Die Alzheimer-Forschung hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Mit der Zulassung von Lecanemab in der EU steht nun erstmals eine Therapie zur Verfügung, die nicht nur die Symptome der Alzheimer-Krankheit lindert, sondern auch auf die zugrunde liegenden Krankheitsprozesse abzielt. Dieser Durchbruch markiert den Beginn einer neuen Ära in der Alzheimer-Behandlung und beflügelt die weitere Forschung auf diesem Gebiet.
Lecanemab: Ein Gamechanger in der Alzheimer-Therapie
Lecanemab ist ein Antikörper, der speziell gegen Amyloid-beta-Plaques im Gehirn wirkt, die als eine der Hauptursachen für die Alzheimer-Krankheit gelten. Diese Plaques entstehen durch die Ablagerung von Amyloid-beta-Proteinen zwischen den Nervenzellen und können zu deren Absterben führen. Lecanemab erkennt und bindet selektiv an eine Vorstufe dieser Plaques, wodurch das körpereigene Immunsystem aktiviert wird, um die Plaques abzubauen und die Bildung neuer Ablagerungen zu verhindern.
Die europäische Zulassungsbehörde EMA hat Lecanemab nach einer sorgfältigen Prüfung der Studiendaten zugelassen. Ausschlaggebend waren die Ergebnisse der Phase-3-Studie CLARITY AD, die eine signifikante Verlangsamung des Krankheitsverlaufs bei Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI) oder leichter Alzheimer-Demenz zeigte. Konkret verlangsamte Lecanemab den Gedächtnisschwund um etwa 27 Prozent im Vergleich zur Placebogruppe.
Voraussetzungen für die Behandlung mit Lecanemab
Lecanemab ist nicht für alle Alzheimer-Patienten geeignet. Die Behandlung kommt nur für Menschen infrage, die sich in einem frühen Stadium der Erkrankung befinden und bislang nur geringe Einbußen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit haben. Dazu zählen vor allem Personen mit einer Alzheimer-Diagnose im Stadium eines Mild Cognitive Impairment (MCI, zu Deutsch „leichte kognitive Störung“) oder im frühen Stadium einer Alzheimer-Demenz.
Vor Beginn der Behandlung müssen zudem bestimmte Voruntersuchungen durchgeführt werden, um die Eignung des Patienten für die Therapie zu prüfen. Dazu gehören:
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- Kognitive Tests: Standardisierte Testmethoden zur Überprüfung des Gedächtnisses und anderer kognitiver Fähigkeiten. In Zukunft könnten auch digitale Tests über Mobiltelefon oder Computer zum Einsatz kommen.
- Nachweis von Amyloid-beta-Ablagerungen: Entweder durch eine Lumbalpunktion (Entnahme von Nervenwasser) oder mittels Amyloid-PET (bildgebendes Verfahren zur Darstellung von Ablagerungen im Gehirn).
- Genetische Untersuchung: Überprüfung, ob der Patient das ApoE4-Gen besitzt. Menschen mit einer doppelten Kopie dieses Gens haben ein erhöhtes Risiko für schwere Nebenwirkungen und können deshalb nicht mit Lecanemab behandelt werden.
- MRT des Kopfes: Zum Ausschluss von Mikroblutungen im Gehirn.
- Ausschluss von Kontraindikationen: Lecanemab eignet sich außerdem nicht für Menschen, die regelmäßig bestimmte Blutverdünner einnehmen, da bei ihnen die Gefahr für Hirnblutungen erhöht ist.
Es ist wichtig zu betonen, dass nur etwa 1 von 100 Menschen mit einer Alzheimer-Demenz alle Voraussetzungen für die Behandlung mit Lecanemab erfüllt.
Ablauf der Behandlung mit Lecanemab
Lecanemab wird als Infusion alle zwei Wochen direkt in die Vene verabreicht. Die Behandlung dauert jeweils etwa eine Stunde. Während der Behandlung sind regelmäßige MRT-Untersuchungen notwendig, um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder kleine Blutungen im Gehirn frühzeitig zu erkennen. Diese Untersuchungen müssen vor der 5., 7. und 14. Dosis erfolgen. Werden die vorgeschriebenen MRTs nicht durchgeführt, muss die Behandlung abgebrochen werden.
Treten während der Behandlung Beschwerden wie Kopfschmerzen, Verwirrtheit oder Übelkeit auf, entscheiden die behandelnden Ärzte, ob eine zusätzliche MRT-Untersuchung notwendig ist.
Mögliche Nebenwirkungen von Lecanemab
In Studien traten bei einem Teil der Teilnehmer Nebenwirkungen auf - darunter Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). Diese waren in den meisten Fällen symptomlos, wurden aber engmaschig kontrolliert. Bei den für die EU-Zulassung relevanten Patientengruppen - also Menschen mit höchstens einer Kopie des ApoE4-Gens - kam es in rund 13 % der Fälle zu Hirnblutungen und in 9 % zu Hirnschwellungen.
Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (11 %) und Infusionsreaktionen (26 %). In der Studie wurden drei Todesfälle gemeldet, von denen zwei mit der gleichzeitigen Einnahme von Gerinnungshemmern in Verbindung gebracht wurden.
