Multiple Sklerose: Symptome, Behandlung und aktuelle Entwicklungen

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen, die meist im jungen Erwachsenenalter beginnen. Frauen sind dabei doppelt so oft betroffen wie Männer. MS kann zu vorübergehenden oder bleibenden Behinderungen führen, die sich auf verschiedene Lebensbereiche auswirken können. Glücklicherweise haben sich die Behandlungsmöglichkeiten in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt, sodass viele Medikamente den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen und Symptome gelindert werden können.

Was ist Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose (MS), auch Encephalomyelitis disseminata (ED) genannt, ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise Bestandteile des eigenen Körpers angreift. Im Fall von MS richtet sich die Immunreaktion gegen die Nervenscheiden (Myelin) im Gehirn und Rückenmark. Diese Myelinscheiden sind für die schnelle und reibungslose Weiterleitung von Nervenimpulsen unerlässlich. Werden sie beschädigt, können Nervenimpulse nur noch verlangsamt oder gar nicht mehr weitergeleitet werden. Dies führt zu einer Vielzahl von neurologischen Symptomen.

Die Ursachen der MS sind noch nicht vollständig aufgeklärt. Es wird angenommen, dass ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren eine Rolle spielt, darunter genetische Veranlagung, Umweltfaktoren wie Virusinfektionen (z. B. Epstein-Barr-Virus), Vitamin-D-Mangel, Rauchen und Ernährungsgewohnheiten.

Symptome der Multiplen Sklerose

Die Symptome der MS sind vielfältig und können von Person zu Person stark variieren. Dies liegt daran, dass die Entzündungsherde im ZNS an unterschiedlichen Stellen auftreten können. MS wird daher auch als "Krankheit der 1000 Gesichter" bezeichnet.

Häufige Symptome sind:

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  • Sehstörungen: Verschwommenes Sehen, Doppelbilder, Sehausfälle, Schmerzen beim Bewegen der Augen (Entzündung des Sehnervs).
  • Motorische Störungen: Muskelschwäche, Lähmungen, Spastik (Muskelverkrampfungen), Koordinationsstörungen, Zittern (Tremor), Gangunsicherheit.
  • Sensibilitätsstörungen: Kribbeln, Taubheitsgefühl, Schmerzen, gestörte Wahrnehmung von Berührungen, Temperatur oder Vibrationen.
  • Fatigue: Chronische Müdigkeit, Erschöpfung, Mattigkeit, die sich durch Ruhe nicht bessert.
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme, Aufmerksamkeitsdefizite, verlangsamte Informationsverarbeitung.
  • Blasen- und Darmfunktionsstörungen: Häufiger Harndrang, Inkontinenz, verzögerte Blasenentleerung, Verstopfung.
  • Weitere Symptome: Sprechstörungen, Schluckstörungen, sexuelle Störungen, Depressionen, Schmerzen.

Ein MS-Schub ist gekennzeichnet durch das Auftreten neuer oder die Verschlechterung bestehender neurologischer Symptome. Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jedes Symptom gleich auf einen MS-Schub hindeutet. Bei Auftreten von Symptomen sollte zeitnah ein Arzt aufgesucht werden, um die Ursache abzuklären und gegebenenfalls eine Behandlung einzuleiten.

Verlaufsformen der Multiplen Sklerose

Der Verlauf der MS ist individuell sehr unterschiedlich. Es lassen sich jedoch verschiedene Verlaufsformen unterscheiden:

  • Schubförmig-remittierende MS (RRMS): Dies ist die häufigste Verlaufsform, bei der sich Schübe mit Phasen der Remission (teilweise oder vollständige Rückbildung der Symptome) abwechseln. Zwischen den Schüben ist die Erkrankung stabil.
  • Sekundär progrediente MS (SPMS): Diese Verlaufsform entwickelt sich oft aus der RRMS. Dabei kommt es zu einer kontinuierlichen Verschlechterung der Symptome, unabhängig von Schüben. Es können aber auch weiterhin Schübe auftreten.
  • Primär progrediente MS (PPMS): Bei dieser Verlaufsform kommt es von Beginn an zu einer langsam fortschreitenden Verschlechterung der Symptome ohne Schübe.
  • Klinisch isoliertes Syndrom (KIS): Hierbei handelt es sich um einen ersten Schub mit MS-typischen Symptomen, ohne dass die Diagnosekriterien für MS erfüllt sind. Ein KIS kann, muss aber nicht in eine MS übergehen.
  • Radiologisch isoliertes Syndrom (RIS): Zufällige Entdeckung von MS-typischen Läsionen im MRT ohne vorherige MS-verdächtige, neurologische Symptome. Auch ein RIS kann im Verlauf in eine MS übergehen.

