Neuralgie und Neuritis: Ursachen, Unterschiede und Behandlungsansätze

Nerven spielen eine zentrale Rolle in unserem Körper. Sie leiten Informationen ans Gehirn und regen Muskeln zur Reaktion an. Ohne Nerven könnten wir weder Schmerz noch Berührung wahrnehmen. Wie alle Körperteile können auch Nerven geschädigt werden. Eine Schädigung der Nerven wird als Neuropathie bezeichnet, ein Sammelbegriff für verschiedene Erkrankungen des peripheren Nervensystems, wie Nervenentzündungen (Neuritis) oder Nervenverletzungen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Unterschiede und Behandlungsmöglichkeiten von Neuralgie und Neuritis.

Das Nervensystem im Überblick

Das menschliche Nervensystem besteht aus unzähligen Nervenfasern, die Informationen von Messfühlern an übergeordnete Zentren übermitteln, wo diese Reize verarbeitet werden. Die Antworten werden dann von Nerven an die Orte weitergeleitet, wo sie Aktionen auslösen sollen.

Neuropathie: Ein Überblick

Eine Neuropathie bezeichnet eine Schädigung der Nerven. Hier sind einige mögliche Ursachen:

  • Druckeinwirkung: Ein Nerv kann durch Druck beeinträchtigt werden, wie bei einem Bandscheibenvorfall oder einem Karpaltunnelsyndrom. Seltener kann auch ein Tumor einen Nerv quetschen.
  • (Stoffwechsel-)Gifte: Stoffwechselgifte können Nerven schädigen, beispielsweise bei Zucker- oder Alkoholkrankheit, oder durch Medikamente oder Schwermetalle in der Nahrung in den Körper gelangen.
  • Mangelerscheinungen und Erkrankungen: Ein Mangel an Vitaminen, insbesondere Folsäure, oder Multiple Sklerose kann die Nervenfunktion beeinträchtigen. Sind mehrere Nerven betroffen, spricht man von Polyneuropathie oder Polyneuritis, wenn entzündliche Prozesse eine Rolle spielen.
  • Nervenverletzungen: Nervenverletzungen oder -durchtrennungen können durch Verkehrsunfälle, Schnittwunden oder operative Eingriffe entstehen.
  • Nervenentzündungen (Neuritis): Diese können durch Infektionen hervorgerufen werden. Windpockenviren können im Körper verbleiben und eine Gürtelrose mit Nervenschmerzen (Zosterneuralgie) auslösen.

Die Hauptsymptome einer Neuropathie äußern sich an den vom betroffenen Nerv versorgten Körperstellen: Funktionsbeeinträchtigungen von Muskeln bis zur Lähmung, Empfindungsstörungen, Regulationsstörungen der Haut und Nervenschmerzen. Art, Ort und Ausmaß der Beschwerden hängen von den betroffenen Nerven und dem Auslöser ab.

Anzeichen einer Polyneuropathie

Die Polyneuropathie beginnt typischerweise mit Missempfindungen der Haut (Ameisenlaufen) und Sensibilitätsstörungen, die symmetrisch und sockenförmig an den Beinen lokalisiert sind. Lähmungen und Muskelschwund treten erst später auf. Ein Ischiassyndrom äußert sich oft durch ins Bein ziehende Nervenschmerzen, während ein Bandscheibenvorfall frühzeitig Muskellähmungen und taube Stellen an der Haut aufweisen kann.

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Symptome einer Neuralgie

Nervenschmerzen können plötzlich einschießen, wellenförmig an- und absteigen oder als Dauerschmerz existieren. Einige treten spontan auf, andere werden durch Faktoren wie Kälte oder Berührung ausgelöst. Nervenschmerzen entstehen nicht an der Stelle der Schädigung, sondern im Verlauf des Nervs. Das Gehirn ordnet Nervenschmerzen den Körperregionen zu, wo die Messfühler der Nervenfasern liegen.

Ein Beispiel: Bei einem Bandscheibenvorfall, der auf den Ischiasnerv drückt, schmerzt es vor allem an der Rückseite des Oberschenkels, wo die Schmerzrezeptoren des Ischiasnervs liegen. Im Kopfbereich treten Nervenschmerzen oft als Trigeminusneuralgie auf, mit blitzartig einschießenden, stechenden oder brennenden Schmerzen, meist auf einer Gesichtshälfte, ausgelöst durch Sprechen, Kauen oder Zähneputzen. Vermutlich wird die Trigeminusneuralgie in den meisten Fällen durch Druckschädigung durch ein nahe liegendes Blutgefäß verursacht.

