Die COVID-19-Pandemie hat die Welt vor beispiellose Herausforderungen gestellt. Neben den akuten Auswirkungen der Infektionen rücken zunehmend auch Langzeitfolgen in den Fokus. Nach einer Erkrankung mit COVID-19 kann es zu langanhaltenden Beschwerden kommen. Bestehen die Beschwerden länger als 4 Wochen, wird von Long COVID gesprochen, nach 12 Wochen vom Post-COVID-Syndrom. Häufig treten die Beschwerden nach schweren Infektionen mit Krankenhausaufenthalt auf, jedoch kann es auch nach milden Verläufen zu Langzeitfolgen kommen.
Spezifisch kommt es in Einzelfällen zu ähnlichen Symptomen nach einer Corona-Impfung. Diese werden unter dem Begriff "Post-Vac-Syndrom" zusammengefasst. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen von Nervenschmerzen und anderen neurologischen Beschwerden nach einer Corona-Impfung, geht auf Symptome ein und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung.
Ursachenforschung: Was steckt hinter Nervenschmerzen nach der Impfung?
Die Ursachen des Post-Vac-Syndroms sind derzeit Gegenstand intensiver Forschung. Über die Ursachen des Post-Vac-Syndroms kann derzeit nur spekuliert werden. Eine eindeutige Erklärung dafür, warum es in seltenen Fällen nach einer Covid-Impfung - und vor allem bei jungen Männern - zu einer Herzmuskelentzündung kommt, gibt es nach wie vor nicht.
Mögliche Mechanismen:
Autoantikörper: Eine Rolle bei der Entstehung des Syndroms könnten auch Autoantikörper spielen. Prof. Dr. med Mardin forscht an der Universität Erlangen zur Therapie von Long COVID. Obwohl das Forschungsteam primär Personen untersucht, die eine Infektion durchgemacht haben, sehen sie Menschen ohne stattgehabte Infektion. „Wir hatten bisher 3 Fälle, in denen Menschen genau die Autoantikörper aufwiesen, die wir sonst bei Personen mit Long COVID sehen,“ erklärte Mardin. Dazu zählten neben Autoantikörpern gegen Angiotensin-konvertierendes Enzym 2 (ACE2), an das auch das Spike-Protein des Coronavirus andockt, auch Antikörper gegen Beta2-Glykoprotein.
Immunologische Defizite: Schieffer berichtete in einem Beitrag der Hessenschau zudem über die Beobachtung, dass Patientinnen und Patienten ein bis dahin unbekanntes immunologisches Defizit, wie eine Autoimmunerkrankung oder ein genetisches Defizit aufwiesen (4). Dazu zählten beispielsweise eine rheumatoide Arthritis, eine Psoriasis, eine Zöliakie oder bestimmte Viren, die durch die COVID-19-Infektion reaktiviert würden.
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Reaktivierung von Viren: Möglicherweise sei eine Reaktivierung einer Epstein-Barr-Virus-(EBV-)Infektion in der Entstehung von Long COVID und Post-Vac beteiligt, wie Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen von der Charité im Coronavirus-Update von NDR Info erläuterte (3). Ihre Arbeitsgruppe beschäftigt sich unter anderem mit Immundefekterkrankungen und CFS.
Entzündung des Gefäßendothels (Endotheliitis)
Störungen ACE-abhängiger vaskulärer und metabolischer Regelkreise
Persistenz von Spike-Proteinen in Geweben Es wird diskutiert, ob die Spikes in Zellen persistieren, selbst pathogen wirken oder eine veranlagte AIE auslösen könnten [4, 14, 15, 16].
Ein deutsches Wissenschaftsteam vom Universitätsklinikum des Saarlandes ist der Erklärung vor kurzem jedoch einen Schritt weiter gekommen. Ihrer Arbeit zufolge stecken hinter impfbedingten Myokarditis-Fällen vermutlich spezielle Autoantikörper. Diese werden gegen ein zentrales, entzündungshemmendes Molekül gebildet - den Interleukin-1-Rezeptor-Antagonist (IL-1Ra). Dieser hemmt normalerweise überschießende Entzündungsreaktionen, die durch den Botenstoff Interleukin-1 vermittelt werden. Ist der Rezeptor-Antagonist allerdings leicht verändert (durch das vorrübergehende Anhängen einer Phosphatgruppe), kommt es eben zu jener fehlgeleiteten Bildung von Auto-Antikörpern - also gegen sich selbst gerichteten Antikörpern. Solche Autoantikörper hat man auch bei Patienten mit einem schweren Covid-19-Verlauf und bei Kindern mit dem Multisystemischen Entzündungssyndrom (MIS-C) gefunden.
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Symptome: Wie äußern sich Nervenschmerzen und andere Beschwerden nach der Impfung?
Die Symptome nach einer Corona-Impfung sind vielfältig und können von Person zu Person unterschiedlich sein. Zu den Symptomen können anhaltende Kopfschmerzen, starke Müdigkeit sowie abnormale Herzfrequenz und Blutdruck gehören.
