Neurovaskuläre Kompressionssyndrome sind klinisch gekennzeichnet durch Funktionsstörungen einzelner Hirnnerven. Die Schmerzsymptomatik der Nervus auriculotemporalis Neuralgie tritt meist streng einseitig für wenige Sekunden bis Minuten auf und geht mit anfallsartig auftretenden, lanzinierenden Schmerzen im Gesicht einher und betrifft zumeist den zweiten oder dritten Nervenast.
Einführung
Die Nervus auriculotemporalis Neuralgie ist eine seltene, aber sehr schmerzhafte Erkrankung, die durch eine Schädigung oder Reizung des Nervus auriculotemporalis verursacht wird. Dieser Nerv ist ein Ast des Nervus trigeminus, des größten Gesichtsnervs, und versorgt einen Teil der Kopfhaut, des Ohrs und des Kiefergelenks. Die Neuralgie kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden und äußert sich in heftigen, stechenden Schmerzen im Versorgungsgebiet des Nervs.
Ursachen
Die Ätiologie der Nervus auriculotemporalis Neuralgie ist nicht immer eindeutig geklärt. Es gibt verschiedene mögliche Ursachen, darunter:
- Neurovaskuläre Kompression: Ähnlich wie bei der Trigeminusneuralgie kann eine Kompression des Nervus auriculotemporalis durch ein Blutgefäß an der Nervenaustrittszone am Hirnstamm („root entry“/„root exit zone“ [REZ]) die Ursache sein. An dieser „natürlichen Schwachstelle“, an der zentrales Myelin in peripheres Myelin übergeht, ist der Nerv besonders anfällig für mechanische Irritationen, die dann die Symptomatik hervorrufen.
- Trauma: Verletzungen im Bereich des Kopfes, des Gesichts oder des Kiefers können den Nervus auriculotemporalis schädigen und eine Neuralgie auslösen.
- Operationen: Insbesondere operative Eingriffe im Bereich der Ohrspeicheldrüse (Parotis) können den Nervus auriculotemporalis beeinträchtigen. Auch andere Operationen im Kopf- und Gesichtsbereich können in seltenen Fällen zu einer Neuralgie führen.
- Entzündungen: Eitrige Entzündungen der Ohrspeicheldrüse (Parotitis) oder andere Entzündungen im Bereich des Nervs können ebenfalls eine Neuralgie verursachen.
- Tumore: In seltenen Fällen können Tumore, die auf den Nervus auriculotemporalis drücken, die Ursache für die Neuralgie sein. Als Trigeminusneurinom bezeichnet man einen gutartigen Tumor, der aus den Schwann’schen Zellen des sensiblen Gesichtsnerven entspringt (N. trigeminus).
- Andere Erkrankungen: Multiple Sklerose oder andere neurologische Erkrankungen können ebenfalls mit einer Nervus auriculotemporalis Neuralgie einhergehen.
- Idiopathisch: In einigen Fällen lässt sich keine eindeutige Ursache für die Neuralgie finden. Man spricht dann von einer idiopathischen Neuralgie.
Symptome
Das Hauptsymptom der Nervus auriculotemporalis Neuralgie sind heftige, stechende oder brennende Schmerzen im Versorgungsgebiet des Nervs. Die Schmerzen können anfallsartig auftreten und nur wenige Sekunden oder Minuten dauern, aber auch über längere Zeit anhalten. Typische Lokalisationen der Schmerzen sind:
- Schläfenbereich
- Ohrbereich
- Kieferwinkel
- Wangenbereich
Die Schmerzen können durch bestimmte Trigger ausgelöst werden, wie zum Beispiel:
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- Berührung
- Kauen
- Sprechen
- Windzug
Begleitend zu den Schmerzen können weitere Symptome auftreten, wie zum Beispiel:
- Hautrötung im betroffenen Gebiet
- Schweißausbrüche im Wangen- und Schläfenbereich (aurikulotemporales Syndrom, auch bekannt als Frey-Syndrom)
- Tränenfluss
- Nasenlaufen
- Speichelfluss
Diagnostik
Die Diagnose der Nervus auriculotemporalis Neuralgie basiert in erster Linie auf der Anamnese und der klinischen Untersuchung. Der Arzt wird sich nach der Art, Lokalisation und Auslöser der Schmerzen erkundigen. Eine neurologische Untersuchung kann helfen, andere Ursachen für die Schmerzen auszuschließen.
