Die Frage nach der Komplexität des menschlichen Gehirns fasziniert Wissenschaftler und Philosophen gleichermaßen. Ein zentraler Aspekt dieser Komplexität ist die immense Anzahl an Synapsen, den Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen. Es wird vermutet, dass die Anzahl der Synapsen im menschlichen Gehirn die geschätzte Anzahl der Atome im Universum übersteigt. Dieser Artikel beleuchtet die Fakten rund um diese Behauptung, die Funktionsweise des Gedächtnisses und die aktuellen Forschungen im Bereich der Gedächtnisbeeinflussung.
Die unvorstellbare Vernetzung des Gehirns
Das menschliche Gehirn besteht aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen). Jede dieser Nervenzellen ist durchschnittlich mit bis zu 100.000 anderen Nervenzellen über Synapsen verbunden. Diese Verbindungen ermöglichen die Kommunikation und Informationsverarbeitung im Gehirn. Die schiere Anzahl dieser Verbindungen führt zu einer unvorstellbaren Komplexität. Im Ergebnis existieren im menschlichen Gehirn etwa 100 Billionen Synapsen, was die Anzahl der Verbindungen zwischen den Nervenzellen in einem einzigen Gehirn unbegreiflich macht und wahrscheinlich größer ist als die vermutete Anzahl der Atome im Universum.
Diese immense Vernetzung ist die Grundlage für unser Bewusstsein und unsere Fähigkeit zu lernen und uns zu erinnern. Das Geheimnis unseres Bewusstseins liegt also in der Vernetzung von rund 100 Milliarden Nervenzellen.
Das Gedächtnis: Mehr als nur eine Datei
Unsere Erinnerungen sind nicht wie Dateien auf einem Computer, die einfach gelöscht werden können. Das Gehirn ist kein Rechner, bei dem man bestimmte Informationen herausschneiden kann. Stattdessen basiert das Gedächtnis auf der Vernetzung von Nervenzellen und der Stärkung oder Schwächung der synaptischen Verbindungen.
Die Grundlage für unser Erinnern ist die Vernetzung von 100 Milliarden Nervenzellen. Jede Nervenzelle ist durchschnittlich mit bis zu 100.000 anderen Verbindungsstellen, den Synapsen, in Kontakt. Diese 100.000 Synapsen, mikroskopisch kleine Auswüchse, stehen so mit den anderen Nervenzellen in Verbindung.
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Die Dynamik des Erinnerns
Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass unsere Gedächtnisinhalte mit jedem neuen Erinnern neu abgespeichert werden müssen. In der kurzen Zeitspanne, bevor unsere Erinnerungen wieder in den Hirnstrukturen abgelegt werden, kann das Gehirn die aufgerufenen Erinnerungen neu verknüpfen, abschwächen oder verstärken. Oder die Erinnerungen sogar ganz verschwinden lassen.
Dieser Prozess eröffnet die Möglichkeit, in die menschlichen Erinnerungswelten einzugreifen. Es reicht wahrscheinlich aus, bestimmte Gene, Botenstoffe oder Rezeptoren durch chemische Wirkstoffe zu aktivieren oder zu blockieren. Dann könnten Erinnerungen wahrscheinlich schneller gebildet werden, sie könnten besser haften bleiben oder rascher abgerufen werden.
Die Forschung an Gedächtnispillen
Die Idee, Erinnerungen gezielt zu beeinflussen, hat zur Entwicklung von Gedächtnispillen geführt. Heute sind mindestens 40 Varianten von Gedächtnispillen in der Entwicklung. Etwa ein Dutzend Pharmafirmen investieren dafür jährlich rund 1,5 Milliarden Dollar. Diese Pillen greifen in die chemischen Prozesse der Verbindungen zwischen den Neuronen und Synapsen ein und beeinflussen so unser Gedächtnis.
Ein Schwerpunkt der Forschung liegt auf der Behandlung von altersbedingtem Gedächtnisverlust. Kandel: "In diesem Labor arbeiten etwa 70 Wissenschaftler um Medikamente gegen die unterschiedlichsten Arten von Erinnerungsverlust zu entwickeln. Unser Hauptaugenmerk gilt hier dem altersbedingten Gedächtnisverlust. Das ist aber etwas anderes als die Alzheimer-Krankheit. Dieser Gedächtnisverlust tritt im Alter bei vielen Menschen auf und vollzieht sich sehr langsam. Wir können das heute im Experiment bei Labormäusen zeigen. Und wir haben jetzt Medikamente, die bei Mäusen diesen Gedächtnisverlust sehr erfolgreich rückgängig machen können. Diese Medikamente befinden sich im Augenblick im klinischen Test."
Es gibt auch Forschungen, die darauf abzielen, traumatische Erinnerungen zu mildern oder sogar zu löschen. Ein im Gedächtnis bereits eingebranntes Trauma lässt sich auf diese Weise bewusst aus der Erinnerung holen und neu erleben. Wenn dabei die Gefühlsbegleitung durch ein bestimmtes Medikament unterbunden wird, dann bewertet der Betroffene die Erinnerung neu, und sie wird gemildert wieder abgespeichert. Oder sogar ganz gelöscht.
