Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, deren Ursachen noch nicht vollständig geklärt sind. Die Krankheit manifestiert sich durch vielfältige neurologische Symptome wie Empfindungsstörungen, Sehstörungen und Muskellähmungen. Die Diagnose und Therapie von MS erfordert eine individuelle Anpassung an die jeweilige gesundheitliche Situation und die Notwendigkeit einer adäquaten MS-Therapie. In den letzten Jahren hat die Forschung zunehmend den Einfluss von Übergewicht und Adipositas auf das MS-Risiko und den Krankheitsverlauf in den Fokus gerückt.
Übergewicht als Risikofaktor für MS
Studien deuten darauf hin, dass Übergewicht, insbesondere in der Kindheit und Jugend, das Risiko, an MS zu erkranken, erhöhen kann. Dieser Zusammenhang scheint besonders bei Mädchen und Frauen relevant zu sein. Eine mögliche Erklärung für diesen Zusammenhang könnte die chronische Entzündung sein, die durch überschüssiges Bauchfett (viszerales Fett) im Körper hervorgerufen wird. Dieses Fett setzt entzündungsfördernde Botenstoffe frei, die sich bei einer chronisch-entzündlichen Erkrankung wie MS ungünstig auswirken könnten.
Eine Kohortenstudie, durchgeführt von Forschern des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) im Rahmen der NAKO Gesundheitsstudie, untersuchte, welche Besonderheiten in Kindheit und Jugend das Erkrankungsrisiko beeinflussen könnten. Die Wissenschaftler analysierten Angaben von 204.273 Teilnehmern der NAKO-Basisuntersuchung zu Ereignissen und gesundheitlichen Besonderheiten in jungen Jahren, darunter Geburtsgewicht, Gewicht im Alter von zehn Jahren und im Jugendalter, Art der Geburt, Stillzeit und Anzahl der Geschwister. Von den befragten Personen hatten 858 vor der NAKO-Basisuntersuchung die Diagnose MS erhalten. Die Ergebnisse zeigten, dass Personen, die als Säuglinge gestillt wurden, später ein verringertes MS-Risiko hatten im Vergleich zu denen, die nicht gestillt wurden. Übergewicht im Alter von 18 Jahren war im Vergleich zu Normalgewicht mit einem erhöhten Risiko für eine MS verbunden.
Einfluss von Adipositas auf den MS-Verlauf
Neben dem erhöhten Erkrankungsrisiko durch Übergewicht in jungen Jahren deuten aktuelle Forschungsergebnisse darauf hin, dass Adipositas auch den Verlauf einer bestehenden MS negativ beeinflussen kann. Eine nationale Langzeitstudie des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS) untersuchte den Einfluss von Adipositas und dem Body Mass Index (BMI) auf den Krankheitsverlauf von MS-Patienten.
In dieser Studie wurden Daten von 1.066 Patienten mit neu diagnostizierter MS über mehrere Jahre ausgewertet. Der BMI wurde als Maß für Adipositas (definiert als BMI ≥ 30 kg/m2) herangezogen. Die Ergebnisse zeigten, dass adipöse Patienten zu Krankheitsbeginn häufiger einen höheren Behinderungsgrad (Expanded Disability Status Scale, EDSS) aufwiesen, sowohl zu Beginn als auch nach zwei, vier und sechs Jahren. Das Risiko, einen EDSS-Wert von 3 innerhalb von sechs Jahren zu erreichen, war bei Menschen mit Adipositas signifikant höher als bei Personen mit niedrigerem BMI. Dieser Adipositas-Effekt war unabhängig von krankheitsmodifizierenden Therapien.
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Konkret erreichten adipöse MS-Patienten bereits nach zwölf Monaten einen EDSS-Wert von 3, während es bei nicht-adipösen Patienten im Durchschnitt 18 Monate dauerte, bis sie diesen Behinderungsgrad erreichten. Nach sechs Jahren erreichten adipöse MS-Patienten den Wert von 3 fast doppelt so oft wie nicht-adipöse Patienten, und zwar unabhängig von ihrer medikamentösen Behandlung.