Diagnose der Multiplen Sklerose

Die Diagnose der MS kann eine Herausforderung sein, da es keinen einzelnen Test gibt, der die Erkrankung eindeutig beweist. Die Diagnose basiert auf einer Kombination aus verschiedenen Untersuchungen:

  • Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der aktuellen Symptome.
  • Neurologische Untersuchung: Überprüfung der neurologischen Funktionen wie Reflexe, Koordination, Sensibilität, Sehkraft.
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Darstellung von Entzündungsherden (Läsionen) im Gehirn und Rückenmark.
  • Untersuchung des Nervenwassers (Liquor): Nachweis von Entzündungszeichen wie oligoklonale Banden.
  • Blutuntersuchungen: Ausschluss anderer Erkrankungen, die ähnliche Symptome verursachen können.
  • Evozierte Potentiale: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, um Funktionsstörungen der Nervenbahnen festzustellen.

Die Diagnosekriterien nach McDonald werden verwendet, um die Diagnose der MS zu sichern.

Behandlung der Multiplen Sklerose

Obwohl MS derzeit nicht heilbar ist, gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen und die Symptome lindern können. Die Behandlung der MS umfasst drei Hauptbereiche:

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  1. Therapie des akuten Schubs: Ziel ist es, die Entzündung zu reduzieren und die Symptome des Schubs schnellstmöglich zu lindern.
  2. Verlaufsmodifizierende Therapie: Ziel ist es, die Häufigkeit und Schwere von Schüben zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.
  3. Symptomatische Therapie: Ziel ist es, die individuellen Symptome der MS zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Therapie des akuten Schubs

Die Standardtherapie bei einem akuten MS-Schub ist die Gabe von hochdosiertem Kortison (Glukokortikoiden) über die Vene. Kortison wirkt entzündungshemmend und kann die Symptome des Schubs rasch verbessern. In der Regel erfolgt eine Kortison-Stoßtherapie über drei bis fünf Tage.

Bei unzureichender Rückbildung der Beschwerden kann eine Plasmapherese (Blutwäsche) in Betracht gezogen werden. Dabei werden schädliche Bestandteile (z. B. Antikörper) aus dem Blut entfernt.

Nach einer Kortison-Stoßtherapie ist es wichtig, auf mögliche Nebenwirkungen zu achten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dazu gehören ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Bewegung zur Vorbeugung von Thrombosen, Sonnenschutz und regelmäßige Blutuntersuchungen. Während der Kortisontherapie sollte ein Magenschutzmedikament eingenommen werden.

Verlaufsmodifizierende Therapie

Die verlaufsmodifizierende Therapie zielt darauf ab, das Immunsystem zu modulieren und so die Entzündungsaktivität im ZNS zu reduzieren. Es stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung, die sich in ihrer Wirkweise und ihrem Nebenwirkungsprofil unterscheiden.

Immunmodulatoren:

  • Beta-Interferone: Diese Medikamente hemmen schädigende und fördern schützende Prozesse des Immunsystems. Sie werden in der Regel als Spritzen verabreicht.
  • Glatirameracetat: Wirkt ebenfalls immunmodulatorisch und wird gespritzt.
  • Teriflunomid und Dimethylfumarat (DMF): Diese Substanzen wirken vorwiegend entzündungshemmend und werden als Tabletten eingenommen.
  • Cladribin: Eliminiert bestimmte Zellen des Immunsystems oder dämpfen ihre Aktivität, damit deren Angriffe im ZNS unterbleiben.
  • S1P-Rezeptormodulatoren (Fingolimod, Siponimod, Ponesimod, Ozanimod): Diese Medikamente verhindern die Freisetzung von Lymphozyten aus den Lymphknoten und somit deren Einwanderung ins ZNS. Sie werden als Tabletten eingenommen.

Immunsuppressiva:

  • Natalizumab: Dieser monoklonale Antikörper verhindert das Einwandern von Immunzellen in die Entzündungsherde des ZNS. Er wird als monatliche Infusion verabreicht.
  • Alemtuzumab: Dieser monoklonale Antikörper führt zu einer nachhaltigen Elimination von T- und B-Zellen im Immunsystem.
  • Ocrelizumab, Rituximab, Ofatumumab: Monoklonale Antikörper, die als intravenöse Infusion verabreicht werden und die Krankheitsaktivität dämpfen können.

