Myasthenia gravis (MG), in Deutschland oft auch nur Myasthenie genannt, ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch eine Störung der Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln gekennzeichnet ist. Bei Autoimmunerkrankungen richtet sich das körpereigene Immunsystem aufgrund einer Fehlfunktion gegen eigentlich harmlose Zellen und/oder Gewebe des Körpers und greift diese an. Im Falle von Myasthenia gravis greifen die Antikörper Rezeptoren und Enzyme an, die für die Kommunikation zwischen Nervenzellen und Muskeln sehr wichtig sind. Dies führt zu einer belastungsabhängigen Muskelschwäche, die sich im Laufe des Tages verstärkt.
Ursachen und Risikofaktoren
Die genaue Ursache der Myasthenia gravis ist, wie bei vielen Autoimmunerkrankungen, nicht abschließend geklärt. Es wird jedoch vermutet, dass eine Fehlfunktion des Thymus eine wichtige Rolle spielt. Die Thymusdrüse, die sich hinter dem Brustbein befindet, ist an der Produktion von Antikörpern beteiligt. Bei vielen Patientinnen und Patienten mit Myasthenie ist die Thymusdrüse vergrößert und überaktiv. In einigen Fällen kann die Entfernung der Thymusdrüse (Thymektomie) die Symptome der Myasthenie verbessern. Es ist jedoch zu beachten, dass eine vergrößerte Thymusdrüse auch ein Anzeichen für einen Thymus-Tumor (Thymom) sein kann. Bei Patientinnen und Patienten mit einer Myasthenie findet sich bei 10 - 15 % der Betroffenen ein Thymom.
Auch hormonelle Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen. So tritt die Myasthenia gravis mit frühem Krankheitsbeginn bei Frauen dreimal häufiger auf als bei Männern. Einige betroffene Frauen berichten von einer Verschlechterung ihrer Symptome kurz vor dem Einsetzen ihrer Periode, wenn die Progesteron-Konzentration im Körper abfällt.
Weitere Risikofaktoren für die Entwicklung einer Myasthenia gravis sind:
- Vorliegen anderer Autoimmunerkrankungen, wie rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes oder Hashimoto-Thyreoiditis.
- Bestimmte Medikamente
- Stressfaktoren wie Infektionskrankheiten, Schlafmangel oder Alkoholkonsum.
Symptome
Das Hauptsymptom der Myasthenia gravis ist die belastungsabhängige Muskelschwäche. Die Symptome können von Person zu Person unterschiedlich sein und sich im Laufe der Zeit verändern. Typischerweise sind bestimmte Muskelgruppen häufiger betroffen als andere.
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Häufige Symptome sind:
- Augenmuskulatur: Hängende Augenlider (Ptose), Doppelbilder (Diplopie), Sehstörungen
- Gesichtsmuskulatur: Sprechstörungen (Dysarthrie), Schluckbeschwerden (Dysphagie), Kaubeschwerden, Mimikverlust
- Arme und Beine: Schwäche in Armen und Beinen, Schwierigkeiten beim Heben von Gegenständen, Probleme beim Treppensteigen
- Atemmuskulatur: Atemnot, Kurzatmigkeit, Schwäche der Atemmuskulatur (in schweren Fällen kann dies zu einer lebensbedrohlichen Ateminsuffizienz führen)
Die Symptome nehmen in der Regel bei Anstrengung und zum Abend hin zu. Erholungsphasen können helfen, die Beschwerden wieder zu lindern. Seelische Belastungen, Schlafmangel, Alkoholkonsum, Fieber sowie grippale Infekte können die Störungen ebenfalls verstärken.
Diagnose
Die Diagnose der Myasthenia gravis kann schwierig sein, da die Symptome oft unspezifisch sind und auch bei anderen Erkrankungen auftreten können. Ein großes Problem bei der Diagnose der Erkrankung ist, dass die Symptome dem Krankheitsbild häufig nicht richtig bzw. frühzeitig zugeordnet werden. Deshalb ist es wichtig, dass sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Angehörige und Betroffene besser darüber informiert werden, welche - oft unspezifischen - Anzeichen auf eine Myasthenie hinweisen können.
