Schluckstörungen bei Multipler Sklerose: Ursachen, Diagnose und Therapie

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die vielfältige Symptome hervorrufen kann. Eines davon sind Schluckstörungen, auch Dysphagie genannt. Diese können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen, da die Nahrungsaufnahme erschwert oder sogar unmöglich gemacht wird.

Was sind Schluckstörungen (Dysphagie)?

Dysphagie bezeichnet eine Störung des Schluckaktes, bei der die unwillkürlich ablaufenden Vorgänge beim Schlucken beeinträchtigt sind. Das Schlucken ist ein komplexer Vorgang, an dem zahlreiche Muskelgruppen und Gehirnregionen beteiligt sind. Vielfältige Abläufe müssen koordiniert und das Sprechen und Schlucken mit der Atmung zeitlich in Einklang gebracht werden. Wenn dieser Prozess gestört ist, kann es zu Problemen beim Transport von fester Nahrung und Flüssigkeiten in die Speiseröhre und den Magen kommen.

Ursachen von Schluckstörungen bei MS

Bei Multipler Sklerose entstehen Schluckstörungen überwiegend durch entzündliche Herde im Gehirn, vor allem im Hirnstamm. Diese Herde können die Nervenbahnen schädigen, die für die Steuerung der am Schluckvorgang beteiligten Muskeln verantwortlich sind. Dadurch kann das Zusammenspiel der Muskeln und Organe im Schluckprozess beeinträchtigt werden.

Schluckstörungen können jedoch auch andere Ursachen haben, wie zum Beispiel:

  • Entzündungen im Mund- und Rachenraum
  • Tumore im Mund- und Rachenraum oder in der Speiseröhre
  • Erkrankungen der Speiseröhre, wie z.B. Verengungen oder Fehlbildungen
  • Neurologische Erkrankungen, wie z.B. Schlaganfall oder Morbus Parkinson
  • Psychische Erkrankungen, wie z.B. Angststörungen oder Depressionen

Symptome von Schluckstörungen bei MS

Die Symptome von Schluckstörungen können vielfältig sein und sich im Laufe der Erkrankung verändern. Sowohl in ihrer Ausprägung als auch in der Häufigkeit. Achten Sie auf Veränderungen und sprechen Sie mit Ihrem Arzt, wenn Sie dies bemerken. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

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  • Häufiges Verschlucken
  • Husten oder Räuspern beim Essen oder Trinken
  • Eine "feuchte" oder "gurgelnde" Stimme nach dem Schlucken
  • Vermehrter Speichelfluss
  • Vermehrte Verschleimung
  • Verlängerte Nahrungsaufnahme
  • Mehrmaliges Schlucken müssen zur Entleerung des Rachens
  • Speisereste im Mund nach Beendigung der Mahlzeit
  • Vermeidung bestimmter Speisen (z.B. zu hart, zu weich)
  • Bewusst oder unbewusst veränderte Kopfhaltung beim Schlucken
  • Nahrung fließt in die Nase zurück
  • Hustenanfälle beim Essen und Trinken
  • Fremdkörpergefühl nach dem Schlucken

Diagnose von Schluckstörungen bei MS

Um eine passgenaue Schlucktherapie anbieten zu können, muss zu Beginn eine sorgfältige Schluckdiagnostik bei Multipler Sklerose stattfinden. Diese gliedert sich in folgende Bereiche:

  • Klinische Schluckdiagnostik: Hierbei werden grundlegende Funktionen wie Sensibilität und Muskulatur überprüft. So wird abgeklärt, ob die im Mundbereich wahrgenommenen Reize über die sensiblen Fasern der beteiligten Hirnnerven an die Schluckzentren im Hirnstamm übermittelt werden. Eine funktionierende Sensibilität ist wichtig, da nur so der Schluckreflex ausgelöst werden kann. Auch die motorischen Funktionen sind entscheidend: Ist die Zunge in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt, wirkt sich das auch auf das Schlucken aus. Das gleiche gilt für bewusst gesteuerte Schutzmechanismen wie Husten oder Räuspern, die nötig sind, um die Atemwege zu befreien, falls fälschlicherweise Nahrungsteile eingeatmet wurden. Bei einer klinischen Untersuchung wird u. a. der Wasserschlucktest nach Daniels angewendet, um die Schluckfunktionen in der Praxis zu beobachten.
  • Fiberoptisch-endoskopische Evaluation des Schluckaktes (FEES): Bei einem Verdacht auf eine Schluckstörung greifen wir zusätzlich auf eine apparative Diagnostik, die FEES, zurück. Unter ggf. lokaler Betäubung wird ein flexibles Endoskop mit Lichtquelle und Kamera über die Nase eingeführt. So können Kehlkopf und Rachen sowohl in Ruhe als auch während des Schluckens beobachtet werden. Mithilfe der FEES können wir erkennen, wie gut die beteiligten Muskelgruppen zusammenarbeiten und ob beim Schlucken Nahrung oder Speichel in die Luftröhre gelangen.