Interessanterweise konnte dieser Zusammenhang nur für Adipositas (BMI ≥ 30), nicht aber für Übergewicht (BMI 25 - 29.9) festgestellt werden.
Mögliche Mechanismen
Die genauen Mechanismen, die dem negativen Einfluss von Adipositas auf den MS-Verlauf zugrunde liegen, sind noch nicht vollständig verstanden. Es wird vermutet, dass verschiedene Faktoren eine Rolle spielen könnten:
- Chronische Entzündung: Adipositas, insbesondere das viszerale Fett, setzt entzündungsfördernde Botenstoffe frei, die die chronische Entzündung im zentralen Nervensystem bei MS verstärken könnten.
- Reduziertes Gehirnvolumen: Studien haben gezeigt, dass ein erhöhter BMI in Verbindung mit einer Verringerung des Gehirnvolumens bei MS steht.
- Funktionsstörungen: Adipositas kann verschiedene Funktionsstörungen auslösen, die das Fortschreiten der MS forcieren könnten, ohne dass die Anzahl der Schübe oder Läsionen erhöht ist.
Bedeutung des Körpergewichts bereits vor der MS-Diagnose
Das Körpergewicht spielt möglicherweise schon deutlich früher eine Rolle, nämlich bereits vor der klinischen MS-Diagnose. Das klinisch isolierte Syndrom (KIS) stellt ein plötzliches Auftreten von vorübergehenden Symptomen dar, beispielsweise Sehstörungen, Schwindel oder Lähmungserscheinungen. In vielen Fällen entwickelt sich, häufig innerhalb weniger Jahre nach einem KIS, eine Multiple Sklerose. Eine Studie untersuchte, ob ein Zusammenhang zwischen starkem Übergewicht und der Entwicklung von einem KIS zur MS-Diagnose besteht. Betroffene mit KIS wurden über fünf Jahre klinisch und mit bildgebenden Verfahren (Magnetresonanztomographie, MRT) nachbeobachtet. Von 464 Patientinnen und Patienten wurde zu Beginn der Studie der BMI ermittelt, mit Einstufung als adipös bei einem BMI ab 30 kg/m2, als normalgewichtig bei einem BMI zwischen 18,5 und 25 kg/m2.
Implikationen für die Behandlung und Prävention
Die Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Übergewicht und MS haben wichtige Implikationen für die Behandlung und Prävention der Erkrankung.
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- Gewichtsreduktion: Für MS-Patienten mit Übergewicht oder Adipositas ist eine Gewichtsreduktion empfehlenswert. Dies kann durch eine Kombination aus passender Ernährung und körperlicher Aktivität erreicht werden. Eine umfassende Beratung durch Ernährungsberater und Therapeuten kann dabei helfen, individuelle Strategien zu entwickeln und umzusetzen.
- Ausgewogene Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel frischem Obst und Gemüse kann dazu beitragen, ein gesundes Körpergewicht zu erreichen und zu halten. Der Nutri-Score kann als Hilfestellung dienen, um die Nährwerte von Lebensmitteln besser zu vergleichen.
- Prävention: Da Übergewicht in der Kindheit und Jugend das MS-Risiko erhöhen kann, ist es wichtig, bereits frühzeitig auf ein gesundes Körpergewicht zu achten. Dies kann durch eine ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung erreicht werden.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Übergewicht und Adipositas sowohl das Risiko, an MS zu erkranken, als auch den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen können. Die Aufrechterhaltung eines gesunden Körpergewichts durch eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige körperliche Aktivität ist daher für die Prävention und Behandlung von MS von großer Bedeutung. Es ist wichtig zu betonen, dass Adipositas ein modifizierbarer Risikofaktor ist, und dass eine Gewichtsreduktion und eine gesunde Lebensweise positive Auswirkungen auf den MS-Verlauf haben können.
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