rolle bei der Bewertung von Signalen und deren Projektion auf die Großhirnrinde.

Die traditionelle Sicht: Die Amygdala als "Angstzentrum"

Früher wurde angenommen, dass die Amygdala die zentrale Rolle bei der Steuerung von Angst und Furcht spielt. Diese Annahme basierte auf frühen Experimenten, wie denen von Heinrich Klüver in den 1930er Jahren, und auf der Beobachtung, dass Läsionen der Amygdala bei Tieren zu einem Verlust von Angstreaktionen führten.

Die traditionelle Sichtweise besagt, dass die Amygdala äußere Reize verarbeitet und spezifische Körperreaktionen auslöst, wie z. B. einen erhöhten Herzschlag, um eine schnelle Flucht vor drohenden Gefahren zu ermöglichen. Bei komplexen Wirbeltieren dient die Funktion des Mandelkerns im menschlichen Gehirn besonders der emotionalen Reaktion des Körpers (z. B. Angst), bedingt durch äußere Reize, sowie der Entscheidungsfindung und der zielgerichteten Verarbeitung von Gedächtnisinhalten.

Neue Erkenntnisse: Die Amygdala ist nicht das einzige "Angstzentrum"

Neuere Forschungen haben gezeigt, dass die Amygdala nicht für jede Art von Angstreaktion benötigt wird. Eine Forschergruppe um Justin Feinstein von der University of Iowa konnte belegen, dass auch jene Menschen, deren Amygdala nicht funktionsfähig ist, in bestimmten Situationen eine Angstreaktion zeigen. In einer Studie stellten sie fest, dass Probanden mit einer Schädigung der Amygdala Angst verspürten, nachdem sie ein 35-prozentiges CO2-Gas eingeatmet hatten. Sie folgerten daraus, dass der Mandelkern nicht für jede Art von Angstreaktion benötigt wird und dass das Gehirn wahrscheinlich eigene Mechanismen kennt, um auf bestimmte physiologische Veränderungen innerhalb des Körpers zu reagieren.

Lesen Sie auch: Umfassender Leitfaden

Die Funktion der Amygdala im Detail

Die wesentliche Funktion der Amygdala besteht in der Bewertung von Gedächtnisfunktionen wie Erinnerungen mit emotionalen Inhalten. Besonders in der Entstehung der Angst spielt der Mandelkern eine wichtige Rolle:

  • Bewertung von Signalen: Die Amygdala bewertet die Bedeutung verschiedener Signale und projiziert diese auf die Großhirnrinde.
  • Entstehung von Angst: Wenn eine Situation aus der Erfahrung heraus als bedrohlich oder gefährlich eingestuft wird, ändert die Amygdala die Informationen, die an andere Hirnbereiche weitergegeben werden.
  • Ausschüttung von Neurotransmittern und Stresshormonen: Dadurch werden vermehrt die Nervenbotenstoffe Acetylcholin, Dopamin, Serotonin und Norepinephrin sowie die Stresshormone Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet.
  • Abgleich mit Erinnerungen: Diese Signale werden dann durch die Amygdala mit Erinnerungen abgeglichen. Wenn dieser Abgleich „Gefahr“ signalisiert, entsteht Angst und der Körper reagiert mit vermehrter Achtsamkeit und vielleicht auch mit Fluchtreaktionen.
  • Weitere emotionale Äußerungen: Neben der Angst sind auch andere emotionale Äußerungen wie Wut und Freude, der Sexualtrieb und die Fortpflanzung sowie vegetative Funktionen im Corpus amygdaloideum festgelegt.

Die Rolle des Frontalhirns bei der Emotionsregulation

Wir Menschen kontrollieren unser Verhalten mit Hilfe höherer Hirnstrukturen, vor allem des Frontalhirns. Seine Funktion ermöglicht es, dass unser Denken und Handeln emotional und sozial angemessen abläuft. Im ungestressten Zustand bestehen Verbindungen zu entwicklungsgeschichtlich älteren Hirnstrukturen, die das Verhalten steuern (Striatum), Hunger, Aggression und Sexualantrieb hervorbringen (Hypothalamus) und Emotionen wie Angst generieren können (Mandelkerne als Teil des limbischen Systems). Diese Grundfunktionen werden im entspannten Zustand über das Frontalhirn reguliert, und überschießende Impulse werden unterdrückt.

