Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie ist die häufigste nicht-traumatische neurologische Erkrankung in Deutschland und die dritthäufigste Erkrankung hinsichtlich der Entwicklung schwerer Behinderungen. Obwohl MS typischerweise zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auftritt, kann sie auch im höheren Lebensalter diagnostiziert werden. Dieser Artikel beleuchtet die besonderen Aspekte von MS im fortgeschrittenen Alter, einschließlich Diagnose, Symptome, Therapie und Lebensqualität.
Einleitung
Die Prävalenz von Multipler Sklerose bei älteren Menschen steigt, was vor allem auf verbesserte Diagnosemethoden und eine erhöhte Lebenserwartung zurückzuführen ist. Früher wurde angenommen, dass MS selten nach dem 50. Lebensjahr neu auftritt. Heute jedoch wird erkannt, dass es durchaus Fälle von sogenannter „Late-Onset-MS“ gibt, die etwa 5 Prozent aller MS-Diagnosen ausmachen. Die gestiegene Prävalenz ist auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Bevölkerung insgesamt älter wird und somit der Anteil älterer Menschen mit MS wahrscheinlich weiter steigen wird. Zudem hat die verbesserte medizinische Versorgung dazu geführt, dass die Lebenserwartung von MS-Patienten nahezu normalisiert wurde.
Diagnose im höheren Lebensalter
Die Diagnose von MS im höheren Lebensalter kann eine Herausforderung darstellen, da viele der Symptome auch mit anderen altersbedingten Erkrankungen verwechselt werden können. Im Alter treten im Verlauf Beschwerden wie Rückenschmerzen über Herz-Kreislauf-Probleme bis hin zu Diabetes auf. Auch die Aufmerksamkeit und das Denkvermögen ist manchmal eingeschränkter. Mit fortschreitendem Alter ist naturgemäß ebenfalls das Risiko erhöht, körperliche Einschränkungen zu entwickeln, z. B. beim Sehen, Hören oder in der Beweglichkeit. Das gehört zum normalen Alterungsprozess. Es ist wichtig, MS-bedingte Beschwerden von anderen altersbedingten Einschränkungen abzugrenzen.
Die Diagnose basiert auf verschiedenen Kriterien, darunter neurologische Untersuchungen, Magnetresonanztomographie (MRT) und Liquoruntersuchungen. Die MRT ermöglicht Einsichten in das zentrale Nervensystem (ZNS = Gehirn und Rückenmark). Im Mittel tritt eine Multiple-Sklerose Erkrankung bei älteren Menschen im Alter von 53,5 Jahren auf. In den meisten Fällen handelt es sich um eine schubförmige Form der Multiplen Sklerose.
Symptome im Alter
Die Symptome der Multiplen Sklerose im Alter können sich von denen bei jüngeren Menschen unterscheiden. Im Alter stehen eher Gangstörungen, Gleichgewichtsstörungen als Symptome einer Multiplen Sklerose im Vordergrund. Sehstörungen hingegen, dabei ist nicht die Rede von einer typischen altersbedingten Sehschwäche, treten im Alter bei neu an Multiple Sklerose Erkrankten seltener auf. Während eine Fußheberparese oder eine andere Gangstörung oder Sensibilitätsstörung bei einem jungen Mann direkt auch an eine MS-Erkrankung denken lassen könnte, könnten diese Symptome im Alter auch auf Polyneuropathien, degenerative Erkrankungen etc. zurückgeführt werden.
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Häufige Symptome im Alter sind:
- Gang- und Gleichgewichtsstörungen
- Muskelschwäche
- Koordinationsprobleme
- Spastiken
- Blasenfunktionsstörungen
- Kognitive Störungen
- Emotionale Veränderungen
- Fatigue (Erschöpfung)
Zudem nehmen im Alter oft die altersbedingten Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Beschwerden, Diabetes, Rheuma, Arthrose, Herzerkrankungen zu. All diese Krankheiten erschweren das Leben mit einer Multiplen Sklerose im Gepäck.
