Nervensystem, Reiz und Reaktion: Eine umfassende Definition

Stell dir vor, du sitzt in der Schule und hörst plötzlich den schrillen Ton der Schulglocke. Sofort stehst du auf, sammelst schnell deine Sachen zusammen und machst dich auf den Weg nach draußen. Dieser alltägliche Vorgang ist ein wunderbares Beispiel für das Reiz-Reaktions-Schema. Das Reiz-Reaktions-Schema beschreibt, wie Lebewesen auf Reize aus ihrer Umwelt reagieren. Es ist ein grundlegendes Konzept in der Biologie, das erklärt, wie Reize aufgenommen, verarbeitet und schließlich in Reaktionen umgesetzt werden. Jede unserer Bewegungen, Empfindungen und Entscheidungen beginnt mit einem Reiz. Das Reiz-Reaktions-Schema erklärt, wie Lebewesen Informationen aus ihrer Umwelt wahrnehmen und darauf reagieren. Dieses Modell beschäftigt sich mit den grundlegenden Funktionsweisen unseres Gehirns und Nervensystems und spielt eine zentrale Rolle in vielen psychologischen Theorien und Therapieansätzen.

Das Reiz-Reaktions-Schema im Detail

Das Reiz-Reaktions-Schema beschreibt den Weg vom Reiz bis zur Reaktion. Ein Reiz wird von einem Sinnesorgan (z. B. Auge, Ohr) aufgenommen. Der Reiz wird in Form von elektrischen Signalen über Nervenbahnen weitergeleitet. Im Gehirn oder Rückenmark wird der Reiz interpretiert und verarbeitet. Die entsprechende Reaktion wird z.B. durch Muskeln oder Drüsen ausgelöst. Der Weg eines Reizes vom Empfang bis zur Reaktion ist eine faszinierende Reise durch das menschliche Nervensystem.

Das Reiz-Reaktions-Schema ist ein Modell, welches die grundlegende Interaktion zwischen Organismus und Umwelt beschreibt. Ein Reiz ist dabei ein Signal, welches über die Sinnesorgane wahrgenommen wird und eine Reaktion hervorruft. Eine Reaktion bezeichnet die Antwort des Organismus auf den Reiz. Bei Kontakt mit einem heißen Gegenstand (Reiz), ziehst du automatisch deine Hand zurück (Reaktion). In diesem Fall handelt es sich um eine rein körperliche Reaktion, die ohne bewusste Entscheidung stattfindet. Ein anderes Beispiel wäre eine traurige Filmszene (Reiz), die dich zum Weinen bringt (Reaktion).

Die Komponenten des Reiz-Reaktions-Schemas

  • Sinnesorgane (Rezeptoren): Sie sind die ersten Stationen im Reiz-Reaktions-Schema. Ohren, Augen, Nase, Haut und Zunge nehmen Reize aus der Umwelt auf. Die Reizaufnahme im Nervensystem geschieht über die Dendriten, dünne Fortsätze der Neuronen.
  • Zentrales Nervensystem (ZNS): Hier erfolgt die Verarbeitung der Informationen. Bei StudySmarter haben wir eine Lernplattform geschaffen, die Millionen von Studierende unterstützt.
  • Muskeln und Drüsen (Effektoren): Im letzten Schritt wird die Reaktion ausgeführt.

Die Bedeutung von Reizen

Ganz allgemein kann ein Reiz unterschiedlicher Natur sein: zum Beispiel das Wahrnehmen einer Temperaturveränderung, ein visueller Reiz oder Schmerz. Reize bilden die Grundlage jeglicher Sinneswahrnehmung und stellen physikalische oder chemische Einwirkungen dar, die von spezialisierten Sinneszellen registriert und in elektrische Signale umgewandelt werden. Die Signale werden in Form von Aktionspotenzialen über das Nervensystem weitergeleitet und im zentralen Nervensystem verarbeitet und lösen eine physiologische Reaktion aus. Ein Reiz ist eine Einwirkung, die zu einer Reizantwort an einem spezifischen Rezeptor oder einer Sinneszelle führt. In der Sinnesphysiologie werden sie durch periphere Sensoren wahrgenommen. Reize sind die Grundlage der Sinneswahrnehmung, das heißt sie dienen dem Organismus zur Orientierung, Reaktion auf Umweltreize und zur Aufrechterhaltung der Homöostase. Außerdem lösen Schmerzreize Schutzreflexe aus, während visuelle oder akustische Reize das Verhalten steuern und die Aufmerksamkeit lenken.

