Neuritis vestibularis nach Corona-Impfung: Ursachen, Symptome und Behandlung

Schwindel ist ein Leitsymptom verschiedener Erkrankungen unterschiedlicher Ätiologie, die vom Innenohr, Hirnstamm oder Kleinhirn ausgehen, aber auch psychische Ursachen haben können. Internistische Ursachen sind bei reinem Drehschwindel unwahrscheinlich und werden meist überschätzt; bei Schwankschwindel ist an eine orthostatische Dysregulation oder Nebenwirkungen von Medikamenten wie Antihypertensiva oder Antikonvulsiva zu denken. Trotz der hohen klinischen Relevanz besteht für das Leitsymptom Schwindel weiterhin eine Unter- und Fehlversorgung. Dies gilt sowohl für die Diagnose (lange Latenz bis zur Diagnosestellung mit zu vielen und meist unnötigen apparativen Untersuchungen) als auch für die Therapie (Einsatz zu vieler, meist unwirksamer, oft rein symptomatischer Medikamente).

Überblick über Schwindelsyndrome

Die Lebenszeitprävalenz von Dreh- und Schwankschwindel liegt bei etwa 30 % und auch in der Notfallsituation ist Schwindel ein sehr häufiges Symptom. In einer aktuellen Untersuchung der Autoren und einer Studie aus der Schweiz konnte dies belegt werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat zur Verbesserung dieser Situation und zur Etablierung eines internationalen fächerübergreifenden Referenzzentrums 2009 in München ein Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum für Schwindel, Gleichgewichts- und Okulomotorikstörungen (IFB) („Deutsches Zentrum für Schwindel und Gleichgewichtsstörungen“) eingerichtet. In der Ambulanz dieses Zentrums finden sich folgende relative Häufigkeiten einzelner Diagnosen:

  • Der benigne periphere paroxysmale Lagerungsschwindel (BPPV) ist mit knapp 17,1 % die häufigste Ursache
  • Phobischer Schwankschwindel (15 %)
  • Zentrale vestibuläre Schwindelsyndrome (12,3 %), überwiegend bei vaskulären, entzündlichen (MS) und degenerativen Erkrankungen des Hirnstamms oder Kleinhirns
  • Vestibuläre Migräne (11,4 %)
  • Morbus Menière (10,1 %)
  • Neuritis vestibularis (8,3 %)

Zusammen machen diese sechs Erkrankungen etwa 70 % aller Schwindelsyndrome aus. Laut Erfahrung der Autoren bestehen keine grundsätzlichen Unterschiede zur Häufigkeitsverteilung in der Praxis.

Benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV)

Der BPPV entsteht in den meisten Fällen durch eine sogenannte Canalolithiasis. Diese wird durch vom Utriculus abgesprengte Otokonien (Calcitkristalle) ausgelöst, die sich frei im Bogengang bewegen. Leitsymptom sind Sekunden dauernde, zum Teil heftige Drehschwindelattacken, die durch Kopf- oder Körperlageänderung gegenüber der Schwerkraft (Umdrehen oder Aufrichten im Bett, Hinlegen oder Bücken) ausgelöst werden. Der BPPV kann von der Kindheit bis zum Senium auftreten; die jährliche Inzidenz nimmt mit dem Lebensalter zu. In 95 % der Fälle bleibt die Ätiologie unklar.

Die häufigsten Ursachen sind:

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  • Schädel-Hirn-Traumen
  • Zustand nach Neuritis vestibularis. Etwa 15 % aller Patienten mit akuter Neuritis vestibularis entwickeln innerhalb von Wochen bis Monaten nach der akuten Neuritis einen „postinfektiösen BPPV“, weil die Entzündung häufig auch das Labyrinth betrifft.
  • Längere Bettlägerigkeit

Ferner besteht ein Zusammenhang mit Morbus Menière und vestibulärer Migräne. Schließlich wurden beim „idiopathischen BPPV“ relativ häufiger eine Osteopenie, Osteoporose und/oder erniedrigte Vitamin-D-Serumkonzentrationen beschrieben. Anatomisch lassen sich drei Formen unterscheiden.

