Eine Hüftoperation, insbesondere der Einsatz einer Hüft-Totalendoprothese (TEP), ist ein häufiger Eingriff in Deutschland. Jährlich werden weit über 200.000 Hüft-TEPs implantiert. Obwohl diese Operationen in der Regel erfolgreich verlaufen, können Komplikationen auftreten, darunter auch Nervenschäden. Wenn Sie nach einer Operation plötzlich mit Taubheitsgefühlen, Lähmungen oder unerklärlichen Schmerzen konfrontiert sind, kann ein Nervenschaden die Ursache sein.
Was ist ein Nervenschaden nach einer Hüft-OP?
Ein Nervenschaden nach einer Operation tritt auf, wenn während des chirurgischen Eingriffs Nerven verletzt oder durchtrennt werden. Diese Verletzungen können verschiedene Ursachen haben und unterschiedliche Auswirkungen auf die Patienten haben. Nicht jeder Nervenschaden ist auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen. In manchen Fällen handelt es sich um unvermeidbare Komplikationen.
Ursachen von Nervenschäden bei Hüft-OPs
Iatrogene Nervenläsionen, also Nervenschäden, die durch medizinische Maßnahmen verursacht werden, sind insgesamt relativ selten, können aber im Rahmen von Hüftoperationen vorkommen. Mögliche Ursachen sind vielfältig:
- Direkte Schädigung im Operationsgebiet: Nerven können während des Eingriffs durchtrennt, gequetscht oder durch Cerclagen komprimiert werden. Auch das Durchbohren von Nerven mit Schrauben oder die Läsion bei der Entfernung von Osteosynthesematerial ist möglich.
- Druck durch Lagerung oder Zug während der Narkose: Eine ungünstige Lagerung des Patienten während der Operation oder Zug an den Nerven kann zu Schädigungen führen.
- Injektion neurotoxischer Substanzen: In seltenen Fällen können bei Injektionen in der Nähe von Nerven Substanzen injiziert werden, die Nervenschäden verursachen.
- Kompression durch ein Hämatom: Nach Punktionen oder bei Antikoagulation kann es zu Hämatomen kommen, die auf Nerven drücken und diese schädigen.
- Tourniquet (Blutleere): Das Anlegen einer Blutleere während der Operation kann Nerven komprimieren und schädigen.
- Orthesen oder Verbände: Zu eng angelegte Orthesen oder Verbände können ebenfalls Druck auf Nerven ausüben.
- Bestrahlung: In seltenen Fällen kann eine Bestrahlung Nervenschäden verursachen.
- Fehler des Operateurs beim Implantieren der Hüft-TEP: Im Rahmen unserer Tätigkeit sehen wir immer wieder Prothesen mit einer Rotationsfehlstellung, zu steil implantierte Hüftgelenks-TEP, Beinachs- und Beinlängenunterschiede, Nervverletzungen (insb. des Nervus cutaneus femoralis oder des Nervus ischiadicus), Einschleppen eines Infekts u.a. Es sind oft sogenannte grobe ärztliche Behandlungsfehler. Hier sind regelmäßig hohe Ersatzansprüche die Folge.
Besonders gefährdet sind Regionen, in denen Nerven oberflächlich verlaufen oder sich in der Nähe der Zielstruktur befinden, wie beispielsweise im Karpalkanal, am Handgelenk, im hinteren Halsdreieck oder im Bereich des Knies.
Häufig betroffene Nerven bei Hüftoperationen sind:
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- Nervus ischiadicus: Dieser Nerv ist besonders bei Revisionsoperationen gefährdet. Traktionsschäden können bei einer Verlängerung des Beines von ≥4 cm auftreten.
- Nervus femoralis: Dieser Nerv kann durch die Positionierung von Retraktoren am vorderen Pfannenrand komprimiert werden. Auch austretender Knochenzement kann den Nervus femoralis schädigen.
- Nervus cutaneus femoris lateralis:
- Äste des Nervus gluteus superior:
Diagnose von Nervenschäden nach Hüft-OPs
Die Diagnose einer iatrogenen Nervenläsion ist oft unkompliziert. Wenn bei einem Patienten nach einer ärztlichen Maßnahme, insbesondere einer Operation, ein neurologisches Defizit auftritt, besteht in den meisten Fällen ein Zusammenhang mit dieser Handlung. Typische Anzeichen sind:
- Taubheitsgefühle
- Kribbeln
- Schmerzen
- Lähmungserscheinungen in bestimmten Körperregionen, die vor der OP nicht vorhanden waren
Es ist wichtig, umgehend die folgenden Fragen zu klären:
- Um welche Art der Schädigung handelt es sich (Durchtrennung, Druck, Dehnung)?
