Ein Schlaganfall kann vielfältige Folgen haben, eine davon ist die Aphasie. Mehr als ein Drittel aller Schlaganfallpatienten sind davon betroffen, und bei einem erheblichen Teil (30-43 %) bleibt die Sprachstörung langfristig bestehen. Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung, die durch eine Schädigung des Gehirns entsteht. In 80 Prozent der Fälle ist ein Schlaganfall die Ursache. Der Begriff "Aphasie" stammt aus dem Griechischen und bedeutet "keine Sprache" oder "Sprachverlust". Es handelt sich dabei nicht um ein Problem der Mundmuskulatur oder Motorik wie beim Stottern oder einer Gesichtslähmung.
Ursachen und Häufigkeit
Die Aphasie entsteht infolge einer Hirnschädigung, meist durch einen Schlaganfall. Laut der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe sind Schlaganfälle in 80 Prozent der Fälle die Ursache. Etwa 30 Prozent der Menschen, die ihren ersten Schlaganfall erleiden, entwickeln eine Aphasie. Glücklicherweise erholt sich etwa ein Drittel dieser Betroffenen innerhalb von vier Wochen wieder von der Sprachstörung und erlebt eine weitestgehende Normalisierung der Sprachfunktion. In Deutschland erkranken jährlich über 25.000 Menschen neu an einer Aphasie. Die Prävalenz zerebrovaskulär bedingter Aphasien wird auf ca. 85.000 bis 100.000 geschätzt.
Weitere Ursachen für eine Aphasie können sein:
- Schädel-Hirn-Trauma
- Tumoren
- Hirnblutungen
- Entzündungen
- Erkrankungen des zentralen Nervensystems
Formen der Aphasie
Je nach betroffenem Hirnareal und Schweregrad der Schädigung unterscheidet man verschiedene Formen der Aphasie, die sich in ihren Symptomen und Auswirkungen unterscheiden. Die Aphasie ist in der Regel eine multimodale sprachliche Störung, d. h. Patientinnen mit Aphasie weisen zumindest in der akuten Phase der Erkrankung nicht nur Defizite beim Sprechen sondern häufig auch beim Lesen, Schreiben und Sprachverständnis auf. In seltenen Fällen kann es auch zu Monophasien kommen. Patientinnen zeigen dann isolierte Störungen in nur einer sprachlichen Modalität.
Die vier Hauptformen sind:
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- Globale Aphasie: Die schwerste Form der Aphasie. Sprachverständnis und eigene Sprache sind massiv gestört, ganze Sätze sind selten. Betroffene nutzen häufig einzelne Worte und wiederkehrende Halbsätze und Floskeln. Auch ein Wort für sich zu verstehen (ohne aus der Situation zu schließen) fällt Betroffenen schwer.
- Broca-Aphasie: Der Sprachfluss ist oft sehr langsam und wirkt angestrengt. Betroffene sprechen meist in kurzen, einfachen Sätzen oder reihen sogar inhaltstragende Wörter einzeln aneinander - das lässt ihre Sprache technisch, im Telegrammstil, erscheinen. Häufig ist die Sprache durch Wortfindungsstörungen erschwert. Das Sprachverständnis ist jedoch meist relativ gut erhalten.
- Wernicke-Aphasie: Die Wahl der passenden Wörter, Sätze oder Laute fällt oft schwer und auch das Sprachverständnis ist meist stark gestört. Betroffene sprechen in langen Schachtelsätzen, in denen sich Satzteile oder Abschnitte wiederholen. Sie können zwar flüssig sprechen, das Gesprochene aber nicht mit Inhalt füllen.
- Amnestische Aphasie: Diese leichteste Aphasieform fällt oft erst spät auf. Betroffene zeigen Wortfindungsstörungen in der Spontansprache und beispielsweise beim direkten Benennen von Gegenständen. Sie können dies in der Regel durch Redefloskeln oder Umschreibungen kaschieren.
Diagnose
Die Diagnose einer Aphasie erfolgt durch eine umfassende neurolinguistische/logopädische und neuropsychologische Untersuchung. Dabei werden verschiedene Bereiche der Sprachfunktion geprüft:
- Lautstruktur (Phonologie)
- Wortgestalt (Morphologie)
- Satzbau (Syntax)
- Wort- und Satzbedeutung (Semantik)
- Sprachverständnis
- Lesen (Dyslexie)
- Schreiben (Dysgraphie)
- Sprechbewegungen (Sprechapraxien)
- Artikulation, Stimmgebung und Sprechatmung (Dysarthrophonie)
Zusätzlich werden weitere Bereiche wie Konzentration, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Wahrnehmung, Handlungsplanung und Rechenfähigkeit erfasst.
Therapie
Ziel der Aphasietherapie ist es, die Kommunikationsfähigkeit der Betroffenen so gut wie möglich zu verbessern und vorhandene Fähigkeiten zu fördern. Die Therapie sollte so früh wie möglich beginnen, idealerweise bereits im Akutkrankenhaus oder in der stationären Reha. Studien haben gezeigt, dass eine intensive Sprachtherapie besonders effektiv ist.
Die Therapie kann folgende Module umfassen:
- Sprachtherapie (Logopädie und/oder Linguistik)
- Computerunterstützte Sprachtherapie
- Neuropsychologische Therapie
- Physiotherapie
- Ergotherapie
- Physikalische Therapien
Die Therapien finden in der Regel in Einzel- und Gruppentherapien statt. Ein wesentliches Ziel ist es, Aphasiker*innen wieder in die Lage zu versetzen, trotz eventueller Einschränkungen wieder möglichst selbstständig im Alltag zurechtzukommen.
