Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche und schnelle Ermüdung gekennzeichnet ist. Obwohl sie nicht heilbar ist, können die Symptome in der Regel mit Medikamenten gelindert werden, so dass die meisten Patienten ein weitgehend normales Leben führen können.
Was ist Myasthenia gravis?
Myasthenia gravis (MG), oft auch nur Myasthenie genannt, ist eine seltene Autoimmunerkrankung, bei der die Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln gestört ist. Dies führt zu einer belastungsabhängigen Muskelschwäche und schnellen Ermüdbarkeit. Die Muskelschwäche kann einzelne oder mehrere Muskeln betreffen und tritt asymmetrisch auf. Bei der häufigsten Form der Myasthenie bildet das Immunsystem Antikörper gegen einen bestimmten Rezeptor der Muskeln, der auf den Neurotransmitter Acetylcholin reagiert (ACh-Rezeptoren), wodurch die Kommunikation zwischen Nervenzellen und Muskeln gestört wird, da das ACh nicht mehr „andocken“ kann.
Die Erkrankung betrifft schätzungsweise 16.000 Menschen in Deutschland. Sie kann in jedem Alter auftreten, aber nur etwa 10 % der Erkrankten sind jünger als 16 Jahre. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, wobei die Erkrankung bei Frauen oft früher (zwischen dem 2. und 3. Lebensjahrzehnt) und bei Männern später (zwischen dem 6. und 8. Lebensjahrzehnt) auftritt.
Ursachen und Risikofaktoren
Die genaue Ursache der Myasthenia gravis ist noch ungeklärt. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise körpereigene Strukturen angreift. Bei Myasthenia gravis werden Auto-Antikörper gebildet, die die Andockstellen (Rezeptoren) für den Botenstoff Acetylcholin blockieren oder zerstören. Acetylcholin ist wichtig für die Signalübertragung vom Gehirn zum Muskel.
Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang zwischen Myasthenia gravis und krankhaften Veränderungen des Thymus. Der Thymus ist ein Organ hinter dem Brustbein, in dem im Kindesalter verschiedene Zellen des Immunsystems gebildet werden. Bei etwa 10 Prozent aller Myasthenia-gravis-Patienten liegt ein Tumor im Thymus vor (Thymom), bei etwa 70 Prozent aller Patienten lässt sich im Thymus eine gesteigerte Aktivität nachweisen (Thymitis).
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Es gibt Hinweise darauf, dass Schwankungen in der Ausprägung der Symptome durch äußere Faktoren wie Infektionen, Entzündungen, seelische und psychische Belastungen wie Stress sowie weitere bestehende Erkrankungen hervorgerufen werden können. Bestimmte Medikamente können die Symptome ebenfalls verschlimmern.
Symptome
Die Symptome der Myasthenia gravis sind vielfältig und können von Person zu Person unterschiedlich sein. Typisch ist eine belastungsabhängige Muskelschwäche, die sich im Laufe des Tages verstärkt und nach Ruhephasen wieder bessert.
Häufige Symptome sind:
- herabhängendes Augenlid auf einer oder beiden Seiten (Ptosis)
- Doppelbilder (Diplopie)
- Schluckbeschwerden (Dysphagie)
- Sprechbeschwerden (Dysarthrie)
- Schwäche der Arme und Beine
- Erschöpfung
In etwa 50 % der Fälle beginnt die Erkrankung mit Sehstörungen durch Doppelbilder und Schwere der Oberlider, bei ca. 14 % treten Schluck- und Sprechstörungen zuerst auf und bei nur 8 % der Patienten ist eine Schwäche der Arme und Beine die Erstsymptomatik.
Diagnose
Die Diagnose der Myasthenia gravis umfasst in der Regel eine körperliche Untersuchung, eine Anamnese, neurologische Tests und Laboruntersuchungen.
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Zu den diagnostischen Verfahren gehören:
- Anamnese: Der Arzt fragt nach den Symptomen, der Krankengeschichte und eventuellen Vorerkrankungen.
- Körperliche Untersuchung: Der Arzt untersucht die Muskelfunktion und prüft, ob bestimmte Muskeln schnell ermüden.
- Simpson-Test: Der Patient soll über eine Minute lang aufwärts schauen. Bei Myasthenia gravis ermüden die Augenlider dabei rasch.
- Halteversuche: Es sollen nacheinander die Arme, die Beine und der Kopf angehoben und für ca. 90 Sekunden gehalten werden.
- Pharmakologischer Test: Dem Patienten wird ein Acetylcholinesterase-Hemmer verabreicht. Wenn sich die Symptome daraufhin verbessern, ist dies ein Hinweis auf Myasthenia gravis.
- Blutuntersuchung: Das Blut wird auf Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren oder andere Proteine untersucht, die an der Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln beteiligt sind.
- Elektrophysiologische Untersuchung: Der motorische Nerv, der zu dem betroffenen Muskel führt, wird mit einem niederfrequenten Impuls mehrfach stimuliert (Serienstimulation). Bei Myasthenia gravis fällt die Reizantwort bei wiederholter Reizung immer kleiner aus (Dekrement).
