Die Musiktherapie hat sich als vielversprechende ergänzende Behandlungsmethode für Menschen mit Parkinson etabliert. Das idiopathische Parkinsonsyndrom (iPS), auch bekannt als Parkinson-Krankheit, ist die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Neben den bekannten motorischen Symptomen leiden viele Betroffene unter einer Sprechstörung (Dysarthrie), die sich durch eine heisere, leise Stimme und den Verlust von Ausdruck und Sprechmelodie äußert. Diese Einschränkungen beeinträchtigen die Kommunikationsfähigkeit und Lebensqualität erheblich.
Die heilende Kraft der Musik bei Parkinson
Musik wirkt unmittelbar auf die durch iPS gestörte Motorik und spielt eine wichtige Rolle in der aktivierenden Therapie dieser Erkrankung. Musik bietet nicht nur Unterhaltung und ästhetischen Genuss, sondern hat auch heilende Wirkung. Neurowissenschaftler haben eine Erklärung für dieses Phänomen gefunden: die audio-motorische Synchronisation. Sie beschreibt die enge Verbindung zwischen akustischem Rhythmus und dem motorischen Nervensystem. Es ist fast so, als würde ein Magnet einen metallischen Gegenstand anziehen.
Diese besondere Wirkung von Musik auf die Bewegung wird in der Therapie von Parkinson-Patienten genutzt. Musik sorgt im Gehirn sogar für eine zusätzliche Dosis Dopamin, einem Neurotransmitter, der bei Parkinson-Kranken nur noch in geringerem Maße vorhanden ist. Kanadische Forscher haben gezeigt, dass Dopamin freigesetzt wird, wenn wir Musik hören. Viele Parkinson-Patienten nutzen dies in ihrem Alltag.
Singen als therapeutische Intervention
Singen ist seit langem als therapeutische Maßnahme bei Dysarthrie bekannt. Der Rhythmus und Takt verbessern die Stimmgebung und Artikulation. Die Struktur mit Melodie und harmonischer Begleitung hilft, die Atmung zu vertiefen und koordinierter in Stimme umzusetzen. Beim therapeutischen Singen geht es nicht um schöne Töne oder perfekte Intonation, sondern um die positiven Auswirkungen auf Stimme und Atmung.
Eine systematische Übersichtsarbeit hat alle bisherigen Therapiestudien zum Singen bei Parkinson ausgewertet. Zwölf klinische Verlaufsstudien wurden hinsichtlich ihrer Therapieeffekte verglichen. Die Ergebnisse deuten auf mögliche positive Effekte auf die Atem- und Stimmfunktion hin. Die Autoren haben außerdem praktische Hinweise für das Singen mit Menschen mit iPS zusammengestellt.
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Stefan Mainka, ein erfahrener Musiktherapeut, arbeitet seit über 20 Jahren in der Parkinsonklinik Beelitz-Heilstätten in Brandenburg mit diesen Patienten. Yoon Irons, ebenfalls Musiktherapeutin, hat ihre Doktorarbeit über therapeutisches Singen verfasst und lehrt und forscht an der University of Derby in England.
Ein wichtiger Aspekt beim Singen als Therapie ist die richtige Tonlage, da Parkinson-Patienten oft einen reduzierten Tonumfang haben. Das Plugin "Transpose" für den Browser Chrome von Google ermöglicht es, jeden Online-Musik-Stream in Tempo und Tonhöhe zu verändern und so an die individuellen Bedürfnisse anzupassen. Es verwandelt den Computer über YouTube in eine Karaoke-Maschine. Es gibt auch verschiedene Karaoke-Apps.
Musiktherapeutische Techniken und Anwendungen
Die Celenus Klinik für Neurologie Hilchenbach bietet ihren an Parkinson erkrankten Rehabilitanden eine spezielle Therapieform an: die Musiktherapie. In Gruppentherapien werden die Patienten zunächst mit Klangschalen und Musikstücken in einer Entspannungsphase auf die Therapie eingestimmt. Anschließend werden sie von einer Physiotherapeutin angeleitet, sich zur Musik zu bewegen. Durch gemeinsames Singen und Spielen mit rhythmisch-musikalischen Elementen wie Rasseln oder Handtrommeln erfahren die Patienten, wie sie ihre Stimme kräftiger einsetzen können. Im letzten Schritt folgen die Patienten der Musik und kontrollieren und synchronisieren ihre Bewegungen mit verschiedenen Gangvariationen. Die Musik reicht von klassischen Walzern über Volkslieder bis hin zu moderner Popmusik. Die Physiotherapeutin unterstützt die Patienten dabei im Gangprozess. Der Rhythmus, der den Bewegungsfluss fördert, ist für die Patienten die wichtigste Erfahrung.
Therapietechniken aus dem Konzept der Neurologischen Musiktherapie kommen zum Einsatz. Das musikgestützte Gangtraining RAS (Rhythmisch-Akustische Stimulation) dient der Verbesserung des Gehens, der Schrittlänge und des Armschwungs. Ausgesuchte Musik wird so an das individuelle Gangbild angepasst, dass sich dieses gezielt verbessert. Die entwickelte App CuraSwing übersetzt beim Gehen den Schwung in Musik. Beim therapeutischen Singen werden Stimme und Atem trainiert. Dieses spezielle Bewegungstraining mit Programmmusik ist auch für die häusliche Eigenanwendung konzipiert.
