Nervenschäden bei Operationen: Ursachen, Diagnose und Behandlung

Nervenverletzungen während Operationen können eine Vielzahl von Ursachen haben und zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität führen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Diagnosemethoden und Therapieansätze von Nervenschäden, die im Rahmen chirurgischer Eingriffe auftreten können.

Einführung

Nervenverletzungen während Operationen sind ein komplexes Thema im Bereich des Medizinrechts. Obwohl nicht jeder Nervenschaden auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen ist, können sie dennoch schwerwiegende Folgen für die Betroffenen haben. Es ist wichtig, die verschiedenen Ursachen, Diagnosemethoden und Behandlungsmöglichkeiten zu verstehen, um eine angemessene Versorgung und Entschädigung zu gewährleisten.

Ursachen von Nervenschäden bei Operationen

Nerven können während operativer Eingriffe auf verschiedene Weisen geschädigt werden. Zu den häufigsten Ursachen zählen:

  • Direkte Schädigung: Nerven können durchtrennt, gequetscht, durch Cerclagen komprimiert oder von Schrauben durchbohrt werden. Auch die Entfernung von Osteosynthesematerial kann zu Nervenläsionen führen.
  • Indirekte Schädigung: Nerven können durch Retraktoren gedehnt, mit einem elektrischen Messer durchtrennt oder durch aushärtenden Knochenzement oder Koagulation thermisch geschädigt werden. Druck durch Lagerung oder Zug während der Narkose, Injektion neurotoxischer Substanzen, Kompression durch ein Hämatom nach Punktion oder unter Antikoagulation, Tourniquet (Blutleere), Orthesen oder Verbände sowie Bestrahlung können ebenfalls Nervenschäden verursachen.
  • Nicht erkannte Nerven: Nerven können durchtrennt werden, weil sie im Operationsfeld nicht dargestellt oder nicht als Nerv erkannt, sondern als Sehne oder Gefäß verkannt wurden. Sie können auch zusammen mit einem Nervenscheidentumor oder einem Lymphknoten entfernt werden.

Bestimmte Risikofaktoren können die Wahrscheinlichkeit postoperativer Neuropathien erhöhen. Dazu zählen Vorerkrankungen der peripheren Nerven, Diabetes, sehr hoher oder sehr niedriger Body-Mass-Index, periphere Gefäßerkrankungen, Alkoholabhängigkeit oder Arthritis. Auch eine subjektiv erniedrigte Schmerzschwelle oder eine pessimistische Erlebnisverarbeitung können die empfundene Stärke von Nervenschmerzen beeinflussen.

Gefährdende Eingriffe und Regionen

Einige chirurgische Maßnahmen sind häufiger mit Nervenläsionen verbunden. Dazu gehören:

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  • Osteosynthese und Osteotomie
  • Arthrodesen
  • Lymphknotenbiopsie im hinteren Halsdreieck
  • Karpaltunneloperation
  • Varizenentfernung
  • Entfernung einer Bakerzyste
  • Leistenhernien-Operation

Besonders gefährdet sind Regionen, in denen Nerven oberflächlich verlaufen, nahe beieinander liegen oder in der Nähe der Zielstruktur liegen. Dazu zählen der Karpalkanal und das Handgelenk, das hintere Halsdreieck und der Bereich des Knies einschließlich der Kniekehle. Der N. ulnaris am Ellenbogen und der N. peroneus am Caput fibulae sind aufgrund ihrer oberflächlichen Lage ebenfalls besonders gefährdet.

Häufig betroffene Nerven

Zu den am häufigsten betroffenen Nerven bei iatrogenen Nervenläsionen zählen:

  • N. medianus (häufig bei Karpaltunneloperationen)
  • N. accessorius (häufig bei Lymphknotenbiopsien im hinteren Halsdreieck)
  • N. radialis
  • N. peroneus
  • N. ulnaris
  • N. femoralis

Der Nervus cutaneus femoris lateralis

Der Nervus cutaneus femoris lateralis kann durch Druck und Verletzungen geschädigt werden. Er vermittelt die Empfindung von Berührung, Schmerz und Temperatur am seitlichen und vorderen Oberschenkel. Eine Einklemmung (Kompression) im Bereich des Leistenbandes ist die häufigste Ursache der Nervenschädigung; dies wird Meralgia paraesthetica genannt. Symptome sind Kribbeln, brennende Schmerzen, Missempfindungen und Taubheit an der Vorder- bzw. Außenseite des Oberschenkels. Die Symptome werden bei vielen Patient*innen stärker, wenn sie das Hüftgelenk strecken, also das Bein nach hinten führen.