Krankheitsverlauf
Der Verlauf der MS ist recht individuell. Primär progredient sind etwa 10% der MS-Patienten im Alter, die meisten (85%) haben zu Beginn Schübe. Im Durchschnitt sind es anfangs 1,8 Schübe pro Jahr, im Lauf der Zeit werden es weniger. Fast alle MS-Patienten mit primären Schüben werden irgendwann sekundär progredient. Bei den Patienten über 50 Jahren überwiegen motorische Funktionsstörungen sowie zerebelläre Störungen und eine Störung des autonomen Nervensystems.
Es gibt Hinweise darauf, dass der Verlauf der Multiplen Sklerose im Alter progredienter (schreitet also stärker/schneller voran) ist, was unter anderem damit zusammenhängt, dass die MS-Medikamente im Alter nicht mehr so wirken wie bei jüngeren MS-Patienten. Die Schubrate hingegen scheint bei der schubförmigen Form der Multiplen Sklerose altersunabhängig zu sein. In der Tat zeigen über 65 -Jährige keine höhere Schubrate als jüngere MS-Patienten. Der chronisch-progredienter Verlauf ist jedoch bei MS-Patienten über 50 Jahren deutlich höher als bei jüngeren MS-Patienten.
Therapie im höheren Lebensalter
Die Behandlung von MS im fortgeschrittenen Alter zielt darauf ab, Symptome zu lindern, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und die Lebensqualität zu verbessern. Die Behandlung von MS bleibt der Therapie in jüngeren Jahren ähnlich. Medikamente können eingesetzt werden, um Symptome zu lindern. Der Krankheitsverlauf wird durch eine entsprechende Therapie verlangsamt.
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Medikamentöse Therapie
Viele Neurologinnen und Ärztinnen sprechen sich bei älteren Patient*innen (jenseits der 50) oft gegen eine Therapie aus, vor allem, wenn man zahlreiche Immunmodulatoren und Immunsuppressiva ausprobiert hat. Hier wird der Nutzen dem Risiko solch einer Maßnahme gegenübergestellt. Oftmals können MS-Therapien an Wirksamkeit einbüßen, denn im Alter sinkt die Aktivität des Immunsystems.
Die Auswahl der Medikamente sollte sorgfältig unter Berücksichtigung des individuellen Krankheitsverlaufs, der Begleiterkrankungen und der möglichen Nebenwirkungen erfolgen. Im Alter ist ein gesunder Lebensstil wichtig: Dazu gehören die ausgewogene Ernährung, körperliche Aktivitäten und Ruhe im Alltag. Schlaf ist für uns essenziell. Deswegen solltest du einen guten Schlaf-/Wachrhythmus für dich finden.
Nicht-medikamentöse Therapie
Neben der medikamentösen Therapie spielen nicht-medikamentöse Behandlungen eine wichtige Rolle. Therapiemöglichkeiten wie Physio-, Ergo- und Logotherapie können dich bei verschiedenen MS-Symptomen unterstützen. Bei einer Depression ist es wichtig, dass du dir Hilfe suchst. Probiere eventuell alternative und unterstützende Therapien aus. Das können Hippotherapie, Entspannungstechniken wie Qigong oder Feldenkrais sein. Oder informiere dich intensiver über eine gesunde Ernährung. Wobei gerade dieser Punkt bereits nach der Diagnose ein wertvoller Impuls ist. Denn auch die Themen Ernährung, Bewegung, Entspannung und Hilfsmittel dürfen nicht außer Acht gelassen werden.
