Leben mit Multipler Sklerose: Herausforderungen und Chancen

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die Gehirn und Rückenmark betrifft. In Deutschland leben etwa 250.000 Menschen mit MS, weltweit sind es fast drei Millionen. Die Krankheit tritt bevorzugt bei jungen Erwachsenen auf, insbesondere bei Frauen, oft in einem Alter, in dem das Leben gerade erst richtig beginnt. Obwohl MS nicht heilbar ist, hat die moderne Medizin in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, von der Frühdiagnose über individuell abgestimmte Therapien bis hin zur gezielten Prävention von Schüben.

Was ist Multiple Sklerose?

MS ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheide angreift, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark umgibt. Diese Myelinscheide ist wie eine Isolationsschicht um ein Kabel, und ihre Beschädigung beeinträchtigt die Fähigkeit der Nervenzellen, Impulse weiterzuleiten. Es entstehen Entzündungsherde an verschiedenen Stellen im Gehirn, was zu vielfältigen Problemen im gesamten Netzwerk führt und die Steuerung von Muskulatur, Gefühl und Gleichgewicht stört.

Die Erkrankung verläuft meist initial in Schüben, das heißt, es entstehen recht akut Beschwerden, die sich dann aber auch wieder zurückbilden können.

Verbreitung und Ursachen

Multiple Sklerose ist die häufigste zu Behinderungen führende Erkrankung junger Menschen. Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 10.000 Menschen neu an dieser chronischen Erkrankung. Das Vorkommen der Erkrankung ist in den letzten Jahrzehnten relativ stabil geblieben, allerdings wird die Diagnose heutzutage teilweise etwas früher im Krankheitsverlauf gestellt als zuvor. Dies liegt sicherlich auch an der verbesserten medizinischen Versorgung, da beispielsweise ein MRT heute einfacher verfügbar ist und auch ein Neurologe früher aufgesucht wird.

Die genaue Ursache der Multiplen Sklerose ist weiterhin nicht ausreichend verstanden. Am ehesten geht man von einem Zusammenspiel unterschiedlichster Faktoren aus.

Lesen Sie auch: Mehr Lebensqualität durch optimale MS-Pflege

  • Genetische Komponente: Eineiige Zwillinge haben ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko, wenn ein Zwilling erkrankt ist. Bestimmte Gene des Immunsystems tragen vermutlich ebenfalls zur Krankheitsentstehung bei. Allerdings ist diese Erblichkeit bei weniger engen Verwandtschaftsverhältnissen nur gering ausgeprägt.
  • Umweltfaktoren: Die Erkrankung kommt in nördlichen Breitengraden deutlich häufiger vor als in Äquatornähe, was möglicherweise auf die unterschiedliche Sonneneinstrahlung und die damit einhergehende Vitamin-D-Produktion des Körpers zurückzuführen ist. Auch bestimmte Infektionserkrankungen wie das Pfeiffersche Drüsenfieber werden immer wieder als mögliche Auslöser diskutiert.

Symptome und Frühwarnzeichen

Zu Beginn der Erkrankung treten häufig Symptome wie Sehstörungen auf einem Auge oder auch Missempfindungen und Taubheitsgefühle an unterschiedlichen Stellen des Körpers auf. Aber auch Gleichgewichtsstörungen oder Lähmungserscheinungen können als Erstsymptom vorkommen. Prinzipiell kann jede durch das zentrale Nervensystem gesteuerte Funktion betroffen sein. Mattigkeit, Ermüdbarkeit und Konzentrationsstörungen zählen ebenso zu den möglichen Frühsymptomen wie Schmerzen.

Diagnose

Die Diagnose MS kann heute deutlich früher gestellt werden als in der Vergangenheit. Hierzu wird ein MRT des Gehirns und des Rückenmarks erstellt, um nach typischen Entzündungsherden zu suchen. Zudem wird eine Analyse des Nervenwassers durchgeführt, um einerseits diverse Krankheitserreger auszuschließen und andererseits eine chronische Entzündung nachzuweisen. Auch die Leitfähigkeit der Nervenbahnen - sowohl für das Gefühl als auch der Sehnerven - wird vermessen. Heutzutage kann häufig schon beim ersten Symptom die Diagnose MS gestellt werden - früher hat das teilweise einige Jahre gedauert. Das bringt den großen Vorteil, dass frühzeitig mit einer Behandlung begonnen werden kann.

