Myasthenia gravis (MG), in Deutschland oft auch nur Myasthenie genannt, ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch eine Störung der Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln gekennzeichnet ist. Diese Störung führt zu einer belastungsabhängigen Muskelschwäche, die im Laufe des Tages zunimmt und sich durch Ruhephasen bessert. Obwohl die Erkrankung nicht heilbar ist, können die Symptome durch verschiedene Therapien gelindert und der Verlauf günstig beeinflusst werden.
Was ist Myasthenia gravis?
Myasthenia gravis bedeutet „schwere Muskelschwäche“. Bei dieser Autoimmunerkrankung stören fehlgesteuerte Antikörper die Kommunikation zwischen Nerv und Muskel. Die Erkrankung ist durch eine neuromuskuläre Störung zwischen den Nerven und Muskeln gekennzeichnet, die dazu führt, dass die Betroffenen Schwierigkeiten haben, ihre Muskeln kontrolliert zu benutzen. Die Impulsübertragung zwischen Nerv und Muskel steuert der Botenstoff Acetylcholin, den der Muskel durch Rezeptoren aufnimmt. Bei der Myasthenie wird diese Kommunikation jedoch blockiert.
Ursachen und Risikofaktoren
Bei Myasthenia gravis werden sogenannte Autoantikörper gebildet, die sich gegen körpereigenes Gewebe richten. Sie docken an den Rezeptoren der Muskelzelle an und blockieren oder verändern diese. An den besetzten Rezeptoren können dann keine Botenstoffe aus der Nervenzelle mehr andocken und die Signalübertragung auf den Muskel wird verhindert. Warum genau der Körper seine eigenen Acetylcholinrezeptoren angreift, ist, wie bei so vielen Autoimmunerkrankungen, nicht abschließend geklärt.
Es ist noch nicht abschließend geklärt, durch welche Faktoren eine Myasthenia gravis verursacht wird, allerdings wird vermutet, dass u. a. die Thymusdrüse eine entscheidende Rolle dabei spielen könnte. Bei 50-60 % der Patient:innen mit Myasthenia gravis kann eine Vergrößerung der Thymusdrüse festgestellt werden. Die Thymusdrüse steht daher unter Verdacht, bei der Produktion der Autoantikörper bei Myasthenia gravis beteiligt zu sein. Gleichzeitig können Thymome somit auch für entsprechende Veränderungen der Thymusdrüse verantwortlich sein, die in der Folge zu Myasthenia gravis führen. Bei Patientinnen und Patienten mit einer Myasthenie findet sich bei 10 - 15 % der Betroffenen ein Thymom.
Es gibt Hinweise darauf, dass bestimmte Hormone wie Östrogene oder Progesteron das Risiko einer Myasthenia gravis erhöhen oder die Erkrankung zumindest beeinflussen können. Neben hormonellen Schwankungen können auch verschiedene Stressfaktoren die Symptome einer Myasthenia gravis verschlimmern. Zu diesen Stressfaktoren gehören beispielsweise fieberhafte Infekte, bestimmte Medikamente, grelles Licht oder Wärme/Hitze. Genetische Faktoren scheinen bei der Myasthenia gravis weniger eine Rolle zu spielen: Nur etwa 4-7 % der Erkrankungsfälle sind mit einer familiären Häufung assoziiert.
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Symptome
Die Symptome der Myasthenia gravis sind sehr vielseitig und können sich im Laufe der Zeit verändern. Das Kardinalssymptom ist viel mehr der Zeitpunkt, zu dem die Symptome auftreten bzw. sich intensivieren und wann sie nachlassen. Die Symptome nehmen in der Regel bei Anstrengung und zum Abend hin zu. Erholungsphasen können helfen, die Beschwerden wieder zu lindern. Seelische Belastungen, Schlafmangel, Alkoholkonsum, Fieber sowie grippale Infekte können die Störungen ebenfalls verstärken. Die Ausprägung und das Voranschreiten der Symptome ist bei den Betroffenen und im zeitlichen Verlauf jedoch sehr unterschiedlich. Alle haben ganz individuelle Probleme, funktionelle Einbußen und körperliche Beeinträchtigungen.
Typisch für den Krankheitsverlauf bei einer Myasthenia gravis ist, dass sich die Erkrankung häufig zunächst nur auf die Augenmuskeln, die sogenannte okuläre Muskulatur, auswirkt. Bei etwa 85 % der Betroffenen äußern sich die ersten Symptome in diesem Bereich beispielsweise durch das Hängen der Augenlider (Ptose) oder das Sehen von Doppelbildern (Diplopie).
Weitere Symptome können sein:
- Sprechstörungen (abgehacktes, stakkatoartiges, gehauchtes, unregelmäßiges, unpräzises und monotones Sprechen)
- Schluckbeschwerden
- Kaubeschwerden
- Schwäche der Arme und Beine
- Atembeschwerden
In schweren Fällen kann es zu einer myasthenen Krise kommen, einem lebensbedrohlichen Zustand, der durch eine rasche Verschlechterung der Symptomatik verursacht wird. Die Betroffenen benötigen meist eine mechanische Beatmung und/oder künstliche Ernährung.
