Neue Medikamente gegen Nervenschmerzen: Ein Überblick

Chronische Nervenschmerzen stellen eine erhebliche Belastung für Betroffene dar. In Deutschland leiden bis zu acht Millionen Menschen an dieser Art von Schmerzen. Die Therapie gestaltet sich oft schwierig, da herkömmliche Schmerzmittel oft nicht ausreichend wirken oder starke Nebenwirkungen verursachen. Glücklicherweise gibt es in der Forschung und Entwicklung von Medikamenten gegen Nervenschmerzen Fortschritte. Dieser Artikel bietet einen Überblick über neue und vielversprechende Therapieansätze.

Trigeminusneuralgie: Hoffnung durch selektiven Natriumkanalblocker

Die Trigeminusneuralgie ist eine besonders schmerzhafte Form von Nervenschmerz, bei der Attacken durch Berührungsreize ausgelöst werden. Ursache ist meist eine Reizung des Nervus trigeminus, der für die Empfindungen im Gesichtsbereich zuständig ist. Ein neues Medikament mit dem Wirkstoff „BIIB074“ könnte hier Abhilfe schaffen. Es hemmt den schmerzverantwortlichen Natriumkanal 1.7, und zwar in Abhängigkeit von dessen Aktivitätszustand: Je aktiver der Kanal, desto stärker die Hemmung. Im Unterschied zu etablierten Medikamenten soll BIIB074 gut verträglich sein und weniger Müdigkeit und Konzentrationsstörungen verursachen.

Cannabinoide als Alternative zu Opioiden: VER-01 vor der Zulassung

Chronische Schmerzen sind eine globale Herausforderung, von der mehr Menschen betroffen sind als von Diabetes, Herzkrankheiten und Krebs zusammen. Bisher gelten Opioide als Standardtherapie, sind aber aufgrund ihres Suchtpotenzials und ihrer Nebenwirkungen umstritten. Das Münchener Biopharmaunternehmen Vertanical hat mit VER-01 ein Cannabinoid-basiertes Schmerzmittel entwickelt, das kurz vor der Zulassung steht.

In zwei großen Phase-III-Studien zeigte VER-01 eine deutliche Schmerzlinderung bei Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen. Zusätzlich zu verbesserter Mobilität und Schlafqualität traten keine Abhängigkeits- oder Entzugssymptome auf. Experten sehen in den Studienergebnissen einen "echten Durchbruch". Die Studien belegen eine deutliche Schmerzreduktion und eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität, was auch das Risiko für Depressionen minimiert.

Cannabis als Medizin ist in Deutschland seit 2017 für die Therapie schwerer Erkrankungen zugelassen. VER-01 könnte bereits im Juli zugelassen werden und zunächst in Deutschland und Österreich unter dem Namen Exilby erhältlich sein. Weitere europäische Länder und die USA sollen folgen. Zudem plant Vertanical, VER-01 für weitere Schmerzindikationen wie neuropathische Schmerzen zu testen.

Lesen Sie auch: Parkinson: Neue Wege zur Linderung

Pregabalin Aristo® retard: Vereinfachte Anwendung für mehr Adhärenz

Obwohl der Wirkstoff Pregabalin nicht neu ist, stellt die nur einmal tägliche Anwendung von Pregabalin Aristo® retard eine Vereinfachung der Therapie dar. Der Schmerzmediziner Professor Dr. Ralf Baron verspricht sich davon positive Effekte auf die Adhärenz der Patienten.

Die neue Retardtablette enthält Pregabalin in einer Matrix, aus der der Wirkstoff pH-abhängig verzögert freigesetzt wird. Hypromellose sorgt dafür, dass die Tablette im Magen verbleibt und aufschwimmt. Wichtig ist die Einnahme direkt nach dem Abendessen, da eine Nüchterneinnahme die Wirkung reduziert. Bei der Umstellung von einem Pregabalin-Präparat mit sofortiger Wirkstofffreisetzung auf die Retardtablette soll der Patient am Stichtag morgens noch einmal die nicht retardierte Darreichungsform einnehmen und dann abends nach dem Abendessen die erste Retardtablette schlucken.

