Mobilisierung nach Schlaganfall: Ein Überblick über Leitlinien und Therapieansätze

Ein Schlaganfall kann vielfältige Beeinträchtigungen verursachen, von leichten Taubheitsgefühlen bis hin zu schweren körperlichen und kognitiven Einschränkungen. Die Rehabilitation spielt eine entscheidende Rolle bei der Wiederherstellung von Funktionen und der Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die aktuellen Leitlinien zur Mobilisierung nach einem Schlaganfall sowie verschiedene Therapieansätze.

Neuroplastizität als Grundlage der Rehabilitation

Das menschliche Gehirn besitzt auch nach Schädigungen ein bemerkenswertes Potenzial zur Plastizität und Anpassung. Diese Fähigkeit, neue neuronale Verbindungen zu bilden und Aufgaben neu zu verteilen, ist die Grundlage für die Rehabilitation nach einem Schlaganfall. Die Erkenntnis, dass das Gehirn lernfähig bleibt und sich an veränderte Bedingungen anpassen kann (Neuroplastizität), hat die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten in den letzten Jahren grundlegend verändert. Nach einer Hirnschädigung ist diese Fähigkeit für etwa drei Monate erhöht.

Phasen der Erholung nach Schlaganfall

Basierend auf bildgebenden Studien (fMRT) lassen sich drei Phasen der Erholung nach einem Schlaganfall unterscheiden:

  • Reha-Phase 1: Behandlung direkt nach einem Schlaganfall (Schockzustand): In den ersten Stunden oder Tagen befindet sich das Gehirn in einem "Schockzustand". Eine funktionsorientierte Rehabilitation ist in dieser Phase wenig sinnvoll und eine zu starke Aktivierung möglicherweise sogar schädlich. Im Vordergrund steht die Schlaganfall-Prävention, um einer Wiederholung vorzubeugen. Die Patienten benötigen viel Pflege und Unterstützung. Auf der Schlaganfallstation werden die Funktionen oft mehrmals täglich gemessen, um Veränderungen frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern.
  • Reha-Phase 2: Hyperaktivierung des Gehirns: Es folgt eine Phase der "Hyperaktivierung". In dieser Zeit beginnen Mobilisierung und erste funktionsorientierte Reha-Maßnahmen. Der Patient unternimmt den schrittweisen Weg zurück zur Selbstständigkeit. Oft setzt in dieser Phase eine psychische Reaktion bei Patienten und Angehörigen ein, die eine engmaschige Überwachung und unterstützende Maßnahmen wie Gespräche oder Antidepressiva erforderlich machen kann.
  • Reha-Phase 3: Funktionelle Therapie: In der dritten Phase normalisiert sich die Aktivierung des Gehirns wieder. Eine modellbasierte, auf die Funktion ausgerichtete Therapie ist in dieser Phase sinnvoll und hat einen nachhaltigen Effekt. Die Neurologische Universitätsklinik Freiburg bietet für Patienten in dieser Phase gezielte ambulante Reha-Maßnahmen an, darunter die "Forced-Use Therapy".

Dauer der Rehabilitation

Die Dauer einer Schlaganfall-Rehabilitation hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter:

  • Ort und Schweregrad der Schädigung
  • Auftreten von Neglect (Aufmerksamkeitsstörung)
  • Begleiterkrankungen und Risikofaktoren (Hypertonus, Übergewicht, zerebrale Mikroangiopathie, Parkinson, Normaldruckhydrozephalus)
  • Soziales Netzwerk des Patienten (Unterstützung durch das Umfeld)
  • Vorbildung

Depressionen können im Verlauf der Rehabilitation bei Patienten und Angehörigen auftreten und müssen behandelt werden.

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Leitlinien zur Schlaganfall-Rehabilitation

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat verschiedene Leitlinien zur Schlaganfall-Rehabilitation veröffentlicht, die Ärzten und Therapeuten als Orientierung dienen. Zu den relevanten Leitlinien gehören:

  • Multiprofessionelle neurologische Rehabilitation
  • Rehabilitation aphasischer Störungen
  • Rehabilitation von sensomotorischen Störungen
  • Rehabilitation bei Störungen der Raumkognition
  • Aufmerksamkeitsstörungen, Diagnostik und Therapie
  • Diagnostik und Therapie von Gedächtnisstörungen bei neurologischen Erkrankungen
  • Neurogene Sprechstörungen (Dysarthrien)
  • Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke

Es ist zu beachten, dass einige dieser Leitlinien möglicherweise nicht mehr gültig sind und überarbeitet werden.

Therapieansätze in der Schlaganfall-Rehabilitation

Evidenzbasierte motorische Rehabilitation

Die European Stroke Organisation (ESO) betont, dass die motorische Rehabilitation evidenzbasiert und patientenorientiert sein sollte. Ein strukturiertes Programm zielt darauf ab, die motorische Funktion, die Aktivitätskapazität und die Leistungsfähigkeit im täglichen Leben von Patienten nach einem Schlaganfall zu verbessern. Die ESO empfiehlt die frühe Mobilisierung innerhalb der ersten 24 bis 48 Stunden nach dem Schlaganfall.