Diagnose
Ein großes Problem bei der Diagnose der Erkrankung ist, dass die Symptome dem Krankheitsbild häufig nicht richtig bzw. frühzeitig zugeordnet werden. Die Diagnose der Myasthenia gravis kann umso zielführender ablaufen, je besser Patientinnen und Patienten und deren Angehörige wissen, was sie bei einem Arzttermin erwartet.
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Zur Diagnose der Myasthenia gravis werden verschiedene Tests durchgeführt:
- Klinische Anamnese: Die Ärztin/der Arzt erfragt die medizinische Vorgeschichte und untersucht spezifische Symptome wie Doppelbilder, Kau- und Schluckbeschwerden sowie die Verschlechterung der Symptomatik unter Belastung.
- Pharmakologischer Test mit Edrophoniumchlorid: Hierbei wird ein Cholinesterasehemmer injiziert, der die Konzentration von Acetylcholin an den Rezeptoren der Muskeln kurzzeitig erhöht. Eine Verbesserung der Muskelspannung nach der Injektion deutet auf Myasthenia gravis hin.
- Pyridostigmin-Test: Dieser Test funktioniert ähnlich wie der Edrophoniumchlorid-Test, jedoch mit dem Cholinesterasehemmer Pyridostigmin, der oral verabreicht wird.
- Blutuntersuchungen: Diese dienen dazu, Antikörper zu erkennen, die die Rezeptoren beeinträchtigen oder die Enzyme beeinflussen, die an der Bildung der Rezeptoren beteiligt sind. Getestet wird zum Beispiel auf Anti-Acetylcholinrezeptor-AK, Anti-MuSK-AK, Anti-LRP4-AK und Anti-Titin-AK.
- Repetitive Nervenstimulation und Einzelfaser-Elektromyographie (EMG): Diese Verfahren messen die elektrische Aktivität zwischen dem Gehirn und den Muskeln.
- Lungenfunktionstests: Diese werden durchgeführt, um zu prüfen, ob die Erkrankung Auswirkungen auf die Atmung hat.
- Bildgebende Verfahren: Eine CT- oder MRT-Untersuchung des Brustkorbs kann eine Vergrößerung der Thymusdrüse oder einen Tumor (Thymom) aufdecken.
Therapie
Ziel der Therapie bei Myasthenia gravis ist es, eine weitgehende Beschwerdefreiheit bei guter Verträglichkeit der Therapie zu erreichen. Die Erkrankung ist zwar nicht heilbar, es existieren jedoch medikamentöse Therapien, die durch eine Verbesserung der Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel die Symptome der Erkrankung lindern können. Gleichzeitig können sie den Verlauf der Erkrankung günstig beeinflussen.
Folgende Therapieansätze stehen zur Verfügung:
- Acetylcholinesterasehemmer: Diese Medikamente (z.B. Pyridostigmin) hemmen den Abbau des Botenstoffes Acetylcholin und verbessern so die Reizübertragung von den Nerven zu den Muskeln.
- Kortikosteroide: Kortison zählt zu den Standardtherapeutika. Mit dem körpereigenen Hormon wird die Überaktivität des Immunsystems gedämpft.
- Immunsuppressiva: Sie werden eingesetzt, um die Neubildung von Antikörpern zu bremsen. Sie haben in der Regel während einer Langzeitbehandlung weniger starke Nebenwirkungen als Kortison. Der Behandlungserfolg tritt mit diesen Medikamenten jedoch erst mit einer gewissen Verzögerung ein.
- Biologika: Neuartige monoklonale Antikörper wie Rituximab und Eculizumab greifen spezifisch in den Krankheitsprozess ein und können das Krankheitsgeschehen in bestimmten Konstellationen nachhaltig positiv zu beeinflussen.
- Thymektomie: Die Entfernung der Thymusdrüse kann in einigen Fällen zur Besserung der Myasthenie-Symptome führen, insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit einem Thymom oder einer Vergrößerung der Thymusdrüse.
Zusätzlich zur medikamentösen Therapie können begleitende Maßnahmen wie Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie helfen, dieFunktionsfähigkeit der Muskeln zu verbessern und den Alltag besser zu bewältigen.
Leben mit Myasthenia gravis
Dank der heutigen Behandlungsmöglichkeiten ist der Verlauf der Erkrankung in der Regel günstig und führt nicht mehr zu einer Verkürzung der Lebenserwartung. Die meisten Patientinnen und Patienten können trotz Einschränkungen ihrer körperlichen Belastbarkeit ein weitgehend normales Leben führen und ihren Beruf ausüben. Es gibt jedoch keine Möglichkeit, die Muskelkraft vollständig wiederherzustellen. Alle Patientinnen und Patienten müssen ihre individuellen Belastungsgrenzen herausfinden.
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Es ist wichtig, den Alltag auf die Erkrankung abzustimmen. So ist die Belastbarkeit am Morgen größer als am Abend, und Ruhephasen zur Erholung sollten immer wieder eingeplant werden. Körperliche und psychische Belastungen wirken symptomverstärkend und sollten weitgehend vermieden werden.
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