Adäquate und inadäquate Reize

Ein adäquater Reiz beschreibt die passende Einwirkung, auf den ein Rezeptor maximal reagiert. Schon bei geringer Stärke löst er eine Erregung aus, beispielsweise ist Licht genau dies für die Lichtsinneszellen (Photorezeptoren) des Auges. Ein inadäquater Reiz beschreibt wiederum einen nicht passenden Reiz, der keine oder nur bei sehr starker Einwirkung eine Erregung auslöst.

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Überschwellige und unterschwellige Reize

Ein überschwelliger Reiz stellt eine Einwirkung dar, der stark genug ist, um in der Nervenzelle ein Aktionspotenzial auszulösen, während der unterschwellige Reiz zu schwach ist, um allein schon eine Erregung auszulösen.

Arten von Reizen

Es gibt mechanische Reize, beispielsweise Druck oder Vibration, thermische Reize für die Temperaturempfindung und chemische Reize für Geruch oder Geschmack. Außerdem gibt es noch Lichtreize, wie elektromagnetische Strahlung.

Die Reizweiterleitung im Nervensystem

Die Reizweiterleitung im Nervensystem ist ein komplexer Vorgang, bei dem elektrische sowie chemische Potenziale angewandt werden - und das im Bruchteil einer Sekunde. Denn nur so können wir schnell reagieren, beispielsweise im Straßenverkehr, wenn wir einem Auto ausweichen müssen. Die Aufnahme und Weitergabe eines Reizes verläuft in zwei Schritten. Zuerst werden sie über die Sensoren wahrgenommen und in ein Rezeptorpotenzial umgewandelt.

Vom Rezeptorpotenzial zum Aktionspotenzial

Das Rezeptorpotenzial ist dem Reiz in Dauer und Amplitude analog. Bei der Transformation sind Merkmale der Umwandlung der Rezeptorpotenziale in Aktionspotenziale, dass die Amplitude des Rezeptorpotenzials durch die Frequenz der Aktionspotenziale kodiert wird. Das bedeutet es kommt zu einer Umkodierung. Je größer das Rezeptorpotenzial ist, desto höher ist die Frequenz der Aktionspotenziale.

Das Rezeptorpotenzial wird passiv weitergeleitet und wird dabei immer schwächer, je weiter es sich vom Entstehungsort entfernt. Schließlich findet durch komplexe neuronale Vorgänge eine Differenzierung der Einwirkungen, die afferent an das ZNS geleitet wurden, statt und sie werden interpretiert.

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Die Rolle der Neuronen

Der Axonhügel sammelt die bei den Dendriten eingehenden elektrischen Potenziale. Nur wenn eine bestimmte Potenzialschwelle überschritten wird, gibt der Axonhügel das elektrische Potenzial an das Axon weiter. Dies ist eine Art Schutzmaßnahme des Nervensystems, um eine Reizüberflutung, die nicht verarbeitet werden kann, zu verhindern. Viele Axone im peripheren Nervensystem (der Teil des Nervensystems, der nicht zu Gehirn und Rückenmark gehört) werden durch einen Mantel aus speziellen Zellen (Schwann-Zellen = Hüll- und Stützzellen) elektrisch isoliert. Dabei entsteht keine durchgängige Umhüllung. Die Abschnitte, an denen das Axon frei liegt, werden Ranviersche Schnürringe genannt und dienen einer schnelleren Übertragung von Nervensignalen - die Erregung wird hierbei in Sprüngen von einem Schnürring zum nächsten weitergegeben (saltatorische Erregungsleitung).

Wenn kein Reiz weitergegeben werden muss, zeigt das Neuron folgende Verteilung elektrischer Ladung: Im Zellinneren herrscht eine hohe Konzentration an Kaliumionen (K+) und organischen Anionen (zum Beispiel Eiweiß), während außerhalb überwiegend Natrium- (Na+) und Chloridionen (Cl-) anzutreffen sind. Im Ruhezustand besteht ein Gleichgewicht zwischen der Zellinnen und -außenseite, das durch verschiedene Transportmechanismen (Kaliumkanäle und Natrium-Kalium-Pumpen) aufrechterhalten wird (Ruhepotential). Auf der Innenseite der Zellmembrane ist die Ladung zunächst negativ. Im Falle eines elektrischen Impulses, der durch einen Reiz ausgelöst wurde, öffnen sich unter anderem die Natrium-Kanäle der Zellmembran und Natriumionen strömen vermehrt ins Zellinnere. Dies bedeutet, dass abschnittsweise die Ladung an der Innen- und Außenseite des Neurons umgekehrt wird. Durch diese lokale Ladungsänderung wird der elektrische Impuls entlang des Axons bis zum Ende weitertransportiert.

