Myasthenia gravis (MG) ist eine seltene Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer Störung der Reizweiterleitung vom Nerv auf den Muskel kommt. Dies führt zu einer Muskelschwäche der willkürlichen Muskeln, die sich bei körperlicher Belastung verstärkt und in Ruhe wieder bessert. Die Symptome können im Laufe des Tages schwanken. Bei einer generalisierten Verlaufsform können potenziell alle quergestreiften Muskeln im Körper betroffen sein. Die Erkrankung ist zwar nicht heilbar, aber es gibt verschiedene Therapieoptionen, die die Symptome lindern und den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen können.
Grundlagen der Myasthenia Gravis
Bei einer Myasthenie führt eine Fehlfunktion des Immunsystems zur Bildung von Antikörpern (sog. IgG-Antikörper) gegen verschiedene Muskelrezeptoren, darunter der Acetylcholinrezeptor (Anti-AChR) und die muskelspezifische Tyrosinkinase (Anti-MuSK). Es kommt zum Verlust von funktionsfähigen Muskelrezeptoren, was eine gestörte Überleitung zwischen Nerv und Muskel zur Folge hat.
Typischerweise treten zu Beginn Doppeltsehen und Hängen der Augenlider auf. Meist sind im Verlauf der Erkrankung immer mehr Muskelgruppen betroffen, was zu Störungen beim Sprechen, Kauen und Schlucken bis hin zur Beeinträchtigung der Atmung führen kann. Der Verlauf der Erkrankung ist unterschiedlich. Eine Muskelschwäche kann sich innerhalb weniger Tage oder Wochen entwickeln und ihre Ausprägung über Monate hinweg schwanken. Nach einer kurzen Krankheitsphase können sich die Symptome aber auch weitgehend zurückbilden und später erneut auftreten. In manchen Fällen kann es jedoch auch zu einer fortschreitenden Minderung der Muskelkraft kommen.
Konventionelle Behandlungsmethoden
Die Behandlung von MG sollte individuell auf den Patienten abgestimmt werden, unter Berücksichtigung des Antikörperstatus und der Krankheitsaktivität. Grundsätzlich sollte MG-Patienten sowohl eine symptomatische als auch eine verlaufsmodifizierende (Immun-)therapie angeboten werden.
Symptomatische Therapie
Als Mittel der Wahl zur symptomatischen Therapie empfehlen sich Acetylcholinesterase-Hemmer wie z. B. Pyridostigmin. Bestimmte Medikamente Acetylcholinesterasehemmer können den Abbau von Acetylcholin verlangsamen. Durch die Einnahme von Cortison oder Immunsuppressiva können zudem die fehlgeleiteten Antikörper verringert werden.
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Verlaufsmodifizierende Therapie
Als verlaufsmodifizierende Therapie werden Glucocorticoide (z.B. Prednisolon) und Azathioprin als Monotherapie oder in Kombination angewendet. Glucocorticoide werden initial und bei Exazerbationen als Kurzzeittherapie eingesetzt, während Azathioprin für die Dauertherapie bestimmt ist. Ist die Standardtherapie nicht ausreichend wirksam oder kann aufgrund Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten nicht zum Einsatz kommen, stehen als alternative Immuntherapien Wirkstoffe wie Ciclosporin, Mycophenolatmofetil, Methotrexat, Tacrolimus zur Verfügung. Es gilt allerdings zu beachten, dass es sich hier um eine Off-Label-Verordnung handelt. Bei (hoch-)aktiver MG kann die verlaufsmodifizierende Therapie durch verschiedene Antikörper (z. B. Eculizumab, Rituximab) ergänzt werden.
Neue Therapieansätze
Mit Zilucoplan (ZILBRYSQ®) und Rozanolixizumab (RYSTIGGO®, beide UCB Pharma) gibt es zwei Neuzulassungen als Add-on zur Standardbehandlung von erwachsenen Patientinnen und Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis (gMG).
- Rozanolixizumab (Rystiggo®): Enthält einen monoklonalen IgG4-Antikörper, der bei erwachsenen Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis (gMG) eingesetzt wird, die positiv auf Anti-AChR oder Anti-MuSK getestet wurden. Der IgG4-Antikörper blockiert ein Protein (FcRn), das dafür sorgt, dass krankheitsauslösende IgG-Antikörper länger im Körper verbleiben. Durch die Bindung von Rozanolixizumab an FcRn wird der Abbau von IgG-Antikörpern gesteigert und ein Angriff auf die Acetylcholinrezeptoren oder muskelspezifische Tyrosinkinase verhindert. Dies kann zu einer Verbesserung der Muskelfunktion führen. Die Verabreichung von Rystiggo® erfolgt über einen Zeitraum von 6 Wochen, gefolgt von einer Verabreichungspause, die wie auch die Anzahl der Zyklen patientenindividuell festgelegt werden muss.
