Myasthenia gravis: Spezialisierte Ärzte, Diagnose und moderne Therapien

Viele Menschen kennen schwere Augenlider bei Müdigkeit, die sich kaum noch öffnen lassen. Wenn sich diese jedoch bewusst nicht mehr schließen oder öffnen lassen und möglicherweise Doppelbilder und andere Muskelschwächen im ganzen Körper hinzukommen, kann es sich um die seltene, aber gut erforschte Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis (Myasthenie) handeln.

Was ist Myasthenia gravis?

Myasthenia gravis oder Myasthenie bedeutet "schwere Muskelschwäche". Diese Autoimmunerkrankung ist durch eine neuromuskuläre Störung zwischen Nerven und Muskeln gekennzeichnet, die dazu führt, dass Betroffene Schwierigkeiten haben, ihre Muskeln kontrolliert zu benutzen.

Bei gesunden Menschen steuert der Botenstoff Acetylcholin die Impulse zwischen Nerven und Muskeln. Bei Myasthenie ist diese Kommunikation jedoch blockiert. In leichten Fällen betrifft dies häufig die Augen, kann sich aber auch auf Arme, Beine und andere Muskeln ausbreiten, bis hin zu Lähmungserscheinungen. Es kann auch zu lebensbedrohlichen Folgen kommen, beispielsweise wenn Speiseröhre oder Lunge betroffen sind und es zu Hustenanfällen, Schluckbeschwerden oder Atemnot kommt.

Myasthenia gravis kann sowohl Kinder als auch Erwachsene betreffen, tritt jedoch am häufigsten bei Frauen im Alter von 20 bis 40 Jahren und bei Männern zwischen dem 51. und 81. Lebensjahr auf. Schätzungsweise 0,015 Prozent der Menschen in Deutschland sind von dieser Autoimmunerkrankung betroffen.

Erscheinungsformen von Myasthenia gravis

Die Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis manifestiert sich mit unterschiedlichen Merkmalen, beispielsweise in unterschiedlichen Lebensaltern, Antikörpern im Blut oder betroffenen Muskeln:

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  • Lokalisation: Bei der Ausbreitung unterscheiden Ärzte zwischen der generalisierten Form, die alle Muskeln des Skeletts betreffen kann, und der okulären Form, bei der hauptsächlich die Augen unter der Muskelschwäche leiden. Die generalisierte Form kann sich aus der okulären Form entwickeln. Etwa 20 % der Betroffenen erleben, dass sich die Beschwerden auf die Augenmuskeln beschränken, während sich bei vielen Patienten innerhalb der ersten zwei Jahre eine generalisierte Verlaufsform entwickelt.
  • Erkrankungsbeginn: Die juvenile Myasthenia gravis tritt bereits vor dem 18. Lebensjahr auf, die adulte Myasthenie zwischen dem 18. und 50. Lebensjahr und die Altersmyasthenie nach dem 50. Lebensjahr.
  • Antikörper: Einige Formen der Myasthenie lassen sich durch entsprechende Antikörper im Blut nachweisen. Bei etwa der Hälfte der Patienten können Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren im Blut gefunden werden, ein weiterer, deutlich kleinerer Teil besitzt Antikörper gegen muskelspezifische Rezeptoren (MuSK).
  • Thymusdrüse: Myasthenia gravis kann zusätzlich durch Tumore in der Thymusdrüse von anderen Formen unterschieden werden.

Schweregrade der Myasthenia gravis

Myasthenia gravis kann sich im Krankheitsverlauf verschlechtern. Aus diesem Grund wird es anhand der sogenannten Ossermann-Klassifikation in verschiedene Schweregrade unterteilt:

  • Okuläre Myasthenie: Die okuläre Form betrifft ausschließlich die Augenmuskeln. Zusätzlich kann es zu Doppeltsehen (Diplopie) kommen.
  • Leichte bis mittelschwere generalisierte Myasthenie: Myasthenia gravis und ihre Symptome können sich auf den gesamten Körper ausbreiten und neben der Augenmuskulatur zu einer leichten bis mäßigen Muskelschwäche führen.
  • Mittelschwere generalisierte Myasthenie: Weitere Muskelgruppen sind betroffen und die Symptome fallen mittelschwer aus.
  • Schwere generalisierte Myasthenie: Bei diesem Schweregrad liegen schwere Symptome vor. Wenn auch die Atemmuskulatur betroffen ist, kann in dieser Klasse eine Nasensonde erforderlich sein.
  • Intubation: Wenn ein Patient diesen Schweregrad aufweist, muss er intubiert werden. Je nach Ausprägung der Muskelschwäche ist zusätzlich eine Beatmung erforderlich.

