Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn und das Rückenmark betrifft. Nach der Diagnose stellen sich viele Fragen zur Prognose, den Auswirkungen auf das Leben und die Familienplanung. Dank moderner Therapien ist die Lebenserwartung von Menschen mit MS kaum eingeschränkt.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem Strukturen im Gehirn und Rückenmark angreift, was zu Entzündungen führt. Man geht davon aus, dass die Myelinschicht um die Nerven herum, aber auch die Nervenzellen selbst, von Immunzellen angegriffen werden. Die entzündeten Bereiche werden Läsionen oder Entzündungsherde genannt, die die Symptome verursachen. Die Läsionen regenerieren zwar, es können jedoch Restschäden bleiben. Das Myelin bildet eine isolierende Schicht um die Nerven und sorgt dafür, dass die Nerven ihre Informationen besser leiten können. Wenn die Myelinschicht wegfällt, ist der Nerv angreifbar.
MS ist inzwischen eine sehr häufige Erkrankung. In Deutschland haben schätzungsweise 220.000 bis 250.000 Menschen Multiple Sklerose. Studien deuten darauf hin, dass die Häufigkeit in den nächsten Jahren weiter steigen wird, was möglicherweise auf Änderungen in unserer Lebensweise und die verbesserte Diagnostik zurückzuführen ist. Multiple Sklerose wird heute viel früher sowie in milderen Formen erkannt.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen von Multipler Sklerose sind noch nicht vollständig verstanden. Es gibt jedoch zwei Faktoren, die besonders von Bedeutung sind:
- Erbliche Veranlagung: Sie erhöht das Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken.
- Umweltfaktoren: Rauchen, bestimmte Infektionen wie die Epstein-Barr-Virus-Infektion, ein Mangel an Vitamin D und Übergewicht können zum Ausbruch der Erkrankung führen.
Symptome und Verlauf
Das durchschnittliche Manifestationsalter liegt bei Mitte 30. Die Multiple Sklerose fängt typischerweise damit an, dass innerhalb von Stunden bis Tagen Symptome auftreten, die dann mindestens einen Tag anhalten. Typische Frühsymptome sind Sehstörungen, Taubheitsgefühle und Missempfindungen in Armen und Beinen. Auch Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Doppelbilder, seltener Lähmungen und Blasenstörungen können auftreten.
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Multiple Sklerose zeigt sehr unterschiedliche Krankheitsverläufe, die sich von Person zu Person stark unterscheiden können. Es gibt zwei klassische Formen:
- Schubförmiger Verlauf: Symptome treten in Form von Schüben auf, die sich in der Regel über Stunden bis Tage entwickeln und mindestens 24 Stunden anhalten. Unter Therapie, aber auch spontan, verbessert sich die Symptomatik nach Tagen bis Wochen.
- Primär progredienter (fortschreitender) Verlauf: Patienten entwickeln langsam Symptome, die sich mit der Zeit nicht mehr verbessern, sondern bleiben oder sich gar verschlechtern. Es gibt keine spürbaren Schübe, sondern eine schleichende Verschlechterung.
Bei einem Teil der Betroffenen setzt nach circa 15 bis 20 Jahren ein Prozess ein, der mit einer schleichenden Zunahme der Einschränkungen einhergeht - ganz unabhängig von Schüben (sekundäre Progression).
Lebenserwartung bei Multipler Sklerose
MS-Betroffene haben im Durchschnitt eine leicht reduzierte Lebenserwartung von wenigen Jahren. Statistisch entsteht das nicht wegen der Durchschnittspatienten, sondern durch Betroffene mit sehr schweren Verläufen, die häufiger Komplikationen wie Thrombosen oder Lungenentzündungen haben.
Eine finnische Studie untersuchte über 16.000 Menschen mit MS anhand von Daten aus landesweiten Registern zwischen 1971 und 2020. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Überlebenszeit von Menschen mit MS in den letzten vier Jahrzehnten signifikant verbessert hat. Besonders der Zeitraum nach Einführung von DMTs scheint mit einer reduzierten Sterblichkeit einherzugehen. Die weiterhin erhöhte Mortalität insbesondere durch vermeidbare Ursachen wie Infektionen oder vaskuläre Komorbiditäten unterstreicht die Bedeutung einer integrierten Versorgung.
