Sialorrhö bei Parkinson: Ursachen, Diagnose und Behandlungsstrategien

Sialorrhö, oder übermäßiger Speichelfluss, ist ein Symptom, das bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen auftreten kann und oft übersehen wird. Besonders bei Patienten mit Morbus Parkinson kann Sialorrhö die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und zu sozialer Isolation führen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Diagnosemethoden und therapeutischen Möglichkeiten zur Behandlung von Sialorrhö bei Parkinson-Patienten.

Was ist Sialorrhö?

Sialorrhö bezeichnet eine übermäßige Speichelproduktion, die entweder durch eine Schluckstörung (Dysphagie) oder durch eine tatsächliche Überproduktion von Speichel (Hypersalivation) verursacht werden kann. Betroffene leiden oft unter unangenehmen Begleiterscheinungen wie ständigem Speicheln, sozialer Stigmatisierung und einer insgesamt verminderten Lebensqualität.

Ursachen von Sialorrhö bei Parkinson

Bei Parkinson-Patienten tritt Sialorrhö häufig bereits in frühen Stadien der Erkrankung auf. Die verminderte Beweglichkeit der Mund- und Rachenmuskulatur führt zu Schluckproblemen, wodurch der Speichel nicht mehr ausreichend abtransportiert werden kann. Dies kann auch auf andere neurologische Erkrankungen wie amyotrophe Lateralsklerose, Schlaganfall, Neuropathien, Muskelerkrankungen oder Schädel-Hirn-Trauma zurückzuführen sein. Auch Medikamente, insbesondere Neuroleptika, können Sialorrhö verursachen.

Warum ist eine Behandlung der Sialorrhö wichtig?

Eine unbehandelte Sialorrhö kann zu erheblichen gesundheitlichen Problemen führen. Das Aspirationrisiko, also das Eindringen von Speichel in die Atemwege, kann schwere Infektionen verursachen. Zudem kann eine zugrundeliegende Schluckstörung (Dysphagie) im Alter zu Gewichtsabnahme und Kachexie (Abmagerung) führen.

Diagnostische Verfahren

Eine umfassende Diagnostik ist entscheidend, um die Ursachen der Sialorrhö zu ermitteln und geeignete Behandlungsstrategien zu entwickeln.

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Anamnese und klinische Untersuchung

Wie bei den meisten Erkrankungen beginnt die Diagnostik mit einer ausführlichen Anamnese, bei der der Arzt Fragen zu Hustenreiz, Verschlucken, Räuspern und Speichelfluss stellt. Anschließend erfolgt eine inspektorische klinische Untersuchung des Mund- und Rachenbereichs.

Fragebögen und Skalen

Im klinischen Alltag können Fragebögen und Skalen eingesetzt werden, um das Ausmaß der Sialorrhö zu beurteilen. Dazu gehören:

  • Drooling Severity and Frequency Scale (DSFS)
  • SWAL-QOL and SWAL-CARE
  • Swallowing Disturbance Questionnaire (SDQ), spezifisch für Parkinson-Erkrankung
  • Sialorrhea Clinical Scale for PD (SCS-PD)

Fiberoptische Untersuchung (FEES)

Bei Verdacht auf eine Schluckstörung ist eine fiberoptische endoskopische Schluckuntersuchung (FEES) empfehlenswert. Dieses Verfahren gilt als Standard zur Beurteilung der Schwere einer Schluckstörung.

Weitere diagnostische Methoden

Zusätzlich können eine Gastroskopie oder ein klassischer "Breischluck" zur Diagnosestellung erforderlich sein.

Therapeutische Möglichkeiten

Es gibt verschiedene Therapieansätze zur Behandlung von Sialorrhö, die je nach Ursache und Schweregrad der Symptomatik eingesetzt werden können.

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Logopädische Behandlung

Eine logopädische Behandlung kann durch gezieltes Training und das Erlernen bestimmter Schlucktechniken eine Besserung der Sialorrhö bewirken. Die Logopädie sollte fester Bestandteil in jeder Therapie einer Schluckstörung sein.

Medikamentöse Therapien

Anticholinergika

Lange Zeit wurden anticholinerge Medikamente zur Behandlung der Sialorrhö eingesetzt. Diese können oral in Form von Tabletten oder transdermal (über die Haut) verabreicht werden. Zu den eingesetzten Wirkstoffen gehören Atropin, Scopolamin und Glycopyrronium. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass für die meisten dieser Medikamente keine Zulassung zur Behandlung der Sialorrhö vorliegt, sodass eine Therapie nur "off-label" in Betracht kommt. Zudem können anticholinerge Medikamente vielfältige Nebenwirkungen haben, insbesondere bei älteren Patienten. Zu diesen zählen Verwirrtheit, Beeinträchtigung der Gedächtnisleistung, Verstopfungen oder Hitzegefühl.