- Wo ist der Ort der Läsion?
- Was ist zu tun?
Voraussetzung für die richtige Diagnose sind eine gute Anamnese und eine klinisch-neurologische Untersuchung durch einen erfahrenen Neurologen oder Chirurgen. Ergänzende Untersuchungen sind:
- Elektrophysiologische Untersuchung: Diese Untersuchung ist hilfreich, um die Läsionshöhe und das Regenerationspotenzial zu bestimmen.
- Neurosonographie und Magnetresonanz-Neurographie (MRN): Moderne bildgebende Verfahren können wichtige Informationen liefern, insbesondere im Hinblick auf die therapeutische Strategie. Die Ultraschalldiagnostik dient zur Detektion von komprimierenden Hämatomen und zur direkten Beurteilung des Nervens. Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) lassen sich auch raumfordernde Prozesse wie Hämatome und Pseudotumore detektieren. Im Verlauf lässt die MRT Rückschlüsse auf das Ausmaß der Nervenschädigung durch die Denervierungszeichen der Muskulatur zu.
Behandlung von Nervenschäden nach Hüft-OPs
Die Behandlung von Nervenschäden hängt von der Art und dem Schweregrad der Schädigung ab.
- Sofortige Maßnahmen: Ein während einer Operation scharf durchtrennter Nerv sollte möglichst sofort (primär) oder im Rahmen einer frühen Sekundärversorgung 2-3 Wochen nach dem Trauma rekonstruiert werden. Bei Verdacht auf eine scharfe Durchtrennung eines Nervens muss die Primärnaht (evtl. durch Hinzuziehung eines Neurochirurgen) innerhalb von 24 Stunden angestrebt werden.
- Konservative Therapie: Bei unbekanntem Schädigungsmechanismus und begründeter Annahme, dass der Nerv Regenerationspotenzial hat, wird in der Regel 3 Monate abgewartet. Neuropathische Schmerzen sollten zusätzlich zu den postoperativen Schmerzschemata mittels Antidepressiva (z. B. Amitriptylin) und/oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmeinhibitoren (z. B. Gabapentin) behandelt werden.
- Operative Therapie: Wenn sich die Ausfälle nach 3 Monaten nicht oder nur irrelevant gebessert haben, sollte der Nerv freigelegt werden. Wenn bei der neurosonographischen Untersuchung im Anschluss an die Operation ein Neurom nachgewiesen wird, dann sollte nicht lange abgewartet werden. Die Nervenoperation muss dann 3 Wochen nach der Läsion vorgenommen werden. Bei einer frustranen konservativen Therapie von 6-12 Wochen sollte eine Neurolyse diskutiert werden. Ein durchtrennter Nerv wird, wenn möglich, rekonstruiert. Meist gelingt dies nur durch eine autologe Nerventransplantation. Spendernerv ist üblicherweise der N. suralis am lateralen Unterschenkel. Andere Hautnerven, wie zum Beispiel der N. saphenus und der N. cutaneus antebrachii medialis können ebenfalls in Betracht gezogen werden. Bei erhaltener Kontinuität des Nervs gibt die intraoperative Neurographie, also die Nervenleitungsmessung am freigelegten Nerv, Auskunft über seine Leitfähigkeit im Bereich der Läsion. Ist die Leitfähigkeit aufgehoben, dann werden das betroffene Nervenstück - meist ist es als sogenanntes Kontinuitätsneurom verdickt - reseziert und der Defekt durch ein autologes Transplantat überbrückt. Andernfalls beschränkt sich der Operateur auf eine Neurolyse. In den letzten Jahren wird auch die intraoperative Neurosonographie eingesetzt. Dadurch können die Faszikelstrukturen sehr gut beurteilt werden. Auch komplette Kontinuitätsneurome können von Teilneuromen unterschieden werden.
- Physiotherapie: Eine physiotherapeutische Behandlung ist entscheidend für den Erfolg der Therapie. Sie sollte nach Auftreten der Läsion beginnen und postoperativ fortgeführt werden, bis eine Reinnervation der betroffenen Muskeln nachweisbar ist.
Der wichtigste prognostische Faktor in der Hand des Arztes ist der Zeitpunkt der operativen Behandlung. Sie sollte zwischen dem 3. und 4. Monat, spätestens 6 Monate nach der Läsion, erfolgen.
