Die Myasthenia gravis (MG), oft auch nur Myasthenie genannt, ist eine seltene neurologische Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche und schnelle Ermüdung gekennzeichnet ist. Stoffwechselprozesse in der Muskulatur werden durch Hormone auf unterschiedlichen Ebenen beeinflusst. Dabei werden insbesondere die Proteinsynthese, der Kohlenhydratstoffwechsel, die extra- und intrazellulären Elektrolytkonzentrationen und die Enzymaktivität im Muskel reguliert. Obwohl die Ursachen vielfältig sein können, besteht ein bekannter Zusammenhang zwischen Myasthenia gravis und anderen Autoimmunerkrankungen, insbesondere solchen, die die Schilddrüse betreffen. Dieser Artikel beleuchtet die Verbindung zwischen Myasthenia gravis und Schilddrüsenerkrankungen, insbesondere Hashimoto-Thyreoiditis und Hyperthyreose, und bietet einen umfassenden Überblick über Symptome, Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten.
Einführung in Myasthenia Gravis
Myasthenia gravis führt bei Betroffenen zu einer Störung der Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln. Genauer gesagt wird die Reizübertragung gestört, die normalerweise die Muskelspannung aktiviert und aufrechterhält (neuromuskuläre Übertragung). Das führt zu einer sogenannten belastungsabhängigen schweren Muskelschwäche. Die Augen sind bei Myasthenia gravis meist schon im Frühstadium von Symptomen betroffen. Dies kann zu Entzündungen und sogar zur Zerstörung von Gewebe und Organen führen. Die Muskelschwäche nimmt bei wiederholten Bewegungen und gegen Ende des Tages zu und wird durch Ruhe gemildert.
Die Rolle von Acetylcholin
Damit unsere Nerven mit unseren Muskeln kommunizieren können, um dort Muskelkontraktionen auszulösen und aufrechtzuerhalten, müssen sie chemische Botenstoffe freisetzen, sogenannte Neurotransmitter. Für die neuromuskuläre Übertragung ist vor allem der Botenstoff Acetylcholin (ACh) entscheidend. An der neuromuskulären Verbindungstelle, also den Rezeptoren der Muskeln, docken diese an und stimulieren die Muskulatur, welche sich dann zusammenzieht. Diese Rezeptoren sitzen auf der motorischen Endplatte. Bei der häufigsten Form der Myasthenie bildet das Immunsystem Antikörper gegen einen bestimmten Rezeptor der Muskeln, der auf den Neurotransmitter Acetylcholin reagiert (ACh-Rezeptoren), wodurch die Kommunikation zwischen Nervenzellen und Muskeln gestört wird, da das ACh nicht mehr „andocken“ kann.
Ursachen und Auslöser
Warum genau der Körper seine eigenen Acetylcholinrezeptoren angreift, ist, wie bei so vielen Autoimmunerkrankungen, nicht abschließend geklärt. Eine besondere Rolle wird jedoch einer Fehlfunktion des Thymus zugeschrieben. Zudem gibt es einige Betroffene, die keine Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren aufweisen, sondern gegen ein Enzym, welches an der Bildung und Regeneration der neuromuskulären Verbindungsstelle beteiligt ist.
Da es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, kommen verschiedene Auslöser infrage, welche eine Myasthenia gravis verursachen oder ihre Ausprägung verschlimmern können, bis hin zu einem Schub (myasthene Krise), den ca. 10-15 % aller Patientinnen und Patienten mit Myasthenie mindestens einmal im Leben erleiden. Auslöser eines solchen Schubs sind oft Infektionskrankheiten.
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Epidemiologie
Mit etwa einem Erkrankten auf 10.000 Personen zählt die Myasthenia gravis zu den seltenen Erkrankungen innerhalb der EU. Betroffen sind also vor allem Frauen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, während sich die Erkrankung bei Männern eher im höheren Alter zwischen dem 50. Und 80. Lebensjahr manifestiert. Prinzipiell kann die Autoimmunerkrankung jedoch bei beiden Geschlechtern in jedwedem Alter auftreten.
