Multiple Sklerose: Symptome, Ursachen und Behandlungsansätze

Multiple Sklerose (MS), auch Encephalomyelitis disseminata genannt, ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die das Gehirn, das Rückenmark und die Sehnerven betrifft. Die MS ist durch vielfältige Symptome und unterschiedliche Verlaufsformen gekennzeichnet, was sie zu einer komplexen und individuell sehr unterschiedlich verlaufenden Erkrankung macht.

Was ist Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheiden angreift - die Schutzschicht um die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark. Es kommt zu Entzündungen und Schädigungen der Nervenfasern, was die Reizweiterleitung stört. Dies kann zu einer Vielzahl von neurologischen Symptomen führen. Die MS tritt meist im jungen Erwachsenenalter auf, typischerweise zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer.

Ursachen der Multiplen Sklerose

Die genauen Ursachen der MS sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass mehrere Faktoren zusammenwirken, darunter genetische Veranlagung, Umweltfaktoren und Infektionen.

Genetische Faktoren

Etwa 20 % der MS-Betroffenen haben Familienmitglieder, die ebenfalls an MS erkrankt sind. Es besteht jedoch keine direkte Vererbungslinie, was bedeutet, dass Kinder eines erkrankten Elternteils nicht automatisch an MS erkranken. Das Erkrankungsrisiko für Söhne von MS-erkrankten Eltern liegt unter einem Prozent, während es für Töchter bei etwa fünf Prozent liegt. Bei eineiigen weiblichen Zwillingen liegt das Risiko für die Zwillingsschwester eines MS-Erkrankten zwischen 30 und 35 Prozent.

Umweltfaktoren

Geografische Unterschiede im Auftreten der MS deuten auf den Einfluss von Umweltfaktoren hin. In tropischen und subtropischen Regionen kommt MS seltener vor als in gemäßigten Klimazonen. Klimatische Faktoren, wie Sonneneinstrahlung und Vitamin-D-Spiegel, könnten eine Rolle spielen. Niedrige Vitamin-D-Spiegel sind mit einem erhöhten MS-Risiko verbunden.

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Infektionen

Bestimmte Viren und Bakterien werden als mögliche Auslöser oder Verstärker der MS diskutiert. Dazu gehören Herpesviren, das Epstein-Barr-Virus (EBV) sowie Bakterien wie Campylobacter oder Chlamydia pneumoniae. Insbesondere das Epstein-Barr-Virus (EBV) steht in starkem Zusammenhang mit MS, da fast alle Betroffenen seropositiv für EBV sind. Es wird vermutet, dass diese Erreger Immunreaktionen auslösen, die zur Entstehung der MS beitragen können.

Weitere Risikofaktoren

Weitere Faktoren, die den MS-Verlauf ungünstig beeinflussen können, sind psychischer Stress, Rauchen, Übergewicht in der Kindheit und eine Erhöhung der Körpertemperatur bzw. Fieber. Rauchen kann den Verlauf der Krankheit beschleunigen sowie die Progression der Erkrankung fördern.

Symptome der Multiplen Sklerose

Die Symptome der MS sind vielfältig und können von Person zu Person stark variieren. Daher wird die MS auch als "Krankheit der 1000 Gesichter" bezeichnet. Die Symptome können plötzlich auftreten (Schübe) oder sich langsam entwickeln. Einige Symptome treten früh im Krankheitsverlauf auf, während andere erst später auftreten.

Häufige Symptome

  • Muskelfunktionsstörungen: Kraftlosigkeit, Lähmungen, Spastik (erhöhte Muskelspannung), Koordinationsprobleme, Gleichgewichtsstörungen, Zittern. Spastiken können zu Versteifungen der Gliedmaßen und Fehlhaltungen führen.
  • Sensibilitätsstörungen: Taubheitsgefühle, Kribbeln, Brennen, Missempfindungen (Dysästhesien), Lhermitte-Zeichen (elektrisierende Missempfindungen bei Nackenbeugung).
  • Sehstörungen: Sehnerventzündung (Optikusneuritis) mit Augenschmerzen, verschwommenem Sehen, Störungen des Farbsehens, Doppelbilder, Augenbewegungsstörungen (Nystagmus, Internukleäre Ophthalmoplegie).
  • Blasenfunktionsstörungen: Häufiger Harndrang, Harninkontinenz, erschwerte Blasenentleerung. Störungen der Blasenfunktion (Harninkontinenz) treten bei etwa 90 Prozent der MS-Patienten auf.
  • Darmstörungen: Stuhlinkontinenz, Verstopfung.
  • Fatigue: Außergewöhnliche Müdigkeit, Erschöpfung und fehlende Kraftreserven, die sich durch Schlafen oder Ausruhen nicht beheben lassen.
  • Kognitive Störungen: Konzentrations-, Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörungen.
  • Sprach- und Schluckstörungen: Verwaschene Sprache, Nuscheln, abgehacktes Sprechen, Schwierigkeiten beim Schlucken von Flüssigkeiten oder fester Nahrung.
  • Schmerzen: Neuralgische Schmerzen (einschießend, stromschlagartig), Muskelschmerzen, Kopfschmerzen.

