Müdigkeit: Neurologische Ursachen, Diagnose und Therapieansätze

Müdigkeit ist ein weit verbreitetes Phänomen, das fast jeder Mensch im Laufe seines Lebens erfährt. Sie kann verschiedene Ursachen haben, von Schlafmangel und Überanstrengung bis hin zu ernsteren medizinischen Problemen. In einigen Fällen kann Müdigkeit ein Symptom neurologischer Erkrankungen sein. Dieser Artikel beleuchtet die neurologischen Ursachen von Müdigkeit, die Diagnoseverfahren und die verfügbaren Therapieansätze.

Fatigue: Mehr als nur Müdigkeit

Fatigue ist eine Form der Erschöpfung, die über die übliche Müdigkeit hinausgeht. Sie ist oft mit krankheitsbedingten, psychologischen und Lebensstilfaktoren verbunden. Eine klare Abgrenzung von „allgemeiner“ Müdigkeit ist entscheidend, da Fatigue sich den üblichen Erholungsstrategien verschließt und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen kann. Menschen mit Fatigue leiden unter einem dauerhaften Erschöpfungsgefühl, das selbst durch Ruhe und Schlaf nicht behoben wird.

Symptome von Fatigue

Die Symptome von Fatigue können vielfältig sein und variieren von Person zu Person. Häufige Symptome sind:

  • Ein schweres, schleppendes Gefühl im Körper
  • Gehirnnebel oder Konzentrationsschwierigkeiten
  • Aufwachen mit dem Gefühl, nicht erholt zu sein
  • Benötigen einer übermäßigen Erholungszeit nach körperlicher oder geistiger Aktivität
  • Ein allgemeines Gefühl von Schwäche oder „mit leerem Akku“
  • Muskel- und Gelenkschmerzen
  • Kopfschmerzen eines neuen Typs
  • Muskelzuckungen und -krämpfe
  • Massive Schlafstörungen
  • Neurokognitive Symptome wie Konzentrations-, Merk- und Wortfindungsstörungen (oft als „Brain Fog“ bezeichnet)
  • Überempfindlichkeit auf Sinnesreize

Neurologische Ursachen von Müdigkeit

Es gibt eine Reihe neurologischer Erkrankungen, die Müdigkeit verursachen können. Dazu gehören:

Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS)

ME/CFS ist eine komplexe, chronische Erkrankung, die durch eine extreme Erschöpfung gekennzeichnet ist, die sich durch Ruhe nicht bessert. Die genauen Ursachen von ME/CFS sind noch nicht vollständig geklärt, aber es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen, immunologischen und umweltbedingten Faktoren eine Rolle spielt. Häufig beginnt ME/CFS nach einer Infektionskrankheit. Verschiedene Pathogene sind als Auslöser bekannt, so z. B. das Epstein-Barr-Virus und die Influenza. Nach der SARS-Pandemie 2002/2003 entwickelte ein Teil der Erkrankten ME/CFS. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie zeigt sich ebenfalls, dass eine Subgruppe nach einer Coronainfektion ME/CFS entwickelt. Neuere Studien weisen auf eine mögliche Autoimmunerkrankung und eine schwere Störung des Energiestoffwechsels hin.

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Multiple Sklerose (MS)

MS ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die zu einer Vielzahl von Symptomen führen kann, darunter Müdigkeit. Fatigue tritt bei vielen chronischen Erkrankungen auf, wie auch bei der MS. Körperliche und geistige Antriebslosigkeit macht sich breit, ebenso Konzentrationsschwäche, Niedergeschlagenheit und verlangsamtes Denkvermögen. Eine der Ursachen für Fatigue, die bei MS auftreten kann, ist die Krankheit selbst.

