Postoperative Nervenschmerzen, auch bekannt als neuropathische Schmerzen nach einer Operation, sind ein komplexes und oft unterschätztes Problem. Etwa 20 Prozent der Patienten, die operiert wurden, leiden langfristig, zum Teil lebenslang, unter Nervenschmerzen. Diese Schmerzen können nach einem "leichten" Eingriff genauso chronifizieren wie nach einem "schweren". Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Symptome und Therapieansätze von Nervenschmerzen nach Operationen, um Betroffenen und medizinischem Fachpersonal ein umfassendes Verständnis zu ermöglichen.
Was sind neuropathische Schmerzen?
Klinisch sind neuropathische Schmerzen, d. h. chronische Schmerzen nach Läsionen des Nervensystems, vor allem durch dumpfe, brennende Spontanschmerzen und einschießende Schmerzattacken charakterisiert. Auch Phantomschmerzen zählen zu den neuropathischen Schmerzen. Weitere Ursachen neuropathischer Schmerzen sind Virusinfektionen (z. B. Gürtelrose), Nervendegeneration (z. B. Vitaminmangel bei Alkoholismus, Diabetes mellitus) und die Einnahme nervenschädigender, giftiger Substanzen (z. B. Chemotherapie). Circa 20 Prozent aller Patienten, die eine schmerztherapeutische Spezialeinrichtung aufsuchen, leiden unter ungenügend therapierten neuropathischen Schmerzen.
Symptome von Nervenschmerzen nach OP
Kennzeichnend für postoperative neuropathische Schmerzen bzw. Nervenschmerzen allgemein ist eine charakteristisch veränderte Hautsensibilität. Betroffene reagieren unter- oder überempfindlich (manchmal auch beides) auf Reize wie Kälte, Wärme, Berührung oder Druck. Betroffene berichten von Taubheitsgefühlen und/oder Schmerzattacken. Letztere können sich kribbelnd, brennend, stechend, einschießend oder elektrisierend äußern. Manchmal vermeiden die Betroffenen es, den schmerzbereitenden Körperteil zu bewegen, wodurch die entsprechenden Muskeln verkümmern können.
Ursachen von Nervenschmerzen nach OP
Zu den Operationen, die häufig Nervenschmerzen nach sich ziehen, gehören unter anderem:
- Brust- oder Brustkorb-Operationen (zum Beispiel aufgrund von Herzerkrankungen oder Brustkrebs)
- Leistenbruch-Operationen
- Lungen-Operationen
- Amputationen
Die Ursachen postoperativer Nervenschmerzen sind verschieden: So kann es während des operativen Eingriffs zu Schädigungen des Nervensystems kommen, etwa aufgrund von Kompressionen, Dehnungen, Traumen oder der Patientenlagerung. Davon abgesehen können Entzündungsprozesse nach einer Operation dazu führen, dass die peripheren Nerven erkranken.
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Durch eine Nervenverletzung kommt es im Nervensystem zu plastischen Veränderungen: Diese können langfristig irreversibel werden, sodass die neuropathischen Schmerzen in eine chronische Form übergehen.
Bei postoperativen Nervenschmerzen variiert das Ausmaß der Nervenverletzung je nach Größe des operativen Eingriffs. Das Ausmaß der Nervenschädigung hängt jedoch häufig nur geringfügig mit der Stärke der postoperativen Nervenschmerzen zusammen: Kleinere operative Eingriffe führen also nicht unbedingt zu weniger Nervenschmerzen. Umgekehrt treten bei manchen Menschen, die einen großen operativen Eingriff hinter sich haben, nur geringe Nervenschmerzen auf.
Bestimmte Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit postoperativer Neuropathien. Dazu zählen zum einen Vorerkrankungen der peripheren Nerven. Zum anderen gibt es Nervenschäden begünstigende Erkrankungen, darunter Diabetes, sehr hoher oder sehr niedriger Body-Mass-Index, periphere Gefäßerkrankungen, Alkoholabhängigkeit oder eine Arthritis. Darüber hinaus gibt es Risikofaktoren, die die empfundene Stärke von Nervenschmerzen beeinflussen, darunter eine subjektiv erniedrigte Schmerzschwelle oder eine pessimistische Erlebnisverarbeitung.