Intensive und repetitive Übungen

Ein Schwerpunkt sollte auf intensiven, repetitiven und aufgabenorientierten Übungen liegen, die speziell auf die Wiederherstellung von motorischen Fähigkeiten abzielen.

Technologiegestützte Rehabilitation

Der Einsatz von Technologie, wie z.B. robotergestützte Therapiegeräte oder Funktionelle Elektrostimulation (FES), kann die motorische Erholung unterstützen, insbesondere bei Patienten mit schweren motorischen Defiziten.

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  • Arm-Robot-Therapie: Diese Therapie kann für Menschen mit lähmungsbedingten Bewegungsstörungen im Arm beziehungsweise der Hand sinnvoll sein. Der betroffene Arm wird oft in eine Art Roboterschiene gelegt, die die Bewegungen unterstützt. Die Roboter erkennen, welche Bewegungen der Betroffene selbst ausführen kann und an welchen Stellen sie unterstützen müssen. Ziel ist es, die Ansteuerung des Armes und der Hand bei schweren Lähmungen wieder zu erreichen.
  • Funktionelle Elektrostimulation (FES): Bei der FES werden meist mehrere Elektroden auf die Haut geklebt und mehrere betroffene Muskeln werden durch elektrische Stimulation dazu gebracht, sich zusammen zu ziehen. Dadurch können nicht nur einzelne Bewegungen, sondern Aktivitäten wie das Greifen und Loslassen von Gegenständen mittels Elektrostimulation ermöglicht werden.

Laufbandtraining

Treadmill Training und Überkopfübungen sind besonders effektiv für die Verbesserung der Gehfähigkeit bei Schlaganfallpatienten. Das Laufbandtraining hilft vor allem bei der Verbesserung der Gehgeschwindigkeit und Ausdauer. Bei Bedarf kann ein Gurtsystem angelegt werden, um das Körpergewicht während des Übens auf dem Laufband zu verringern.

Weitere Therapiekonzepte

  • Aufgabenorientiertes Training (AOT): AOT kommt unter anderem für Menschen mit grob- und feinmotorischen Störungen infrage. Ziel ist es, die einzelne Bewegungsabläufe zu verbessern. Dies kann sich auf den Gang beziehen, aber auch auf Arm- und Handbewegungen.
  • Bobath-Konzept: Das Bobath-Konzept wird zur Befundaufnahme und Behandlung von Menschen mit Störungen des Muskeltonus verwendet. Ziel der Bobath-Therapie ist die Verbesserung der funktionellen Fähigkeiten, sodass der Patient wieder am täglichen Leben teilnehmen kann.
  • Constraint-Induced Movement Therapy (CIMT): In diesem Fall ist der Einsatz der „Constraint-Induced Movement Therapy“ (CIMT) sinnvoll - also eine Therapie, bei der ganz intensiv Alles mit dem betroffenen Arm gemacht wird. Dadurch kann die spontane Nutzung des gelähmten Armes wieder gefördert werden.

Die AVERT-Studie: Frühe Mobilisierung kritisch betrachtet

Die AVERT-Studie untersuchte, ob sich mit einer sehr frühen Mobilisierung (innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Schlaganfall) die funktionellen und rehabilitativen Ergebnisse verbessern lassen. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass eine sehr frühe und intensive Mobilisation keine Vorteile im Vergleich zu einer frühen, aber weniger aggressiven Mobilisation hat. Bei sehr früh mobilisierten Patienten trat sogar häufiger eine Verschlechterung der Schlaganfallsymptomatik auf. Daher wird in der Praxis eine schonendere, an die Situation des Patienten angepasste Mobilisation bevorzugt.

Kontinuierliche Überwachung und Anpassung des Therapieplans

Ein entscheidender Aspekt der erfolgreichen Rehabilitation ist die kontinuierliche Überwachung und Anpassung des Therapieplans auf der Grundlage regelmäßiger Assessments. Diese Bewertungen sollten zu festgelegten Zeitpunkten nach dem Schlaganfall erfolgen - idealerweise in der ersten Woche sowie nach 4 Wochen, 3 Monaten und 6 Monaten.

Rolle der Angehörigen und Hilfsmittelversorgung

Die Einbeziehung der Angehörigen in die Rehabilitation ist von großer Bedeutung, da sie im Alltag wichtige Hilfe leisten. Sie benötigen ein gutes Wissen über die Erkrankung und die erworbenen Behinderungen, um den Patienten optimal unterstützen zu können.

Auch die Hilfsmittelversorgung spielt eine wichtige Rolle. Sanitätshäuser, Betroffene sowie das ärztliche und therapeutische Personal sollten eng zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Hilfsmittel eine echte Unterstützung darstellen.

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