Milieutherapie bei Demenz: Beispiele und Gestaltungsmöglichkeiten

Die Milieutherapie ist ein wichtiger Bestandteil in der Betreuung von Menschen mit Demenz. Da medizinische Hilfe oft begrenzt ist und die Erkrankten ihr Verhalten nur schwer steuern können, kommt es darauf an, ihnen ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich wohl und sicher fühlen.

Grundlagen der Milieutherapie

Der Begriff "Milieutherapie" wird oft synonym mit "Milieugestaltung" verwendet. Im Kern geht es darum, durch die bewusste Gestaltung der Umgebung die Lebensqualität von Menschen mit Demenz zu verbessern. Dabei stehen Elemente im Vordergrund, die das Wohlbefinden fördern, die Sinne anregen und Orientierung bieten.

Das Menschenbild im Mittelpunkt

Nach dem Modell des Psychologen Tom Kitwood können die Auswirkungen von gerontopsychiatrischen Krankheiten abgeschwächt werden, wenn nicht die Krankheit, sondern der Mensch im Mittelpunkt aller Bemühungen steht. Aus diesem Grund sind der Erhalt und die Stärkung der Identität unserer Tagespflegegäste das oberste Ziel.

Empathie und Biografie als Schlüssel

Wie immer bei der Betreuung von Menschen mit Demenz, steht auch bei der Milieutherapie ein empathisches Einfühlen in den Menschen im Mittelpunkt. Die Biografie des Menschen zu kennen und diese Kenntnisse in die Betreuung und die Gestaltung des Milieus mit einfließen zu lassen, ist bei der Milieutherapie eine wichtige Aufgabe der Betreuenden. Die jeweilige Umgebung soll dabei individuell auf den Menschen mit Demenz zugeschnitten sein und sich an seinen Bedürfnissen orientieren.

Greta Wehner, deren Mann an Alzheimer erkrankt war, betont: "Da medizinische Hilfe nur begrenzt möglich ist und der Erkrankte sein Verhalten wenig steuern kann, liegt es an uns, unser Gegenüber so anzunehmen, wie er ist. Druck oder logische Argumentation unsererseits sind nicht angebracht." Eigener Stress und Ungeduld werden von den Erkrankten schnell gespürt, was zu Verweigerung führen kann. Stattdessen ist es hilfreich, eigene Maßstäbe und Ziele zurückzustecken, solange keine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt.

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Halt, Sicherheit und Orientierung

Menschen mit Demenz brauchen eine stressfreie Atmosphäre, die durch Halt, Sicherheit und Orientierung geschaffen wird. Überforderung, Hektik, Reizwörter und Verbote sollten vermieden werden. Aggressionen, Verweigerungshaltungen und Rückzugstendenzen haben ihre Ursache meist in Verständnisschwierigkeiten, einem geringeren Verhaltensrepertoire und Scham. Diese Verhaltensweisen sind kein Angriff, sondern Selbstverteidigung. Indem wir uns den Ursprung der Haltung unseres Gegenübers bewusst machen, verhindern wir, diese persönlich zu nehmen. Stattdessen können wir gezielt versuchen, auf Ängste und Unsicherheiten einzugehen.

Verlässlichkeit, Rituale und feste Strukturen sind für sie wichtig. Von uns eher als zu monoton empfundene Abläufe bieten dem Erkrankten Sicherheit und Kompetenz durch gewohnten und teils vorhersagbaren Umgang. Um die Handlungsfähigkeit und das Selbstwertgefühl des Betroffenen zu steigern, können wir gezielt Identitätsbezüge schaffen und Schlüsselreize setzen. Dabei handeln wir stets im Rhythmus des Gegenübers, seine Tagesform bedenkend und an seinen Ressourcen orientiert.

Beispiele für Milieutherapie in der Praxis

Es gibt viele Möglichkeiten, die Milieutherapie im Alltag umzusetzen. Hier einige Beispiele:

Räumliche Gestaltung

Die oberste Grundregel bei der Raumgestaltung für Demenzerkrankte ist die übersichtliche und einfache Einrichtung des Wohnraums. Zu viele Sinneseindrücke überfordern Betroffene und erschweren eine Orientierung im Raum. Die gewohnte häusliche Umgebung des Kranken sollte weitestgehend erhalten bleiben bzw. nur behutsam verändert werden.