BPPV des posterioren Bogengangs (pc-BPPV)

Etwa 90 % aller Fälle gehen vom posterioren Bogengang aus. Diagnostisch beweisend ist bei diesem Subtyp ein nach Kopflagerung in der Ebene des betroffenen Bogengangs zum unten liegenden Ohr rotierender und zur Stirn schlagender erschöpflicher Lagerungsnystagmus. Beim pc-BPPV liegen die Erfolgsraten der Befreiungsmanöver nach Sémont oder der sogenannten Repositionsmanöver nach Epley nach mehrmaliger Behandlung bei über 95 %. Bei starker Übelkeit sollten 30 Minuten vor Beginn der Befreiungsmanöver Antivertiginosa, zum Beispiel Dimenhydrinat, verabreicht werden. Die meisten Patienten können nach sorgfältiger Anleitung durch Demonstration und Bildmaterial die Befreiungsmanöver auch allein erfolgreich zu Hause als Selbstbehandlung durchführen (Frequenz und Dauer der therapeutischen Manöver: dreimal morgens, dreimal mittags, dreimal abends über meist drei Tage); dabei ist insbesondere auf eine korrekte Kopfhaltung zu achten.

Die klinische Erfahrung zeigt, dass die Patienten meist erst nach einigen Tagen beschwerdefrei werden. Anschließend kommt es - wahrscheinlich durch die Reposition der Otokonien auf die Macula des Utriculus - zu einem über viele Tage anhaltenden Schwankschwindel im Sinne eines Otolithenschwindels; über diese zu erwartende Komplikation sollten die Patienten aufgeklärt werden.

BPPV des horizontalen Bogengangs (hc-BPPV)

Die seltenere hc-BPPV-Variante (etwa 5-10 %) ist durch einen geradlinigen horizontalen Nystagmus bei den Lagerungsmanövern gekennzeichnet, der bei einer Canalolithiasis zum unten liegenden Ohr schlägt (höhere Intensität auf der betroffenen Seite) und einer Cupulolithiasis (Otokonien haften an der Cupula) zum oben liegenden Ohr (höhere Intensität auf der nichtbetroffenen Seite). Für die Behandlung der Canalolithiasis des horizontalen Bogengangs sind diverse Behandlungsverfahren beschrieben, von denen die folgenden am häufigsten angewandt werden: stufenweise 90°-Rotationen um die Körperlängsachse zum nichtbetroffenen Ohr, für 12 h auf dem nichtbetroffenen Ohr liegen, die Kombination von beiden oder das Gufoni-Manöver (sogenanntes „Ausbechern“). Mit dem Gufoni-Manöver lassen sich sowohl Patienten mit einer Canalolithiasis als auch Patienten mit einer Cupulolithiasis erfolgreich therapieren. Aus sitzender Position wird der Patient einfach auf die Seite gelegt, auf der der Nystagmus am geringsten ist. Danach erfolgt eine Drehung des Kopfes um 45 Grad nach unten („Ausbechern“) und anschließendes Aufrichten. Der Vorteil dieses Manövers ist, dass man dazu nicht unterscheiden muss, welche Form eines hc-BPPV vorliegt. Bei einer Cupololithiasis eines horizontalen Bogengangs, kann diese alternativ zum Gufoni-Manöver erst in eine Canalolithiasis umgewandelt werden. Dies kann durch die Brandt-Daroff-Manöver oder noch wirksamer durch Schütteln des um 90° nach vorne gebeugten und damit in die Vertikalebene gebrachten Kopfes geschehen. Anschließend erfolgt dann eines der genannten Befreiungsmanöver für eine Canalolithiasis des horizontalen Bogengangs. Alle diese Manöver sind wirksam.

BPPV des anterioren Bogengangs (ac-BPPV)

Der ac-BPPV wird weiterhin kontrovers diskutiert, und es bestehen sogar Zweifel an dieser Entität. Die Angaben der relativen Häufigkeit schwanken deshalb zwischen 0 und 5 %. Schwindel und Nystagmus werden durch dieselbe diagnostische Lagerungsprobe wie beim pc-BPPV ausgelöst. Die Schlagrichtung des Nystagmus ist vertikal nach unten mit torsionaler Komponente, die mit dem oberen Augenpol zum betroffenen Ohr schlägt. Für das Yacovino-Manöver (schrittweises Anheben des überstreckten Kopfes in Kopfhängegelage und dann Aufrichten) wurde in einer unkontrollierten Studie eine Remissionsrate von 85 % nach einmaliger Anwendung und von 100 % nach mehrfacher Anwendung beschrieben.

