Benjamin Libets "Mind Time" untersucht die Entstehung des Bewusstseins und die Rolle unbewusster Prozesse im Gehirn. Das Buch präsentiert Libets eigene Deutung seiner berühmten "Libet-Experimente" und wirft Fragen zur Willensfreiheit und zum Verhältnis von Geist und Gehirn auf.
Einleitung
Das menschliche Bewusstsein ist ein faszinierendes und komplexes Phänomen. Obwohl es für uns von zentraler Bedeutung ist, wissen wir relativ wenig über seine Ursprünge. Benjamin Libet, ein Pionier der Bewusstseinsforschung, hat mit seinen Experimenten wichtige Erkenntnisse darüber gewonnen, wie das Gehirn Bewusstsein erzeugt. Sein Buch "Mind Time", das 2004 erschien und nun auf Deutsch vorliegt, bietet einen Einblick in seine Forschung und seine Interpretation der Ergebnisse.
Die Libet-Experimente: Unbewusste Prozesse vor bewussten Entscheidungen
Im Zentrum von Libets Experimenten steht der Nachweis, dass jedem bewussten Prozess ein unbewusster, messbarer Prozess zeitlich vorausgeht. Diese zeitliche Differenz, die "Mind Time", deutet darauf hin, dass unbewusste Prozesse unser Bewusstsein steuern und nicht umgekehrt. Libets Experimente zur Willensfreiheit zeigten, dass die Hirnaktivität, die eine Handlung einleitet, früher einsetzt als der bewusste Entschluss zu dieser Handlung. Dies scheint zu bedeuten, dass die eigentliche Festlegung auf neuronaler Ebene stattfindet, während der bewusste Willensakt lediglich ein wirkungsloses Nachspiel ist.
Das Bereitschaftspotenzial und das Veto-Phänomen
Libet entdeckte das sogenannte "Bereitschaftspotenzial", eine Hirnstromaktivität, die bereits vor der bewussten Entscheidung zu einer Handlung messbar ist. Allerdings fand er auch ein "Veto-Phänomen", das eine Verzögerung ermöglicht und die Möglichkeit bietet, eine bereits getroffene Entscheidung zu revidieren. Demnach ist die Existenz eines freien Willens zumindest ebenso wahrscheinlich wie das Gegenteil.
Die Bedeutung für Willensfreiheit, Identität und die Beziehung zwischen Geist und Gehirn
Libet behandelt die weitreichenden Folgen seiner Entdeckungen nicht nur für die Willensfreiheit, sondern auch für die Identität der Person und die Beziehung zwischen Geist und Gehirn. Trotz der Erkenntnisse, dass unbewusste Prozesse unseren Entscheidungen vorausgehen, hält Libet Willensfreiheit für möglich. Er argumentiert, dass wir die Möglichkeit haben, bewusst "Nein" zu sagen zu einem Impuls, der sich in uns aufbaut.
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Libets dualistische Auffassung
Libets Theorie der Willensfreiheit ist eng mit seiner dualistischen Auffassung verbunden, wonach Willensakte keine physischen Prozesse sind, aber dennoch auf physische Prozesse einwirken können. Er sieht ein religiös geprägtes, dualistisches Menschen- und Weltbild keineswegs in Gefahr.
Kritik und Kontroversen
Libets Studien zur Willensfreiheit wurden oft als Widerlegung derselben interpretiert, obwohl er selbst diese Konsequenz nie gezogen hatte. Einige Kritiker werfen Libet philosophische "Missgriffe" vor, etwa die Identifizierung von Materialismus und Determinismus. Zudem wird bemängelt, dass er neuere empirische Befunde nicht immer ausreichend berücksichtigt.
Die Rolle des Bewusstseins unter Zeitdruck
Libets Experimente zeigen, dass das Bewusstsein die Entdeckung eines externen Reizes nachträglich auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Auftretens rückdatiert. Das Bewusstsein "dreht" die Uhr zurück und täuscht vor, die Gegenmaßnahme rechtzeitig eingeleitet zu haben. Die Gegenmaßnahme muss tatsächlich eingesetzt haben, bevor sich der Mensch dessen bewusst wird. Externe Reize leiten unter Umgehung des Bewusstseins eine der jeweiligen Situation entsprechende, eingeübte Gegenreaktion ein.
Libets Vermächtnis
Trotz der Kontroversen bleibt Libets Arbeit von großer Bedeutung für die Bewusstseinsforschung. Er hat wichtige Fragen aufgeworfen und neue Wege der Forschung eröffnet. Sein Buch "Mind Time" ermöglicht es sowohl Spezialisten als auch interessierten Laien, an einem der spannendsten Forschungsprogramme dieser Tage teilzuhaben - der Erforschung des menschlichen Bewusstseins.
Das "bewusste mentale Feld" (BMF)
Um dem Dilemma der Nicht-Messbarkeit des "Ich-Bewusstseins" zu entgehen, stellt Libet das Konzept eines "bewussten mentalen Feldes" (BMF) in den Raum, das Geist und Bewusstsein ausmacht und die neuronalen Aktivitäten beeinflussen kann. Allerdings weiß er, dass er dieses Konzept mit seinen Mitteln experimentell weder beweisen noch widerlegen kann.
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