Neurologische Beschwerden:
In unserer neurologischen post-COVID Ambulanz betreuen wir erwachsene Patienten, die mehr als drei Monate nach einer Infektion mit COVID-19 unter anhaltenden neurologischen Beschwerden wie Fatigue, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Abgeschlagenheit, Schlafstörungen, Schwindel, Muskelschmerzen oder Kopfschmerzen leiden.
- Small-Fiber-Neuropathie (SFN): Bei einer Folgeerscheinung handelt es sich um die Small-Fiber-Neuropathie (SFN), eine Erkrankung des peripheren Nervensystems.
- Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS): Beim zweiten, beschriebenen Krankheitsbild handelt es sich um das sogenannte posturale orthostatische Tachykardiesyndrom (POTS).
Weitere Symptome:
- Fatigue: Das Krankheitsbild ist, ähnlich wie LC, mit einer Vielzahl an Symptomen verbunden, bei denen häufig Fatigue, kardiovaskuläre und neurologische Symptome im Vordergrund stehen [5, 30].
- Kardiovaskuläre Probleme: Im Rahmen der interdisziplinären post-COVID-Ambulanz bietet die Kardiologie die Möglichkeit der Abklärung und Diagnostik von herzbedingten Beschwerden insbesondere Rhythmusstörungen, Herzmuskelentzündungen Blutdruckdysregulationen, POTS-Syndrom etc. mittels Ruhe- und Belastungs-Elektrokardiogramm, Echokardiographie, MRT und einer spezifischen Labordiagnostik an.
- Atemwegsbeschwerden: Im Rahmen einer akuten Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 treten häufig Beschwerden im Bereich der oberen und unteren Atemwege auf.
Es sind völlig unterschiedliche Krankheitssymptome, die scheinbar gar nichts miteinander zu tun haben. Aber dafür gibt es eine Erklärung: Der Erreger Sars-Cov2 ist neu und die Menschen haben dagegen keine Grundimmunität. Warum es, wie bei Post-Covid, nach der Corona-Impfung zu langandauernden Beschwerden kommt, ist noch nicht klar - daran wird nun geforscht.
Diagnostik: Wie werden Nervenschmerzen nach der Impfung festgestellt?
Sollten sich in der Diagnostik neurologische Auffälligkeiten ergeben, erfolgt je nach Befund eine entsprechende Therapie. Zur Abklärung, ob die Symptome mit der SARS-CoV-2-Infektion zusammenhängen oder gegebenenfalls eine andere Erkrankung der Lunge und Atemwege die Beschwerden verursacht, werden in der Pneumologischen Ambulanz der Medizinischen Poliklinik verschiedene Untersuchungen durchgeführt.
Neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung können verschiedene diagnostische Verfahren eingesetzt werden:
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- Elektrophysiologische Untersuchungen: Diese können helfen, eine Small-Fiber-Neuropathie (SFN) zu diagnostizieren.
- Kardiovaskuläre Diagnostik: Ruhe- und Belastungs-Elektrokardiogramm, Echokardiographie, MRT und eine spezifische Labordiagnostik können bei der Abklärung von herzbedingten Beschwerden helfen.
- Untersuchungen von Blut, Liquor, Bildgebung und Elektrophysiologie: Klinische Symptome und die Zusatzdiagnostik (Untersuchungen von Blut, Liquor, Bildgebung und Elektrophysiologie) sollen erhoben werden, so die Neurologin.
Therapieansätze: Was hilft bei Nervenschmerzen und anderen Beschwerden?
Zu den Therapieansätzen, die teilweise denen von LC entsprechen, existieren derzeit nur kleinere Studien oder Expertenmeinungen. Heilversuche werden hierzulande nach ausgiebiger Diagnostik unter anderem an der Marburger Post-Vax-Ambulanz, den Post-Vac- bzw. LC-Ambulanzen der Unikliniken in Augsburg, Hannover, Göttingen, Erlangen und weiteren Hochschulen unternommen. Sie erfolgen teilweise im Rahmen von Studien. Zum Einsatz kommen international derzeit unter anderem Statine und AT1-Antagonisten (Uni Marburg [1, 3]), Triple-Antikoagulation (Uni Stellenbosch, Südafrika [17]) oder extrakorporale Blutwäscheverfahren [18, 19]. In den USA sind zudem Maraviroc, Ivermectin, Nattokinase und andere Substanzen verbreitet [20, 21]. Diese werden auch hierzulande in einigen Praxen eingesetzt. Die meisten Therapien werden durch ein personalisiertes Energiemanagement (sogenanntes Pacing) und Diäten ergänzt. Leider liegen derzeit für keinen der Therapieansätze Daten aus größeren, placebokontrollierten Studien vor.
