Im Kontext demenzieller Syndrome bei älteren Menschen sind chronische kognitive Beeinträchtigungen aufgrund von Medikamententoxizität von besonderer Bedeutung und eine große Herausforderung. Dieses Problem ist ein Nebenprodukt des steigenden Einsatzes von Medikamenten während der letzten Jahrzehnte. Ältere Menschen haben die größte Krankheitsbelastung, verbrauchen die meisten Medikamente, sind anfälliger für Nebenwirkungen und stellen das am schnellsten wachsende Segment der industrialisierten Welt dar.
Einführung
Die Alzheimer-Krankheit ist nicht heilbar, doch Medikamente können helfen, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und Symptome zu lindern. Es gibt verschiedene Medikamente zur Behandlung, je nach Symptomen und Krankheitsstadium: Wirkstoffe gegen den kognitiven Abbau, Mittel gegen psychische oder Verhaltenssymptome sowie ergänzend Ginkgo biloba.
Allerdings gibt es auch Medikamente, die im Verdacht stehen, das Risiko für die Entwicklung von Alzheimer zu erhöhen. Dieser Artikel beleuchtet diese Medikamente und gibt einen Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse und Empfehlungen.
Anticholinerge Medikamente und Demenzrisiko
Eine Gruppe von Allgemeinmedizinern und Psychiatern aus Nottingham/UK ging diesem Verdacht in einer Fall-Kontroll-Studie mit einer großen britischen Population nach. Hierzu wurde in einer medizinischen Datenbank (QResearch database, mit Patientendaten aus über 1.500 Arztpraxen in ganz England) die Medikation von Demenzkranken in den Jahren vor der Diagnosestellung rückverfolgt und mit alters- und geschlechtsgleichen Kontrollen verglichen.
Im Ergebnis empfehlen die Wissenschaftler bestimmte anticholinerg wirksame Arzneimittel bei Patienten über 50 Jahre nur zurückhaltend zu verordnen. Ihre Erkenntnis erlangte die Arbeitsgruppe um Carol Coupland von der Universität Nottingham anhand einer Analyse von prospektiv erhobenen Daten. Diese geben Hinweise dafür, dass eine Langzeitbehandlung mit stark wirksamen anticholinergen Antidepressiva, Antiparkinson-Mitteln, Antipsychotika, harnblasenwirksamen Antimuskarinika und Antikonvulsiva die Entwicklung einer Demenz begünstigen könnte. Eine überraschende Erkenntnis war insbesondere das gesteigerte Risiko von vaskulären Demenzen.
Lesen Sie auch: Parkinson-Medikamente: Was Sie beachten müssen
Über 100 Arzneimittel aus verschiedenen Indikationsbereichen haben mehr oder weniger starke anticholinerge Wirkungen, darunter einige Antidepressiva, Antipsychotika, Antikonvulsiva, Anti-Parkinson-Mittel, Antihistaminika, Antiemetika oder Spasmolytika. Anticholinerg wirksame Arzneimittel (AC) können besonders bei älteren Menschen Nebenwirkungen wie Sehstörungen, Obstipation, Verwirrtheitszustände und Gedächtnisstörungen verursachen.
Studiendesign
Die Studie basiert auf Patientendaten aus englischen Allgemeinarztpraxen, die in ein spezielles Register übertragen werden. Die untersuchte Datensammlung umfasst Informationen von 58.769 an Demenz erkrankten Patienten und 225.574 Patienten ohne Demenzdiagnose. Alle Probanden waren 55 Jahre und älter. Die Auswertung erfolgte hinsichtlich der verordneten Mengen an Anticholinergika in den Jahren 1 bis 11 vor der Demenzdiagnose bzw. vor einem festgelegten Indexdatum. Als Maß diente die standardisierte Gesamttagesdosis (total standardized daily doses, TSDD). Hierfür wird die Tagesdosis durch die minimal effektive, für ältere Personen empfohlene Tagesdosis dividiert.