- Zilucoplan (Zilbrysq®): Ist als Zusatztherapie bei Erwachsenen mit gMG indiziert, die nur auf AChR-Antikörper positiv getestet wurden. Zilucoplan ist ein synthetisches makrozyklisches Peptid, das die Aktivität des sog. Komplementsystems reduziert. Durch die Bindung von Autoantikörpern an Acetylcholinrezeptoren wird das Komplementsystem aktiviert und führt zu einer Schädigung des Kontaktpunkts zwischen Nerven und Muskeln. Durch Zilucoplan wird die Schädigung der Acetylcholinrezeptoren verringert und damit die Symptome der Erkrankung gelindert. Die Fertigspritze Zilbrysq® muss täglich zur selben Zeit subkutan verabreicht werden. Zudem ist aufgrund des erhöhten Risikos einer Meningokokken-Infektion zu beachten, dass Zilucoplan kontraindiziert ist bei Patienten, die keine Impfung gegen Neisseria meningitidis erhalten haben oder an einer Neisseria meningitidis-Infektion leiden. Es handelt sich um einen Peptid-Inhibitor für die subkutane, selbst vorzunehmende Injektionstherapie durch Patientinnen oder Patienten mit AChR-Antikörper-positiver gMG. Als C5-Inhibitor hemmt Zilucoplan die komplementvermittelte Schädigung der neuromuskulären Endplatte.
Thymektomie
Die Da Vinci OP gehört zu den modernsten Operationsverfahren bei der Thymus-Entfernung. Daher ist die Entfernung der Thymusdrüse in den meisten Fällen eine wirksamere und schonendere Behandlungsmethode. Der Thymus spielt nach neuesten Erkenntnissen eine wichtige Rolle bei der Entstehung der fehlgesteuerten Antikörper. Eine vom New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie zeigte die deutlichen Vorteile einer operativen Behandlung der Myasthenia gravis gegenüber der rein medikamentösen Therapie: Patienten mussten weniger stationär behandelt werden und benötigten weniger Cortison. Bevor die Thymektomie mit einer vollständigen Öffnung des Brustbeins durchgeführt werden muss, sollten Patienten mit Myasthenie oder kleinen Tumoren am Thymus über einen weniger belastenden Eingriff nachdenken.
CAR-T-Zell-Therapie
An der Universitätsmedizin Magdeburg wurde eine schwer an Myasthenia gravis erkrankte 34-jährige Patientin weltweit erstmals mit der neuartigen CAR-T-Zell-Therapie im Rahmen eines individuellen Heilversuchs erfolgreich behandelt. Die CAR-T-Zell-Therapie wird bisher vor allem bei der Behandlung von Blut- und Lymphdrüsenkrebs eingesetzt.
Das Prinzip der CAR-T-Zell-Therapie: Der Patientin wurden zunächst ihre eigenen T-Zellen - eine Schlüsselkomponente des Immunsystems - entnommen und genetisch zu sogenannten chimären Antigenrezeptor-(CAR-)T-Zellen reprogrammiert. Diese erkennen ein bestimmtes Eiweiß auf der Oberfläche von B-Zellen und zerstören sie dann. Anschließend wurde dieses ‚lebende Medikament’ der Patientin als Infusion verabreicht. Nach kurzer Zeit waren alle B-Zellen, auch die schädlichen, eliminiert und die Therapie wurde sehr gut vertragen.
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Es wird von einem möglichen immunologischen „Neustart“ gesprochen, der durch die CAR-T-Zelltherapie ausgelöst wird, da die B-Zellen mittlerweile zurückgekehrt sind, diese jedoch keine Autoantikörper zu produzieren scheinen und die Patientin damit krankheitsfrei verbleibt. Die Autoren erklären in der gemeinsamen Schlussfolgerung, dass dieser Ansatz einzigartig sei, weil er als einmalige Intervention konzipiert ist, um eine lang anhaltende medikamentenfreie vielleicht dauerhaftes Nachlassen bzw. Verschwinden von Krankheitssymptomen zu erreichen.
Ergänzende und alternative Behandlungsansätze
Neben den konventionellen Behandlungsmethoden gibt es auch einige ergänzende und alternative Ansätze, die bei der Behandlung von Myasthenia gravis in Betracht gezogen werden können. Es ist wichtig zu beachten, dass diese Ansätze in der Regel nicht als Ersatz für die konventionelle medizinische Behandlung dienen sollten, sondern als Ergänzung, um die Symptome zu lindern und das Wohlbefinden zu verbessern.