Diagnose von Nervenschäden

Die Diagnose einer iatrogenen Nervenläsion ist in der Regel einfach. Wenn bei einem vorher asymptomatischen Patienten nach einer ärztlichen Maßnahme ein neurologisches Defizit auftritt, besteht in den meisten Fällen ein Zusammenhang mit dieser Handlung.

Klinische Untersuchung

Eine gute Anamnese und die klinisch-neurologische Untersuchung durch einen erfahrenen Neurologen oder Chirurgen sind entscheidend. Dabei sollten folgende Fragen geklärt werden:

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  • Um welche Art der Schädigung handelt es sich (Durchtrennung, Druck, Dehnung)?
  • Wo ist der Ort der Läsion?
  • Was ist zu tun?

Neurophysiologische Untersuchungen

Eine obligat ergänzende elektrophysiologische Untersuchung ist hilfreich im Hinblick auf die Läsionshöhe und das Regenerationspotenzial. Diese messen die Nervenleitgeschwindigkeit (NLG), die bei Nervenkompressionen stark vermindert sein kann. Durch ein EMG kann evtl. festgestellt werden, welche Muskulatur mit betroffen ist.

Bildgebende Verfahren

Moderne bildgebende Verfahren wie Neurosonographie und MRN (Magnetresonanz-Neurographie) mit speziellen Sequenzen können bei entsprechender Expertise des durchführenden Facharztes wichtige Informationen liefern. Eine MRT kann helfen, die Diagnose zu erhärten.

Weitere diagnostische Maßnahmen

  • Testinfiltration mit Lokalanästhetikum: Kann zur Diagnostik und evtl. zur Therapie sehr hilfreich sein.
  • Klinische Testung: Ein erfahrener Operateur sollte nie auf eine gründliche klinische Testung (positives Klopfzeichen, Hofmann-Tinel-Zeichen) verzichten.
  • Präoperative Nervenblockade: Durch eine präoperative Nervenblockade können die Erfolgsaussichten für eine OP eingeschätzt werden, indem man ein lokales Betäubungsmittel injiziert.
  • Röntgenaufnahme: Eine Röntgenaufnahme des Gelenks oder der umgebenden Knochen ist erforderlich, um hier eine knöcherne Druck-Ursache auszuschließen zu können.
  • Nicht-invasive Nervenmessung (PSSD): Kann die Veränderung der Gefühlsempfindung nachgewiesen werden. Auch postoperative Verbesserungen der Werte können hiermit ermittelt werden.

Therapie von Nervenschäden

Die Therapie von Nervenverletzungen hängt vom Schweregrad der Verletzung und den individuellen Gegebenheiten des Patienten ab.

Konservative Behandlung

Nicht immer ist eine Behandlung notwendig. Bei einem Viertel der Betroffenen bessern sich die Beschwerden spontan. Eine Physiotherapie kann die Beschwerden lindern. Ein durch die Nervenschädigung bedingter Schmerz (neuropathischer Schmerz) sollte frühzeitig mit einer Schmerztherapie behandelt werden. Es kann vorteilhaft sein, mehrere Behandlungsmethoden zu kombinieren. Außerdem kann ein Medikament zur örtlichen Betäubung in das Gewebe gespritzt werden (Infiltration). Auch Kortison kommt hier manchmal in Betracht.

Medikamentöse Therapie bei neuropathischen Schmerzen

Typischerweise gegen neuropathische Schmerzen eingesetzte Medikamente sind unter anderem Antikonvulsiva, trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer oder Opioide. Eine lokale Therapie erfolgt zum Beispiel mittels Lidocain-Pflastern. Meistens ist es sinnvoll, mehrere Medikamente miteinander zu kombinieren.

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Nicht-medikamentöse Therapie bei neuropathischen Schmerzen

Die nicht-medikamentöse Behandlung neuropathischer Schmerzen erstreckt sich unter anderem auf warme Fußbäder, transkutane elektrische Nervenstimulation, Akupunktur, milde Infrarotstrahlung, Applikation von Kälte, Physio- und Ergotherapie und Psychotherapie (Verbesserung der Schmerzakzeptanz).

Invasive Therapie bei neuropathischen Schmerzen

Manchmal ist es sinnvoll beziehungsweise erforderlich, neuropathische Schmerzen zusätzlich invasiv zu behandeln. Dies erfolgt unter anderem durch selektive Nervenblockaden, Ganglionblockaden oder Neuromodulationsverfahren.