Zur Diagnose der Myasthenia gravis werden verschiedene Tests durchgeführt:
- Klinische Untersuchung: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte (Anamnese) und untersucht den Patienten auf körperliche Symptome wie Muskelschwäche, hängende Augenlider oder Doppelbilder.
- Neurologische Untersuchung: Eine gezielt durchgeführte neurologische Untersuchung kann weitere Hinweise auf das Vorliegen einer Myasthenia gravis geben. Dabei kommen u. a. Haltetests des Kopfes, der Arme und Beine oder bei oberer Lidschwäche der sogenannte Eisbeutel-Test zum Einsatz.
- Pharmakologischer Test: Ein Test, der sich z. B. für die Überprüfung von Sehstörungen und anderen Symptomen der Augen eignet, ist der pharmakologische Test mit Edrophoniumchlorid. Dabei handelt es sich um einen kurzwirksamen Cholinesterasehemmer. Wie bereits eingangs in diesem Ratgeber erwähnt, bauen Cholinesterasen das Acetylcholin an den Rezeptoren der motorischen Endplatte ab. Wenn diese Enzyme gehemmt werden, erhöht sich dadurch folgerichtig kurzzeitig die Konzentration von ACh an den Rezeptoren der Muskeln. Die Muskelspannung steigt dadurch für kurze Zeit an. Der Pyridostigmin-Test funktioniert ähnlich wie der Edrophiniumchlorif-Test, lediglich mit einem anderen Cholinesterasehemmer, nämlich mit dem namensgebenden Pyridostigmin. Der Test läuft ebenfalls ähnlich ab und wird ambulant durchgeführt. Primär wird er bei älteren Patientinnen und Patienten durchgeführt, indem 30-60 mg Pyridostigmin verabreicht werden. Allerdings nicht als Injektion, sondern oral.
- Blutuntersuchungen: Blutuntersuchungen sind wichtig, um Antikörper zu erkennen, die die Rezeptoren, an denen die Nervenimpulse die Muskeln ansteuern, beeinträchtigen oder die Enzyme, welche an der Bildung der Rezeptoren beteiligt sind. Getestet wird zum Beispiel auf Anti-Acetylcholinrezeptor-AK, Anti-MuSK-AK, Anti-LRP4-AK und Anti-Titin-AK. Auf Letztere wird das Blut untersucht, wenn der Verdacht auf Tumore der Thymusdrüse besteht, sogenannte Thymome.
- Elektromyographie (EMG): Repetitive Nervenstimulation und Einzelfaser- Elektromyographie (EMG) messen die elektrische Aktivität zwischen dem Gehirn und den Muskeln. Bei der Durchführung eines Elektromyogramms (EMG) werden Nerven einer wiederholten elektrischen Reizung ausgesetzt. Die dadurch entstehende elektrische Spannung am entsprechenden Muskel wird gemessen. So kann festgestellt werden, ob die Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel funktioniert.
- Bildgebende Verfahren: Eine Computertomographie (CT) mit Kontrastmittel des vorderen oberen Brustkorbs kann zum Nachweis einer bei der Myasthenie bedeutsamen möglichen Vergrößerung der Thymusdrüse bzw. eines Thymoms durchgeführt werden.
Behandlung
Für Autoimmunerkrankungen gilt weiterhin, dass man ihnen weder effektiv vorbeugen noch sie heilen kann. Die Myasthenia gravis ist nicht heilbar, aber gut einstellbar. Dank der heutigen Behandlungsmöglichkeiten ist der Verlauf der Erkrankung in der Regel günstig und führt nicht mehr zu einer Verkürzung der Lebenserwartung. Die meisten Patientinnen und Patienten können trotz Einschränkungen ihrer körperlichen Belastbarkeit ein weitgehend normales Leben führen und ihren Beruf ausüben. Es gibt jedoch keine Möglichkeit, die Muskelkraft vollständig wiederherzustellen. Alle Patientinnen und Patienten müssen ihre individuellen Belastungsgrenzen herausfinden. Es besteht die Hoffnung, dass zukünftige Forschung noch bessere Behandlungsmöglichkeiten hervorbringt.