Ursachen von Myasthenia gravis

Wenn das eigene Immunsystem den Körper angreift, handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung. Bei einigen Patienten liegen genetische Ursachen vor, in den meisten Fällen sind die Ursachen für eine Autoimmunerkrankung wie Myasthenia gravis jedoch unbekannt. Es muss noch erforscht werden, warum sich die Antikörper gegen den eigenen Körper wenden und bei Myasthenie die Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln der Betroffenen stören. Einige Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang mit einer krankhaft veränderten Thymusdrüse, die einen wichtigen Anteil am Immunsystem hat.

In einem Großteil der Fälle bildet der Körper Antikörper gegen bestimmte Rezeptoren, sodass die Erregungsübertragung zwischen Nerv und Muskel nicht mehr normal ablaufen kann. Diese Antikörper, wie z.B. Acetylcholin-Rezeptor-, Anti-MUSK- oder LRP4-Antikörper, können im Blut nachgewiesen werden. In einigen Fällen kann als Ursache der Antikörper-Bildung eine Vergrößerung der Thymusdrüse (Thymom) im vorderen Brustraum nachgewiesen werden.

Symptome von Myasthenia gravis

Je nach Ausprägung und Person können sich die Symptome von Myasthenia gravis unterscheiden. Gemeinsam ist ihnen jedoch die Verstärkung der Symptome im Tagesverlauf, d. h. bei Belastung. Im Frühstadium der Myasthenie betrifft die Muskelschwäche häufig nur die Augen, in späteren Stadien breitet sie sich auch auf andere Skelettmuskeln aus. Muskeln in den Organen sind davon nicht betroffen.

Häufige Symptome sind:

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  • Lähmungen der äußeren Augenmuskeln und Lidheberschwäche
  • Doppeltsehen (Diplopie)
  • Schwächung der Muskeln, z. B. im Gesicht, in Armen und Beinen, aber auch der Atemmuskulatur
  • Taubheitsgefühle bis hin zu Lähmungserscheinungen
  • Muskelschwäche verstärkt sich im Tagesverlauf
  • Sprech-, Schluck- und Kauschwierigkeiten
  • Atembeschwerden durch eine Schwächung der Atemmuskulatur

Zusätzlich zu diesen Symptomen kann eine sogenannte myasthene Krise durch akute Infektionen, fehlende oder falsche Behandlung oder durch Medikamente ausgelöst werden.

Diagnose von Myasthenia gravis

Die Diagnose Myasthenia gravis wird durch verschiedene Verfahren gestellt. Insbesondere muss sie von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abgegrenzt werden, etwa dem Lambert-Eaton-Syndrom, Multipler Sklerose, Muskelschwund und Muskelschmerzen, Schlaganfall oder Hirntumor. Auch Medikamente können Symptome von Myasthenia gravis auslösen.

Zu den Untersuchungsmethoden gehören:

  • Eine körperliche Untersuchung, beispielsweise mit dem Simpson-, Pyridostigmin- und Tensilon-Test
  • Elektrophysiologische Untersuchung, bei der bestimmte Nerven mit niedrigen Frequenzen stimuliert werden
  • Labortests zum Nachweis spezifischer Antikörper im Blut
  • Bildgebende Verfahren wie die Computertomographie (CT) zur Abklärung einer veränderten Thymusdrüse oder eines Tumors
  • Eine Muskelbiopsie, um andere Krankheiten auszuschließen
  • Der quantitative Myasthenia gravis Test (QMG) zur Bestimmung des vorliegenden Schweregrades
  • Der Myasthenia gravis Activities of Daily Living Test (MG-ADL), der eine Aussage darüber zulässt, in welchem Grad der Alltag des Patienten beeinträchtigt ist.