Capsaicin-Pflaster: Schmerzhafte, aber wirksame Therapie

Bei Nervenschmerzen, die lokalisiert in einem umschriebenen Areal auftreten, kann ein Capsaicin-Pflaster eingesetzt werden. Es enthält eine hohe Konzentration des Wirkstoffs Capsaicin, der auch in Wärmepflastern enthalten ist. Der Wirkstoff wirkt scharf auf der Haut und führt zu einem "Sturm der Erregung" über die Nervenzellen, was diese unempfindlicher macht und die Schmerzinformationen nicht mehr senden.

Die Behandlung ist schmerzhaft und kann den Blutdruck erhöhen, aber die Wirkung ist oft lohnend. Die Capsaicin-Pflastertherapie ist zugelassen und wird in der aktuellen Leitlinie zur Therapie von Nervenschmerzen empfohlen. Die Behandlung findet in der Regel ambulant unter Beobachtung statt.

Small Fiber Neuropathy (SFN): Lacosamid als Therapieoption?

Die Small Fiber Neuropathy (SFN) ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, die mit brennenden Schmerzen, Missempfindungen und vegetativen Funktionsstörungen einhergeht. Ursache ist meist Diabetes mellitus, aber auch andere Erkrankungen kommen in Frage. Bei der SFN sind vor allem die dünnen C-Fasern betroffen, die für die Übermittlung von Schmerzsignalen wichtig sind.

Lesen Sie auch: MS-Therapie: Was ist neu?

Bisher werden zur Schmerzbehandlung Antidepressiva, Epilepsie-Medikamente oder topische Verfahren eingesetzt. Da bei der SFN bestimmte spannungsabhängige Natriumkanäle eine wichtige Rolle spielen, wurde in einer Studie die Substanz Lacosamid untersucht, die diese Kanäle blockiert.

Die Studie zeigte, dass Lacosamid bei der Mehrheit der Patienten schmerzreduzierend wirkte und auch Schlafstörungen besserte. Allerdings hatte die Substanz keinen Effekt auf vegetative Symptome und die Lebensqualität. Die Verträglichkeit und das Sicherheitsprofil der Substanz waren akzeptabel. Lacosamid ist derzeit nur in speziellen Fällen als Antiepileptikum zugelassen, aber die Ergebnisse der Studie sind vielversprechend.

Suzetrigin: Neues Schmerzmittel mit anderem Wirkmechanismus

Ende Januar hat die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA mit Suzetrigin ein Schmerzmittel einer neuen Wirkstoffklasse zugelassen. Es ist das erste neue Schmerzmittel seit mehr als zwei Jahrzehnten. Die FDA gab ihre Zustimmung nach einem beschleunigten Zulassungsverfahren, um sichere und wirksame Alternativen zu Opioiden zu genehmigen.

Suzetrigin hat nicht die gefürchteten Nebenwirkungen von Opioiden wie Abhängigkeit und Sucht. Es wird als Tablette eingenommen und soll bei starken Schmerzen eingesetzt werden, dabei aber nicht abhängig machen. Aktuell ist Suzetrigin in den USA für moderate bis starke, akute Schmerzen zugelassen, wie sie etwa bei Verletzungen oder nach Operationen auftreten.

Suzetrigin blockiert einen Natriumionenkanal, sodass Schmerzen weniger stark an Rückenmark und Gehirn weitergeleitet werden. Im Gegensatz zu anderen Ionenkanalblockern wie Lidocain wirkt Suzetrigin gezielt auf einzelne Kanäle und hat daher weniger Nebenwirkungen auf Herz und zentrales Nervensystem.