- Bildgebende Verfahren: Um die Ursache von Myasthenia gravis zu ermitteln beziehungsweise genauer zu erforschen, wird in vielen Fällen eine bildgebende Diagnostik (Magnetresonanztomografie (MRT), Computertomografie (CT) oder Röntgen) durchgeführt, bei der der Thymus genauer untersucht wird, um einen überproduktiven Thymus oder einen Tumor im Thymus zu erkennen.
Behandlung
Die Myasthenia gravis-Therapie ist rein symptomatisch, das heißt, sie lindert die Beschwerden, hält aber den Krankheitsverlauf nicht auf. Eine Heilung ist nicht möglich.
Zu den Behandlungsmöglichkeiten gehören:
- Acetylcholinesterase-Inhibitoren: Diese Medikamente verbessern die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln, indem sie den Abbau von Acetylcholin hemmen.
- Immunsuppressiva: Diese Medikamente unterdrücken das Immunsystem und reduzieren die Bildung von Auto-Antikörpern.
- Thymektomie: Bei Patienten mit einem Thymom oder einer Thymushyperplasie kann die operative Entfernung des Thymus (Thymektomie) sinnvoll sein.
- Plasmapherese/Immunadsorption: Diese Verfahren werden bei schweren Verläufen oder bei einer myasthenen Krise eingesetzt, um die Auto-Antikörper aus dem Blut zu entfernen.
- Intravenöse Immunglobuline (IVIg): Diese Antikörper von menschlichen Blutspendern mischen sich in die Immunantwort des Körpers ein und verhindern so die weitere Ausschüttung von Autoimmun-Antikörpern.
Viele Patienten mit Myasthenia gravis profitieren von einer Physiotherapie. Bei chronischen Schluckbeschwerden bietet sich die Schlucktherapie durch einen ausgebildeten Logopäden an.
Verlauf und Prognose
Die Prognose der Myasthenia gravis hat sich in den vergangenen Jahren durch Fortschritte in der medikamentösen Therapie deutlich verbessert. Patienten können heute ein weitgehend normales Leben führen, allerdings ist eine lebenslange Medikation erforderlich.
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Die Symptome bei Myasthenia gravis sind nie kontinuierlich, sodass Betroffene an manchen Tagen gar keine Beeinträchtigungen verspüren und an anderen sehr starken Einschränkungen unterworfen sind.
Unbehandelt entwickeln sich bei einer Myasthenia gravis die Symptome immer weiter, und es kommt mitunter zu schweren Komplikationen. Im Extremfall, wenn die Atemmuskulatur versagt, verläuft dies tödlich. In anderen Fällen ist eine lebenslange maschinelle Beatmung nötig. Da heutzutage Myasthenia gravis mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wird und Symptome häufig schon früh erkannt werden, sind solche schweren Verläufe allerdings wesentlich seltener geworden.
Myasthenische Krise
Bei der myasthenen Krise handelt es sich um eine gravierende Verschlechterung der Myasthenia gravis. Symptome sind dabei u. a. eine schwere Muskelschwäche, auch der Atem- und Schlundmuskulatur, mit Ateminsuffizienz und der Gefahr des Eindringens von flüssigen, festen oder gemischten Substanzen in die Luftröhre. Eine myasthenische Krise ist ein Notfall und muss umgehend intensivmedizinisch behandelt werden.
Ist Myasthenia gravis tödlich?
Die Myasthenia gravis ist in den meisten Fällen keine akut lebensgefährliche Erkrankung. Dank der heutigen Behandlungsmöglichkeiten ist der Verlauf der Erkrankung in der Regel günstig und führt nicht mehr zu einer Verkürzung der Lebenserwartung. Die meisten Patientinnen und Patienten können trotz Einschränkungen ihrer körperlichen Belastbarkeit ein weitgehend normales Leben führen und ihren Beruf ausüben.
Allerdings kann eine unbehandelte oder schlecht eingestellte Myasthenia gravis zu schweren Komplikationen führen, insbesondere zu einer myasthenen Krise, die lebensbedrohlich sein kann. Daher ist es wichtig, die Erkrankung frühzeitig zu erkennen und behandeln zu lassen.
Leben mit Myasthenia gravis
Mit einer guten Medikamenteneinstellung und einem angepassten Lebensstil können Menschen mit Myasthenia gravis ein weitgehend normales Leben führen.
Folgende Tipps können helfen:
- Nehmen Sie Ihre Medikamente regelmäßig ein.
- Vermeiden Sie Stress und Überanstrengung.
- Planen Sie regelmäßige Ruhepausen ein.
- Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung.
- Vermeiden Sie bestimmte Medikamente, die die Symptome verschlimmern können.
- Informieren Sie sich umfassend über die Erkrankung.
- Suchen Sie den Kontakt zu anderen Betroffenen.
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