Ergebnisse der Studie
In dem zehnjährigen Kontroll-Intervall erhielten mindestens 57 Prozent der Patienten im Demenz-Arm und 51 Prozent der Kontrollpatienten ein Anticholinergikum. Das Ergebnis: Je höher die Gesamtexposition war, umso höher stieg das Demenzrisiko. Gegenüber Patienten, die keine Anticholinergika bekamen, wurde ein zusätzliches relatives Risiko von 6 Prozent bei der Verordnung von maximal 90 TSDD bis zu 49 Prozent bei der Verordnung von mehr als 1095 TSDD ermittelt. Letztere entspricht einer mehr als dreijährigen täglichen Anwendung. Einen ähnlichen Zusammenhang beobachteten die Wissenschaftler auch bei Anticholinergika-Verordnungen in anderen Zeiträumen, etwa 3 bis 13 oder 5 bis 20 Jahre vor der Demenzdiagnose. Diese Erkenntnis macht Fehlinterpretationen unwahrscheinlicher; beispielsweise Einwände, dass Anticholinergika verschrieben wurden, um Prodromalsyndrome einer Demenz zu behandeln.
Anticholinergika im Detail
In einer weiteren Analyse werteten die Wissenschaftler die insgesamt untersuchten 56 stark wirksamen Anticholinergika getrennt voneinander aus. Alle Berechnungen basieren dabei auf einer umfassenden Adjustierung etablierter Risikofaktoren einer Demenz. Im Ergebnis zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen einem erhöhten Demenzrisiko und:
- Antidepressiva (+29 Prozent)
- Anti-Parkinsonmittel (+52 Prozent)
- Antipsychotika (+70 Prozent)
- Harnblasenwirksame Antimuskarinika (+65 Prozent)
- Antikonvulsiva (+39 Prozent)
Ohne signifikanten Einfluss blieben die Verordnungen von Antihistaminika, inhalierbaren Anticholinergika, Muskelrelaxantien und Antiarrhythmika. Die Analyse der beiden Letztgenannten beruht jedoch nur auf einer geringen Patientenpopulation.
Lesen Sie auch: MS-Medikamente im Detail erklärt
Steigendes Demenzrisiko im Alter
Ein erhöhtes Demenzrisiko ist geschlechtsunabhängig zu beobachten. Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen. Einen vermutlich höheren Einfluss haben Anticholinergika allerdings bei Patienten mit einer Demenzerkrankung vor dem 80. Lebensjahr. Generell stieg das Risiko nach anticholinerger Therapie für eine vaskuläre Demenz um 68 Prozent und um 37 Prozent für eine Demenz vom Alzheimer-Typ. Demzufolge könnten neben der Blockade von Acetylcholin auch vaskuläre und entzündliche Veränderungen in der Demenzentwicklung eine Rolle spielen.
Auswirkungen der Studie
Trotz Adjustierung unterschiedlicher Faktoren ist die Studie möglicherweise nicht völlig frei von Verzerrungen. Eine Kausalität lässt sich ebenfalls nicht sicher ableiten. Sollte dennoch ein kausaler Zusammenhang zwischen einer anticholinergen Therapie und einem erhöhten Demenzrisiko bestehen, wären die Auswirkungen erheblich. Der Studie zufolge könnten etwa 10 Prozent der Demenzfälle in der Bevölkerung Englands auf den Gebrauch von Anticholinergika zurückzuführen sein.
Fazit
Die Studienergebnisse legen nahe, die Anticholinergika-Exposition bei Patienten mittleren und höheren Alters zu beschränken.