Ähnliche Schmerzen im Bereich des Mittelfußes (Morton-Neuralgie), meist zwischen dem dritten und vierten Zeh, werden durch Berührung ausgelöst. Infolge der Symptome ist der betroffene Nerv meist schnell identifiziert, die Ursachenforschung ist jedoch langwieriger und führt nicht immer zum Erfolg.

Neuralgie vs. Neuritis vs. Neuropathie: Die Unterschiede auf einen Blick

Die Begriffe Neuralgie, Neuritis und Neuropathie werden oft im Zusammenhang mit Nervenschmerzen verwendet, bezeichnen aber unterschiedliche Aspekte von Nervenerkrankungen:

  • Neuropathie: Ist der Oberbegriff für jede Art von Nervenschädigung oder -funktionsstörung. Sie kann verschiedene Ursachen haben und sich in unterschiedlichen Symptomen äußern.
  • Neuritis: Bezeichnet eine Entzündung eines oder mehrerer Nerven. Diese Entzündung kann zu Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und Funktionsausfällen führen.
  • Neuralgie: Beschreibt einen Schmerz, der von einem Nerv ausgeht, aber nicht unbedingt mit einer Entzündung verbunden sein muss. Der Schmerz kann anfallsartig oder chronisch sein.

Als Unterscheidungsmerkmal gilt der Druckschmerz, der bei der Neuralgie kaum, bei der Neuritis deutlich vorhanden ist.

Ursachen von Neuralgie und Neuritis

Die Ursachen für Neuralgien und Neuritiden sind vielfältig:

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  • Infektionen: Virale oder bakterielle Infektionen können Nervenentzündungen verursachen. Beispiele sind die Gürtelrose (Herpes Zoster), Borreliose oder bakterielle Infektionen.
  • Autoimmunerkrankungen: Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Lupus oder rheumatoide Arthritis können zu Entzündungen und Schädigungen der Nerven führen.
  • Verletzungen: Direkte Verletzungen der Nerven, z.B. durch Unfälle, Operationen oder Quetschungen, können Neuralgien und Neuritiden verursachen.
  • Stoffwechselstörungen: Diabetes mellitus ist eine häufige Ursache für Neuropathien, die sich in Form von Nervenschmerzen äußern können. Auch andere Stoffwechselstörungen wie Niereninsuffizienz oder Schilddrüsenerkrankungen können Nerven schädigen.
  • Toxine: Bestimmte Medikamente, Alkohol, Schwermetalle und andere Umweltgifte können Nervenschäden verursachen.
  • Vitaminmangel: Ein Mangel an bestimmten Vitaminen, insbesondere B-Vitamine, kann die Nervenfunktion beeinträchtigen und zu Nervenschmerzen führen.
  • Druck auf Nerven: Ein Bandscheibenvorfall oder das Karpaltunnelsyndrom können Druck auf Nerven ausüben und Schmerzen verursachen.
  • Tumore: In seltenen Fällen können Tumore auf Nerven drücken und Neuralgien verursachen.
  • Idiopathisch: In einigen Fällen lässt sich keine eindeutige Ursache für die Neuralgie oder Neuritis finden.

Symptome von Neuralgie und Neuritis

Die Symptome von Neuralgie und Neuritis können je nach betroffenem Nerv und Ursache variieren. Typische Symptome sind:

  • Schmerzen: Die Schmerzen können stechend, brennend, bohrend oder elektrisierend sein. Sie können anfallsartig auftreten oder dauerhaft vorhanden sein.
  • Sensibilitätsstörungen: Taubheitsgefühle, Kribbeln, Brennen oder ein Gefühl von "Ameisenlaufen" können auftreten.
  • Muskelschwäche oder Lähmungen: In schweren Fällen kann es zu Muskelschwäche oder sogar Lähmungen kommen.
  • Eingeschränkte Reflexe: Die Reflexe können abgeschwächt oder nicht auslösbar sein.
  • ** vegetative Störungen:** In einigen Fällen können vegetative Störungen wie vermehrtes Schwitzen, Hautveränderungen oder Verdauungsprobleme auftreten.
  • Allodynie: Schmerzen, die durch normalerweise nicht schmerzhafte Reize ausgelöst werden (z.B. leichte Berührung).
  • Hyperalgesie: Verstärkte Schmerzempfindlichkeit bei schmerzauslösenden Reizen.

