Das rätselhafte Schrumpfen des Maulwurfgehirns: Ursachen und Implikationen

Das Phänomen des Schrumpfens des Gehirns, insbesondere bei Maulwürfen und Spitzmäusen, ist ein faszinierendes Forschungsgebiet, das Einblicke in die Anpassungsfähigkeit von Säugetieren an extreme Umweltbedingungen bietet. Insbesondere das sogenannte Dehnel-Phänomen, das erstmals 1949 bei Spitzmäusen entdeckt wurde, beschreibt ein reversibles, saisonales Schrumpfen und Wiederwachsen dieser kurzlebigen Tiere.

Das Dehnel-Phänomen: Ein saisonaler Wandel

Das Dehnel-Phänomen manifestiert sich in einer Reduktion der Schädelhöhe um bis zu 20 % bei Waldspitzmäusen im Winter im Vergleich zu den Sommermonaten. Dieses Schrumpfen betrifft nicht nur den Schädel, sondern auch das Gewicht und die Größe vieler Organe, einschließlich des Gehirns.

Physiologische Grundlagen

Spitzmäuse sind in vielerlei Hinsicht extrem. Sie haben einen höheren Stoffwechsel als alle anderen einheimischen Säugetiere, selbst in Relation zur Körpergröße. Sie legen praktisch keine Fettreserven an und verhungern binnen fünf Stunden. Die extremsten unter ihnen, die Rotzahnspitzmäuse, erleben nur einen einzigen Jahreszyklus und halten keinen Winterschlaf. Deshalb müssen diese kleinen Raubtiere, um nicht zu verhungern oder zu erfrieren, das ganze Jahr hindurch energetisch hochwertiges Futter finden. Das Resultat sind kleine Hochleistungsathleten, welche ausschließlich schnelle aerob arbeitende Muskelfasern aufweisen - sie bekommen niemals Muskelkater, obwohl sie sich fast ständig unter hohem energetischem Aufwand bewegen.

Verbreitung und Umweltfaktoren

Interessanterweise weisen nördlichere Vorkommen derselben Spitzmausart eine geringere Körpergröße auf. Darüber hinaus tritt das Dehnel-Phänomen (DP) auf: Im Winter gefangene Tiere sind noch kleiner. Wissenschaftler konnten nun erstmals in einer Wiederfangstudie mittels Röntgenbildern freilebende Spitzmäuse durch ihren gesamten Zyklus begleiten. Die Größenveränderung findet tatsächlich in jedem Individuum statt. Die Schädel von gefangenen und post mortem vermessenen Tieren unterscheiden sich nicht von denjenigen der Wiederfänge.

Vergleich mit anderen Arten

Eine aufwändige Untersuchung von Wieseln (Mustela spp.), einer phylogenetisch relativ weit entfernten Gattung, die in ihrem Jahreszyklus und Stoffwechsel den Spitzmäusen allerdings sehr ähnlich ist, zeigte: Auch Wiesel zeigen das gleiche Muster. Schädel von Mauswiesel (Mustela nivalis) und Wiesel (Mustela erminea) zeigen das gleiche Muster. Kleinere Datensätze deuten außerdem an, dass auch Nerz (Neovison vison), Iltis (Mustela putorius) und der näher verwandte Maulwurf (Talpa europaea) ähnliche Veränderungen der Schädelgröße aufweisen - allesamt Tiere, die an hochwertige Nahrung gebunden sind und keinen Winterschlaf halten.

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Auswirkungen auf das Gehirn und die kognitiven Fähigkeiten

Das reversible Schrumpfen des Gehirns um etwa 20 % und das anschließende Wachstum um 17 % müssen drastische Auswirkungen auf diese Säugetiere haben. Die Veränderungen in den verschiedenen Hirnregionen auf anatomischer Ebene zu beschreiben ist daher eine zentrale Fragestellung des Forschungsprojektes. Die Rekonstruktion der einzelnen Hirnregionen aus Schnitten in Verbindung mit Dichtezählungen zeigt, dass im Gegensatz zu den Vögeln, weder Apoptose noch Neurogenese die Ursache zu sein scheinen. Die stärkste reversible Veränderung findet sich im Neocortex und in kleineren Regionen wie dem Hypothalamus.