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Rechtliche Aspekte bei Nervenschäden nach Hüft-OPs
Wenn nach einer Hüftoperation ein Nervenschaden auftritt, stellt sich die Frage nach der Haftung. Grundsätzlich gilt: Nicht jeder Nervenschaden ist ein Behandlungsfehler. Manche Schäden können als unvermeidbare Komplikation auftreten.
Beweisführung:
Die Beweisführung bei Nervenschäden nach Operationen ist oft komplex. Grundsätzlich muss der Patient beweisen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt und dieser ursächlich für den Schaden ist (§§ 630a ff. BGB).
Verjährung:
Die reguläre Verjährungsfrist beträgt drei Jahre ab Kenntnis des Schadens und der Person des Schädigers, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB. Die absolute Verjährungsfrist liegt bei 30 Jahren nach der schädigenden Handlung, § 199 Abs. 2 BGB.
Schadensersatz und Schmerzensgeld:
Bei einem nachgewiesenen Behandlungsfehler hat der Patient Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Höhe des Schmerzensgeldes hängt von der Schwere des Behandlungsfehlers, den entstandenen Schäden sowie den individuellen Folgen für den Betroffenen ab.
Wichtige Hinweise:
- Es ist wichtig, frühzeitig rechtlichen Rat einzuholen, um keine Fristen zu versäumen und wichtige Beweise zu sichern.
- In den meisten Fällen ist ein medizinisches Gutachten unerlässlich, um den Schaden und seine Ursachen nachzuweisen.
- Auch vorübergehende Schäden können Ansprüche begründen. Die Entschädigung fällt in der Regel geringer aus als bei dauerhaften Schäden, umfasst aber dennoch Schmerzensgeld und ggf.
Beispiele aus der Rechtsprechung:
- Das Saarländische Oberlandesgericht (Urteil vom 12.09.2012 - 1 U 5/11-3) sprach einer 83-jährigen Frau ein Schmerzensgeld von 40.000 Euro zu, weil der Arzt beim Einbau einer Hüftgelenksendoprothese zu viel Knochen weggefräst hatte.
- Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 29.01.1996 - 3 U 77/95) sprach einer Patientin, die einen dauerhaften Nervschaden in Form einer Peroneusparese erlitten hatte, ein Schmerzensgeld von 120.000 DM zu (heute ca. 95.000 Euro).
Prävention von Nervenschäden bei Hüft-OPs
Um das Risiko von Nervenverletzungen bei Hüftoperationen zu minimieren, sind folgende Maßnahmen wichtig:
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- Sorgfältige Operationsplanung: Chirurgen müssen die Risiken einer Nervenverletzung bei der Planung und Durchführung von Operationen berücksichtigen.
- Umfassende Aufklärung des Patienten: Vor einer Operation sollte der behandelnde Arzt den Patienten umfassend über mögliche Risiken aufklären, einschließlich möglicher Nervenschädigungen und deren Folgen. Hierzu ist eine Dokumentation anzuraten, da die Beweislast einer sachgerechten Risikoaufklärung beim Arzt liegt.
- Schonende Operationstechnik: Während der Operation sollten Chirurgen darauf achten, mögliche Nervenschädigungen zu vermeiden. Dazu gehört ein umsichtiges, schonendes Präparieren und die Berücksichtigung anatomischer Besonderheiten. Wenn im operativen Zugang Nerven die weitere Präparation erschweren, dann sollten langstreckige Neurolysen durchgeführt werden, um die Nerven zu mobilisieren und aus dem Operationsgebiet zu verlagern.
- Moderne Techniken und Geräte: Der Einsatz moderner Techniken und Geräte kann das Risiko von Nervenverletzungen reduzieren.
- Engmaschige Nachkontrolle: Nach der Operation sollten Patienten engmaschig nachkontrolliert werden, um frühzeitig mögliche Komplikationen oder Nervenschädigungen zu erkennen.
- Berücksichtigung von Risikofaktoren: Patientenspezifische Risikofaktoren wie Dysplasiekoxarthrosen, vorbestehende Narbenbildungen und Subluxationsstellungen des Hüftgelenkes sowie präoperativ bestehende degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule sollten berücksichtigt werden. Auch die Wahl des Operationszugangs, die Positionierung der Retraktoren und das intraoperativ verursachte Hämatom sind eingriffsspezifische Risikofaktoren.
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