Eine norwegische Studie, die Patienten mit einer Diagnose ab 1953 erfasste, zeigte, dass die mittlere Lebenserwartung von MS-Patienten 74,7 Jahre betrug, gegenüber 81,8 Jahren für die Durchschnittsbevölkerung. Patienten mit schubförmig verlaufender MS hatten mit durchschnittlich 77,8 Jahren eine höhere Lebenserwartung als jene mit primär-progredienter Form (71,4 Jahre).
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Einfluss von MS auf die Lebensgestaltung
Auch wenn es lange nicht wahrhaben wollte, hat die MS-Diagnose fast ausnahmslos jeden Aspekt des Lebens beeinflusst, sowohl positiv als auch negativ. Viele Betroffene nehmen Dinge bewusster wahr und sind dankbar für schöne Erlebnisse. Sie sind als Person gewachsen, oft sogar über sich hinaus, und stärker und selbstbewusster geworden.
Stress wirkt sich auf jede Art der Erkrankung negativ aus. Es ist wichtig, einen Beruf zu wählen, der Freude bereitet, und achtsamer mit sich und seiner Umwelt zu werden.
Die Multiple Sklerose schließt Sie nicht von der Wahl bestimmter Berufe aus, wenn Sie keine Beeinträchtigungen haben. Wichtig ist, dass sich Ihre Tätigkeit bei Bedarf Ihren Bedürfnissen anpassen kann.
Umgang mit einem MS-Schub
Wird ein akuter Schub vermutet, sollte der behandelnde Neurologe kontaktiert werden. Es wird abgeklärt, ob es sich wirklich um einen Schub handelt. Es wird dann häufig eine Kernspintomografie durchgeführt, um den Entzündungsherd zu lokalisieren. Handelt es sich um einen alltagsrelevanten Schub mit entsprechenden Einschränkungen, gibt es zwei Möglichkeiten:
- Mit Kortison-Medikamenten behandeln, um die Entzündung zu hemmen.
- Wenn die Kortison-Therapie nicht ausreichend wirksam ist, kann eine Blutwäsche (Apherese) durchgeführt werden, um die Entzündungsstoffe und Immunprodukte aus dem Blut zu entfernen.
Therapie und Behandlung
Die Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Die Behandlung dient dazu, die Beschwerden der Krankheit möglichst weit einzudämmen. Es gibt viele Therapiemöglichkeiten für MS-Patienten neben allgemeinen Maßnahmen im Alltag.
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- Medikamentöse Therapien: Sie sollen das Risiko für einen nächsten Schub senken und das Fortschreiten der Erkrankung beeinflussen.
- Nicht-medikamentöse Behandlung: Körperliche Aktivität, Sport, der Umgang mit der Erkrankung selbst, das Reduzieren von Risikofaktoren wie Rauchen und Übergewicht sowie die Einnahme von Vitamin D sind wichtig.
- Physikalische Therapie: Krankengymnastik, Massage und Bäder können unterstützend bei vielen verschiedenen MS Symptomen zu einer Verbesserung beitragen.
- Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit entzündungshemmenden Lebensmitteln und ausreichend Vitamin D kann sich positiv auswirken.
- Psychologische Unterstützung: Depressionen und Ängste können die Lebensqualität beeinträchtigen. Eine kognitive Verhaltenstherapie oder digitale Programme können helfen, mit den Belastungen umzugehen.
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann Halt geben und die Lebensqualität erhöhen.
Multiple Sklerose im Alter
Im Alter stehen eher Gangstörungen und Gleichgewichtsstörungen als Symptome einer Multiplen Sklerose im Vordergrund. Sehstörungen treten seltener auf. Der Verlauf der MS ist im Alter progredienter, was unter anderem damit zusammenhängt, dass die MS-Medikamente im Alter nicht mehr so wirken wie bei jüngeren MS-Patienten.
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