Neuralgie nach Corona-Impfung: Ursachen, Forschung und Behandlungsmöglichkeiten

Die COVID-19-Impfung hat sich als ein entscheidender Schritt zur Bekämpfung der Pandemie erwiesen. Wie bei jeder medizinischen Intervention können jedoch auch nach einer Corona-Impfung unerwünschte Reaktionen auftreten. Zu den seltenen, aber potenziell schwerwiegenden Folgen zählen neurologische Beschwerden wie Neuralgien und das sogenannte Post-Vac-Syndrom. Dieser Artikel beleuchtet die möglichen Ursachen von Neuralgien nach einer Corona-Impfung, fasst den aktuellen Stand der Forschung zusammen und gibt einen Überblick über Behandlungsansätze.

Seltene, aber mögliche Folgen: Long COVID und Multisystemisches Entzündungssyndrom nach Impfung

In seltenen Fällen können Symptome, die Long COVID ähneln, oder ein Multisystemisches Entzündungssyndrom (MIS-C) auch nach einer COVID-19-Impfung auftreten. Fallberichte deuten darauf hin, dass das Risiko deutlich geringer ist als nach einer Infektion, obwohl die Datenlage noch dünn ist. Einige Experten sprechen in diesem Zusammenhang von "Post-Vac". Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) listet in seinen Sicherheitsberichten sehr seltene unerwünschte Reaktionen wie Myokarditis und Perikarditis, das Guillain-Barré-Syndrom und das Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom auf.

Das Post-Vac-Syndrom: Ein Blick auf die Forschungslage

Das PEI beobachtet zwar Meldungen über Symptome, die einem chronischen Fatigue-Syndrom (CFS) ähneln, konnte aber bisher kein mit einem Impfstoff assoziiertes Risikosignal erkennen. Die Verdachtsfallmeldungen zu CFS lägen deutlich unter der bisher beobachteten Prävalenz in der Bevölkerung. Auch auf EU-Ebene gibt es bisher keine Hinweise auf ein Risikosignal für Long COVID nach COVID-19-Impfungen.

Ein Blick in die internationale Studienlage zeigt ein spärliches Bild. Ein Beitrag in Science berichtete kürzlich über 34 Post-Vac-Fälle, die das National Institute of Health (NIH) untersucht hatte. Eine wissenschaftliche Publikation dazu gibt es jedoch noch nicht.

Deutschlandweit gibt es bisher zwei Anlaufstellen für Erwachsene mit Verdacht auf Post-Vac: eine Spezialambulanz für Post-Vac-Fälle am Universitätsklinikum Marburg und die neurologische Post-COVID-19-Sprechstunde an der Klinik für Neurologie, Charité Universitätsmedizin Berlin.

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Neurologische Manifestationen und Forschung an der Charité

Dr. med. Christiana Franke von der Klinik für Neurologie der Berliner Charité berichtet, dass seit Herbst 2021 Anfragen von Patienten mit neurologischen Manifestationen nach der Impfung eingehen. Seit Januar 2022 werden diese Patienten systematisch in der neurologischen Post-COVID-19-Sprechstunde betreut. Es wird untersucht, ob es sich um eine andere, nur im zeitlichen Zusammenhang neu aufgetretene Erkrankung handelt.

Die Ambulanz der Charité will in Kooperation mit dem Labor von Prof. Dr. med. Harald Prüß vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) einen wissenschaftlichen Beitrag leisten. Klinische Symptome und die Zusatzdiagnostik (Untersuchungen von Blut, Liquor, Bildgebung und Elektrophysiologie) sollen erhoben werden, um pathophysiologische Mechanismen analog zum Post-COVID-19-Syndrom zu finden.

Die Marburger Spezialambulanz und das heterogene Bild des Post-Vac-Syndroms

In der Marburger Spezialambulanz gibt es aktuell eine Warteliste von mehr als 1800 Betroffenen. Prof. Dr. med. Bernhard Schieffer vom Universitätsklinikum Marburg erklärt, dass dort diejenigen herausgefiltert werden, die bereits eine Coronainfektion gehabt hatten. Aktuell werden circa 200 Patienten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mit Post-Vac-Syndrom systematisch erfasst. Die Patienten präsentieren sich mit einem sehr heterogenen Bild, welches dem eines Long-COVID-Syndroms sehr ähnelt.