Bewegung und Atmung
Bewegung und Atmung spielen eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der Lebensqualität von Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen.
Ernährung
Eine ausgewogene Ernährung ist für alle Menschen wichtig, aber besonders für Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Myasthenia gravis. Es gibt Hinweise darauf, dass bestimmte Nährstoffe und Ernährungsweisen einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben können. Eine Studie aus dem Jahr 2009 berichtete über einen Fall von refraktärer Myasthenia gravis, bei der Dysphagie und Mangelernährung auftraten, und schlug vor, dass es krankheitsspezifische Ernährungsprobleme geben könnte.
Stressbewältigung
Stress kann die Symptome von Myasthenia gravis verschlimmern. Daher ist es wichtig, Strategien zur Stressbewältigung zu entwickeln. Dazu können Entspannungstechniken wie Yoga, Meditation oder progressive Muskelentspannung gehören. Auch regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf und eine gesunde Ernährung können helfen, Stress abzubauen. Eine prospektive Studie aus dem Jahr 2020 untersuchte den Zusammenhang zwischen Stress, Depression und Persönlichkeit bei Myasthenia gravis-Rezidiven.
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Hilfsmittelversorgung
Die Hilfsmittelversorgung von Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen, einschließlich Myasthenia gravis, kann dazu beitragen, die Lebensqualität zu verbessern und die Selbstständigkeit zu erhalten. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsmitteln, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Muskelschwäche zugeschnitten sind.
Psychosoziale Unterstützung
Myasthenia gravis kann erhebliche Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen und ihrer Familien haben. Es ist wichtig, psychosoziale Unterstützung in Anspruch zu nehmen, um mit den emotionalen und sozialen Herausforderungen der Erkrankung umzugehen. Dies kann in Form von Selbsthilfegruppen, psychologischer Beratung oder Unterstützung durch Familie und Freunde erfolgen.
Familienplanung
Frauen mit Myasthenia gravis sollten sich vor einer Schwangerschaft von ihrem Arzt beraten lassen, um die Risiken und Komplikationen für Mutter und Kind zu besprechen. In den meisten Fällen ist eine Schwangerschaft bei Myasthenia gravis jedoch möglich, wenn die Erkrankung gut kontrolliert ist. Eine Studie aus dem Jahr 2015 untersuchte den Einfluss von Myasthenia gravis auf die Familienplanung und wie Frauen mit Myasthenia gravis entscheiden und warum. Ein Übersichtsartikel aus dem Jahr 2021 befasste sich mit Myasthenia gravis und Schwangerschaft.
Berufstätigkeit
Myasthenia gravis kann die Berufstätigkeit beeinträchtigen. Eine systematische Literaturübersicht und Meta-Analyse aus dem Jahr 2020 untersuchte die Beschäftigungssituation von Menschen mit Myasthenia gravis.
Sozialmedizin und Rehabilitation
Neuromuskuläre Erkrankungen erfordern oft eine umfassende sozialmedizinische Betreuung und Rehabilitation, um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern und die Lebensqualität zu verbessern.
Medikamente, die Myasthenia gravis verschlimmern können
Wie für eine Vielzahl von Medikamenten stellt sich auch bei Statinen die Frage, ob diese Medikamente eine Myasthenia gravis verschlechtern oder auslösen können. Ein Zusammenhang zwischen Statinen und Myasthenia gravis wird schon seit vielen Jahren diskutiert. Grund dafür sind Einzelfallberichte, die einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Beginn einer Statinbehandlung und dem Auftreten bzw. der Verschlechterung der Myasthenia gravis beschreiben.
Risiko-Nutzen-Abwägung
Wie in den meisten anderen Behandlungssituationen auch, muss eine Risiko-Nutzen-Abwägung im Einzelfall gemacht werden. Grundsätzlich ist das sehr geringe Risiko einer zeitnahen Verschlechterung der Myasthenia gravis gegen das vergleichsweise hohe Risiko einer schweren kardiovaskulären Erkrankung im Langzeitverlauf abzuwägen. Führt kein Weg an einer medikamentösen Therapie vorbei, sind die Statine Mittel der ersten Wahl für die o.g. Krankheiten. Soweit dies sich aus den vorliegenden Daten ableiten lässt, gibt es keinen Hinweis, dass sich die verschiedenen Vertreter der Statine hinsichtlich eines möglichen Myasthenie-Risikos unterscheiden.
Zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen sollten entsprechend den Leitlinien nach Ausschöpfung nicht medikamentöser Therapiemaßnahmen auch bei Myasthenie-Patienten Statine eingesetzt werden. Kommt es jedoch am Anfang einer Statin-Therapie zum Auftreten oder zur Verschlechterung einer Myasthenia gravis, sollten ggf.
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