Weitere mögliche Symptome

  • Depressionen
  • Schlafstörungen
  • Epilepsie
  • Sexuelle Störungen

Symptome im Detail

Blasenfunktionsstörungen:

Störungen der Blasenfunktion (Harninkontinenz) treten bei etwa 90 Prozent der MS-Patienten auf und beeinträchtigen die Lebensqualität stark. Ursache sind Schädigungen in Gehirn und Rückenmark, die die Zusammenarbeit von Muskeln und Nerven stören, die für die Blasenfunktion verantwortlich sind.

  • Hyperaktive Blase (Dranginkontinenz): Probleme, den Urin einzuhalten, häufiger Harndrang auch während des Schlafs, obwohl nur kleine Urinmengen ausgeschieden werden.
  • Überlaufinkontinenz: Der Blasenmuskel ist zu schwach, um sich richtig zusammenzuziehen, was zu großen Urinmengen in der Blase führt, die nicht vollständig entleert werden.

Darmstörungen:

Darmstörungen treten häufig gemeinsam mit Blasenstörungen auf.

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  • Stuhlinkontinenz: Unkontrollierter Stuhlabgang aufgrund von Nervenschädigungen, die die Wahrnehmung des Stuhldrangs beeinträchtigen.
  • Verstopfung: Ursachen können Muskelschwäche, Bewegungsmangel oder Nebenwirkungen von Medikamenten sein.

Muskelfunktionsstörungen:

  • Spastik: Erhöhte Muskelspannung, die zu Versteifungen, Fehlhaltungen und Bewegungseinschränkungen führt.
  • Lähmungen: Einschränkung oder Verlust der willkürlichen Bewegungsfähigkeit.
  • Sprechstörungen (Dysarthrie): Gelähmte Sprechmuskulatur oder mangelnde Koordination der Muskelgruppen führt zu verwaschener, abgehackter oder zu lauter/leiser Sprache.
  • Schluckstörungen (Dysphagie): Schwierigkeiten beim Schlucken, die zu Mangelernährung oder Lungenentzündung führen können, wenn Nahrung in die Lunge gelangt.

Fatigue:

Die Fatigue ist ein Zustand extremer Müdigkeit und Erschöpfung, der sich durch Ruhe nicht bessert.

Sehstörungen:

  • Optikusneuritis: Entzündung des Sehnervs mit Augenschmerzen, verschwommenem Sehen, Störungen des Farbsehens.
  • Augenbewegungsstörungen: Doppelbilder oder Augenzittern aufgrund von Schädigungen in den für das Sehen verantwortlichen Gehirnbereichen.

Formen der Multiplen Sklerose

Es werden hauptsächlich drei Formen der Multiplen Sklerose unterschieden:

  • Schubförmig-remittierende MS (RRMS): Die häufigste Form, bei der sich die Krankheit in Schüben verschlechtert, gefolgt von Phasen der teilweisen oder vollständigen Erholung (Remission).
  • Sekundär progrediente MS (SPMS): Entwickelt sich oft aus der RRMS. Die Krankheit verschlechtert sich kontinuierlich, mit oder ohne Schübe.
  • Primär progrediente MS (PPMS): Seltener Verlauf, bei dem sich die neurologischen Funktionen von Beginn an langsam und kontinuierlich verschlechtern, ohne erkennbare Schübe.
  • Klinisch isoliertes Syndrom (KIS): Ein erster Schub mit MS-typischen Symptomen, der aber noch nicht die Diagnosekriterien für MS erfüllt. Es besteht das Risiko, dass sich daraus eine MS entwickelt.
  • Radiologisch isoliertes Syndrom (RIS): Zufällig entdeckte MS-typische Läsionen im MRT ohne vorherige MS-verdächtige Symptome. Auch hier besteht das Risiko einer späteren MS-Entwicklung.