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Verfügbarkeit und Kosten von Lecanemab in Deutschland
Lecanemab ist seit April 2025 in der EU zugelassen. Ein genauer Termin, ab wann Lecanemab in Deutschland verschrieben werden kann, steht noch nicht fest. Vor der Markteinführung muss der Hersteller zusätzliche Auflagen erfüllen. Dazu zählen unter anderem ausführliche Aufklärungsunterlagen und eine sogenannte Patientenkarte.
Die Kosten für die Behandlung mit Lecanemab sind derzeit noch unklar. In den USA belaufen sich die Jahrestherapiekosten auf etwa 26.500 US-Dollar. Hinzu kommen die Kosten für die Voruntersuchungen und das Monitoring während der Behandlung. Es bleibt abzuwarten, in welcher Höhe die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen in Deutschland die Kosten übernehmen werden.
Weitere vielversprechende Therapieansätze in der Alzheimer-Forschung
Neben Lecanemab gibt es eine Reihe weiterer vielversprechender Therapieansätze in der Alzheimer-Forschung. Dazu gehören:
- Donanemab: Ein weiterer Antikörper, der ebenfalls gegen Amyloid-beta-Plaques wirkt und in klinischen Studien positive Ergebnisse gezeigt hat. Die EMA hat Donanemab am 25.07.2025 zur Zulassung empfohlen.
- Medikamente gegen Tau-Proteine: Tau-Proteine sind ein weiterer wichtiger Bestandteil der für Alzheimer typischen Ablagerungen im Gehirn. Es gibt erste ermutigende Studien, die zeigen, dass bestimmte Medikamente in der Lage sind, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen, indem sie auf die Tau-Proteine einwirken.
- Kombinationstherapien: In Zukunft könnten Kombinationstherapien zum Einsatz kommen, die sowohl Antikörper gegen Amyloid-beta als auch gegen Tau enthalten. Oder diese um Medikamente aus ganz anderen Bereichen ergänzen.
- Gentherapie: Ein Forschungsteam um Prof. Martin Fuhrmann (Bonn) möchte mit Hilfe eines gentherapeutischen Verfahrens das Risiko-Gen ApoE3 verändern und damit das Risiko für Alzheimer senken. Dafür sind Untersuchungen an Zellkulturen und Mäusen vorgesehen.
Präventive Maßnahmen und psychosoziale Unterstützung
Neben medikamentösen Therapien spielen auch präventive Maßnahmen und psychosoziale Unterstützung eine wichtige Rolle im Umgang mit der Alzheimer-Krankheit. Dazu gehören:
- Reduktion von Risikofaktoren: Betroffene sollten ihr Risiko durch Herzkreislauferkrankungen reduzieren, also zum Beispiel ihren Bluthochdruck einstellen oder ihre Herzrhythmusstörungen behandeln lassen. Außerdem sollten sie sich bei Schwerhörigkeit und Sehstörungen helfen lassen und sich gesund ernähren.
- Psychosoziale Faktoren: Alzheimer-Patient:innen sollten sich nicht isoliert fühlen, sondern noch immer Umgang mit anderen Menschen erleben und sich beschäftigen. Ein Ansatz dazu kann DCM sein, Dementia Care Management. Dieses Versorgungskonzept wird am DZNE vorangetrieben: Speziell qualifizierte Pflegepersonen unterstützen dabei die häusliche Versorgung von Menschen mit Alzheimer. Sie stimmen sich dafür mit allen Beteiligten ab - den Angehörigen, aber auch mit den medizinischen und psychosozialen Therapeut:innen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass DCM wirkt: zwar nicht an der Wurzel der Krankheit.
Herausforderungen und Ausblick
Die Zulassung von Lecanemab ist ein wichtiger Schritt nach vorn in der Alzheimer-Therapie, aber es gibt noch viele Herausforderungen zu bewältigen. Dazu gehören:
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- Frühzeitige Diagnose: Die neuen Therapien sind am wirksamsten, wenn sie in einem frühen Stadium der Erkrankung eingesetzt werden. Daher ist es wichtig, Alzheimer frühzeitig zu erkennen.
- Kapazitäten: Es bedarf spezialisierter Einrichtungen mit ausreichender personeller und technischer Ausstattung.
- Kosten: Die Kosten für die neuen Therapien sind hoch. Es ist wichtig, dass diese für alle Patienten zugänglich sind.
- Weitere Forschung: Es bedarf weiterer Forschung, um noch wirksamere Therapien zu entwickeln und die Ursachen der Alzheimer-Krankheit besser zu verstehen.
Trotz dieser Herausforderungen gibt es Grund zum Optimismus. Die Alzheimer-Forschung hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, und es gibt eine Reihe vielversprechender Therapieansätze in der Entwicklung. Mit der Zulassung von Lecanemab und Donanemab steht nun erstmals eine krankheitsmodifizierende Therapie zur Verfügung, die das Potenzial hat, den Verlauf der Alzheimer-Krankheit zu verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.