Schieffer ist überzeugt, dass es in den nächsten Monaten gelingen wird, Auslöser eines Post-Vac-Syndroms zu identifizieren. Die Universität Marburg bereitet mit dem PEI eine deutschlandweite Erhebung vor, um Menschen mit einem erhöhten Risiko für Post-Vac vor der nächsten Impfkampagne im Herbst herauszufiltern und diese zu schützen. Auch das PEI bestätigte, dass eine Studie geplant sei, in der lang andauernde Beschwerden nach COVID-19-Impfung, die mit chronischer Müdigkeit einhergehen, charakterisiert werden sollen.

Ursachenforschung: Spekulationen über EBV-Reaktivierung und Autoantikörper

Über die Ursachen des Post-Vac-Syndroms kann derzeit nur spekuliert werden. Möglicherweise ist eine Reaktivierung einer Epstein-Barr-Virus-(EBV-)Infektion an der Entstehung von Long COVID und Post-Vac beteiligt, wie Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen von der Charité erläuterte.

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Eine Rolle bei der Entstehung des Syndroms könnten auch Autoantikörper spielen. Prof. Dr. med. Mardin forscht an der Universität Erlangen zur Therapie von Long COVID und sieht auch Menschen ohne stattgehabte Infektion. Es gab bisher drei Fälle, in denen Menschen genau die Autoantikörper aufwiesen, die sonst bei Personen mit Long COVID gesehen werden. Dazu zählten neben Autoantikörpern gegen Angiotensin-konvertierendes Enzym 2 (ACE2), an das auch das Spike-Protein des Coronavirus andockt, auch Antikörper gegen Beta2-Glykoprotein.

Immunologisches Defizit und die Rolle von Autoimmunerkrankungen

Schieffer berichtete zudem über die Beobachtung, dass Patientinnen und Patienten ein bis dahin unbekanntes immunologisches Defizit, wie eine Autoimmunerkrankung oder ein genetisches Defizit aufwiesen. Dazu zählten beispielsweise eine rheumatoide Arthritis, eine Psoriasis, eine Zöliakie oder bestimmte Viren, die durch die COVID-19-Infektion reaktiviert würden.

Statistische Einordnung und die Bedeutung der Impfung

Wie häufig Long COVID nach einer Impfung tatsächlich vorkommt, lässt sich aktuell noch nicht sagen. Schieffer schätzt die Wahrscheinlichkeit von Post-Vac auf etwa 0,02 % nach einer Impfung. Das Risiko für ein neurologisches Post-Vac-Syndrom schätzt Prüß noch niedriger ein. Nach einer Infektion würde Long COVID demnach deutlich häufiger auftreten als nach einer Impfung.

Schieffer betont, dass er mit seinen Aussagen und Forschungen auf keinen Fall in die Nähe der Impfgegner gerückt werden möchte. Die Impfung sei der einzige Weg aus der Pandemie und zum Schutz der Bevölkerung.

Forderungen nach Spezialambulanzen und die ImpfSurv-Studie

Prof. Dr. med. Harald Matthes von der Charité forderte, mehr Spezialambulanzen für COVID-19-Langzeitfolgen auch für Patienten mit Impfkomplikationen zu öffnen. An der Charité leitet er eine Beobachtungsstudie „Sicherheitsprofil von COVID-19-Impfstoffen“ (ImpfSurv), die laut Matthes mehr schwerwiegende Impfreaktionen zeigt, als dem PEI gemeldet würden. Die Daten der noch nicht abgeschlossenen Studie sind allerdings weder überprüfbar noch repräsentativ. Matthes befürwortet die Impfung dennoch, da die Risiken einer Infektion größer seien.

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PIMS nach Impfung: Selten, aber möglich

Es zeichnet sich ab, dass PIMS auch aufgrund einer Impfung auftreten kann, allerdings seltener als nach einer SARS-CoV-2-Infektion. In Deutschland seien es aktuell 23 PIMS-Fälle, die trotz oder wegen einer Impfung der DGPI gemeldet worden seien (Stand 2. Mai 2022).