Bei Gangblockaden (Freezing) hilft oft ein rhythmisches Training mit Metronom, wieder flüssiger zu gehen. Durch therapeutisches Singen können Parkinson-Patienten intensiv die Stimme und die Atmung schulen, was die Stimmqualität und Atem-Stimmkoordination verbessert und sich positiv auf das Sprechen und die Kommunikation auswirkt. Die Songs werden dabei der Stimmlage und der Stimmsymptomatik angepasst, was ein optimales Training auch bei parkinsonbedingter Hypophonie ermöglicht.
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In der tänzerischen Musiktherapie werden zu Kreis-, Block- oder Paartänzen spielerisch Bewegungen trainiert, wodurch Parkinsonkranke neben dem Therapieeffekt für Beweglichkeit und Koordination auch die Freude an Bewegung zurückgewinnen können. Beim Rhythmischen Sprechtraining lernen vorher schwer verständliche Patienten im Takt wieder deutlicher zu artikulieren. Für Patienten mit verminderter Schluckhäufigkeit wurde der Schluck-Wecker entwickelt. In der Instrumentalimprovisation können auch musikalisch unerfahrene Parkinsonpatienten sich auf Musikinstrumenten ausprobieren, was neben der Motorik auch die Krankheitsverarbeitung fördert.
Die vielfältigen Wirkungen der Musik auf Entspannung, Stimmung, Antrieb und Beweglichkeit lassen sich nutzen, indem man sich eine persönliche Playlist anlegt.
Forschung und Studien zur Musiktherapie bei Parkinson
Studien belegen die positiven Auswirkungen von Musiktherapie auf Parkinson-Patienten:
- Verbesserung der Motorik: Eine Studie aus dem Jahr 2004 zeigte, dass stimulierende Musik die motorische Koordination bei Parkinson-Patienten verbessert [1].
- Verbesserung des Gangbildes: Eine japanische Studie aus dem Jahr 2008 ergab, dass das Training im mentalen Singen während des Gehens Gangstörungen bei Parkinson-Patienten verbessert [2].
Am Parkinsonzentrum Beelitz-Heilstätten wird seit 20 Jahren Musiktherapie in der täglichen Patientenarbeit eingesetzt. Dort wurde die Beelitzer Musikgymnastik entwickelt, ein Gymnastikprogramm mit passgenauer Therapiemusik.
Musiktherapie als Baustein der Komplexbehandlung
Musiktherapie ist derzeit für Parkinsonpatienten noch nicht auf Rezept zu haben, wird aber in den meisten Parkinson-Fachkliniken als Baustein einer Komplexbehandlung in Kombination mit anderen aktivierenden Therapien wie Physio- und Ergotherapie eingesetzt. Eine ambulante Musiktherapeutin findet man über Nationale Register Musiktherapie. Darüber hinaus können die Betroffenen Musik individuell zuhause einsetzen, um die Symptome der Erkrankung ein Stück zu mildern.
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Musiktherapie: Mehr als nur ein Therapieansatz
Musiktherapie ist eine psychotherapeutische Behandlungsmethode, bei der Musik im Rahmen der therapeutischen Beziehungen zur Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung seelischer, körperlicher, geistiger und spiritueller Gesundheit eingesetzt wird. Es gibt aktive Verfahren über Instrumentalspiel und passive Verfahren über das Hören von Musik, sowie Einzel- und Gruppenangebote. Bestehende Probleme und damit verbundene Symptome können in einer Musiktherapie erkannt, angenommen und verändert werden. Mit Musiktherapie wird das Fortschreiten der Erkrankung gebremst und die Lebensqualität verbessert. Sie ist für das Sprechen, die Stimme und die Atmung extrem wichtig. Musik leistet außerdem einen wichtigen Beitrag zur Krankheitsverarbeitung und dem (Wieder)-entdecken von Lebensqualität und Lebensfreude. Der Rhythmus von Musik stimmt positiv, entspannt und beschwingt.
Eine Musiktherapie ist eine sogenannte „aktivierende Therapieform“: Im Takt und Rhythmus der Musik kann man das Gehen trainieren, Schritte einüben, die Schrittlänge beeinflussen, das Gangbild verändern und somit Blockaden lindern. Hören und Bewegen sind eng miteinander verbunden. Die rhythmischen Klänge wirken wie „Zeitgeber“. Sie aktivieren nicht nur Nervenzellen, die für das Hören zuständig sind, sondern auch solche, die die Bewegungen koordinieren. Deshalb bringt rhythmische Musik so gut wie jeden zum Wippen und Mitschwingen. Mit Hilfe dieser „musikalischen Stimulation“ können sich Parkinson-Patienten deutlich flüssiger bewegen.