Botulinumtoxin-Injektionen

Eine aktuell vermehrt gewählte Therapieoption zur Behandlung der Sialorrhö bei Morbus Parkinson ist die Injektion von Botulinumtoxin. Dieses Nervengift reduziert die cholinergen Wirkungen, verringert auf diese Weise die Aktivität der Speicheldrüsen und vermindert dementsprechend auch die Speichelproduktion. Diese Behandlung bewirkt oft eine signifikante Reduktion des Speichelflusses und lindert die damit verbundenen Beschwerden maßgeblich. Die Botulinumtoxin-Injektionen erfolgen in der Regel in die Parotis- und submandibulären Speicheldrüsen; die Wirkung hält meist mehrere Monate an. Die Nebenwirkungen dieser Behandlung sind in der Regel mild und nur vorübergehend; so kann es z.B. vorübergehend Schmerzen an der Injektionsstelle, einem passageren Trockenheitsgefühl im Mund oder einer Veränderung des Geschmacksempfindens kommen. IncobotulinumtoxinA (Xeomin®) ist seit 2019 zur Behandlung chronischer Sialorrhö aufgrund neurologischer Erkrankungen bei Erwachsenen zugelassen.

Chirurgische Maßnahmen

Chirurgische Maßnahmen sind nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen eine in Erwägung zu ziehende Therapiemöglichkeit. Es sollte eine ebenso strenge Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen wie bei der Möglichkeit einer externen Bestrahlung. Je nach Erkrankung kann eine Verödung der Speicheldrüsen oder ein Umlegen und Verschließen der Speichelausführungsgänge bereits eine Verbesserung erzielen. Falls dies nicht genügt, können die Nerven, die die Funktion der Speicheldrüsen regulieren, durchtrennt werden, um die Speichelproduktion zu reduzieren.

Weitere unterstützende Maßnahmen

Zusätzlich zu den genannten Therapien können folgende Maßnahmen helfen, die Symptome der Sialorrhö zu lindern:

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  • Anpassung der Ernährung: Feuchte Kost kann das Schlucken erleichtern. Süßigkeiten, Milch und Milchcremes sollten vermieden werden, da sie dicken, schleimigen Speichel fördern.
  • Bewusstes Schlucken: Regelmäßiges, bewusstes Schlucken kann helfen, die Schluckfrequenz zu erhöhen und den Speichelfluss zu reduzieren.
  • Physiotherapie: Spezielle Übungen und Therapien zur Kontrolle der Schlundmuskulatur können helfen, die Schluckfunktion zu verbessern.
  • Hilfsmittel: Flache Löffel, breite Tassen oder ausgeschnittene Becher können die Nahrungsaufnahme erleichtern.

Botulinumtoxin als Therapieoption im Detail

Die Behandlung der Sialorrhö mit Botulinumtoxin hat sich in den letzten Jahren als effektive und nebenwirkungsarme Alternative etabliert. Das Toxin wird direkt in die Speicheldrüsen injiziert, um die Speichelproduktion lokal zu reduzieren.

Wirkungsweise

Botulinumtoxin blockiert die Nervenimpulse, die die Speicheldrüsen zur Produktion von Speichel anregen. Dies führt zu einer Reduktion der Speichelproduktion und kann die Symptome der Hypersalivation erheblich lindern.

Durchführung

Bei geeigneten Patienten werden die genaue Lage und Größe der Speicheldrüsen durch Ultraschall ermittelt. Die Behandlung erfolgt durch gezielte Injektionen von Botulinumtoxin direkt in die Speicheldrüsen und dauert nur wenige Minuten. Der Effekt tritt normalerweise innerhalb von 3-7 Tagen nach der Injektion ein und hält etwa 3-6 Monate an. Nach dieser Zeit kann eine erneute Injektion erforderlich sein.

Vorteile

  • Geringe Invasivität
  • Geringe Nebenwirkungsrate
  • Reversibler Effekt

Risiken und Nebenwirkungen

  • Schmerzen und Schwellung an der Injektionsstelle
  • Muskelschwäche (selten, bei Injektionen unter Ultraschallkontrolle)
  • Trockener Mund mit Schluckbeschwerden

Studienlage

Studien haben die Wirksamkeit und Sicherheit von Botulinumtoxin-Injektionen zur Behandlung der Sialorrhö bei Erwachsenen und Kindern gezeigt. Die SIPEXI-Studie konnte beispielsweise Wirksamkeit und gute Verträglichkeit für die Therapie der pädiatrischen Sialorrhö bestätigen.

Die Rolle der interdisziplinären Zusammenarbeit

Eine erfolgreiche Behandlung der Sialorrhö erfordert die Zusammenarbeit verschiedener Ärzte und Therapeuten. Dazu gehören:

  • Neurologen: Für die Diagnose und Behandlung der neurologischen Grunderkrankung.
  • Hals-Nasen-Ohrenärzte (HNO): Für die Untersuchung des Mund- und Rachenbereichs und die Durchführung von Schluckuntersuchungen.
  • Logopäden: Für die logopädische Therapie und das Erlernen von Schlucktechniken.
  • Ergotherapeuten: Für die Ergotherapie im Gesichtsbereich zur Normalisierung der Kieferfunktion.

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