Folgen von Schluckstörungen bei MS

Eine Schluckstörung kann vielerlei Folgen haben. Essen und Trinken sind auf Grund der geschilderten Symptome kein wirklicher Genuss mehr; man vermeidet gemeinsame Mahlzeiten und will auch nicht mehr in ein Restaurant gehen. Schwerwiegender sind auf Dauer aber eine nicht mehr ausreichende Trinkmenge mit der Gefahr der Austrocknung und eine zu geringe Nahrungsaufnahme mit der Gefahr einer Mangelernährung und Abmagerung. Am gefährlichsten wird es jedoch, wenn Flüssigkeiten oder Nahrung unbeabsichtigt in die Speiseröhre (wo sie hingehören), sondern in die Luftröhre abgeschluckt werden. Verschluckt man sich, können Teile der Nahrung in Luftröhre und Bronchien gelangen und dort eine Infektion auslösen.

Therapie von Schluckstörungen bei MS

Zur Verbesserung des Schluckvermögens stehen zahlreiche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die zumeist von Logopäden angeboten werden. Ein Logopäde kann Ihnen kompetenten Rat und Hilfe geben, wenn bei Multiple Sklerose Schluckbeschwerden und Sprachstörungen auftreten. Er zeigt Ihnen die richtige Sitz- und Kopfhaltung für das Schlucken sowie geeignete Sprech- und Atemübungen, die Ihnen dabei helfen, die (Sprech-)Muskulatur zu stärken und besser zu kontrollieren. Mithilfe einer konsequenten „Schlucktherapie" werden mit Multiple Sklerose zusammenhängende Schluckbeschwerden oft deutlich gebessert.

Diese funktionelle Schlucktherapie umfasst neben vielfältigen Bewegungsübungen, Stimulationen, Änderungen der Kopfhaltung sowie Verhaltensänderungen beim Essen und Trinken auch kleinere Hilfsmittel und diätetische Maßnahmen. Medikamente sind ebenso wie eine Elektrostimulation von Rachenmuskeln nur in speziellen Fällen hilfreich.

Maßnahmen zur Unterstützung beim Essen und Trinken

Abhängig von der Ursache und der Schwere der Dysphagie gibt es unterschiedliche Übungen, Maßnahmen und Ernährungsempfehlungen. Über die genauen Methoden können im Einzelfall nur Ärzte und Logopäden entscheiden. Sehr wichtig und vergleichsweise einfach umzusetzen ist eine aufrechte Haltung des Körpers beim Essen und Trinken, um die Nahrungsaufnahme zu vereinfachen. Ist der von Dysphagie Betroffene bettlägerig, sollten Sie ihn zu jeder Mahlzeit und auch zum Trinken in eine aufrechte Liegeposition bringen.

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Übungstipps für die Mundmotorik bei Schluckstörungen:

Vielen Patienten mit Schluckstörungen können ein paar einfache Lippen- und Zungenübungen als eine Art Krankengymnastik für die Mundmotorik helfen.

  • Lippenübung: Lächeln Sie breit mit geschlossenen Lippen. Die Lippen anschließend geschlossen spitzen. Beide Schritte wiederholen.
  • Zungenübungen: Strecken Sie bei leerem Mund Ihre Zunge weit heraus und ziehen Sie sie ganz schnell wieder ein. Wiederholen Sie diese Übung so schnell und so oft Sie können. Bewegen Sie Ihre Zunge oben am Gaumen vor und zurück.

Ernährungsempfehlungen bei Schluckstörungen

Empfehlenswert ist weiche, aber nicht zu flüssige Kost. Damit die Ernährung nicht zu einseitig und langweilig wird, können Sie ruhig auch Nahrungsmittel pürieren, bei denen Sie das sonst nicht tun würden. Das Hinzufügen von Andickungsmittel ist bei Festnahrung oft gar nicht notwendig. Bei Getränken hingegen schon. Manche Andickungsmittel haben einen leichten Eigengeschmack, der in Kombination mit Wasser noch unangenehm durchkommen kann. Besser schmecken da oft angedickte Saftschorlen oder Tees, die diesen Geschmack leicht überdecken.

Medikamentöse Therapie

Manche Begleiterscheinungen von Dysphagie lassen sich mit bestimmten Wirkstoffen abmildern. So kann zum Beispiel das Risiko einer Lungenentzündung (Pneumonie) mit bestimmten Medikamenten verringert werden. Andere Medikamente verringern konkret den Speichelfluss, wenn dieser verstärkt auftritt und eine gesundheitliche Gefahr darstellt.

Operative Eingriffe

Wenn Mund, Rachen oder Speiseröhre physisch blockiert sind und deshalb keine Nahrung weitertransportiert werden kann, bietet sich manchmal ein operativer Eingriff an.

Leben mit Schluckstörungen bei MS

Essen und Trinken ist nicht nur wichtig für die körperliche Gesundheit, sondern auch ein Akt des Genusses, der viel mit Lebensqualität zu tun hat. Gleichzeitig ist die Nahrungsaufnahme für Dysphagie-Betroffene ein anstrengender Vorgang, der Ruhe und Konzentration erfordert. Es ist wichtig, sich nicht zu isolieren und weiterhin am sozialen Leben teilzunehmen. Angehörige und Freunde können eine wichtige Stütze sein und helfen, den Alltag mit Schluckstörungen zu meistern.

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