Guillain-Barré-Syndrom (GBS) und COVID-19-Impfstoffe

Die Covid-19-Vakzine Jcovden (COVID-19-Impfstoff Ad26.COV2-S [rekombinant]) von Johnson & Johnson könnte mit einem erhöhten Risiko für das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) assoziiert sein. Eine Studie wertete die von Dezember 2020 bis Januar 2022 beim Vaccine Adverse Event Reporting System (VAERS) eingegangenen Meldungen über Erkrankungen am Guillain-Barré-Syndrom nach einer Covid-19-Impfung aus. Die 21-Tage-Raten an Meldungen pro 1.000.000 Impfdosen betrugen 3,29 für Ad26.COV2.S (Johnson & Johnson), 0,29 für BNT162b2 (BioNTech/Pfizer) und 0,35 für mRNA-1273 (Moderna).

Fallbeispiele und die Schwierigkeit des Kausalitätsnachweises

Die Geschichte von Sophie G. aus Kassel zeigt, wie gravierend Impfschäden für die Betroffenen sein können. Nach einer Impfung mit dem Impfstoff von BioNTech entwickelte sie Gelenkschmerzen, einen Ausschlag, eine Sinusvenenthrombose und Epilepsie. Ihr Antrag auf staatlichen finanziellen Ausgleich wurde abgelehnt.

Es ist ein juristischer Hochseilakt, den kausalen Zusammenhang zwischen einer Impfung und einem mutmaßlichen Impfschaden vor Gericht zu beweisen. Selbst wenn ein Gesundheitsschaden anerkannt wird, verweisen die Gerichte immer auf die europäische Arzneimittelbehörde, die das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Corona-Impfung als positiv bewertete.

Neurologische Symptome von Corona-Patienten

SARS-CoV-2 gehört nach jetzigem Wissensstand nicht zu den Viren, die bevorzugt Nervenzellen befallen. Die Krux bei der Beurteilung der Erkrankungen ist die Falldefinition. Häufig ist nicht klar, ob die beobachtete neurologische Erkrankung wirklich durch die Covid-19 Erkrankung verursacht oder zufällig gleichzeitig aufgetreten ist.

Zu den häufigen neurologischen Symptomen von Corona-Patienten zählen: Riechstörungen, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Bewusstseinsstörungen und Delir, Schlaganfälle und Entzündungen Gehirn und Rückenmark.

Post-COVID-Syndrom und Post-Vac-Syndrom: Ähnliche Symptome, ähnliche Pathophysiologie

Bis zu 5% Patienten leiden nach einer akuten SARS CoV-2-Infektion an verschiedenen Langzeiterkrankungen, die als Post-COVID-Syndrom (PCS) bezeichnet werden. Ähnliche Symptome können auch nach Impfungen auftreten und werden dann als Post-Vac-Syndrom bezeichnet, wobei nach heutigem Verständnis die Pathophysiologie beider "Syndrome" ähnlich ist.

Häufige Symptome sind Müdigkeit und Fatigue, Leistungsdefizite und kognitive Störungen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen sowie Riech- und Schmeckstörungen. Für das Post-COVID-Syndrom sind als Risikofaktoren neben der Schwere der akuten SARS-CoV-2-Erkrankung, das weibliche Geschlecht und ein erhöhter BMI beschrieben. Weiterhin wurden Risikofaktoren identifiziert, die zum Zeitpunkt der COVID-19-Diagnose vorlagen, dazu gehören Typ 2-Diabetes, EBV-Virämie, sehr hohe SARS-CoV-2-Viruslast und positive Autoantikörper-Befunde.

Hyper- und hypoentzündliche Verläufe

Viele Studien haben gezeigt, dass bei den Betroffenen proentzündliche Zytokine bis zu mehreren Monaten nach Infektion noch deutlich erhöht nachgewiesen werden können. Allerdings zeigen nur etwa 80% der Betroffenen diese "hyperinflammatorische Verlaufsform". Etwa 20% der Patienten mit Post Covid und auch Post Vac zeigen keine Entzündungszeichen im Blut und keine Aktivierung von T-Lymphozyten (hypoinflammatorischer Typ).