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Verlauf des BPPV

Wird der BPPV nicht therapiert, persistiert er bei etwa 30 % der Patienten. Auffallend ist die hohe Rate einer Spontanheilung für den hc-BPPV von über 60 % innerhalb von vier Wochen. Nach Verlaufsbeobachtungen von 125 Patienten über im Mittel zehn Jahre lag die Rezidivrate zunächst geheilter Patienten mit pc-BPPV bei insgesamt 50 %. Die meisten dieser Rezidive (80 %) erfolgten innerhalb des ersten Jahres nach der Behandlung, unabhängig vom Typ des Befreiungsmanövers; Frauen waren mit 58 % häufiger von Rezidiven betroffen als Männer mit 39 %; die Rezidivrate war in der siebten Dekade deutlich geringer als in der 6. Die Therapie erfolgte wiederum durch ein für den betroffenen Bogengang geeignetes Befreiungsmanöver. Eine kontrollierte Einschränkung von Kopf- und Körperlagewechseln beeinflusst die Prognose in Bezug auf die Rezidivhäufigkeit nicht.

Neuritis vestibularis

Die Neuritis vestibularis (auch Neuropathia vestibularis genannt) entsteht wahrscheinlich durch Reaktivierung einer latenten Virusinfektion des Vestibularganglions mit Herpes-simplex-Virus Typ I, die zu einem inkompletten einseitigen, rein vestibulären Labyrinthausfall führt. Hauptsymptome sind ein akut einsetzender, über viele Tage anhaltender heftiger Drehschwindel mit Scheinbewegungen der Umgebung (Oszillopsien) und Übelkeit, ein horizontal rotierender Spontannystagmus zur nichtbetroffenen Seite sowie eine Gangabweichung und Fallneigung zur betroffenen Seite. Der Kopfimpulstest zeigt eine Funktionsstörung des vestibulo-okulären Reflexes bei Drehung zum betroffenen Ohr; die kalorische Prüfung bestätigt die Unter- oder Unerregbarkeit des horizontalen Bogengangs. Akute audiologische und andere neurologische Symptome, insbesondere zentrale okulomotorische oder vestibuläre Zeichen (vor allem vertikale Divergenz (skew deviation), sakkadierte Blickfolge, Blickrichtungsnystagmus oder zentraler Fixationsnystagmus) fehlen, was zur Differenzierung gegenüber einer zentralen „Pseudoneuritis vestibularis“, durch lakunäre Hirninfarkte oder Multiple-Sklerose-Plaques, wichtig ist.

Therapie

Bei schwerer Übelkeit und Brechreiz können innerhalb der ersten Tage zur symptomatischen Therapie Antivertiginosa verabreicht werden, die jedoch bei längerer Gabe die zentrale Kompensation des peripheren Vestibularisausfalls verzögern. Eine prospektive, randomisierte, placebokontrollierte Studie mit 141 Patienten zeigte, dass eine Monotherapie mit Methylprednisolon zu einer signifikanten Verbesserung der Erholung der peripheren vestibulären Funktion führte. Diese Befunde wurden durch eine weitere Studie bestätigt. In einer Cochrane-Analyse wird dieser Trend einen Monat nach Erkrankung zwar auch gesehen, allerdings wird aus Mangel an einer ausreichenden Zahl von Studien dazu keine allgemeine Behandlungsempfehlung für Kortikosteroide gegeben. Die Wirksamkeit einer Physiotherapie mit dynamischen Übungen zur Gleichgewichtsregulation und Blickstabilisation zur Verbesserung der zentralen vestibulo-spinalen Kompensation ist durch eine prospektive, randomisierte, kontrollierte Studie und eine Cochrane-Analyse belegt. Es liegen bislang keine entsprechenden klinischen Studien zu Verbesserung der zentralen Kompensation durch Medikamente vor; derzeit wird eine vom BMBF geförderte Studie zur Untersuchung des Effektes von Betahistin auf die zentrale Kompensation durchgeführt (BETAVEST).

Verlauf und Komplikationen

Im Verlauf liegt die Erholungsrate der peripheren vestibulären Funktion zwischen 40 und 60 % in Abhängigkeit von einer frühen Behandlung mit Kortikosteroiden. In einer Langzeitverlaufsstudie von 103 Patienten über im Mittel fast 10 Jahre fand sich nur bei zwei Patienten (1,9 %) ein Rezidiv, und zwar jeweils auf dem kontralateralen Ohr und mit deutlich geringeren Beschwerden aufgrund der Vorschädigung des anderen Nervs. In einer anderen Verlaufsstudie wurde bei 11,7 % der Patienten von Rezidiven berichtet. Etwa 15 % der Patienten mit Neuritis vestibularis entwickeln innerhalb von Wochen bis wenigen Monaten auf dem betroffenen Ohr einen „postinfektiösen BPPV“, weil nicht nur der Nerv, sondern auch das Labyrinth von der Entzündung betroffen ist.