Die Wahl des geeigneten Medikaments hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Art und Schwere der MS, das Nebenwirkungsprofil des Medikaments, individuelle Risiken und persönliche Präferenzen des Patienten. Die Entscheidung sollte in enger Absprache mit dem behandelnden Neurologen getroffen werden.

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Symptomatische Therapie

Die symptomatische Therapie zielt darauf ab, die individuellen Symptome der MS zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es stehen verschiedene Medikamente und nicht-medikamentöse Behandlungsansätze zur Verfügung.

  • Spastik: Baclofen, Tizanidin, Cannabis-Mundspray.
  • Fatigue: Amantadin, Modafinil.
  • Schmerzen: Antidepressiva, Antiepileptika, Cannabis.
  • Blasenfunktionsstörungen: Anticholinergika, Desmopressin, Botulinumtoxin.
  • Depressionen: Antidepressiva, Psychotherapie.
  • Gangstörungen: Fampridin.

Neben Medikamenten spielen auch nicht-medikamentöse Therapien eine wichtige Rolle bei der Behandlung von MS-Symptomen. Dazu gehören:

  • Physiotherapie: Verbesserung der Beweglichkeit, Koordination und Kraft.
  • Ergotherapie: Anpassung des Alltags an die individuellen Bedürfnisse, Training vonAlltagsaktivitäten.
  • Logopädie: Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen.
  • Neuropsychologie/Psychotherapie: Behandlung von kognitiven Beeinträchtigungen und psychischen Problemen.
  • Weitere Therapieansätze: Tai-Chi, therapeutisches Klettern, tiergestützte Therapie, achtsamkeitsbasierte Therapieansätze.

Paroxysmale Symptome

Paroxysmale Symptome sind kurzzeitige, anfallsartige Beschwerden, die bei MS-Patienten auftreten können. Dazu gehören einschießende Schmerzen (z. B. Trigeminusneuralgie), plötzliche Gefühls-, Sprech- oder Bewegungsstörungen. Diese Symptome lassen sich oft gut mit Medikamenten wie Carbamazepin, Gabapentin oder Lamotrigin behandeln.

Ataxie

Ataxie bezeichnet Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, die bei MS auftreten können. Die Behandlung umfasst Physiotherapie, Ergotherapie und gegebenenfalls Hilfsmittel wie Gehstöcke oder Rollatoren. Medikamente sind bei Ataxie wenig hilfreich, können aber den Tremor lindern.

Blasenstörungen

Blasenstörungen sind häufige Begleiterscheinungen der MS. Die Behandlung richtet sich nach der Art der Blasenstörung und umfasst Medikamente, Verhaltensmaßnahmen und gegebenenfalls Katheterisierung.

MS-Forschung und neue Medikamente

Die MS-Forschung ist sehr aktiv, und es werden ständig neue Medikamente und Therapieansätze entwickelt. Ein wichtiger Schwerpunkt liegt auf der Weiterentwicklung von immunmodulatorischen Substanzen, die das Fortschreiten der Behinderung effektiver unterbinden sollen. Auch die Erforschung der Rolle von T-Zellen und B-Zellen bei der Autoimmunreaktion steht im Fokus.

Einige vielversprechende Medikamente, die sich derzeit in der klinischen Entwicklung befinden oder bereits zugelassen sind, sind:

  • Siponimod (Mayzent): Seit 2020 in der EU gegen sekundär progrediente MS zugelassen.
  • Ozanimod: Verhindert die Freisetzung von Lymphozyten aus den Lymphknoten.
  • Ponesimod: Verhindert die Freisetzung von Lymphozyten aus den Lymphknoten.

Ziel der Forschung ist es, Medikamente zu entwickeln, die noch wirksamer und besser verträglich sind und auch bei progredienten Verlaufsformen der MS eingesetzt werden können.

Leben mit Multipler Sklerose

Die Diagnose MS kann das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen stark beeinflussen. Es ist wichtig, sich umfassend über die Erkrankung zu informieren und sich professionelle Unterstützung zu suchen. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Arzt, Patient und anderen Therapeuten ist entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung und eine hohe Lebensqualität.

Es gibt zahlreiche Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen, die MS-Patienten und ihre Familien unterstützen. Auch Sport und Bewegung, eine gesunde Ernährung undStressbewältigung können dazu beitragen, die Symptome zu lindern und das Wohlbefinden zu steigern.

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