Weitere Medikamente im Verdacht
Ein weiteres Medikament, das laut Hasan Demenz auslösen kann, sind Opiate wie Morphin. Diese Substanzen wirken beruhigend auf das Gehirn und können so zu Demenz führen, erklärte der Anästhesist. Auch Omeprazol, ein Protonenpumpenhemmer, der zur Verringerung der Magensäure eingesetzt wird, sei mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden. Benzodiazepine, die häufig zur Behandlung von Angstzuständen und beim Alkoholentzug eingesetzt werden, stehen laut Hasan im Verdacht, bei langfristiger Einnahme eine Demenz auszulösen.
- Diphenhydramin: Bekannt als Benadryl oder Elavil.
- Morphin: Ein Opiat.
- Omeprazol: Ein Protonenpumpenhemmer.
- Benzodiazepine: Werden zur Behandlung von Angstzuständen eingesetzt.
- Trizyklische Antidepressiva
Die Rolle der Polypharmazie
Mehr als die Hälfte der über 70-Jährigen nimmt regelmäßig fünf und mehr Medikamente ein. Nicht selten werden mehr Mittel eingenommen als es nachvollziehbare Diagnosen gibt, weil Ärzte Nebenwirkungen von Arzneimitteln als eigenes Problem einschätzen und wiederum medikamentös therapieren, oder weil Patienten zusätzlich Selbstmedikation betreiben. Anhand der Beers-Liste wurde in der Berliner Altersstudie bei 13,7 Prozent der Gruppe der über 70-Jährigen eine unnötige Übermedikation, bei 18,7 Prozent eine inadäquate Medikation nachgewiesen.
Lesen Sie auch: Medikamentenfreie Schmerzlinderung bei Nervenschmerzen
Nebenwirkungen sollen bei älteren Menschen siebenmal häufiger auftreten als bei jungen. Eine Studie verweist auf den deutlichen Zusammenhang zwischen der Menge der Medikamente und der Häufigkeit und Stärke von „unerwünschten Arzneimittelwirkungen“ bei über 60-Jährigen: zwei bis drei Medikamente erhöhten die Wahrscheinlichkeit von teilweise fatalen Nebenwirkungen um den Faktor 2,7; vier bis fünf Medikamente um den Faktor 9,3 und sechs und mehr Medikamente um den Faktor 13,7. Andere Studien deuten auf den unmittelbaren Zusammenhang von Demenz und Polypharmazie hin: Je mehr Medikamente eingenommen werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Demenz(-Diagnose).
Was tun? Empfehlungen und Strategien
Wenn Patienten über Gedächtnisstörungen klagen, sollte der Arzt auf der Medikamentenliste nach Substanzen fahnden, die bekanntermaßen die Kognition beeinträchtigen.
FORTA-Klassifikation
Daher hatte er eine Positiv-Negativ-Kategorisierung für Medikamente im Alter erstellt - die 2008 veröffentlichte FORTA-Klassifizierung (Fit fOR The Aged) (9, 10) (Tabelle 2). Medikamente oder Medikamentengruppen werden in 4 Kategorien eingeteilt:
- A („absolutes Muss“): Für Ältere unverzichtbare Medikamente mit eindeutigen Vorteilen; sie haben sich in größeren Studien als wirksam erwiesen - bei gleichzeitig geringem Nebenwirkungspotenzial.
- B („Benefit“): Vorteilhaft mit geprüfter oder offensichtlicher Wirksamkeit bei Älteren; es gibt nur wenige Einschränkungen hinsichtlich Wirksamkeit oder Sicherheit.
- C („cautious/careful“): Medikamente mit fragwürdiger Nutzen-Risiko-Bewertung bei Älteren, die als Erstes weggelassen werden sollen; sonst mit intensivem Monitoring. „Das sind mit schlechtem Gewissen zu verabreichende kritische Arzneimittel - hier gehören die meisten Psychopharmaka hin“, so Wehling.
- D („donʼt/Das muss weg“): bei älteren Patienten zu vermeiden, Alternativen sollten gefunden werden.