Andere neurologische Erkrankungen

Weitere neurologische Erkrankungen, die Müdigkeit verursachen können, sind:

  • Parkinson-Krankheit
  • Schlaganfall
  • Hirnverletzungen
  • Neuropathie
  • Epilepsie

Seltene Krankheiten als Ursache chronischer Müdigkeit

Neben den häufigeren Ursachen von Müdigkeit gibt es auch eine Reihe seltener Krankheiten, bei denen anhaltende Erschöpfung zu den frühesten und auffälligsten Symptomen gehört. Wenn diese Erschöpfung mit anderen vagen oder scheinbar unzusammenhängenden Beschwerden einhergeht, lohnt sich eine weiterführende Abklärung.

Einige dieser seltenen Erkrankungen sind:

  • Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA): Eine seltene Autoimmunerkrankung, die Entzündungen der Blutgefäße verursacht. Ein starker Energiemangel tritt häufig früh auf - manchmal sogar noch bevor andere Symptome wie Asthma, Nervenschmerzen oder Hautausschläge sichtbar werden.
  • Morbus Fabry: Kann brennende Schmerzen in Händen und Füßen, Hitzintoleranz und extreme Erschöpfung umfassen.
  • Morbus Gaucher: Kann zu überwältigender Müdigkeit führen, begleitet von Knochenschmerzen, Blutergüssen sowie einer vergrößerten Milz oder Leber.
  • Hereditäres Angioödem (HAE): Starke Müdigkeit kann zusammen mit unvorhersehbaren Schwellungsanfällen auftreten.
  • Mukopolysaccharidosen (MPS I, II, IV): Gehen mit enormer Erschöpfung einher, oft in Verbindung mit Skelettveränderungen oder Gelenksteifigkeit.
  • Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH): Beginnt häufig mit tiefer Erschöpfung, ausgelöst durch den Abbau roter Blutkörperchen.
  • ATTR-Amyloidose: Kann zu anhaltender Müdigkeit führen, begleitet von Symptomen wie Schwellungen, Gewichtsverlust oder Taubheitsgefühlen.

Diagnose von Müdigkeit

Die Diagnose von Müdigkeit kann eine Herausforderung sein, da es viele mögliche Ursachen gibt. Der erste Schritt ist in der Regel ein Gespräch mit einem Arzt, der die Krankengeschichte des Patienten erfragt und eine körperliche Untersuchung durchführt. Es können auch Labortests durchgeführt werden, um andere mögliche Ursachen für Müdigkeit auszuschließen, wie z. B. Anämie, Schilddrüsenprobleme oder Infektionen.

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Bei Verdacht auf ME/CFS können standardisierte Fragebögen und die kanadischen Konsenskriterien (Canadian Consensus Criteria - CCC) verwendet werden, um die Diagnose zu sichern. Dabei wird unter anderem geprüft, ob folgende Kriterien auf Sie zutreffen:

  • Die Beschwerden bestehen seit mindestens sechs Monaten.
  • Es fällt Ihnen aufgrund der körperlichen und geistigen Schwäche zunehmend schwer, alltäglichen privaten und beruflichen Aufgaben nachzukommen.
  • Schlaf führt bei Ihnen nicht zu Erholung.
  • Schon nach leichter körperlicher oder auch geistiger Aktivität fühlen Sie sich extrem erschöpft (PEM).

Therapieansätze bei Müdigkeit

Die Behandlung von Müdigkeit hängt von der zugrunde liegenden Ursache ab. Bei neurologischen Erkrankungen kann die Behandlung Medikamente, Therapie und Änderungen des Lebensstils umfassen.

Medikamentöse Behandlung

Je nachdem, was die Ursache der Fatigue ist, können Medikamente eingesetzt werden. Bei ME/CFS gibt es aktuell keine Therapie, die nachweislich gegen ME/CFS hilft. Hauptziel ist es daher, die Symptome zu behandeln und so Ihre Lebensqualität zu verbessern. Ihre Ärztin oder Ihr Arzt kann Ihnen beispielsweise Medikamente verordnen, die Schmerzen verringern, Schlafstörungen lindern oder Ihren Kreislauf stabilisieren.