Bernhard Schieffer, Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internationale Intensivmedizin am Universitätsklinikum Marburg, hat inzwischen ein experimentelles Behandlungsschema entwickelt, um Betroffenen mit Post-Vac-Syndrom zu helfen. Dieses habe sich seiner Meinung nach in einer (unveröffentlichten) Studie mit acht Long COVID-Patient*innen und acht Personen mit Post-Vac-Syndrom als vielversprechend erwiesen.
Es gibt ein Therapieverfahren, das krankmachende Bestandteile des Immunsystems aus dem Blut fischen kann: die Immunapherese, eine Art Blutwäsche. Diese Therapie wird mancherorts durchgeführt, obwohl es dafür bislang keinen wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis gibt.
Aktuelle Forschung und Studien
Ein Blick in die internationale Studienlage zeigt ein spärliches Bild. Ein Beitrag in Science berichtete kürzlich über 34 Post-Vac-Fälle, die das National Institute of Health (NIH) unter Leitung von Avindra Nath, klinischer Direktor am National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS) untersucht hatte (2). Eine wissenschaftliche Publikation dazu gibt es jedoch nicht. Nach 2 Absagen führender medizinischer Fachzeitschriften, reichten die Forschenden eine Fallserie mit 23 Personen ein, die noch nicht angenommen wurde, wie die Pressestelle des NINDS mitteilte.
Die Universität Marburg bereite mit dem PEI eine deutschlandweite Erhebung vor, mit dem Ziel, „die Menschen mit einem erhöhten Risiko für Post-Vac vor der nächsten Impfkampagne im Herbst herauszufiltern und diese Menschen dann zu schützen“. Auch das PEI bestätigte, dass eine Studie geplant sei, in der lang andauernde Beschwerden nach COVID-19-Impfung, die mit chronischer Müdigkeit einhergehen, charakterisiert werden sollen.
Neben der Patientenversorgung wolle auch die Ambulanz der Charité in Kooperation mit dem Labor von Prof. Dr. med Harald Prüß vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) einen wissenschaftlichen Beitrag leisten, sagte Franke. Klinische Symptome und die Zusatzdiagnostik (Untersuchungen von Blut, Liquor, Bildgebung und Elektrophysiologie) sollen erhoben werden, so die Neurologin. Zudem seien sie auf der Suche nach pathophysiologischen Mechanismen, analog zum Post-COVID-19-Syndrom.
Anlaufstellen für Betroffene
Deutschlandweit gibt es bisher 2 Anlaufstellen für Erwachsene mit Verdacht auf Post-Vac: Eine Spezialambulanz für Post-Vac-Fälle am Universitätsklinikum Marburg sowie die neurologische Post-COVID-19-Sprechstunde an der Klinik für Neurologie, Charité Universitätsmedizin Berlin. Hier werden Post-Vac-Betroffene im Gegensatz zur Marburger Ambulanz allerdings nur bei primär neurologischer Manifestation betreut.
In der Marburger-Spezialambulanz gäbe es aktuell eine Warteliste von mehr als 1 800 Betroffenen. Hier seien diejenigen, die bereits eine Coronainfektion gehabt hätten herausgefiltert, erklärte der Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin vom Universitätsklinikum Marburg, Prof. Dr. med. Bernhard Schieffer. „Aktuell überblicken wir circa 200 Patienten aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz mit Post-Vac-Syndrom, die wir seit Anfang 2022 systematisch erfassen. Die Patienten präsentieren sich mit einem sehr heterogenen Bild, welches dem eines Long-COVID-Syndroms sehr ähnelt“, so Schieffer.
Risikobewertung und Prävention
Wie häufig Long COVID nach einer Impfung tatsächlich vorkommt, lässt sich aktuell noch nicht sagen.
Im Hinblick auf die Nebenwirkungen, die im Post-Marketing-Report von BioNTech/Pfizer angegeben sind, schätzt Schieffer die Wahrscheinlichkeit von Post-Vac auf etwa 0,02 % nach einer Impfung (5).
Das Risiko für ein neurologisches Post-Vac-Syndrom schätzt Prüß noch niedriger, wie er dem DÄ auf Nachfrage mitteilte. Nach einer Infektion würde Long COVID demnach deutlich häufiger auftreten als nach einer Impfung. Die Inzidenz von Long COVID variiert in Studien stark und erreicht 2 % bis hin zu 60 % (6). Erste Daten der deutschen EPILOC-Studie gehen von maximal 20 bis 30 % jenseits von 6 Monaten nach Akutinfektion aus (7).
Über genaue Zahlen könne bei einem fehlenden Impfregister und bislang fehlender Dokumentation von Post-Vac-Fällen allerdings nur spekuliert werden, räumte Schieffer ein. Er möchte mit seinen Aussagen und Forschungen auf keinen Fall in die Nähe der Impfgegner gerückt werden. Die Impfung sei der einzige Weg aus der Pandemie und zum Schutz der Bevölkerung, betonte er gegenüber dem DÄ.
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