Wenn der eintreffende Stressor als bedrohlich interpretiert wird, zum Beispiel durch einen starken Schmerz oder eine psychische Belastung, werden Strukturen des limbischen Systems aktiviert. Sie produzieren bei Aktivierung die Hormone Dopamin und Noradrenalin. Bei als harmlos angesehenen Stressoren, also optimistischer Bewertung, wird der laterobasale Mandelkern aktiviert, das Frontalhirn funktioniert regelrecht und reguliert entstehende Emotionen herunter. Bei intensivem Stress unterdrücken durch Aktivierung des laterozentralen Mandelkerns die hohen Hormonspiegel von Dopamin und Noradrenalin die Funktion des Frontalhirns. Statt einer nüchternen Analyse der Situation kommt es zu unangemessener Emotionalität und Impulsivität oder auch zu einem Vermeidungsverhalten der physiologischen und psychischen Funktionen.

Probleme und Erkrankungen im Zusammenhang mit der Amygdala

Schädigungen der Amygdala können verschiedene Probleme verursachen:

  • Verlust emotionaler Inhalte von Erinnerungen: Schädigungen der Amygdala führen zum Beispiel dazu, dass Erinnerungen ohne ihren emotionalen Inhalt bewertet werden.
  • Urbach-Wiethe-Syndrom: Beim Urbach-Wiethe-Syndrom - einer relativ seltenen, erblichen Erkrankung - lagert sich Kalzium an den Gefäßen der Amygdala ab. Die betroffenen Menschen können nicht oder kaum den emotionalen Ausdruck von Angst erkennen, beschreiben oder reproduzieren.
  • Degenerative Prozesse: Durch degenerative Prozesse ist das Abspeichern von sogenannten Engrammen (Gedächtnisspuren) nicht mehr möglich, weil die Schaltkreise zur Großhirnrinde gestört sind. Degenerative Veränderungen zeigen sich etwa bei der Alzheimer-Krankheit oder durch Alkoholmissbrauch, der zur Korsakow-Krankheit führt.
  • Epileptische Anfälle: Epileptische Anfälle beginnen manchmal in der Amygdala.
  • Angst- und Panikstörungen: Eine Vielzahl von Angst- und Panikstörungen wird in Verbindung mit dem Corpus amygdaloideum (z. B. Phobien) gebracht. Im Rahmen einer Phobie werden zumeist harmlose Situationen aufgrund einer Fehlinterpretation als Gefährdung für das eigene Leben aufgefasst.
  • Amygdala-Einschränkungen: Manchmal kommt es zu einer beschränkten Handlungsfähigkeit der Amygdala. Amygdala-Einschränkungen sind auf fehlerhafte Funktionen zurückzuführen und die Auswirkungen haben verschiedene Bezeichnungen. Eine Lipoidproteinose (z. B. Urbach-Wiethe-Syndrom) ist eine selten auftretende Erkrankung des Corpus amygdaloideum, die auf genetische Vererbung (autosomal-rezessiv) zurückgeführt werden kann.

Stress und die Amygdala

Stress kann Angst erhöhen. Der Glucocorticoidrezeptor für das Stresshormon Cortisol vermittelt verstärkte Angst. Forscher des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie konnten erstmals nachweisen, dass nicht nur die Hirnregion, sondern auch die Art der Neuronenpopulation eine entscheidende Rolle spielt. Im Mausmodell schaltete Schmidt mit seinem Team den Glucocorticoidrezeptor entweder nur in der erregenden, glutamatergen Zellpopulation oder in hemmenden, GABAergen Nervenzellen aus. Die Ergebnisse zeigen: Nur Mäuse, in denen der Glucocorticoidrezeptor in glutamatergen Neuronen ausgeschaltet war, hatten weniger Angst. Die Art der Zellpopulation scheint also entscheidend für die Entstehung von Stress-induzierter Angst.

Lesen Sie auch: Auswirkungen von Gehirntraumata auf den Mandelkern

Die Bedeutung von Synapsen in der Amygdala

Synapsen sind die Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen im Gehirn, an denen Informationen von einer Nervenzelle auf die nächste übertragen werden. An hemmenden Synapsen führt diese Übertragung dazu, dass die Aktivität von benachbarten Nervenzellen gehemmt wird. In der Amygdala beispielsweise bremst dies die Weitergabe von Angst auslösenden Reizen. Benzodiazepine stärken diese Bremse - treffen aber leider nicht nur die hemmenden Synapsen, die Angstreize übertragen, sondern auch zahlreiche andere hemmende Synapsen im Gehirn. Dadurch können erhebliche Nebenwirkungen wie ausgeprägte Schläfrigkeit und Konzentrationsstörungen entstehen.

Lesen Sie auch: Faszination Nesseltiere: Wie sie ohne Gehirn leben

tags: #Mandelkern #Gehirn #Angst #Funktion