Kognitive Beeinträchtigungen

Verhaltensexperimente bestätigen eine Auswirkung auf die kognitiven Fähigkeiten. In einem räumlichen Orientierungstest war das räumliche Lernen von Wintertieren signifikant verschlechtert, während junge Tiere (im Sommer) sowie alte (und dann geschlechtsreife) Tiere besser lernten.

Mögliche Ursachen und zugrunde liegende Mechanismen

Physiologie und Verbreitung legten nahe, dass das Schrumpfen der Tiere im Winter eine Einsparung von Ressourcen und/oder einen geringeren Energieverbrauch ermöglicht. Diese Theorie wird unterstützt durch einen Vergleich innerhalb der Spitzmäuse: Im klimatisch härteren Nordostpolen ist das DP stärker ausgeprägt als am Bodensee. Diese regionale Variabilität findet sich auch im Wiesel.

Rolle der Osteozyten

In einer Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin Göttingen entwickelt sich ein spannendes Projekt mit Blick auf die medizinische Forschung. Denn es scheint, als reproduziere der winterliche Knochenabbau der Spitzmaus dieselben Prozesse, welche im Knochen von Osteoporosepatienten zu finden sind. Nicht die Knochen bildenden Osteoblasten und Knochen abbauenden Osteoklasten, sondern die kryptischen Osteozyten scheinen die Hauptrolle zu spielen. Eingelagert im Knochenmaterial formen sie ein Netzwerk, welches die De- und Remineralisierung des Knochens steuert.

Relevanz für die medizinische Forschung

Nähere Erkenntnissse über diese in der Spitzmaus vollkommen reversiblen Prozesse könnten auch bei der Osteoporoseforschung nützlich sein. Forschungsrelevant ist hier vor allem die Tatsache, dass das Dehnels-Phänomen, im Gegensatz zu anderen bekannten Fällen von Grössenveränderungen, antizipatorisch und nicht reaktiv ist. Ein organismisches Verständnis dieser Anpassungen kann neue Grundlagen für die medizinische Forschung schaffen, auch abseits der typischerweise verwendeten Labororganismen.

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Weitere Forschungsbereiche und klinische Relevanz

Neben dem Dehnel-Phänomen gibt es auch andere Ursachen für eine Verkleinerung des Gehirns, die in der medizinischen Forschung relevant sind.

Altershirndruck (Normaldruckhydrozephalus)

Der Altershirndruck, auch bekannt als Normaldruckhydrozephalus (NPH), ist eine Form der Demenz, die durch eine Ansammlung von Liquor (Nervenwasser) in den Hirnkammern gekennzeichnet ist. Diese Ansammlung führt zu einer Vergrößerung der Hirnkammern, die auf das umliegende Gehirngewebe drückt und es schädigt. Die Symptome des Altershirndrucks umfassen breitbeinigen, schlurfenden Gang, nachlassendes Erinnerungsvermögen und Harninkontinenz.

Diagnose und Behandlung

Die Diagnose des Altershirndrucks kann durch eine Kernspin-Aufnahme (MRT) des Gehirns gestellt werden, die vergrößerte Hirnkammern zeigt. Eine Liquorpunktion, bei der Nervenwasser entnommen wird, kann ebenfalls zur Diagnose beitragen. Die Behandlung des Altershirndrucks besteht in der Regel darin, ein Ventil (Shunt) in den Kopf einzusetzen, das überschüssigen Liquor in den Bauchraum ableitet.

Anorexia nervosa

Patienten mit Anorexia nervosa (AN) haben eine hohe Mortalität, die Prognose ist schlecht, verbessert sich aber, wenn die Erkrankung schnell behandelt wird. International sind AN-Patienten durchschnittlich 30 Monate unbehandelt, in Deutschland 32 Monate. Die Frage sei, so Gunz, wie sich dieser Zeitraum verkürzen lasse.

Weitere Faktoren

Andere Faktoren, die zu einer Verkleinerung des Gehirns beitragen können, sind:

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  • Dissoziative Störungen: Auch wenn dissoziative Störungen bei vielen Krankheitsbildern vorkommen und sie die Therapie negativ beeinflussen können, werden sie häufig übersehen, wenn sie nicht sehr auffällig sind.
  • Psychische Erkrankungen: Die Nachsorgesituation nach einem psychisch bedingten Klinikaufenthalt ist häufig unzureichend.
  • ADHS: Die Bewertung einer ADHS im Rahmen der Diagnosestellung spielt für die Behandlungsmöglichkeiten eine große Rolle.

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