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Technische Hilfsmittel
Technische Entwicklungen erleichtern Therapeuten die Behandlung und Betroffenen ihren Alltag. Dazu gehören beispielsweise Sprachapps wie Neolexon, Constant Therapy, Tactus oder Lingraphica und spezielle Computerprogramme wie EvoCare, aphasiaware und Lingware. Studien wie die Big-CACTUS-Studie von 2019 zeigen, dass Patienten mit Sprachapps und Sprachsoftware zur Aphasie-Behandlung größere Fortschritte erzielen als ohne die Übungen.
Die Big-CACTUS-Studie ist die erste randomisierte, kontrollierte Multicenterstudie, in der klinische Wirksamkeit und Kosteneffektivität eines selbst gesteuerten Wortfindungstrainings mit spezieller Computersoftware (Computerised Speech and Language Therapy; CSLT) bei Patienten mit chronischer Aphasie nach Apoplex geprüft wurden.
Intensives Sprachtraining
Allerdings zeigen inzwischen einige Studien, dass intensives Sprachtraining als Therapie auch sechs Monate oder länger nach dem auslösenden Schlaganfall zu einer entscheidenden Verbesserung der Sprachstörung und der Lebensqualität der Aphasiker und Aphasikerinnen führen kann - beispielsweise die FCET2EC- Studie aus Deutschland, die 2017 erschien. Intensives Sprachtraining bedeutete in der Studie: mindestens zehn Stunden pro Woche bei mindestens drei Wochen Dauer des Intensivtrainings. Auch durch Betroffene selbst gesteuertes Sprachtraining per Software konnte bei chronischer Aphasie die Wortfindung effektiv verbessern (auch das konnte die BigCACTUS-Studie zeigen).
Ergebnisse der Big-CACTUS-Studie
In der Big-CACTUS-Studie wurden 278 Patienten mit Wortfindungsstörungen nach Schlaganfall randomisiert in 3 Gruppen eingeteilt: CSLT, übliche Behandlung und übliche Behandlung plus Aufmerksamkeitsförderung durch Arbeit mit Rätselbüchern. Die CSLT-Gruppe sollte täglich 20-30 Minuten 6 Monate lang mit der StepByStep-Aphasia-Software üben. Nach 12 Monaten zeigte sich, dass die Wortfindung in der CSLT-Gruppe um 16,2 % statistisch signifikant besser war als in der Gruppe mit üblicher Behandlung und um 14,4 % besser als in der Gruppe mit Aufmerksamkeitskontrolle. Der Effekt hielt auch an den Kontrollterminen nach 9 und 12 Monaten an. Es gab keine Unterschiede in der Funktionalität in der verbalen Kommunikation und bei der subjektiven Wahrnehmung der eigenen Kommunikation. In einer Subgruppenanalyse zeigte sich keine Abhängigkeit zwischen Therapieerfolg und zeitlichem Abstand zum Schlaganfall. Die gesundheitsökonomische Analyse ergab, dass das PC-Sprachtraining in Eigenregie bei milden oder mäßigen Wortfindungsstörungen kosteneffektiver war als für die Gesamtgruppe der Aphasie-Patienten.
Leben mit Aphasie
Eine Aphasie verändert das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen grundlegend. Die Kommunikation ist erschwert, und es kann zu sozialer Isolation kommen. Es ist wichtig, dass Betroffene und Angehörige lernen, mit der Situation umzugehen und neue Kommunikationsstrategien entwickeln.
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Tipps für den Umgang mit Aphasikern
- Behandeln Sie den oder die Aphasiker*in als Gesprächspartner auf Augenhöhe.
- Nehmen Sie der aphasischen Person „nicht das Wort aus dem Mund“.
- Sprechen Sie nicht über sieihn, sondern mit ihrihm.
- Sprechen Sie in normaler Sprache und in einfachen Sätzen.
- Sprechen Sie langsam, klar und deutlich.
- Versuchen Sie Fragen vorzugsweise so zu formulieren, dass sie mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können.
- Korrigieren Sie nicht.
- Halten Sie Blickkontakt.
- Setzen Sie alle Mittel der Kommunikation ein: Gesten und Mimik, zeichnen oder schreiben Sie, wenn nötig, zeigen auf Gegenstände oder Abbildungen und motivieren gegebenenfalls auch dendie Betroffenen ebenfalls dazu.
- Warten Sie geduldig auf eine Antwort.
- Sorgen Sie im Gespräch für eine ruhige Umgebung und schalten Sie störende Geräuschquellen wie Radio oder TV möglichst aus.
- Wenn der*die Betroffene in einem Satz nicht weiterkommt, drängen Sie nicht. Gegebenenfalls ist es auch hilfreich, zunächst das Thema zu wechseln. Ein erneuter späterer Versuch ist oft erfolgreich.
- Manche Betroffene sind leichter gereizt oder haben Gefühlsschwankungen. Hierbei handelt es sich um häufige Begleitsymptome der Grunderkrankung. Versuchen Sie dennoch verständnisvoll und geduldig zu sein.
Selbsthilfe
Vielen Aphasiker*innen und ihren Angehörigen hilft der Austausch mit anderen Betroffenen, wie er beispielsweise in Selbsthilfegruppen möglich ist. Der Bundesverband Aphasie bietet regionale Gruppen an, sowohl für Betroffene als auch für Angehörige.
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