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Ethische Bedenken und gesellschaftliche Folgen
Die Entwicklung von Gedächtnispillen wirft jedoch auch ethische Fragen auf. Förstl: "Das ist die sehr dogmatische Haltung eines Ethikers, der es gut meint und weil er es gut meint, denkt er vor allem an die Missbrauchsmöglichkeiten. Und da ist natürlich seine Position auf jeden Fall zu unterstützen. Man darf all jenen Absichten nicht Tür und Tor öffnen, die davon ausgehen: es ist ja alles nicht so schlimm. Das können wir ja wieder auslöschen. Das darf natürlich nicht passieren. Und das wird aber mit der Verfügbarkeit der Substanzen wahrscheinlich doch geschehen."
Es besteht die Sorge, dass die Möglichkeit, Erinnerungen zu löschen, zu einem verantwortungslosen Umgang mit der Vergangenheit führen könnte. Spitzer hofft deshalb auf eine ernsthafte und tiefschürfende Debatte über die gesellschaftlichen Folgen dieser Pille: "Wenn Sie sich an was Bestimmtes erinnern, dann wissen wir heute, dass darüber die Erinnerung labilisiert wird, also die Spur wird sozusagen weich. Und wenn Sie jetzt - mit bestimmten Medikamenten geht das, und andere Medikamente, an denen wird gerade geforscht, da wird das noch besser gehen - diese weiche Spur daran hindern, dass sie wieder fest wird, dann haben sie tatsächlich genau diese Erinnerungsspur gelöscht. Das ist heute schon möglich. Es gibt auch die ersten Studien, die zeigen, dass das auch geht. Man muss damit natürlich ganz verantwortungsvoll umgehen. Es wird auch heftig darüber diskutiert. Zum Beispiel von der Ethikkommission des amerikanischen Präsidenten. Da wird darüber geredet, was heißt das für unsere Gesellschaft. Dürfen wir überhaupt Gedächtnisspuren löschen. Was wäre passiert, wenn wird das vor 60 Jahren schon gehabt hätten, dann würden sich heute keiner mehr erinnern. Und wir wissen alle, wie wichtig es ist, dass wir uns erinnern und aus Fehlern lernen."
Es stellt sich die Frage, ob wir überhaupt das Recht haben, in unsere Erinnerungen einzugreifen, da die Erinnerungen unser ganzes Leben ist. Ein Leben ohne Gedächtnis wäre kein Leben … Unser Gedächtnis ist unser Zusammenhalt, unser Grund, unser Handeln, unser Gefühl. Ohne Gedächtnis sind wir nichts.
Emotionen und Erinnerungen
Die Forschungen Roger Pitmans und anderer Wissenschaftler zeigen, welche zentrale Rolle Emotionen beim Erinnern spielen. Angst und Erschrecken brennen Ereignisse buchstäblich ins Gedächtnis ein. Mittlerweile existieren auch erste klinischen Studien mit Menschen.
Schreckliche Erinnerungen bekommen vom Gehirn durch das Stresshormon Adrenalin einen emotionalen Stempel aufgedrückt, ehe sie im Gedächtnis abgelegt werden. Völlig unberührt können sich Menschen dann später kaum noch an ein solches Ereignis erinnern - es sei denn, man unterdrückt den Adrenalin-Ausstoß. Der Wirkstoff Propranolol, früher ein verbreiteter Blutdrucksenker, könnte dabei helfen. Er schwächt die Wirkung des Stresshormons Adrenalin ab. Dabei wird die Verbindung zwischen Erinnerung und Emotion geschwächt, und ein traumatisches Erlebnis ist weniger dramatisch eingefärbt.
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Die Suche nach dem Sitz des Bewusstseins
Die Frage, wie Bewusstsein entsteht, ist eine der größten Herausforderungen der Neurowissenschaften. Die Forschungen Eric Kandels haben gezeigt, dass sich beim Erinnern nicht die Neuronen selbst verändern, sondern die Verbindungen zwischen ihnen, die Synapsen. Wenn Aplysia also ein neues Verhalten lernte, dann änderte sich die Intensität dieser Verbindungen untereinander. Wenn die Meeresschnecke lernte, vor bestimmten Reizen keine Angst mehr haben zu müssen, dann koordinierten die Synapsen dieses Wissen.
Kandel: "Die Arbeit mit der Meeresschnecke Aplysia lieferte den ersten Beweis dafür, dass das Lernen die Verbindungen zwischen den einzelnen Nervenzellen im Gehirn verändert, sie verstärkt oder abschwächt, und dass unsere Erinnerung die Fortdauer dieser Änderung ist. Und dann konnten wir zeigen, dass sowohl in der Schnecke als auch beim Menschen für verschiedene Lernvorgänge ein Kurzzeit- und ein Langzeitgedächtnis existiert. Diese Archivierung geschieht mithilfe von Eiweißstoffen, die die Neuronenverbindungen stärken. Die Experimente mit der Schnecke Aplysia waren also extrem hilfreich, um das molekulare Programm der Speicherung von Erinnerungen zu verstehen."
Trotz großer Fortschritte in der Hirnforschung bleibt das Bewusstsein ein Rätsel. Der Nobelpreisträger Roger Penrose schreibt, dass die heutige Physik dem Phänomen des Bewusstseins nicht gerecht wird. Solange die von uns erkannten Gesetzmäßigkeiten der Welt ein bewusstes Denken nicht zulassen, kann auch das Universum nicht gedacht werden. Es existiert demnach für uns nicht.