  • Orientierungshilfen: Beschriftete Türen mit eindeutigen Symbolen oder Bildern können die Orientierung erleichtern. Beispielsweise kann ein Bild einer Toilette an der Badezimmertür helfen, den Raum zu identifizieren. An exponierten Stellen finden sich Kalender und Uhren mit analogem Ziffernblatt. Tages- und Wochenpläne werden gut lesbar am „Schwarzen Brett“ bekannt gegeben.
  • Farbgestaltung: Es sollten helle, freundliche Farben für Wände und Möbel genutzt werden. Dunkle Farben können bedrohlich wirken oder Fehlinterpretationen hervorrufen. Kontraste, wie farbige Handläufe, erleichtern die Wahrnehmung und Nutzung. Die Gemeinschaftsräume können in Signalfarben gestrichen sein.
  • Beleuchtung: Ausreichend Tageslicht und gute Beleuchtung fördern die Orientierung und reduzieren Angstgefühle. Dabei sollten Schattenbereiche vermieden werden. Kaltweißes Licht ist für ältere Menschen besser zu sehen als warmweißes. Beim nächtlichen Toilettengang helfen LED-Nachtlichter mit Bewegungsmelder, sich in der Dunkelheit zu orientieren und Stürze zu vermeiden.
  • Möbel: Runde oder abgerundete Tische sind für diese Personen leichter optisch zu erfassen als eckige Möbel. Auf Glastische sollte verzichtet werden. Flure werden mit Sitzecken versehen, damit sich die Bewohner unterhalten können.
  • Sicherheit: Für die Sturzprophylaxe sollten Sie Stolperfallen wie lose Kabel und Teppiche entfernen. Auch eine gute Beleuchtung ist dabei wichtig. Hilfreich sind Anti-Rutsch-Matten oder Haltegriffe im Badezimmer. Als weitere Sicherheitsmaßnahme sollten Sie in Wohnungen von Personen mit Demenz in allen Räumen Rauchmelder installieren, damit ein Brand sofort bemerkt wird. Am Herd können sogenannte Herdschutzknöpfe oder auch Schutzknöpfe installiert werden, die das Einschalten des Herds erschweren.
  • Vermeidung von Reizüberflutung: Eine Überstimulierung durch Radio, Fernsehen, Telefon, lautes Rufen, Hektik, etc. sollte ebenso wie Reizarmut vermieden werden. Persönliche Gegenstände und passende Kennzeichnungen (z.B. durch Farben, Symbole, Lichtintensität) helfen bei der Orientierung.

Tagesstrukturierung

Insbesondere im Hinblick auf Wahrnehmungsveränderungen, wie etwa derzeitlichen Orientierung, örtlichen Orientierung, situativen Orientierung und Orientierung zur Person, fordert die Milieutherapie eine angepasste Tagesstruktur, die auf feste Zeiten und gewohnte Abläufe setzt. Für jeden Tagespflegegast wird daher im Sinne der Milieutherapie ein individueller Maßnahmenplan erarbeitet, der einerseits dem Bedürfnis nach Sicherheit und Orientierung, andererseits den persönlichen Vorlieben und der Möglichkeit, spontane Wünsche im Tagesablauf zu berücksichtigen, Sorge trägt.

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  • Rituale: Die Essen-, Aktivitäts- und Ruhezeiten werden rechtzeitig angekündigt. Auch bei der Speiseplangestaltung findet entsprechend einer individuellen Essbiografie die jahreszeitliche Orientierung und der regionale Bezug Beachtung.
  • Aktivitäten: Lebensqualität und Wohlbefinden können wir durch angenehme, sinnvolle und Biografie bezogene Tätigkeiten unterstützen. In unserer Tagespflege wird den Seniorinnen und Senioren eine Vielzahl an Aktivitäten geboten. Holzarbeiten tragen zu einer gesunden Erschöpfung am Abend nach einem Besuch in den Betreuungsstuben® bei.

Soziale Interaktion

Bei der Anpassung des sozialen Milieus nimmt die Gestaltung einer vertrauensvollen Beziehung zwischen dem Tagespflegegast und unserem Personal, aber auch den Tagespflegegästen untereinander eine übergeordnete Rolle ein. Unser Pflege- und Therapieleitbild älteren und kranken Menschen mit Respekt, Empathie und Wertschätzung zu begegnen, versteht sich als Grundhaltung der Betreuungsstuben®.