Myasthenia Gravis und Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse
Myasthenia gravis tritt übrigens häufig bei Patientinnen und Patienten auf, die bereits an einer anderen Autoimmunerkrankung leiden, zum Beispiel an rheumatoider Arthritis, systemischem Lupus erythematodes und Erkrankungen mit Überaktivität der Schilddrüse (autoimmune Hyperthyreose), wie etwa Hashimoto-Thyreoiditis. Bei etwa 25% der Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis treten weitere Erkrankungen auf.
Hashimoto-Thyreoiditis
Die Hashimoto-Thyreoiditis ist eine chronische Entzündung der Schilddrüse, die durch Autoantikörper verursacht wird. Autoimmun heißt, der Körper bildet fälschlicherweise Antikörper gegen die Schilddrüse, deren Gewebe als fremd angesehen wird. Etwa 30-40 % der Patienten mit Hypothyreose weisen Muskelbeschwerden auf. Die zusätzliche Kontrolle weiterer Organe im Sinne eines umfangreichen Gesundheitschecks wie Herz, Leber, Nieren oder Nebennieren ist aus ganzheitlicher Sicht notwendig.
Symptome der Hashimoto-Thyreoiditis
Die Symptome Erschöpfung, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Depression und Angstzuständen führen, wie bereits gesagt, oft zur Fehldiagnose Burn-out-Syndrom. Bei der Augenbeteiligung, der sogenannten "endokrinen Orbitopathie" treten Symptome auf wie Augentränen, gerötete Augen, Trockenheit der Augen, Blendungsempfindlichkeit oder Fremdkörpergefühl.
Diagnose der Hashimoto-Thyreoiditis
Mit der Schilddrüsensonographie lässt sich die zerstörte Binnenstruktur der Schilddrüse darstellen. Die typische Hashimoto-Schilddrüse zeigt in der Ultraschalluntersuchung dabei eine echoarme (dunkle) und unregelmäßige Struktur, die als "mottenfrass- oder leopardenfellartig" beschrieben werden kann. Im Labor werden Antikörper gegen die Schilddrüse gebildet.
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Hyperthyreose
Schilddrüsenfunktionsstörungen sind häufig, daher haben die daraus resultierenden Muskelfunktionsstörungen eine hohe Relevanz für die Praxis. Sowohl bei der Hyperthyreose als auch bei der Hypothyreose kann es zu einer Mitbeteiligung der Muskulatur kommen. Neben der Myasthenie, die bei Hypo- und Hyperthyreose auftreten kann, gibt es bei beiden Stoffwechsellagen unterschiedliche, klar voneinander abgrenzbare klinische Erkrankungsbilder. Bei einer Schilddrüsenüberfunktion tritt in bis zu 80 % eine Muskelschwäche auf; elektromyografische Veränderungen finden sich bei bis zu 90 % der Patienten.
Symptome der Hyperthyreose
Okuläre Symptome (trockenes Auge, Blendempfindlichkeit, Doppelbilder) werden von etwa 50 % der Patienten berichtet. Klinisch ist ein meist beidseitiger, auch asymmetrischer und meist schmerzhafter Exophthalmus mit Zurückbleiben des Oberlides bei Blicksenkung (Graefe), seltenem Lidschlag (Stellwag), Konvergenzschwäche (Moebius) und sichtbarer Sklera über der Kornea (Dalrymple) zu beobachten.
Pathogenese der Hyperthyreose-bedingten Myopathie
Pathogenetisch liegen den myopathischen Syndromen bei Hyperthyreose direkte Wirkungen von freiem T3 (Trijodthyronin) und T4 (Tetrajodthyronin) auf den Muskelstoffwechsel und dort v. a. Muskelsymptome treten meist mehrere Monate nach Beginn der Hyperthyreose auf und können bei 5 % der Patienten Hauptsymptom der Schilddrüsenerkrankung sein.