Störungen im zellulären Immunsystem

In zahlreichen Studien wurde gezeigt, dass bei der Mehrzahl der Betroffenen Störungen im T-zellulären Immunsystem vorhanden sind. Typisch ist eine gestörte Funktionalität der T-Lymphozyten, eine TH2-Dominanz, eine verminderte Funktion der Natürlichen Killerzellen und eine Reduktion der regulatorischen T-Zellen.

Immun-Pathophysiologie des Post-COVID-Syndroms

Zu den derzeitigen Hypothesen gehören:

  • Die Auslösung einer gestörten Immuntoleranz und damit einhergehender Autoimmunität
  • Mikro-/und makrovaskuläre thromboembolische Ereignisse und nicht reparierte Gewebeschäden
  • Eine Dysbiose des intestinalen Mikrobioms
  • Reaktivierte Virusinfektionen, wie z.B. CMV, EBV oder andere Herpesviren
  • Persistierende SARS-CoV-2-Viren oder freie Spike-Proteine in Geweben oder im Blut

Autoimmunität und Autoantikörper

Die Bildung von Autoantikörpern ist meist Folge einer gestörten Regulationsfunktion der T-Lymphozyten, v.a. der regulatorischen T-Zellen (Treg), in Kombination mit lokalen und systemischen Entzündungsprozessen. Es gibt viele Hinweise darauf, dass das Vorhandensein von Autoantikörpern zum Zeitpunkt der COVID-19-Diagnose mit dem Auftreten von Post-COVID-Syndrom assoziiert ist.

Persistierendes SARS-CoV-2 Spike-Protein

Frei zirkulierendes Spike-Protein steht im Verdacht, für die Entwicklung einer Myokarditis nach SARS-CoV-2 mRNA-Impfung mit ursächlich zu sein.

Dysbiose des intestinalen Mikrobioms

Die Auswertung von Stuhlproben bestätigt, dass Patienten mit Post-Covid sehr häufig auffällige Erregerbefunde haben und zum Teil deutliche labordiagnostische Hinweise auf eine gestörte Darmpermeablität und intestinale Entzündung.

Kopfschmerzen nach COVID-19-Impfung

Kopfschmerzen sind die häufigste neurologische Nebenwirkung nach COVID-19-Impfung. Sie treten bei über 50% der Geimpften auf. Die Kopfschmerzen nach COVID-19-Impfung zeigen einen umfangreichen Symptomenkomplex. Die Symptome treten je nach Impfstoff rund 15-18 Stunden nach der Impfung auf und dauern durchschnittlich 14-16 Stunden an. Die Kopfschmerzen treten bei mehr als 75% der Betroffenen beidseitig auf. Hauptlokalisationen sind Stirn, Schläfen, Hinterkopf und Augenregion. Der Schmerzcharakter ist drückend und dumpf. Die Schmerzintensität ist mittel bis stark. Die häufigsten Begleitsymptome sind Müdigkeit, Schüttelfrost, Abgeschlagenheit und Muskelschmerzen.

Small-Fiber-Neuropathie (SFN) und posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS)

Wie andere Impfstoffe, können auch Vakzine, die auf das Coronavirus abzielen, bei manchen Menschen Nebenwirkungen hervorrufen. Zu den Symptomen können anhaltende Kopfschmerzen, starke Müdigkeit sowie abnormale Herzfrequenz und Blutdruck gehören. Bei einer Folgeerscheinung handelt es sich um die Small-Fiber-Neuropathie (SFN), eine Erkrankung des peripheren Nervensystems. Beim zweiten, beschriebenen Krankheitsbild handelt es sich um das sogenannte posturale orthostatische Tachykardiesyndrom (POTS).

Therapieansätze und die Bedeutung der Forschung

Bernhard Schieffer hat ein experimentelles Behandlungsschema entwickelt, um Betroffenen mit Post-Vac-Syndrom zu helfen. Es gibt ein Therapieverfahren, das krankmachende Bestandteile des Immunsystems aus dem Blut fischen kann: die Immunapherese, eine Art Blutwäsche. Diese Therapie wird mancherorts durchgeführt, obwohl es dafür bislang keinen wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis gibt.

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