Die Rolle von "Fehlverschaltungen" bei der Nervenregeneration
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Pharmakologischen Instituts und des Instituts für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) haben im Tierversuch gezeigt, dass fehlerhafte „Verschaltungen“ der Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) zu einer bisher noch nicht untersuchten Form sogenannter neuropathischer Schmerzen führen. Sie treten erst im Zuge der Regeneration von Nervenverbindungen beim Ausheilen der Verletzung auf.
Bei chronischen Schmerzen wird zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen unterschieden. Nozizeptive Schmerzen haben ihren Ursprung in Gewebeverletzungen, neuropathische Schmerzen in der Schädigung der Nervenfasern selbst. Nerventraumata oder Quetschungen, bei welchen verletzte und intakte Nervenfasern in direktem Kontakt stehen, sind besonders anfällig für die Entwicklung chronischer neuropathischer Schmerzen. Die neuen Ergebnisse zeigen nun, dass die chronischen Schmerzen nicht etwa durch die eigentliche Verletzung entstehen, sondern auf einer fehlerhaften Nervenregeneration sowie auf einer fehlerhaften Wiederherstellung der nervalen Versorgung, der sogenannten Reinnervation, beruhen.
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Während sich die taktilen Nervenfasern, die Berührungsreize an Rückenmark und Gehirn weiterleiten, nach der Verletzung nicht oder nur langsam regenerieren - daher das anfängliche Taubheitsgefühl -, sind die schmerzleitenden Fasern dazu schneller in der Lage. Sie nehmen statt der sensorischen Fasern den Platz der gekappten Berührungssensoren in der Haut ein. Die Folge: Jeder taktile Reiz wirkt nun wie ein Schmerzreiz - selbst ein sanftes Streicheln oder das Gefühl von Kleidung auf der Haut kann dann Schmerzen verursachen.
Die Ursache der Schmerzen ist eine falsche Verschaltung von Sensoren und tritt entsprechend erst nach einiger Zeit auf, wenn die Verbindung hergestellt ist. Diese Form des chronischen Schmerzes ist also die unmittelbare Folge der Reinnervation der Sensoren durch schmerzleitende Fasern bei gleichzeitig ausbleibender Reinnervation der taktile Nervenfasern.
Therapie von Nervenschmerzen nach OP
Die Therapie postoperativer neuropathischer Schmerzen kann wie folgt aussehen:
Medikamentöse Therapie: Typischerweise gegen neuropathische Schmerzen eingesetzte Medikamente sind unter anderem Antikonvulsiva, trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer oder Opioide. Eine lokale Therapie erfolgt zum Beispiel mittels Lidocain-Pflastern. Meistens ist es sinnvoll, mehrere Medikamente miteinander zu kombinieren. Zu beachten ist, dass sowohl Wirksamkeit als auch Nebenwirkungen eines Medikaments je nach Patient sehr verschieden sein können: Arzt und Patient sollten also genug Geduld aufbringen, um gemeinsam die individuell optimale Schmerztherapie zu finden. Hierbei ist auch wichtig, die Therapieziele zu besprechen: Eine völlige Schmerzfreiheit kann im Grunde fast nie erreicht werden. Realistisch ist eine Schmerzreduktion um 30 bis 50 Prozent, sodass Schlaf- und Lebensqualität des Patienten sich verbessern können. Dies muss dem Patienten bewusst gemacht werden, damit zu hohe Erwartungen und damit Enttäuschungen vermieden werden.
Nicht-medikamentöse Therapie: Die nicht-medikamentöse Behandlung neuropathischer Schmerzen erstreckt sich unter anderem auf warme Fußbäder, transkutane elektrische Nervenstimulation, Akupunktur, milde Infrarotstrahlung, Applikation von Kälte, Physio- und Ergotherapie und Psychotherapie (Verbesserung der Schmerzakzeptanz).