Hilfsmittel
Es gibt selbstverständlich auch junge MS-Betroffene, die auf Hilfsmittel angewiesen sind. Doch im fortgeschrittenen Alter und je nach Dauer der Erkrankung rücken dir die Hilfsmittel doch schneller auf die Pelle - und sind später unvermeidlich. Hilfsmittel schränken nicht ein, sondern geben dir Lebensqualität zurück. Deine Teilhabe am gesellschaftlichen und familiären Umfeld sind somit gesichert. Neben einem Gehstock, einem Rollator oder Rollstuhl gibt es unendlich viele Unterstützer im Alltag. Im Haushalt kannst du dir Flaschenöffner, Knopfschließer und auch eine Anziehhilfe für Strümpfe oder Kompressionsstrümpfe kaufen - oder verschreiben lassen. Im Bad sind ein Duschhocker und Halterungen eine große Hilfe. Wenn du an einer Fußhebeschwäche leidest, kannst du eine Orthese ausprobieren.
Leben mit MS im Alter
Mit Multipler Sklerose zu leben und „alt“ zu werden, bietet auch seine Vorzüge. Zum einen kennt man seinen eigenen Körper, die Reaktion auf MS-Symptome, den Verlauf und die damit einhergehenden Veränderungen. Unter diesen Worten verstehe ich die Veränderungen, die wir im Leben alle durchleben, und wie wir diese auch im Alter annehmen; flexibel ebenso im Alter zu sein. Oft können wir mit Unsicherheiten und Vorhersehbarkeiten - gerade in Bezug auf eine chronische Erkrankung MS - jenseits der 50 besser umgehen. Mut zur Lücke, das heißt für mich: Raus aus der Starrheit, alte Gewohnheiten abstreifen und trotz Ü 50 neue Herausforderungen annehmen.
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Es ist wichtig, sich auch im Alter eine positive Einstellung zu bewahren und den Prozess der Vergänglichkeit anzunehmen. Denn manches läuft eben nicht mehr so rund, wie in den jungen Jahren. Aber das ist doch egal: wir haben Mut. Auch die Unterstützung deines sozialen Umfelds (Familie, Kinder, Freunde und Nachbarn) spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung von MS im fortgeschrittenen Alter. Pflegekräfte können dir ebenso bei der Bewältigung des Alltags helfen. Wenn du dich einsam fühlst oder einfach neue Leute kennenlernen möchtest, ist vielleicht eine Selbsthilfegruppe etwas für dich.
Herausforderungen und Chancen
Für ältere Erkrankte stellen sich zwei Herausforderungen: Zum einen durchlaufen sie den normalen Alterungsprozess mit all seinen Einschränkungen, zum anderen kommt die MS hinzu. Es ist wohl kein Märchen, wenn ich sage, dass man im Alter weder widerstandsfähiger ist, noch mehr Möglichkeiten der Regeneration hat.
Trotz dieser Herausforderungen gibt es auch Chancen. Viele führen auch ein aktives Leben entsprechend ihrer Vitalität und passen ihre Bedürfnisse und ihren Alltag entsprechend an. Neue Interessen und daraus entstehende Erfahrungen ermöglichen uns eine bessere Lebensqualität und einen besseren Umgang mit täglichen Herausforderungen - und das erleichtert uns das Leben.
Forschung und Versorgung
Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen Menschen mit Multipler Sklerose unter und über 55 Jahren und unterstreichen die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung älterer MS-Erkrankter in Forschung und Versorgung. Viele MS-Erkrankte im fortgeschrittenen Alter erhalten keine verlaufsmodifizierende Therapie, was zum einen auf bestehende Lücken in der Versorgung hinweist, zum anderen auch einem mangelnden Fokus in der klinischen Forschung auf diese Altersgruppe und den damit ausbleibenden Behandlungsoptionen verbunden ist. „Die Ergebnisse verdeutlichen, wie wichtig es ist, die besonderen Anforderungen älterer MS-Erkrankter in der Versorgung und Forschung stärker zu berücksichtigen“, betont die Neurologin und DMSG-Vorsitzende Professor Judith Haas. „Die DMSG setzt sich dafür ein, dass auch ältere Menschen mit MS bestmögliche Unterstützung und innovative Therapieoptionen erhalten.“
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