Die Diagnose „MS“ wird nach sogenannten „McDonald-Kriterien“ gestellt. Überprüft werden die Anzahl der Schübe, erkennbare Anzeichen, beispielsweise beim MRT und Ergebnisse zusätzlicher Untersuchungen.

Gängige Untersuchungsmethoden bei der MS-Diagnostik sind:

  • Neurologische und körperliche Untersuchung
  • Blutuntersuchung
  • MRT
  • Lumbalpunktion
  • Evozierte Potentiale

Verlauf der Erkrankung

Die häufigste Verlaufsform beginnt mit den Krankheitsschüben mit akuten Symptomen, die sich auch wieder zurückbilden können. In unterschiedlichen Abständen von Monaten oder Jahren treten dann neue Schübe auf. Bilden sich die Schübe nur teilweise zurück, akkumuliert sich im Laufe der Zeit ein bestimmtes Behinderungsniveau, das die Patient:innen dauerhaft beeinträchtigt. Im späteren Verlauf zeigt sich neben den Schüben auch ein kontinuierliches Fortschreiten der Erkrankung. Die Betroffenen können beispielsweise immer schlechter gehen, und die Strecke, die sie am Stück zurücklegen können, verkürzt sich zunehmend.

Lesen Sie auch: Herausforderungen bei älteren MS-Erkrankten

Es gibt verschiedene Verlaufsformen:

  • Schubförmige MS (RRMS): Akute Krankheitsschübe, gefolgt von Phasen der Besserung.
  • Sekundär fortschreitende MS (SPMS): Nach einer Phase der schubförmigen MS entwickelt sich eine kontinuierliche Verschlechterung der Symptome.
  • Primär fortschreitende MS (PPMS): Kontinuierliche Verschlechterung der Symptome von Beginn an, ohne klare Schübe oder Erholungsphasen.
  • Schubförmig-fortschreitende MS (PRMS): Schubartige Verschlechterungen mit einer fortschreitenden Zunahme der Symptome.

Therapie

Die Therapiemöglichkeiten der MS sind in den letzten zwei Jahrzehnten existentiell vielfältiger und effektiver geworden. Mit den neuen Substanzen steht jetzt ein breites Spektrum an krankheitsverlaufsmodulierenden Medikamenten zur Verfügung. So kann mit viel weniger Risiken behandelt werden. Auch bei der Verabreichungsart hat sich viel getan. Früher waren häufige Injektionen und aufwendige Infusionstermine beim Arzt oder der Ärztin nötig. Heute können viele Medikamente als Tablette zu Hause eingenommen oder mit Spritzen selbständig ins Fettgewebe injiziert werden. So spielt die Erkrankung idealerweise gar nicht eine so große Rolle im Alltag.

Die Behandlung von Multiple Sklerose zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, die Häufigkeit und Schwere der Schübe zu reduzieren und das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen. Da Erkrankte sehr unterschiedliche Symptome zeigen, verläuft die Therapie immer individuell. Dabei gibt es drei Hauptansätze:

  • Schubtherapie: Bei einem akuten MS-Schub wird meist eine hochdosierte Kortisontherapie eingesetzt.
  • Symptomatische Therapie: Diese Behandlung soll einzelne Symptome lindern. Je nach Symptomen gibt es vielfältige Behandlungsmöglichkeiten, wie Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie und die Verabreichung von Medikamenten.
  • Verlaufsmodifizierte Therapie: Der langfristige Therapieansatz soll die Schwere und Häufigkeit der Schübe verringern. Zur verlaufsmodifizierten Therapie gehören Immunmodulatoren, orale Medikamente und monoklonale Antikörper.

Leben mit MS

Ein Leben mit Multiple Sklerose kann herausfordernd sein, doch es gibt viele Strategien und Maßnahmen, die das Wohlbefinden und den Alltag der Betroffenen erleichtern können:

  • Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel frischem Obst, Gemüse und Vollkornprodukten sowie wenigen tierischen Produkten. Es sollten möglichst viele ungesättigte Fettsäuren enthalten sein. Übergewicht sollte vermieden werden. Im Falle eines Vitamin D-Mangels sollte dieses substituiert werden.
  • Bewegung: Regelmäßiger Ausdauersport und ein ausgewogenes Krafttraining können die Ausdauer, Leistungsfähigkeit, Muskelkraft, das Gleichgewicht, die Mobilität, die Fatigue und die Lebensqualität verbessern.
  • Stressmanagement: Stress kann MS-Symptome verstärken. Entspannungstechniken wie Meditation, Atemübungen oder progressive Muskelentspannung helfen, ihn zu reduzieren.
  • Soziale Unterstützung: Eine gute soziale Unterstützung durch Familie, Freunde oder Selbsthilfegruppen kann eine wichtige emotionale Stütze sein und hilft Betroffenen, mit der Erkrankung umzugehen.
  • Anpassungen im Alltag: Der Alltag sollte möglichst stressfrei verlaufen. Es gibt keine grundsätzlichen Einschränkungen, sofern keine dauerhaften Behinderungen vorliegen.

MS im Berufsleben

Viele Menschen mit MS sind trotz ihrer Beschwerden über Jahre hinweg in der Lage, weiter produktiv und ohne Einschränkungen zu arbeiten. Gehen Chefin oder Abteilungsleiter und Mitarbeitende offen mit der Erkrankung um, gibt es viele Möglichkeiten, die Arbeit an die veränderte Situation anzupassen.

Lesen Sie auch: MS-Medikamente im Detail erklärt

Sie sind grundsätzlich nicht verpflichtet, Ihren Arbeitgeber über eine chronische Erkrankung (wie MS) oder eine Behinderung zu informieren - es sei denn, Sie gefährden bei der Arbeit sich selbst oder andere oder sind nicht mehr in der Lage, Ihre Arbeitsleistung zu erbringen.

Wenn Sie in einer verständnisvollen Arbeitsumgebung tätig sind, bringt es Ihnen unter Umständen entscheidende Vorteile, wenn Sie offen über Ihre MS-Erkrankung sprechen. Arbeitgeber, Kolleginnen und Kollegen empfinden es gegebenenfalls als Zeichen von Vertrauen. Zudem besteht dann die Möglichkeit, die Arbeitsbelastung und den Arbeitsplatz an Ihre individuellen Bedürfnisse anzupassen.

Trotz möglicher Einschränkungen sollten MS-Betroffene ihren Beruf nicht vorschnell an den Nagel hängen. In Absprache mit dem Arbeitgeber lassen sich Anpassungen vereinbaren, zum Beispiel der Wechsel von einer Vollzeit- zu einer Teilzeit-Beschäftigung, zusätzliche Pausen oder ein neues Aufgabenfeld.

Reisen mit MS

Auch wenn Sie Multiple Sklerose haben, müssen Sie nicht auf Reisen verzichten. Wichtig ist aber, dass die Reise nicht mehr Belastung als Erholung bringt. Denn manche Dinge sind mit MS anstrengender, als es im Vorfeld den Anschein hat.

Reise-Planung: Reisen nach Möglichkeit frühzeitig planen, um sich vorzubereiten, Auswahlmöglichkeiten zu haben und nicht in Stress zu geraten. Bei längeren Reisen empfiehlt es sich, Pausen einzuplanen, um den eigenen Körper nicht zu überlasten.

Medizinische Reise-Vorbereitung: Im Vorfeld die Reisefähigkeit ärztlich abklären lassen. Medikamenten-Pass und eine ärztliche Bestätigung der medikamentösen Behandlung mitnehmen. Notwendige Impfungen frühzeitig vor Buchung einer Reise abklären.

Reiseapotheke: Neben den üblichen Inhalten auch die von Ihnen benötigten MS-Medikamente und Pflegematerialien enthalten.

Sonstige Reise-Tipps: Auf einen sorgsamen Schutz vor Infektionen achten. Das Uhthoff-Phänomen im Hinterkopf behalten - also die Tatsache, dass eine Erhöhung der Körpertemperatur MS-Symptome manchmal vorübergehend verstärkt.

Forschung und Ausblick

Die Forschung arbeitet intensiv daran, die verschiedenen Untertypen der Erkrankung besser zu klassifizieren, um jedem Patienten, jeder Patientin bedarfsgerecht genau das passende Medikament geben zu können. Eine vollständige Heilung ist bislang nicht möglich. Die Idee einer Stammzelltransplantation mit einer Neuprogrammierung des Immunsystems wird derzeit nur bei sehr schweren Verlaufsformen eingesetzt und ist relativ risikoreich.

tags: #multiple #sklerose #leben #mit