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Invasive Therapie: Manchmal ist es sinnvoll bzw. erforderlich, neuropathische Schmerzen zusätzlich invasiv zu behandeln. Dies erfolgt unter anderem durch selektive Nervenblockaden, Ganglionblockaden oder Neuromodulationsverfahren.
Die optimale Behandlung postoperativer Nervenschmerzen erfordert ein multimodales Therapiemanagement, bestehend aus medizinischer und medikamentöser Behandlung, psychologisch-therapeutischen Maßnahmen sowie Bewegungstherapie. Hierzu müssen sich Patienten meist in spezialisierte Schmerzzentren begeben. Wichtig ist, dass die Therapie neuropathischer Schmerzen langfristig kontrolliert wird: So sollten Erfolg und Auswirkungen der Schmerzlinderung auf die Lebensbereiche des Patienten dokumentiert werden, beispielsweise in einem Schmerztagebuch. Leider können chronisch gewordene Nervenschmerzen oft nicht mehr vollständig geheilt werden. Umso wichtiger ist es in solchen Fällen, dass die Betroffenen lernen, richtig mit ihren Schmerzen umzugehen. Das Hauptziel der Behandlung neuropathischer Schmerzen ist und bleibt, die Lebensqualität der Betroffenen so gut es geht zu verbessern.
Spezifische Therapieansätze: Botulinumtoxin und Rückenmarksstimulation
Bei Schmerzen, die durch starke Muskelanspannung, beispielsweise bei Patienten mit Dystonie und Spastik, entstehen, ist die Wirksamkeit von Botulinumtoxin gut belegt. Sie wird hauptsächlich durch eine Normalisierung muskulärer Hyperaktivität und durch eine Normalisierung übermäßiger Muskelspindelaktivität erklärt. Darüber hinaus hemmt Botulinumtoxin aber auch die Freisetzung von Substanz P und anderen Neurotransmittern, die in der Entstehung von Schmerzen anderer Qualitäten möglicherweise eine bedeutende Rolle spielen. Der Einsatz von Botulinumtoxin beispielsweise bei Kopfschmerzen ist aber erst nach Ausschöpfung von Standardtherapieverfahren in spezialisierten Zentren begründet.
Eine weitere Behandlungsoption ist die Rückenmarksstimulation (SCS). Bei diesem operativen Verfahren wird mit elektrischen Impulsen die Schmerzweiterleitung im Rückenmark zum Gehirn gehemmt. Mittlerweile ist die Rückenmarksstimulation auch in die Leitlinien zur Behandlung von CRPS aufgenommen. Denn lediglich 30 bis 40 Prozent der Patient*innen mit neuropathischen Schmerzen können medikamentös befriedigend eingestellt werden. Bei diesem Verfahren wird ein Simulationsgerät unter der Haut platziert, das über dünne Elektroden, die in der Nähe des Rückenmarks platziert werden, schwache elektrische Impulse an die Rückenmarksnerven aussendet.
Prävention von chronischen postoperativen Schmerzen (CPSP)
Chronische Schmerzen nach einer erfolgten Operation sind Teil des normalen Heilungsprozesses und gehen bei der Mehrzahl der Operationen nach kurzer Zeit zurück. Dennoch gibt es immer wieder Fälle, in denen Patient*innen auch noch Wochen oder gar Monate nach einer Operation über Schmerzen im Wundgebiet klagen. Dabei kann eine Chronifizierung durchaus auch nach schmerzfreien Intervallen auftreten und muss nicht zwingend mit kontinuierlichen Akutschmerzen einhergehen. Diese lang anhaltenden Schmerzen nach Operationen können daher rühren, dass Signalwege der Schmerzverarbeitung bspw. durch Gewebebeschädigung, Entzündung, Nervenverletzung, im Vorfeld bestehende, sowie postoperative Schmerzen, oder auch psychologische Faktoren verändert wurden.
Risikofaktoren für CPSP
- Chronische Schmerzen vor einem Eingriff, sowohl innerhalb als auch außerhalb der zu operierenden Region, stellen einen Risikofaktor für die Entstehung von CPSP dar.