Vernünftig Umstellen
Das Umstellen birgt eigene Gefahren. Manche Arzneimittel müssen ausschleichend abgesetzt werden. Dazu gehören alle Antiepileptika, auch Benzodiazepine. Abrupt absetzen kann man zum Beispiel Amlodipin, falls der Blutdruck übertherapiert ist. Aber es ist zu beachten, wie lange der Patient das Medikament schon nimmt.
Hilfreiche Informationen zum Absetzen von Antidementiva, Antidepressiva und Neuroleptika bei alten Patienten hält eine aktuelle Übersichtsarbeit bereit (14). So ist beispielsweise bei Antidepressiva in der Regel ein schrittweises Ausschleichen über einen Zeitraum von 4 Wochen nötig, da es andernfalls zu einem Absetzsyndrom kommen könnte. Wichtig sei bei einem elektiven Absetzversuch, den Patienten selbst, Angehörige und wenn nötig auch seine Betreuer zu informieren.
Zusätzliche Hinweise
- Ärztliche Überwachung: Patienten sollten ihre Medikation nicht eigenständig absetzen, sondern immer Rücksprache mit ihrem Arzt halten und ihren Medikationsplan besprechen.
- Aufklärung: Die Aufklärung über potenzielle Risiken ist wichtig, um langfristige Gesundheitsschäden zu vermeiden.
- Regelmäßige Überprüfung: Der Medikamentenkonsum sollte regelmäßig überprüft und hinterfragt werden, insbesondere bei älteren Menschen.
Neue Medikamente und Therapieansätze
Ein neues Medikament, Leqembi (Lecanemab) wurde im April 2025 in der EU zur Behandlung von Menschen im Frühstadium von Alzheimer zugelassen - ist in Deutschland aber noch nicht verfügbar. Kisunla (Donanemab), ein weiteres neues Medikament, wurde im Juli 2025 zur Zulassung empfohlen.
Antikörper-Medikamente richten sich gegen eine mögliche Ursache der Alzheimer-Krankheit: schädliche Proteinablagerungen im Gehirn, so genannte Amyloid-Plaques. Leqembi (Wirkstoff: Lecanemab) ist das erste in der EU zugelassene Antikörper-Medikament zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit. Es ist noch nicht verfügbar, wird aber voraussichtlich im Laufe des Jahres 2025 in Deutschland erhältlich sein.
Lecanemab ist nur für Menschen im frühen Alzheimer-Stadium zugelassen, also bei leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI) oder beginnender Demenz. Vor der Behandlung sind spezielle Untersuchungen vorgesehen - etwa ein Gentest sowie eine Liquoruntersuchung und/oder ein PET-Scan.
Die Behandlung wird voraussichtlich in spezialisierten Zentren beginnen. Leqembi wird alle zwei Wochen als Infusion verabreicht. Wie genau die Therapie umgesetzt wird, ist derzeit noch in Planung.
Fazit
Die medikamentöse Behandlung von Demenzerkrankungen wie Alzheimer entwickelt sich stetig weiter. Antikörper-Wirkstoffe wie Lecanemab und Donanemab zielen darauf ab, die für Alzheimer typischen Proteinablagerungen im Gehirn zu reduzieren und den Krankheitsverlauf zu verzögern. Während Lecanemab in der EU bereits zugelassen wurde, befindet sich Donanemab noch im Zulassungsverfahren.
Zusätzlich wird an neuen Ansätzen geforscht, darunter Blarcamesin, das die natürlichen Reinigungsmechanismen der Nervenzellen aktivieren soll. Auch dieser Wirkstoff befindet sich aktuell in der Prüfung zur Zulassung in der EU.
Noch gibt es keine Heilung, aber die Forschung macht Fortschritte. Es ist wichtig, sich über die Risiken und Vorteile von Medikamenten zu informieren und gemeinsam mit dem Arzt eine individuelle Behandlungsstrategie zu entwickeln.
tags: #medikamente #die #alzheimer #auslösen #liste