Diagnose der Multiplen Sklerose

Die Diagnose der MS kann eine Herausforderung sein, da die Symptome vielfältig sind und auch bei anderen Erkrankungen auftreten können. Es gibt keinen einzelnen Test, der die MS eindeutig beweist. Die Diagnose basiert auf einer Kombination aus:

  • Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der aktuellen Symptome. Der Arzt befragt den Patienten gezielt nach Vorkommnissen in der Vergangenheit, die mit seiner Erkrankung in Verbindung stehen könnten.
  • Neurologische Untersuchung: Überprüfung der neurologischen Funktionen wie Reflexe, Koordination, Sensibilität und Sehkraft.
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Bildgebung des Gehirns und Rückenmarks, um Entzündungsherde (Läsionen) nachzuweisen und andere Ursachen auszuschließen. Mithilfe von Kontrastmitteln können akute und ältere Entzündungsherde unterschieden werden.
  • Untersuchung des Nervenwassers (Liquor): Analyse des Liquors auf Entzündungszeichen wie Entzündungszellen und oligoklonale Banden (OKB).
  • Evozierte Potentiale: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, um Schädigungen der Nervenbahnen festzustellen.

Diagnosekriterien

Zur Sicherung der Diagnose werden die McDonald-Kriterien herangezogen, die den Nachweis der räumlichen und zeitlichen Dissemination der Läsionen fordern.

  • Räumliche Dissemination: Nachweis von Läsionen in verschiedenen Bereichen des ZNS (z.B. Gehirn, Rückenmark, Sehnerven).
  • Zeitliche Dissemination: Nachweis von Läsionen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden sind.

Behandlung der Multiplen Sklerose

MS ist derzeit nicht heilbar, aber es gibt verschiedene Behandlungsansätze, die darauf abzielen, die Symptome zu lindern, die Schubfrequenz zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.

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Schubtherapie

Akute Schübe werden in der Regel mit hochdosierten Kortikosteroiden behandelt, um die Entzündung zu reduzieren und die Symptome zu lindern. In einigen Fällen kann auch eine Plasmapherese (Blutwäsche) erforderlich sein.

Krankheitsmodifizierende Therapie (DMT)

Diese Medikamente zielen darauf ab, den Krankheitsverlauf langfristig zu beeinflussen, indem sie das Immunsystem modulieren und die Entzündungsaktivität reduzieren. Zu den verfügbaren DMTs gehören:

  • Interferon-beta
  • Glatirameracetat
  • Fingolimod
  • Teriflunomid
  • Dimethylfumarat
  • Natalizumab
  • Ocrelizumab
  • Cladribin
  • Siponimod
  • Ofatumumab
  • Alemtuzumab
  • Mitoxantron

Die Wahl des geeigneten Medikaments hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Krankheitsaktivität, der Verlauf der MS, mögliche Nebenwirkungen und die individuellen Bedürfnisse des Patienten.

Symptomatische Therapie

Zusätzlich zur Schubtherapie und DMT gibt es verschiedene Behandlungen, die darauf abzielen, die Symptome der MS zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern:

  • Physiotherapie: Verbesserung der Beweglichkeit, Kraft und Koordination.
  • Ergotherapie: Unterstützung bei der Bewältigung alltäglicher Aktivitäten.
  • Logopädie: Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen.
  • Medikamente: Zur Behandlung von Spastik, Schmerzen, Fatigue, Blasen- und Darmstörungen, Depressionen und anderen Symptomen.

Weitere Behandlungsansätze

  • Psychosoziale Unterstützung: Psychologische Betreuung, Selbsthilfegruppen und Beratung können helfen, mit den emotionalen und sozialen Herausforderungen der MS umzugehen.
  • Ernährungsberatung: Eine ausgewogene Ernährung kann die allgemeine Gesundheit fördern und bestimmte Symptome lindern.
  • Rehabilitation: Umfassende Rehabilitationsprogramme können helfen, dieFunktionsfähigkeit zu verbessern und dieUnabhängigkeit zu erhalten.

Leben mit Multipler Sklerose

Die Diagnose MS kann eine große Herausforderung sein. Es ist wichtig, sich umfassend über die Erkrankung zu informieren, sich Unterstützung zu suchen und aktiv an derBehandlung teilzunehmen. Mit einer frühzeitigen Diagnose, einer individuellen Therapie und einem gesunden Lebensstil können viele Menschen mit MS ein erfülltes Leben führen.

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