Zusätzlich können bildgebende Verfahren eingesetzt werden, um die Ursache der Neuralgie zu ermitteln. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Kopfes kann zum Beispiel Tumore, Entzündungen oder neurovaskuläre Konflikte darstellen. Neben hochauflösenden 3D-T2-gewichteten Sequenzen, wie zum Beispiel der CISS-Sequenz („constructive interference in steady-state“) sollte auch eine 3D-TOF(„time of flight“)-Angiografie durchgeführt werden, um sicher zwischen arterieller und venöser Kompression unterscheiden zu können. Außerdem dient die MRT auch dazu, andere Prozesse auszuschließen, die ursächlich für die Symptomatik sein könnten, wie zum Beispiel Tumore oder Aneurysmen.
In einigen Fällen kann eine Nervenleitgeschwindigkeitsmessung (NLG) durchgeführt werden, um die Funktion des Nervus auriculotemporalis zu überprüfen.
Differenzialdiagnostisch muss die Nervus auriculotemporalis Neuralgie von anderen Gesichtsschmerzen abgegrenzt werden, wie zum Beispiel:
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- Trigeminusneuralgie: Bei der Trigeminusneuralgie handelt es sich um äußerst starke Schmerzen, die blitzartig in den Unterkiefer und/ oder Oberkiefer, selten auch in die Stirn einschießen. Trotz der typischen Symptomatik wird die Trigeminusneuralgie oft nicht erkannt und eine Behandlung erst spät eingeleitet. Die Ursache der Schmerzen ist der Druck eines Gefäßes auf den Trigeminusnerv.
- Atypischer Gesichtsschmerz/ ideopathischer Gesichtsschmerz: Beim atypischen oder ideopathischen Gesichtsschmerz handelt es sich um einen Schmerz, der eher kontinuierlich vorhanden ist, einen dumpf drückenden Schmerzcharakter aufweist und der nicht dem Innervationsgebiet eines oder mehrerer Äste des Nervus trigeminus zugeordnet werden kann. Auch lässt sich die Intensität der Schmerzen nicht durch eine lokalisierte oder bereits ausgeheilte Erkrankung in dem entsprechenden Areal erklären. In der Regel ist keine organische Läsion nachweisbar.
- Kiefergelenkserkrankungen: Verspannte und verkrampfte Kaumuskeln rauben schmerzbedingt den Schlaf, beeinträchtigen durch muskuläre Überspannungen im Hals/Luftröhrenbereich die nächtliche Atmung, führen durch Kompression von Kopfblutgefäßen zu Schwindelgefühl und enden leider nicht selten auch in einer Druck- und Geräuschbelästigung im Ohr.
- Zahnschmerzen: Nicht immer wird der Schmerz, der von einem einzelnen Zahn oder von einer Zahnreihe ausgeht, als Zahnschmerz wahrgenommen, sondern oft als Oberkiefer- oder Unterkiefer-Schmerz oder gar als Gesichtsschmerz interpretiert.
Therapie
Die Therapie der Nervus auriculotemporalis Neuralgie richtet sich nach der Ursache der Erkrankung und der Schwere der Symptome. Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die einzeln oder in Kombination eingesetzt werden können.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie ist oft die erste Wahl bei der Behandlung der Nervus auriculotemporalis Neuralgie. Es werden verschiedene Medikamente eingesetzt, um die Schmerzen zu lindern:
- Schmerzmittel: Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Diclofenac können bei leichten bis mittelschweren Schmerzen helfen.
- Antikonvulsiva: Carbamazepin oder Gabapentin sind Medikamente, die auch bei Epilepsie eingesetzt werden und sich bei der Behandlung von neuropathischen Schmerzen, wie der Nervus auriculotemporalis Neuralgie, bewährt haben. Evidenzbasiert steht die Gabe von Carbamazepin als Mittel der Wahl an erster Stelle der Behandlung (6, 7).
- Antidepressiva: Trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin oder Nortriptylin können ebenfalls bei neuropathischen Schmerzen eingesetzt werden.