Behandlung von Myasthenia gravis

Obwohl die Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis selten ist, ist sie gut erforscht und behandelbar. Ziel des individuellen Therapieplans ist es, die Patienten möglichst vollständig von Beschwerden zu befreien. Die Therapie der Myasthenie erfolgt individualisiert in Abhängigkeit von Verlaufsform und Schweregrad der Erkrankung. Als chronische Erkrankung ist eine regelmäßige Anpassung der Therapie notwendig.

Medikamentöse Therapie

Kortison, Immunsuppressiva, Acetylcholinesterasehemmer und Biologika gehören zu den Medikamenten, mit denen Myasthenia gravis behandelt wird. Acetylcholinesterasehemmer verbessern die Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln. Immunsuppressiva reduzieren die Produktion der Antikörper. In schweren Fällen können Plasmapherese (Entfernung der Antikörper aus dem Blut) oder intravenöse Immunglobuline (IVIG) helfen.

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Thymektomie

In vielen Fällen kann eine operative Entfernung des Thymus und des umgebenden Fettgewebes einen positiven Effekt auf die Erkrankung haben, insbesondere kann sie zu einer Dosisreduktion der Corticosteroide führen oder die Erkrankung sogar ausheilen. Die Entfernung der Thymusdrüse wird in den allermeisten Fällen mittels eines modernen minimalinvasiven Verfahrens durchgeführt, das durch einen OP-Roboter (DaVinci®) unterstützt wird.

Spezialisierte Therapie bei Beschwerden der Rachen- und Atemmuskulatur

Ein fachübergreifendes medizinisches Konzept umfasst:

  • Intensives Atemtraining durch Sport- und Ergotherapeuten
  • Sprach- und Schlucktherapie, wobei beispielsweise die Ernährung angepasst wird
  • Ergotherapeutische Beratung über eine mögliche Versorgung mit Hilfsmitteln
  • Psychologische Unterstützung zum Umgang mit der Erkrankung

Spezialisierte Ärzte und Zentren in Deutschland

Viele Kliniken und Ambulanzen in Deutschland haben sich auf die Diagnose und Behandlung von Myasthenia gravis spezialisiert. Einige Beispiele sind:

  • Kliniken der St. Augustinus Gruppe: Bieten eine umfassende medizinische Behandlung von der Diagnose über die Einteilung in die Schweregrade bis hin zu einem individuell erstellten Therapieplan, auch bei einer myasthenen Krise.
  • MEDICLIN Klinik Reichshof: Spezialisiert auf Therapien bei Störungen der Atem- und Rachenmuskulatur.
  • Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS): Bietet eine spezialisierte Versorgung für Myasthenia gravis.
  • Myasthenie-Ambulanz der LVR-Klinik Bonn: Eine der ersten Spezialambulanzen für die Behandlung dieser seltenen neuromuskulären Autoimmunerkrankung in Deutschland.
  • Interdisziplinäres Myastheniezentrum (iMZ) des Universitätsklinikums Münster: Hier kümmern sich Thoraxchirurgen, Physiotherapeuten, Logopäden und Neurologen Hand in Hand um die Betreuung der Betroffenen.
  • Klinik für Neurologie am Klinikum Altenburger Land: Verfügt über langjährige Erfahrungen in der Behandlung von Patienten mit Myasthenia gravis und ist ein von der Deutschen Myasthenie-Gesellschaft zertifiziertes integriertes Myasthenie-Zentrum.
  • Myasthenie-Ambulanz der Charité: Ein von der Deutschen Myasthenie Gesellschaft (DMG) zertifiziertes interdisziplinäres Myastheniezentrum.

Leben mit Myasthenia gravis

Die Myasthenie gilt heute überwiegend als gut behandelbar. Trotzdem kommt es bei einem Teil der Patienten zu lebensgefährlichen myasthenen Krisen. Eine frühzeitige Diagnose und eine individuelle Therapieplanung sind entscheidend für eine gute Lebensqualität.

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