Evidenzbasierte Wirksamkeit der Musiktherapie
Die intensiven Forschungsaktivitäten der vergangenen Jahre und die zahllosen Studien haben die Zweifel an der Wirksamkeit der Musiktherapie ausgeräumt. Das starke wissenschaftliche Interesse resultierte der Datenbank Pub Med zufolge in fast 9.000 Fachartikeln, darunter etwa 1.500 randomisierte, kontrollierte Studien und 360 Metaanalysen. „Es liegt mithin eine sehr gute Evidenz für die Wirksamkeit vor“, so Prof. Neugebauer. Angesichts ihrer verstärkten Erforschung ist die Musiktherapie mittlerweile in 37 AWMF-Leitlinien vertreten, darunter in 29 S3-Leitlinien.
Prof. Dr. phil. habil. Sabine Koch, Expertin für Empirische Forschung in den Künstlerischen Therapien an der Alanus Hochschule Bonn, bestätigt die beeindruckende Fülle an Belegen: „Im Rahmen einer Therapie eingesetzte Musik fördert die seelische, körperliche und geistige Gesundheit. Dabei kann sie genauso wirkungsvoll wie ein Opioid oder eine Verhaltenstherapie sein“.
Anwendungsbereiche der Musiktherapie
Die Musiktherapie hat sich in verschiedenen Bereichen als wirksam erwiesen:
- Schmerzen: Die Wirksamkeit bei chronischen und akuten Schmerzen ist gut erforscht und erprobt. Ihre Wirkung ist ähnlich gut wie die Behandlung mit Opioiden, jedoch ohne unerwünschte Nebenwirkungen.
- Krebserkrankungen: Musiktherapie senkt Angstzustände, Depressionen, Schmerzen, Müdigkeit, Herzfrequenz und Blutdruck bei Krebspatienten. Sie ist genauso effektiv wie Verhaltenstherapie.
- Autismus: Musiktherapie verbessert Verhaltenssymptome, Sprache und soziale Kompetenz bei autistischen Menschen, insbesondere bei Kindern. Rhythmus scheint Orientierung und Sicherheit zu geben, Interaktionen anzubahnen sowie Stress und dysfunktionale Erregung zu reduzieren.
- Frühgeborene: Musiktherapie steigert die kardiovaskuläre Stabilität, fördert die Vernetzung von Hirnregionen, die für Hören, Kognition, emotional-soziale Verarbeitung sowie Feinmotorik verantwortlich sind, reduziert Stress bei Babys und Eltern und stärkt die Bindung zueinander.
- Demenzen: Musiktherapie lindert Angst, Unruhe sowie Apathie und stärkt soziales Interesse und kognitive Leistung bei Menschen mit Alzheimer bzw. Demenz. Chorgesang erweist sich als besonders wirksam.
- Neurologische Erkrankungen: Musiktherapie kommt mit gutem Erfolg bei Multipler Sklerose, Morbus Parkinson oder zur Rehabilitation nach Schlaganfällen zum Einsatz. Bei Sprachstörungen nach einem Schlaganfall bewirkt sie signifikante Verbesserungen hinsichtlich der funktionalen Kommunikation, Wiederholung und Benennung. Parkinson-Kranken hilft Tanzen, vor allem Tangotanz, der nicht nur motorische Fähigkeiten verbessert, sondern auch die Lebensqualität stimuliert.
- Palliativmedizin: Musiktherapie fördert die Entspannung und steigert das Wohlbefinden von Menschen am Lebensende. Sie hat bei der Reduktion von Depression und Angstsymptomatik oft denselben guten Wirkungsgrad wie eine kognitive Verhaltenstherapie.
Die Zukunft der Musiktherapie
Eine brandneue WHO-Studie hat die weltweiten Daten zur Evidenz der Musiktherapie zusammengefasst. Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen mit Non-Communicable Diseases (NCDs) hinsichtlich ihrer körperlichen, psychischen und kognitiven Funktionen sowie ihrer Lebensqualität von kunstbasierten Interventionen profitieren können. Diese können eine wertvolle Ergänzung zu traditionellen Behandlungen wie Psychotherapie oder medikamentöse Therapien für NCDs darstellen.
Trotz der guten wissenschaftlichen Evidenz und der Fülle an positiven Erfahrungen aus der Praxis werden musiktherapeutische Anwendungen im ambulanten Bereich nach wie vor nicht erstattet. Die Verankerung in der ambulanten Versorgung ist jedoch dringend notwendig, insbesondere im Hinblick auf vulnerable Gruppen, die auf diese Therapieform besonders angewiesen sind.
Fazit
Die Musiktherapie ist eine vielversprechende und evidenzbasierte Behandlungsmethode für Menschen mit Parkinson. Sie kann dazu beitragen, motorische Fähigkeiten zu verbessern, die Kommunikation zu fördern, die Lebensqualität zu steigern und die Krankheitsverarbeitung zu unterstützen. Trotz der positiven Ergebnisse und der wachsenden Evidenzlage ist es wichtig, dass die Musiktherapie in Zukunft eine größere Anerkennung findet und der Zugang zu dieser Therapieform für alle Betroffenen ermöglicht wird.
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