Lesen Sie auch: Donanemab (Kisunla): Ein Überblick

Bei der Einnahme von Suzetrigin sind Wechselwirkungen mit bestimmten Antibiotika, Antipilzmitteln und Grapefruit-Saft möglich. Auch kann Suzetrigin die Aktivität des CYP3A-Enzyms verstärken und sich auf die Konzentrationen anderer Medikamente im Blut auswirken. Zudem kann die Wirksamkeit hormoneller Verhütungsmittel beeinträchtigt werden. Bekannte Nebenwirkungen sind Juckreiz, Hautausschlag, Muskelkrämpfe und erhöhte Kreatinkinase-Werte im Blut.

Der Hersteller prüft, ob Suzetrigin auch bei chronischen Schmerzen eingesetzt werden kann, insbesondere bei Nervenschmerzen.

Pregabalin und Gabapentin: Häufige Verschreibung bei zweifelhafter Wirksamkeit

Pregabalin und Gabapentin sind ursprünglich für die Behandlung von Epilepsie entwickelt worden, werden aber zunehmend auch gegen neuropathische Schmerzen eingesetzt. Eine Analyse von Verschreibungsdaten der Krankenversicherungen zeigt jedoch, dass die Medikamente häufig bei allgemeinen chronischen Schmerzen verschrieben werden, obwohl ihre Wirksamkeit bei dieser Anwendung zweifelhaft ist.

Die Anzahl der Verschreibungen stieg im Untersuchungszeitraum von 2009-2015 stetig an, aber nur bei etwa 25 Prozent der Betroffenen lag eine typische neuropathische Schmerzstörung vor. In 61 Prozent aller Fälle kam es zum Abbruch der Behandlung, was vermuten lässt, dass die Verabreichung keinen therapeutischen Nutzen bringt oder dass unerwünschte Nebenwirkungen auftreten.

Behandlung von Nervenschmerzen: Ein Überblick

Die Behandlung von Nervenschmerzen unterscheidet sich von anderen Schmerzarten, da sie als direkte Folge einer Schädigung von Gefühlsnerven entstehen. Nervenschmerzen werden häufig als elektrisierend, einschießend oder brennend beschrieben.

Zur Behandlung von Nervenschmerzen werden andere Medikamente eingesetzt als beim Gewebeschmerz, da Nervenschmerzen auf NSAR und Coxibe nicht gut ansprechen. Medikamente gegen epileptische Anfälle (Antikonvulsiva) oder Medikamente gegen Depressionen (Antidepressiva) können bei Nervenschmerzen sehr wirksam sein. Sie greifen beruhigend in die Funktion der Nervenzellen ein und normalisieren die für neuropathische Schmerzen typischen Veränderungen und Störungen der Nervenfunktion.

Antikonvulsiva (z.B. Gabapentin und Pregabalin), sowie Antidepressiva (z.B. Amitriptylin oder Duloxetin) werden daher bei neuropathischen Schmerzerkrankungen gezielt zur Schmerzlinderung eingesetzt. Die Wirkung entsteht durch eine Hemmung der Schmerzweiterleitung im Rückenmark. Die zuvor genannten Antikonvulsiva und Antidepressiva können jahrelang eingenommen werden, ohne dass bleibende Organschäden entstehen. Allerdings können alle diese Medikamente Nebenwirkungen haben, die zumeist im Gehirn ausgelöst werden. Am häufigsten kann es zu Müdigkeit, Schwindel und manchmal Gedächtnisstörungen kommen. Glücklicherweise verschwinden diese Nebenwirkungen regelhaft mit der Zeit oder bei Reduktion der eingenommenen Medikamentenmenge.

Einige Formen von Nervenschmerzen können mit örtlicher und oberflächlicher Behandlung am Schmerzort therapiert werden. Die Medikamente werden dann in Form eines Pflasters oder als Creme auf die Haut aufgebracht, um bestimmte Bestandteile der Nervenzelloberfläche zu beeinflussen und die Schmerzentstehung oder -weiterleitung zu verhindern. Hierzu zählen Lidocain und Capsaicin.

Lassen sich Nervenschmerzen durch die zuvor genannten Medikamente nicht ausreichend behandeln, können mittelstark oder stark wirksame Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide zum Einsatz kommen.

tags: #neues #medikament #gegen #nervenschmerzen