Nicht-medikamentöse Behandlungen

Es stehen vor allem nicht-medikamentöse Strategien zur Verfügung: Zunächst geht es um die Optimierung des Tagesablaufs, mit Priorisierung der Aufgaben, einer klaren Tagesstrukturierung, auch Ökonomisierung („Zeitdruck raus!“) und die Planung ausreichender Ruhepausen. Hinzu kommen psychotherapeutische Ansätze mit dem Ziel, die Erwartungen an sich selbst und die Bewertung von erbrachter Leistung an das neue Leistungsniveau anzupassen und auch zu korrigieren. Dazu werden kognitives Training, körperliches Ausdauertraining und Muskelkräftigung ergänzt.

Um PEM vorzubeugen, gibt es die sogenannte Pacing-Methode: Dabei werden anstehende Aktivitäten je nach individueller Belastbarkeit über den Tag verteilt. Betroffene können so lernen, ihre persönlichen Energiereserven einzuschätzen und eine Überlastung möglichst zu vermeiden. Nutzen Sie Hilfsmittel wie etwa ein Aktivitätsarmband oder ein Aktivitätstagebuch, um Ihre persönliche Belastungsgrenze zu finden.

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Änderungen des Lebensstils

Änderungen des Lebensstils können ebenfalls helfen, Müdigkeit zu reduzieren. Dazu gehören:

  • Ausreichend Schlaf
  • Gesunde Ernährung
  • Regelmäßige Bewegung (im Rahmen der individuellen Belastbarkeit)
  • Stressmanagement
  • Vermeidung von Alkohol und Drogen

Was können Sie tun, wenn Sie betroffen sind?

Auch wenn es vielleicht schwerfällt: Akzeptieren Sie, dass Sie weniger belastbar sind, und erzwingen Sie nichts. Anstrengung kann Ihre Symptome sogar verschlimmern. Überprüfen Sie Ihre Lebensweise und Ihren Tagesablauf. Loten Sie dabei Ihre eigenen Leistungsgrenzen neu aus und richten Sie Ihr Tagespensum danach.

Mögliche Maßnahmen:

  • Achten Sie auf einen geregelten Tagesablauf mit festen Mahlzeiten sowie Phasen für Aktivität und Erholung. Auch wenn Ruhe und Schlaf die Symptome nicht verbessern, empfinden viele Betroffene eine klare Tagesstruktur als wohltuend.
  • Mit Entspannungsverfahren können Sie Ihren Alltag entschleunigen. Bewegung und Sport dagegen können die Beschwerden sogar verstärken.
  • Nehmen Sie unterstützende Maßnahmen in Anspruch: Je nach Schweregrad können diese z. B. in flexiblen Arbeitsbedingungen, einer Reha oder Hilfe in Form von sozialrechtlichen Leistungen bestehen.
  • Schließen Sie sich einer Selbsthilfeorganisation an. Der Bundesverband ME/CFS Fatigatio e. V. sowie die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e. V. bieten Informationen und Unterstützung für Betroffene und ihre Familien.

Herausforderungen und Ausblick

Als eine über die übliche Müdigkeit hinausgehende Erschöpfungsform stellt Fatigue eine komplexe Herausforderung dar. Durch umfassende Betrachtung von Ursachen, Symptomen, Diagnoseverfahren und Therapien können individuelle Lösungen gefunden werden. Fatigue ist oft mit krankheitsbedingten, psychologischen und Lebensstilfaktoren verbunden. Verständnis für die Betroffenen und ganzheitliche Ansätze sind entscheidend, um Patienten nachhaltige Unterstützung zu bieten. Die gute Nachricht: MS-Betroffene sind seit Corona nicht mehr alleine im Kampf um bessere Diagnosen und Behandlung der chronischen Müdigkeit.

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