  • Kommunikation: Wir können Kontakt und Zuwendung durch Blicke, Worte (Ansprache beim Namen, Aufmunterung, Lob und kurze bis längere Unterhaltungen) oder Berührungen (taktile Reize können einfach als angenehm empfunden werden, aber auch helfen, das nachlassende Körpergefühl zu stimulieren) herstellen. Dabei ist neben einer einfachen und klaren Ausdrucksweise eine ehrliche Kommunikation wichtig. Mimik und Gestik müssen stimmig zu unseren Aussagen sein. Demenzkranke haben ein feines Gespür für Authentizität.
  • Bezugspersonen: Dauerhafte Bezugspersonen beim Personal, ungeachtet der Qualifikation (Pflege, Betreuung oder Therapie), erzeugen ebenfalls das Gefühl von Sicherheit. In den Betreuungsstuben® wird nach dem System der Bezugspflege gearbeitet, d.h. für eine bestimmte Anzahl von Tagespflegegästen ein fester Personalpool zuständig ist, der nur in Ausnahmefällen variiert.
  • Gruppenaktivitäten: In speziellen Gruppen für Menschen mit Demenz ist es möglich, gezielt zu fördern, gemeinsam zu genießen und sich in sozialen Rollen wieder zu erleben.

Umgang mit schwierigen Situationen

In kritischen Situationen (z.B. Aggression, Angst, „Weglauftendenz“, „unkooperatives Verhalten“) hilft es, die Gefühle zu validieren (Ursachen erspüren und einfühlend wiedergeben), Bewegungsdrang aufzunehmen (gemeinsam ein Stück gehen) aber auch abzulenken und geplante Tätigkeiten zu verschieben.

Weitere Therapieansätze

Neben der Milieutherapie gibt es eine Vielzahl weiterer Therapieansätze, die bei Demenz eingesetzt werden können:

  • Biografiearbeit: Zu den kognitiven Aktivierungsprogrammen gehören im weitesten Sinne auch biografische Methoden - eine Art „Erinnerungstherapie", die mit Materialien wie Fotos, Zeitungsausschnitten, Musik etc. aus der Lebensgeschichte des Patienten arbeitet.
  • Realitäts-Orientierungs-Training (ROT): In Heimen und speziellen gerontopsychiatrischen Einrichtungen wird bei mittelgradigen und schwer dementen Patienten bevorzugt das so genannte Realitäts-Orientierungs-Training (ROT) eingesetzt. Es zielt darauf ab, dem Patienten die zeitliche und räumliche Orientierung zu erleichtern - mit einem auf den Zustand des Patienten angepassten Anforderungsniveau.
  • Validationstherapie: Gerade bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz hat sich die so genannte Validations-Therapie (Validation = Gültigkeit) bewährt. Ihr Schwerpunkt liegt im Verstehen und Anerkennen der „Alzheimer-Welt". Der Pflegende lässt sich hierbei auf die eigene Welt des Patienten ein. Kommuniziert wird in einfachen Sätzen bzw. überwiegend non-verbal über Berührungen, Gesten, Bilder und Musik.
  • Ergotherapie: Mit Hilfe der Ergotherapie, früher als Arbeits- und Beschäftigungstherapie bezeichnet, werden Alltagsfähigkeiten trainiert. Bei Patienten mit Demenz kann Ergotherapie die kognitiven Funktionen, das Orientierungsvermögen und die Selbstständigkeit erhalten oder bessern sowie in den Anfangsstadien eine Pflegebedürftigkeit hinauszögern.
  • Kognitives Training: Für Alzheimer-Patienten im Frühstadium ist ein kognitives Aktivierungsprogramm, welches die Denk- und Lernfähigkeit in Form eines Gedächtnis- und Aufmerksamkeitstrainings anregt, sinnvoll.

Die Rolle der Angehörigen

Ein unverzichtbarer Aspekt in der Betreuung von Alzheimer-Patienten ist die Angehörigenarbeit. Die Angehörigen benötigen im Laufe des Krankheitsprozesses eine intensive Unterstützung durch Aufklärung über den Krankheitsverlauf, rechtliche Aspekte und reale Entlastungsmöglichkeiten. In der Angehörigenarbeit lernt die Familie, Krankheitsanzeichen als solche zu erkennen und mit ihren Auswirkungen umzugehen. Diese so genannte Psychoedukation schließt auch Strategien zum Selbstmanagement und zur Problemlösung von Konfliktsituationen im Umgang mit dem Kranken ein. Die Angehörigenarbeit, gleich ob als Paar- oder Gruppentherapie, verbessert das Patienten-Pfleger-Verhältnis, entlastet nachweislich die pflegenden Bezugspersonen und steigert die Motivation der Angehörigen zur Pflege.

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