Operative Behandlung

Eine operative Therapie kann in folgenden Fällen erforderlich sein:

  • Nervendekompression: Bei Nerveneinklemmungen, wie es beispielsweise beim Karpaltunnelsyndrom der Fall ist, versucht der Chirurg den Nerv zu entlasten (Nervendekompression), indem er beispielsweise eine Sehne, die auf den Nerv drückt, durchtrennt. Die operative Entlastung des betroffenen Nervs erfolgt durch Spaltung und Erweiterung der Engstelle (Dekompression, Entlastung).
  • Nervenrekonstruktion: Bei komplett durchtrennten Nerven kann eine End-zu-End-Naht erfolgen. Sind die beiden Enden aufgrund der Verletzung so weit voneinander entfernt, dass der Arzt sie nicht zusammenlegen kann, ist eine Nerventransplantation erforderlich, bei der ein Spendernerv zur Überbrückung des fehlenden Stücks eingenäht wird.
  • Neuromresektion: Wenn bei der neurosonographischen Untersuchung im Anschluss an die Operation ein Neurom nachgewiesen wird, dann sollte nicht lange abgewartet werden. Die Nervenoperation muss dann 3 Wochen nach der Läsion vorgenommen werden. Das betroffene Nervenstück wird reseziert und der Defekt durch ein autologes Transplantat überbrückt.
  • Neurolyse: Wenn die Leitfähigkeit des Nervs nicht aufgehoben ist, beschränkt sich der Operateur auf eine Neurolyse.

Zeitpunkt der operativen Behandlung

Der wichtigste prognostische Faktor in der Hand des Arztes ist der Zeitpunkt der operativen Behandlung. Sie sollte zwischen dem 3. und 4. Monat, spätestens 6 Monate nach der Läsion, erfolgen. Bei klinisch kompletten Nervenläsionen kommt es bereits nach einigen Wochen zu einem progredienten neuronalen Zellverlust, der die absolute Regenerationsfähigkeit nach einer erfolgreichen Transplantation einschränkt.

Rehabilitation

Ein ganz entscheidender Faktor, der die Prognose positiv beeinflusst, ist eine physiotherapeutische Behandlung, die nach Auftreten der Läsion beginnen soll und postoperativ fortgeführt wird, bis eine Reinnervation der betroffenen Muskeln nachweisbar ist.

Rechtliche Aspekte

Nervenverletzungen bei Operationen können zu Schadensersatzansprüchen führen, insbesondere wenn ein Behandlungsfehler vorliegt.

Beweisführung

Die Beweisführung bei Nervenschäden nach Operationen ist oft komplex. Grundsätzlich muss der Patient beweisen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt und dieser ursächlich für den Schaden ist.

Verjährung

Die reguläre Verjährungsfrist beträgt drei Jahre ab Kenntnis des Schadens und der Person des Schädigers. Die absolute Verjährungsfrist liegt bei 30 Jahren nach der schädigenden Handlung. Es ist wichtig, frühzeitig rechtlichen Rat einzuholen, um keine Fristen zu versäumen und wichtige Beweise zu sichern.

Schadensersatz und Schmerzensgeld

Bei einem Behandlungsfehler kann der Arzt aufgrund der Arzthaftung dazu verpflichtet sein, Schadensersatz und Schmerzensgeld zu leisten. Bei der Bemessung des Schadensersatzes und des Schmerzensgeldes sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, wie etwa die Schwere der Verletzung, die Dauer der Schmerzen und das Ausmaß der Beeinträchtigung im Alltag.

Prävention

Die Vermeidung von Nervenverletzungen während Operationen ist von größter Bedeutung. Um mögliche Risiken bei einer Operation zu minimieren und Patienten bestmöglich zu unterstützen, ist es entscheidend, auf Prävention und Risikomanagement zu setzen.

  • Umfassende Aufklärung: Vor einer Operation sollte der behandelnde Arzt den Patienten umfassend über mögliche Risiken aufklären. Dazu gehört auch die Information über mögliche Nervenschädigungen.
  • Sorgfältige Operationsplanung: Chirurgen müssen die Risiken einer Nervenverletzung bei der Planung und Durchführung von Operationen berücksichtigen.
  • Schonende Operationstechnik: Während der Operation sollten Chirurgen darauf achten, mögliche Nervenschädigungen zu vermeiden. Dabei können moderne Techniken und Geräte zum Einsatz kommen, die das Risiko von Nervenverletzungen reduzieren.
  • Engmaschige Nachkontrolle: Nach der Operation sollten Patienten engmaschig nachkontrolliert werden, um frühzeitig mögliche Komplikationen oder Nervenschädigungen zu erkennen.

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