Bilaterale Vestibulopathie (BVP)

Leitsymptome der BVP sind bewegungsabhängiger Schwankschwindel mit Gang- und Standunsicherheit, verstärkt in Dunkelheit und auf unebenem Grund (vestibulospinale Funktionsstörungen), sowie Wackeln der Umwelt (Oszillopsien) und unscharfes Sehen beim Gehen sowie bei Kopfbewegungen (Funktionsstörung des vestibulo-okulären Reflexes). Die betroffenen Patienten sind im Sitzen und Liegen typischerweise beschwerdefrei. Es kommt außerdem zu Störungen des räumlichen Gedächtnisses und der Navigation mit einer umschriebenen Hippocampusatrophie.

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Schwindel nach Corona-Impfung

Nach einer Corona-Impfung können Schwindelgefühle auftreten. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel seit Beginn der Impfkampagne die gemeldeten Impfreaktionen sammelt, hat auch Schwindel-Anfälle erfasst und ordnet sie ein. Die Daten des Instituts belegen: Auch Schwindelanfälle kommen immer wieder vor. Die verschiedenen Impfstoffe von Biontech, Astrazeneca und Moderna haben dabei ähnliche Melderaten. Das Paul-Ehrlich-Institut führt Schwindelgefühle in der Kategorie „Häufig gemeldete unerwünschte Reaktionen“. Sie machen bei allen drei Impfstoffen jeweils zwischen zwei und vier Prozent der erfassten Impfreaktionen aus, wie aus dem aktuellen Sicherheitsbericht hervorgeht. Einfache Schwindelgefühle nach der Corona-Impfung fallen somit nicht in die Kategorie „Schwerwiegende unerwünschte Reaktionen“, zu der alle Fälle zählen, die einen Krankenhausaufenthalt notwendig machen, oder die als „medizinisch bedeutsam“ eingeordnet werden.

Schwindel bei allergischen Reaktionen

In seltenen Fällen kann Schwindel aber auch ein Symptom bei einer starken allergischen Reaktion gegen den Corona-Impfstoff sein. Behörden in Großbritannien meldeten bereits Ende 2020 schwere allergische Reaktionen. Und auch dem RKI sind allergische Reaktionen im Zusammenhang mit Corona-Impfungen bekannt. Dazu zählen lokale Überempfindlichkeitsreaktionen nach einer Corona-Impfung, aber auch potenziell lebensbedrohliche Sofortreaktionen (Anaphylaxie). Schwindel kann bei den Sofortreaktionen kurz nach der Impfstoffgabe ein mögliches Symptom einer allergischen Reaktion sein.

Neurologische Erkrankungen nach Corona-Impfung

Eine Studie mit rund 23 Mio. Teilnehmern belegt, dass neurologische Erkrankungen nach einer Impfung gegen Corona nicht gehäuft auftreten. An der Studie nahmen 8.330.497 Menschen teil, die mindestens eine Dosis eines Corona-Impfstoffes (Astrazeneca, Biontech, Moderna oder Johnson & Johnson) erhalten hatten, außerdem 735.870 ungeimpfte Personen, die sich nachweislich (mittels PCR-Test) mit Corona infiziert hatten, sowie eine Kontrollgruppe mit 14.330.080 Menschen aus der Allgemeinbevölkerung. Dann wurde die Häufigkeit von neurologischen Erkrankungen bei den Geimpften 21 Tage nach der ersten Corona-Impfung, bei den Ungeimpften 90 Tage nach einem positiven PCR-Test auf eine Corona-Infektion und in der Allgemeinbevölkerung in einem Beobachtungszeitraum von zwei Jahren (zwischen 2017 und 2019) ermittelt. Ergebnis: Die Häufigkeit der Entwicklung von neurologischen Erkrankungen - wie Gesichtslähmungen (Fazialisparesen), Entzündungen des Gehirns und des Rückenmarks (Encephalomyelitiden) oder das Guillain-Barré-Syndrom (eine Form von Polyneuropathie aufgrund einer Autoimmunreaktion, bei der es zu Muskelschwäche kommt) - war in der Gruppe der Menschen mit Corona-Impfung vergleichbar mit derjenigen in der Allgemeinbevölkerung - also unauffällig. Demgegenüber fielen die Inzidenzraten bei den ungeimpften Corona-Infizierten deutlich höher aus, als in der Allgemeinbevölkerung zu erwarten gewesen wäre. Daraus schlussfolgern die Studienautoren, dass eine Impfung gegen Corona nicht mit der Entwicklung von neurologischen Erkrankungen wie Fazialisparese, Encephalomyelitis, Guillain-Barré-Syndrom zusammenhängt - eine Corona-Infektion bei Ungeimpften hingegen schon!

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