- Eine präoperative Opioideinnahme bei gynäkologischen Patientinnen ist mit einem deutlich erhöhten Risiko für das Auftreten von CPSP assoziiert.
- Psychologische Risikofaktoren wie Katastrophisieren, gedankliche Fokussierung, ein Überlastungsgefühl und Ängstlichkeit können mit einem erhöhten Risiko für CPSP zusammenhängen, insbesondere wenn diese Eigenschaften mit Schmerzen assoziiert sind.
- Neben bestimmten chirurgischen Eingriffen sind auch die Art, Größe beziehungsweise die Invasivität des operativen Traumas möglicherweise mit einem erhöhten Risiko für CPSP assoziiert.
- Eine intraoperative Nervenverletzung wird als ein wichtiger pathophysiologischer Auslöser von Chronifizierungsmechanismen angesehen.
- Neben der absoluten Schmerzintensität ist vor allem die Dauer verstärkter Schmerzen (zum Beispiel in den ersten 24 Stunden) ein Risikofaktor.
- Das Auftreten neuropathischer, postoperativer Schmerzen ist für das Risiko von CPSP ebenfalls von Bedeutung.
Präventive Maßnahmen durch Lokal- und Regionalanalgesie
Die beste Evidenzlage zur Prävention von CPSP besteht für den perioperativen Einsatz von Epiduralanalgesien bei Thorakotomien sowie von Paravertebralblöcken oder einer intravenösen Gabe von Lidocain bei Brustkrebsoperationen. Die Anwendung von Regional- oder Lokalanalgesie zusätzlich zu einer Spinalanästhesie reduziert nachweisbar die Häufigkeit von CPSP nach Schnittentbindungen.
Weitere Präventive Strategien
- Vor der Operation: Patienten sollten vor dem ambulanten oder stationären Eingriff ein Aufklärungsgespräch führen, um alle ihre Fragen anzubringen. Patienten, die vor der Operation informiert werden, welcher Verlauf erwartet wird und welche Medikamente zum Einsatz kommen, können besser einschätzen, wann sie Schmerzmittel benötigen und diese auch einfordern.
- Während der Operation: Das Operationsteam sollte sich schon im Vorfeld bei der Planung des Eingriffs über Risiken und Maßnahmen zur Vermeidung von Neuropathien austauschen. Bei der Positionierung des Patienten sind starke Überdehnung oder hohe Druckbelastungen wie etwa auf den Ellenbogen zu vermeiden. Die Operationszeit sollte möglichst kurz sein.
- Nach der Operation: Eine früh beginnende und fortlaufende Kontrolle hinsichtlich neuropathischer Symptome und die Identifizierung möglicher Auslöser ist wichtig, um frühzeitig intervenieren zu können. In jedem Fall ist die Physiotherapie ein wichtiger Bestandteil der Behandlung und essenziell für die Rekonvaleszenz.
Rechtliche Aspekte bei Nervenschäden nach Operationen
Wenn Sie nach einer Operation plötzlich mit Taubheitsgefühlen, Lähmungen oder unerklärlichen Schmerzen konfrontiert sind, kann ein Nervenschaden die Ursache sein. Ein Nervenschaden nach einer Operation tritt auf, wenn während des chirurgischen Eingriffs Nerven verletzt oder durchtrennt werden. Nicht jeder Nervenschaden ist auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen. In manchen Fällen handelt es sich um unvermeidbare Komplikationen.
Die Beweisführung bei Nervenschäden nach Operationen ist oft komplex. Grundsätzlich muss der Patient beweisen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt und dieser ursächlich für den Schaden ist. Die reguläre Verjährungsfrist beträgt drei Jahre ab Kenntnis des Schadens und der Person des Schädigers. Die absolute Verjährungsfrist liegt bei 30 Jahren nach der schädigenden Handlung. Es ist wichtig, frühzeitig rechtlichen Rat einzuholen, um keine Fristen zu versäumen und wichtige Beweise zu sichern.
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