Die synaptische Übertragung

Am synaptischen Endknöpfchen, was dem Ende des Axons entspricht, wird der elektrische Impuls in ein chemisches Signal umgewandelt. Das elektrische Potenzial, das dort ankommt, löst die Ausschüttung chemischer Botenstoffe (sogenannte Neurotransmitter) aus. Dort löst der Neurotransmitter erneut einen elektrischen Impuls aus, der wieder am Axon entlangwandert und so von Zelle zu Zelle weitergegeben wird.

Bewusste Reaktionen vs. Reflexe

Eine bewusste Reaktion ist eine absichtliche und überlegte Antwort auf einen Stimulus oder Reiz, der durch das Bewusstsein gesteuert wird.

Reflexe sind Reaktionen, die unbewusst passieren, ohne deine Steuerung, also automatisch, ablaufen. Wichtig: Reflexe haben die Aufgabe, dich vor Gefahren zu schützen. Deshalb müssen sie möglichst schnell ausgelöst werden. Die Übertragung und Verschaltung vom Reiz zum Reflex darf also nicht zu lange dauern. Deswegen werden Reflexe im Vergleich zu den bewussten Handlungen nur im Rückenmark umgeschaltet.

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Beispiele für Reflexe

Beispiele für typische Eigenreflexe sind der beschriebene Patellarsehnenreflex oder der Achillessehnenreflex, wobei jeweils die benachbarten Muskelstränge der Sehnen aktiviert werden. Fremdreflexe sind beispielsweise der Lidschlag oder der Würgereflex.

Der Reflexbogen

Allen Reflexen gemeinsam ist, dass periphere Nerven in unseren verschiedenen Körperteilen automatisch mit Teilen des zentralen Nervensystems interagieren. Das kann das Rückenmark sein oder auch Teile unseres Gehirns im Hirnstamm. Anders als bei bewussten Handlungen ist bei angeborenen Reflexen das Gehirn aber nicht der Befehlsgeber, sondern Befehlsempfänger - oder gar nicht erst involviert. Die Rückmeldung des zentralen Nervensystems erfolgt dann an Muskel- oder Hautzellen einer bestimmten Körperregion oder an ganze Organe und löst die sichtbare motorische Reaktion aus.

Andere Arten von Reaktionen

Umgangssprachlich spricht man auch vom Niesreflex. Aber: „Das Niesen ist kein echter Reflex“, sagt der Arzt Fabian Singbartl von der Asklepios Klinik Harburg in Hamburg. Auch beim sogenannten gastrokolischen Reflex handelt es sich nicht um einen über das Nervensystem vermittelten echten Reflex, sondern einen eher langsamen und hormonellen Vorgang. Ein Mittelding ist dagegen der Speichelreflex. Dieser wird zum einen ausgelöst, wenn chemische und mechanische Rezeptoren in Mund und Nase Essensmoleküle beziehungsweise Kaubewegungen wahrnehmen. Zum anderen führen manchmal allein der Anblick oder die Vorstellung einer leckeren Speise dazu, dass uns das Wasser im Mund zusammenläuft. Während ersteres ein angeborener, unbedingter Reflex ist, ist die zweite Reaktion erlernt. Weil der Lerneffekt unbewusst über Konditionierung verläuft, spricht man von einem sogenannten bedingten Reflex.

Das Reiz-Reaktions-Schema in den Sinnesorganen

Das Reiz-Reaktions-Schema ist nicht nur in psychologischen oder neurologischen Kontexten relevant, sondern spielt ebenso eine entscheidende Rolle in der Sinnesphysiologie. Jedes unserer Sinnesorgane - ob Auge, Ohr, Haut, Zunge oder Nase - funktioniert nach diesem grundlegenden Prinzip.