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Die Behandlung der Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es gibt verschiedene Behandlungsansätze:
- Medikamentöse Therapie:
- Cholinesterasehemmer: Azetylcholin (ACh) wird durch das Enzym Azetylcholinesterase (AChE) abgebaut. Wird das Enzym medikamentös gehemmt, wird der Abbau des ACh vermindert und es steht mehr ACh zur Verfügung. Dadurch wird die Signalübertragung an der Schnittstelle zwischen Nervenfaser und Muskelzelle verbessert.
- Immunsuppressiva: Corticosteroide (z. B. Prednisolon) dämpfen als körpereigene Hormone die Überaktivität des Immunsystems und erzielen rasch eine deutliche Symptomverbesserung. Aufgrund der vielfältigen Nebenwirkungen - auch mit möglicher Zunahme der Lähmungen - erfolgt eine niedrig dosierte Gabe, ggf. in Kombination mit anderen Immunsuppressiva (z.B. Azathioprin oder Mycophenolatmofetil).
- Biologika: Bei schweren Verläufen können Biologika wie Eculizumab oder Rituximab eingesetzt werden, die gezielt bestimmte Bestandteile des Immunsystems angreifen.
- Thymektomie: Die operative Entfernung des Thymus kann bei einigen Patienten die Symptome der Myasthenia gravis verbessern. Teilweise wird auch eine Entfernung des Thymus erwogen, obwohl kein Tumor nachweisbar ist.
- Immuntherapie: In akuten Fällen, z. B. bei einer myasthenen Krise, können Immuntherapien wie Plasmapherese (Blutwäsche) oder intravenöse Immunglobuline (IVIG) eingesetzt werden, um die schädlichen Antikörper aus dem Körper zu entfernen oder zu neutralisieren. Bei der Immunadsorption wird Blut durch ein spezielles Filtersystem geleitet, das gezielt die schädlichen Antikörper bindet und herausfiltert. Antikörper, welche aus gepoolten Blutplasmaspenden von mehreren tausend Spendern gewonnen werden, um die Autoimmunreaktion bei Myasthenia gravis zu hemmen. Zur Therapie werden sie intravenös verabreicht.
Leben mit Myasthenia gravis
Der Alltag sollte auf die Erkrankung abgestimmt werden. So ist die Belastbarkeit am Morgen größer als am Abend und Ruhephasen zur Erholung sollten immer wieder eingeplant werden. Körperliche und psychische Belastungen wirken symptomverstärkend und sollten weitgehend vermieden werden.
Weitere Tipps für den Alltag mit Myasthenia gravis:
- Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung kann helfen, die Muskelkraft zu erhalten.
- Bewegung: Regelmäßige, leichte Bewegung kann die Muskeln stärken.
- Stressmanagement: Stress kann die Symptome der Myasthenia gravis verschlimmern. Entspannungstechniken wie Yoga oder Meditation können helfen, Stress abzubauen.
- Unterstützung: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann helfen, mit der Erkrankung besser umzugehen. Es gibt verschiedene Selbsthilfegruppen für Menschen mit Myasthenia gravis.
Gewichtszunahme bei Myasthenia gravis
Es gibt keine direkten Hinweise darauf, dass Myasthenia gravis selbst zu einer Gewichtszunahme führt. Allerdings können einige Faktoren im Zusammenhang mit der Erkrankung und ihrer Behandlung eine Gewichtszunahme begünstigen:
- Eingeschränkte körperliche Aktivität: Die Muskelschwäche kann dazu führen, dass Betroffene weniger aktiv sind und weniger Kalorien verbrauchen.
- Medikamente: Kortikosteroide, die häufig zur Behandlung der Myasthenia gravis eingesetzt werden, können als Nebenwirkung zu Gewichtszunahme führen.
- Ernährungsumstellung: Schluckbeschwerden können dazu führen, dass Betroffene ihre Ernährung umstellen und beispielsweise eher weiche, kalorienreiche Nahrungsmittel bevorzugen.
Wenn Sie unter Myasthenia gravis leiden und eine Gewichtszunahme feststellen, sollten Sie dies mit Ihrem Arzt besprechen. Er kann Ihnen helfen, die Ursachen der Gewichtszunahme zu ermitteln und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Ihr Gewicht zu kontrollieren.
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