Klinische Manifestationen und Symptome
Die Symptome einer Myasthenia gravis sind sehr vielseitig und häufig auch typisch für andere Erkrankungen. Die Symptome selbst sind sehr vielseitig und häufig auch typisch für andere Erkrankungen. Das Kardinalssymptom ist viel mehr der Zeitpunkt, zu dem die Symptome auftreten bzw. sich intensivieren und wann sie nachlassen. Dabei sind bestimmte Muskelgruppen häufiger betroffen als andere. Typisch ist zum Beispiel die Ermüdung der Augenmuskulatur und der Augenlidbewegung. Auch die Mimik und die für Kauen, Sprechen und Schlucken zuständigen Muskelgruppen sind häufig (aber nicht immer) betroffen. Alle haben ganz individuelle Probleme, funktionelle Einbußen und körperliche Beeinträchtigungen.
Häufige Symptome
- Okuläre Symptome: Hängende Augenlider (Ptosis), Doppelbilder (Diplopie), Sehstörungen.
- Bulbäre Symptome: Schwierigkeiten beim Sprechen (Dysarthrie) und Schlucken (Dysphagie).
- Skelettmuskulatur: Schwäche der Extremitäten, Kopfhalteschwäche.
- Allgemeine Symptome: Müdigkeit, Erschöpfung, Kurzatmigkeit.
Myasthenische Krise
Gefahr geht vor allem von der krisenhaften Verschlechterung der Symptome im Rahmen einer sogenannten myasthenen Krise aus. Im Vordergrund stehen bei der myasthenen Krise die Schwäche der Atemmuskulatur in Verbindung mit dem Unvermögen der Lunge, genügend Sauerstoff aufzunehmen (respiratorische Insuffizienz) und der Gefahr, dass Flüssigkeiten oder Feststoffe in die Lungen gelangen (Aspiration).
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Diagnose von Myasthenia Gravis
Die Myasthenia gravis gehört zu den neurologischen Erkrankungen, die sich kaum auf den ersten Blick diagnostizieren lassen. Die ersten Anzeichen wie Erschöpfbarkeit, Müdigkeit oder Augenprobleme sind auf den ersten Blick relativ unspezifisch, zudem gibt es verschiedene Subtypen. Die Diagnose der Myasthenia gravis kann umso zielführender ablaufen, je besser Patientinnen und Patienten und deren Angehörige wissen, was sie bei einem Arzttermin erwartet.
Anamnese und klinische Untersuchung
Die Diagnostik beginnt mit der körperlichen Untersuchung des Patienten. Hierbei wird vor allem auf die Muskelkraft und eine Muskelermüdung bei wiederholter Beanspruchung geachtet. Es existieren mehrere Tests zur Beurteilung der Muskelfunktion. Die klinische Anamnese bezüglich der medizinischen Vorgeschichte nimmt einen sehr wichtigen Stellenwert ein, ähnlich wie die Erfahrung der behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Die Patientinnen und Patienten werden gezielt nach Doppelbildern, Kau- und Schluckbeschwerden, Gewichtsabnahme und der Verschlechterung der Symptomatik unter Belastung bzw.
Pharmakologische Tests
Ein weiterer Test, der sich z. B. für die Überprüfung von Sehstörungen und anderen Symptomen der Augen eignet, ist der pharmakologische Test mit Edrophoniumchlorid. Dabei handelt es sich um einen kurzwirksamen Cholinesterasehemmer. Der Pyridostigmin-Test funktioniert ähnlich wie der Edrophiniumchlorif-Test, lediglich mit einem anderen Cholinesterasehemmer, nämlich mit dem namensgebenden Pyridostigmin.
Blutuntersuchungen
Blutuntersuchungen sind wichtig, um Antikörper zu erkennen, die die Rezeptoren, an denen die Nervenimpulse die Muskeln ansteuern, beeinträchtigen oder die Enzyme, welche an der Bildung der Rezeptoren beteiligt sind. Getestet wird zum Beispiel auf Anti-Acetylcholinrezeptor-AK, Anti-MuSK-AK, Anti-LRP4-AK und Anti-Titin-AK. Auf Letztere wird das Blut untersucht, wenn der Verdacht auf Tumore der Thymusdrüse besteht, sogenannte Thymome.