Das Ohr als Beispiel

Ein überaus beeindruckendes Beispiel für das Reiz-Reaktions-Schema in Aktion bietet das menschliche Ohr. Der Schall selbst ist eine Form von mechanischem Reiz, der durch schwingende Moleküle der Luft (oder anderer Medien) erzeugt wird. Dein Ohr besteht aus drei Hauptteilen: dem äußeren Ohr (Ohrmuschel und Gehörgang), dem Mittelohr (Trommelfell und Gehörknöchelchen) und dem Innenohr (Cochlea und Vestibularapparat). Wenn du zum Beispiel einer Melodie lauschst, fängt dein äußeres Ohr die Schallwellen auf und kanalisiert sie zum Trommelfell. Hier bringen sie das Trommelfell zum Schwingen. Diese Schwingungen werden von den Gehörknöchelchen aufgenommen und an die Cochlea im Innenohr weitergeleitet.

Das Auge als Beispiel

Ein anderes erstaunliches Sinnesorgan, das nach dem Reiz-Reaktions-Schema arbeitet, ist das menschliche Auge. Das Licht stellt in diesem Kontext den Reiz dar. Es ist eine Form von elektromagnetischer Strahlung, die sich durch bestimmte Eigenschaften wie Wellenlänge (Farbe), Intensität (Helligkeit) und Polarisation auszeichnet. Stelle dir vor, du siehst einen roten Apfel. Das Licht, das von diesem Apfel reflektiert wird, trifft auf dein Auge und durchläuft die oben beschriebenen Etappen. Wenn es die Netzhaut erreicht, regt es spezifische Photorezeptoren an - in diesem Fall vor allem die Zapfen, die für die Farbwahrnehmung zuständig sind.

Störungen der Reizweiterleitung

Die Fähigkeit Reize aus der Umwelt wahrzunehmen und zu verarbeiten, beruht auf einem komplexen Zusammenspiel von Sinnesorganen, Nervenbahnen und zentralnervösen Strukturen. Störungen der Signalweiterleitung entstehen oft auf neuronaler Ebene. Beispiele sind periphere Neuropathien oder Rückenmarksläsionen. In solchen Fällen gelangen Signale nicht mehr korrekt zum Gehirn. Im zentralen Nervensystem kann eine gestörte Verarbeitung zu Wahrnehmungsstörungen führen. Ein Beispiel sind zentrale Schmerzsyndrome. Solche Dysfunktionen können sich zudem in Form einer Überempfindlichkeit gegenüber Reizen (Hyperästhesie) oder im Gegenteil, einer verminderten Empfindlichkeit (Hypästhesie) äußern. Beide Zustände sind Ausdruck einer gestörten Reizverarbeitung und können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.

Klinische Bedeutung von Reflexen

Für gewöhnlich sind Reflexe hilfreiche Körperreaktionen, die bei allen Gesunden im entspannten Zustand ausgelöst werden können. Wie ausgeprägt die jeweilige Reaktion ausfällt, ist jedoch von Mensch zu Mensch verschieden und kann sich auch zwischen den Reflexen unterscheiden. Mit zunehmendem Alter können die Reflexe insgesamt an Intensität verlieren. Ob und in welcher Intensität Menschen Reflexe zeigen, gibt Ärzten hilfreiche Hinweise auf den Zustand ihres Nervensystems. Neben besagtem Kniehämmerchen greifen Mediziner bei neurologischen Untersuchungen daher beispielsweise auch zu einer Taschenlampe, um den Pupillenreflex zu testen. Der Babinski-Reflex ist bei Erwachsenen ein Hinweis auf einen Nervenschaden. Bei bestimmten Erkrankungen oder Verletzungen des Nervensystems kann es auch zu verminderten oder untypischen Reflexen kommen, was sich ebenfalls zur Diagnose nutzen lässt. Ein beschleunigter Blinzelreflex kann beispielsweise auf eine Gehirnerschütterung hinweisen und der sogenannte Babinski-Reflex einen Schlaganfall oder eine Hirnblutung anzeigen.

Reflexe und Autismus

Bei Autisten ist wiederum der sogenannte vestibulo-okuläre Reflex (VOR) übermäßig aktiv: Wenn sich unser Kopf plötzlich dreht, bewegen sich die Augen ebenso schnell in die entgegengesetzte Richtung, um den Blick stabil zu halten. Auch das hilft zur Diagnose: „Wir können es bei Kindern mit Autismus messen, die nicht sprechen oder Anweisungen nicht befolgen können oder wollen“, sagt Kevin Bender von der University of California in San Francisco, dessen Team diesen Effekt kürzlich entdeckt hat. Ein verstärkter oder verminderter Pupillenreflex könnte ebenfalls auf Autismus hinweisen, wie verschiedene Studien nahelegen.

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