- Muskelrelaxantien: Bei Muskelverspannungen im Kiefer- und Gesichtsbereich können Muskelrelaxantien wie Tizanidin oder Baclofen helfen.
- Lokalanästhetika: In einigen Fällen kann eine Injektion von Lokalanästhetika in den Nervus auriculotemporalis eine vorübergehende Schmerzlinderung bewirken.
Invasive Therapieverfahren
Wenn die medikamentöse Therapie nicht ausreichend wirksam ist oder zu starke Nebenwirkungen verursacht, können invasive Therapieverfahren in Betracht gezogen werden:
- Nervenblockade: Eine Injektion von Lokalanästhetika und Kortikosteroiden in den Nervus auriculotemporalis kann eine länger anhaltende Schmerzlinderung bewirken.
- Radiofrequenzablation: Bei der Radiofrequenzablation wird der Nervus auriculotemporalis durch Hitze verödet, um die Schmerzleitung zu unterbrechen.
- Mikrovaskuläre Dekompression (MVD): Ähnlich wie bei der Trigeminusneuralgie kann eine MVD durchgeführt werden, wenn die Neuralgie durch eine Kompression des Nervus auriculotemporalis durch ein Blutgefäß verursacht wird. Ziel der mikrovaskulären Dekompressionsoperation ist die Beseitigung des Gefäß-Nerven-Kontaktes durch Trennung der Strukturen voneinander und das langfristige Verhindern der Neuentstehung einer neurovaskulären Kompression. Der Eingriff erfolgt unter Allgemeinanästhesie über eine retrosigmoidale Kraniotomie. Obligat ist ein kontinuierliches Neuromonitoring mit Facialis-EMG und akustisch-evozierten Potenzialen (26).
- Partielle sensorische Rhizotomie (PSR): Zuletzt soll die partielle sensorische Rhizotomie (PSR) erwähnt werden, die aus unserer Sicht eine „ultima ratio“-Therapieoption bei therapierefraktärer Trigeminusneuralgie darstellt. Bei der Operation können bis zu 2/3 der sensiblen Fasern des Trigeminusnerven durchtrennt werden (13, e12).
Weitere Therapieverfahren
Zusätzlich zu den oben genannten Therapieverfahren können weitere Maßnahmen zur Schmerzlinderung beitragen:
- Physiotherapie: Physiotherapeutische Übungen können helfen, Muskelverspannungen im Kiefer- und Gesichtsbereich zu lösen und die Beweglichkeit des Kiefergelenks zu verbessern.
- Psychotherapie: Psychologische Schmerztherapieverfahren (z. B. Verhaltenstherapie/Hypnose) können helfen, mit den Schmerzen umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.
- Akupunktur: Gegenirritationsverfahren (z. B. Akupunktur, transkutane elektrische Nervenstimulation-TENS) können ebenfalls zur Anwendung kommen.
- Entspannungstechniken: Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung oder autogenes Training können helfen, Stress abzubauen und die Schmerzen zu lindern.
- Kältetherapie: Das Auflegen von kalten Kompressen auf den betroffenen Bereich kann die Schmerzen lindern.
- Botulinumtoxin: Die Behandlung mit Botulinum-Neurotoxin (BTX) hat sich als Standard in der symptomatischen Therapie etabliert. Die Wirksamkeit von BTX beruht auf der Blockade der kalziumabhängigen Acetylcholinfreisetzung an den Synapsen, woraus eine reversible Lähmung der betroffenen Muskulatur resultiert (e18).
Aurikulotemporales Syndrom (Frey-Syndrom)
Das aurikulotemporale Syndrom, auch bekannt als Frey-Syndrom, ist eine mögliche Komplikation nach Operationen im Bereich der Ohrspeicheldrüse (Parotis). Es äußert sich in Hautrötungen und Schweißausbrüchen im Wangen- und Schläfenbereich, die von brennenden Schmerzen begleitet werden. Die Ätiologie ist nicht eindeutig geklärt. Möglicherweise kommt es bei dem postoperativ auftretendem Syndrom zu atypischen Anastomosen der sekretorischen Fasern des N.
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Die Therapie des aurikulotemporalen Syndroms umfasst:
- Auftragen einer 3%igen Scopolaminsalbe: Scopolamin hemmt die Schweißsekretion.
- Operative Blockaden des N. auriculotemporalis oder des N:
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