Besondere Formen von Neuralgien:

  • Trigeminusneuralgie: Heftige, blitzartige Schmerzen im Gesichtsbereich.
  • Ischiasneuralgie: Schmerzen, die vom unteren Rücken über das Gesäß bis ins Bein ausstrahlen.
  • Postzosterneuralgie: Anhaltende Nervenschmerzen nach einer Gürtelrose.
  • Morton-Neuralgie: Schmerzen im Bereich des Mittelfußes, meist zwischen dem dritten und vierten Zeh.
  • Alkohol-Neuritis: Mehrere Nerven, meist die Beinnerven, sind betroffen. Die Patienten klagen über Schwäche und Unsicherheit beim Gehen sowie über Muskelschwund beider Beine.

Diagnose von Neuralgie und Neuritis

Die Diagnose von Neuralgie und Neuritis umfasst in der Regel folgende Schritte:

  • Anamnese: Der Arzt befragt den Patienten ausführlich nach seinen Beschwerden, Vorerkrankungen und Medikamenteneinnahme. Ein Schmerztagebuch kann hier hilfreich sein.
  • Körperliche Untersuchung: Der Arzt untersucht die neurologische Funktion des Patienten, einschließlich Sensibilität, Reflexe und Muskelkraft.
  • Neurologische Untersuchung: Überprüfung von Sinneswahrnehmungen (Tast-, Hör-, Seh-, Riech- und Geschmackstests), Mimik und Augenbewegung sowie motorische Fähigkeiten (Motorik, Koordination und Reflexe). Untersuchung von Herzschlag, Atmung, Schweißproduktion und Verdauung.
  • Bildgebende Verfahren: Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) können eingesetzt werden, um Nervenstrukturen darzustellen und andere Ursachen für die Beschwerden auszuschließen.
  • Elektrophysiologische Untersuchungen: Elektromyographie (EMG) und Nervenleitgeschwindigkeitsmessung (NLG) können helfen, die Funktion der Nerven zu beurteilen und den Ort der Schädigung zu lokalisieren.
  • Laboruntersuchungen: Blutuntersuchungen können durchgeführt werden, um Entzündungen, Infektionen oder Stoffwechselstörungen festzustellen. In seltenen Fällen wird Liquor (Gehirn- beziehungsweise Rückenmarksflüssigkeit) über eine Lumbalpunktion im Lendenbereich entnommen und im Labor überprüft.
  • Quantitative sensorische Testung (QST): Prüfung der Hautempfindlichkeit.
  • Somatosensibel evozierte Potenziale (SEP): Prüfung der gesamten Gefühlsbahn von der Haut über das Rückenmark bis ins Gehirn.

Behandlung von Neuralgie und Neuritis

Die Behandlung von Neuralgie und Neuritis richtet sich nach der Ursache der Erkrankung und den Symptomen des Patienten. Ziele der Behandlung sind die Schmerzlinderung, die Verbesserung der Nervenfunktion und die Behandlung der Grunderkrankung.

Medikamentöse Therapie

  • Schmerzmittel: Nicht-opioide Schmerzmittel wie Paracetamol, Ibuprofen oder Diclofenac können bei leichten bis mittelschweren Schmerzen eingesetzt werden. Bei starken Schmerzen können Opioide erforderlich sein.
  • Antidepressiva: Bestimmte Antidepressiva, wie Amitriptylin oder Duloxetin, können bei Nervenschmerzen wirksam sein.
  • Antiepileptika: Medikamente wie Gabapentin oder Pregabalin, die ursprünglich zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt wurden, können auch bei Nervenschmerzen helfen.
  • Lokalanästhetika: Lidocain-Pflaster oder -Cremes können bei lokalen Nervenschmerzen eingesetzt werden.
  • ** Capsaicin-Pflaster:** Können zur Therapie von Nervenschmerzen eingesetzt werden.
  • Spritzen mit Botulinumtoxin: Werden zur Therapie von Nervenschmerzen eingesetzt.