Elektrophysiologische Untersuchungen
Repetitive Nervenstimulation und Einzelfaser- Elektromyographie (EMG) messen die elektrische Aktivität zwischen dem Gehirn und den Muskeln. Mit der Elektrophysiologie können mit einer Serienstimulation muskuläre Schwächen bereits frühzeitig objektiviert werden und ein Behandlungserfolg kontrolliert werden.
Bildgebung
Da bei etwa 10-15 % aller Patient*innen mit Myasthenie ein meist gutartiger Tumor des Thymus (Thymom) vorliegt, sollte eine CT- oder MRT-Untersuchung des Brustkorbs durchgeführt werden.
Therapieansätze bei Myasthenia Gravis
Die Therapie zielt auf eine Verbesserung der Muskelkraft und eine Wiederherstellung oder Beibehaltung der Lebensqualität ab. Die Einnahme der Medikamente ist in den meisten Fällen lebenslang notwendig. Damit gehen gewisse Risiken und Nebenwirkungen einher. Allerdings kann durch die Medikation eine Remission (Rückbildung) der Symptome erreicht werden, sodass eine normale Lebenserwartung und eine gute Lebensqualität möglich sind.
Medikamentöse Therapie
- Cholinesterasehemmer: Hier kommt insbesondere Pyridostigmin zum Einsatz. Beschwerden werden durch die Einnahme von Medikamenten, die die Wirkung des Acetylcholins an der motorischen Endplatte imitieren (Pyridostigmin und Neostigmin), verbessert.
- Immunsuppressiva: Tritt mit der Pyridostigmin-Therapie keine Besserung ein, können zusätzlich Medikamente aus der Gruppe der Kortikosteroide oder Immunmodulatoren eingesetzt werden, z. B. Kortison und Azathioprin.
- Akuttherapie: Als Akuttherapie bei schweren Symptomen, beispielsweise einer myasthenen Krise, können darüber hinaus intravenös verabreichte Immunglobuline oder eine Plasmapherese eingesetzt werden.
Thymektomie
In vielen Fällen ist eine Entfernung des Thymus (Thymektomie) wirksam.
Symptomatische Behandlung
Zur symptomatischen Behandlung der Augenprobleme können spezielle Brillen verwendet werden, die das herabhängende Lid oder Doppelbilder korrigieren. Auch eine Operation kann nötig sein.
Begleitende Therapien
Begleitend sollten Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und oder Schulungen erfolgen. Auch eine Bewegungs-, Trainings- und Entspannungstherapie kann sinnvoll sein.
Management von Begleiterkrankungen
Wegen der Vielzahl möglicher Begleit- und Folgeerkrankungen sollte bei Kontrolluntersuchungen von Hashimoto-Patienten nicht nur die Schilddrüse isoliert betrachtet werden, sondern im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung auch andere Organe wie z.B. Herz, Gefäße, Leber und Niere mit untersucht werden. Nahezu alle potentiellen Begleiterkrankungen einer Hashimoto-Thyreoiditis lassen sich durch die Bestimmung von spezifische Laborwerten in Kombination mit Ultraschalluntersuchungen ausschließen bzw. frühzeitig diagnostizieren.
Schilddrüsenmanagement
Bei Patienten mit sowohl Myasthenia gravis als auch Schilddrüsenerkrankungen ist eine sorgfältige Überwachung und Behandlung beider Erkrankungen erforderlich.
- Hashimoto-Thyreoiditis: Eine durch die Entzündung entstandenen Unterfunktion der Schilddrüse ist meist eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen notwendig.
- Hyperthyreose: Im Vordergrund der Therapie steht das endokrinologische Grundleiden, dessen erfolgreiche Behandlung (thyreostatische Medikation, Radiojodtherapie, Operation) in der Regel zu einer Rückbildung der Myopathie führt.
Ernährung und Lebensstil
Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis sollten ausreichende Ruhe- und Schlafzeiten einhalten, Stress und Überforderung meiden, Entspannungstechniken wie z. B.
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