Nicht-medikamentöse Therapie

  • Physiotherapie: Physiotherapeutische Übungen können helfen, die Muskeln zu stärken, die Beweglichkeit zu verbessern und Schmerzen zu lindern.
  • Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, den Alltag besser zu bewältigen und die Selbstständigkeit zu erhalten.
  • Psychotherapie: Psychotherapie kann helfen, mit den Schmerzen umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.
  • Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Die elektrische Reizung von Hautarealen erfolgt über Oberflächenelektroden. Dabei unterbindet der elektrische Reiz die Schmerzübertragung der Nerven zwischen Gehirn und Entstehungsort des Schmerzes.
  • Nervenblockaden und Infiltrationen: Können zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.
  • Entspannungstechniken: Progressive Muskelentspannung, autogenes Training oder Yoga können helfen, Stress abzubauen und Schmerzen zu lindern.
  • Kneippsche Maßnahmen: Kalte Wickel, Fußwadenwickel, Beinwickel, Armwickel, Unteraufschläger, Lendenwickel, Brustwickel mit Essigwasser. Kriterium für den Erfolg des Kaltwickels ist stets die Selbsterwärmung des behandelten Körperteiles. Teil- oder Vollbäder sollten erst im ausklingenden Stadium der Nervenentzündung genommen werden.
  • Alternative Behandlungsmethoden: Häufig sind besonders bei chronischen Nervenschmerzen mithilfe von alternativen Methoden gute Erfolge zu erzielen.

Operative Therapie

  • Dekompression: Bei Nervenkompressionssyndromen wie dem Karpaltunnelsyndrom kann eine Operation durchgeführt werden, um den Druck auf den Nerv zu entlasten. Bei der Trigeminus-Neuralgie wird eine mikrochirurgische Dekompression in der hinteren Schädelgrube vorgenommen.
  • Nervenrekonstruktion: Bei Nervenverletzungen kann eine Operation durchgeführt werden, um den Nerv zu rekonstruieren.
  • Morton Neurom Operation: Meist erfolgt die Entfernung des geschwollenen Mittelfußnerven beim Morton Neurom durch einen offenen operativen Zugang von der Fußsohle aus. Wenn die Schwellung an der Fußsohle noch nicht zu stark ausgeprägt ist, kann alternativ eine nervenerhaltende Therapie durchgeführt werden, die man als Dekompression (Druckentlastung) des Morton Neuroms bezeichnet.

Hausmittel

  • Kühle Kompressen oder warme Auflagen: Können bisweilen gut tun.

Ernährung

  • Vitamine: Eine Ernährung mit vielen Vitaminen ist wichtig für die Nerven. Rohkost, Obst sowie Milchprodukte und wenig Fleisch gelten als besonders gut, um einem Vitaminmangel vorzubeugen.
  • Verzicht auf Alkohol: Alkohol und dessen Abbauprodukte sind Gift für die Nervenzellen. Sie stören die Neurotransmitter.
  • Keine Innereien, keine Wurst, Fleisch einschränken.

Behandlung der Ursache

  • Infektionen: Werden Erreger wie Viren oder Bakterien für die Entzündung der Nerven verantwortlich gemacht - etwa bei einer Gehirnentzündung (Enzephalitis), Masern und Mumps oder Borreliose - erfolgt die Behandlung mit der entsprechenden Medikation. Gegen bakterielle Infektionen verschreiben Mediziner oftmals Antibiotika. Bei einem Virenbefall ist dieses Medikament jedoch wirkungslos, hier kommen antivirale Arzneien (Virostatika) zum Einsatz.
  • Alkoholbedingte Nervenschmerzen: Bei der Behandlung von alkoholbedingten Nervenschmerzen ist der Konsum von Alkohol sofort einzustellen, um weitere Belastungen zu verhindern.

Vorbeugung von Neuralgie und Neuritis

Eine vollständige Vorbeugung von Neuralgie und Neuritis ist nicht immer möglich, aber es gibt einige Maßnahmen, die das Risiko einer Erkrankung reduzieren können:

  • Gesunde Lebensweise: Eine gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung, Stressabbau und der Verzicht auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum können die Nervenfunktion unterstützen.
  • Impfungen: Impfungen gegen bestimmte Infektionskrankheiten, wie z.B. Gürtelrose, können das Risiko einer Neuralgie reduzieren.
  • Vermeidung von Verletzungen: Das Tragen von Schutzkleidung bei riskanten Aktivitäten kann Nervenverletzungen vorbeugen.
  • Kontrolle von Grunderkrankungen: Eine gute Kontrolle von Diabetes mellitus, Autoimmunerkrankungen und anderen Grunderkrankungen kann Nervenschäden verhindern.
  • Ergonomische Maßnahmen: Am Arbeitsplatz und im Alltag sollten ergonomische Maßnahmen ergriffen werden, um Fehlbelastungen und Druck auf Nerven zu vermeiden.

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