Neurochirurgische Behandlung von Bandscheibenvorfällen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS)

Ein Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelsäule (HWS), auch zervikaler Bandscheibenvorfall genannt, ist ein häufiges Problem, das zu Nacken-, Schulter- und Armschmerzen führen kann. In diesem Artikel werden wir die verschiedenen Aspekte der neurochirurgischen Behandlung von HWS-Bandscheibenvorfällen beleuchten, wobei wir uns auf wissenschaftliche Erkenntnisse und bewährte Verfahren stützen.

Was ist ein Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule (HWS)?

Die Wirbelsäule besteht aus 32-35 Wirbelkörpern, die durch Bandscheiben miteinander verbunden sind. Die Bandscheiben fungieren als Stoßdämpfer und ermöglichen die Bewegung der Wirbelsäule. Sie bestehen aus einem gallertartigen Kern (Nucleus pulposus), der von einem festen Faserring (Anulus fibrosus) umgeben ist. Ein Bandscheibenvorfall tritt auf, wenn der Faserring einreißt und der gallertartige Kern austritt. Dieser Vorfall kann auf das Rückenmark oder die Nervenwurzeln drücken und Schmerzen, Taubheitsgefühle und Schwäche verursachen.

Im Bereich der Halswirbelsäule, die aus den oberen sieben Wirbeln besteht, kann ein Bandscheibenvorfall zu Nackenschmerzen führen, die in Schulter, Arm oder Hinterkopf ausstrahlen. In schweren Fällen kann ein großer Bandscheibenvorfall auch Gangstörungen und Beschwerden in den Beinen auslösen.

Ursachen und Risikofaktoren

Ein Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule kann durch verschiedene Faktoren verursacht werden. Grundsätzlich lassen sich zwei Hauptursachen unterscheiden:

  • Degenerative Ursachen: Mit zunehmendem Alter verlieren die Bandscheiben an Elastizität und es entstehen feine Einrisse im Faserring. Da die Bandscheiben ab dem 20. Lebensjahr nicht mehr durch Blutgefäße versorgt werden, kann dieser Degenerationsprozess bereits in jungen Jahren beginnen. Regelmäßige körperliche Bewegung kann diesen Prozess jedoch verlangsamen.

    Lesen Sie auch: Lendenwirbelsäule Bandscheibenvorfall

  • Traumatische Ursachen: Bandscheibenvorfälle, die durch traumatische Ursachen ausgelöst werden, entstehen durch starke Krafteinwirkung von außen, z.B. durch Unfälle oder Hochleistungssport. Traumatische Ursachen sind seltener als degenerative. Oftmals ist die Bandscheibe jedoch bereits vorgeschädigt, sodass es bei einer extremen Belastung schneller zu einem Vorfall kommen kann.

Weitere Risikofaktoren für einen Bandscheibenvorfall der HWS sind:

  • Erbliche Faktoren ("Bindegewebsschwäche")
  • Übergewicht
  • Mangelnde Bewegung
  • Ständiges Sitzen
  • Bestimmte berufliche Belastungen (z.B. Berufskraftfahrer)
  • Rauchen
  • Schlechte Muskelkondition

Symptome

Die Symptome eines Bandscheibenvorfalls der Halswirbelsäule können vielfältig sein und hängen vom Ausmaß des Vorfalls und der betroffenen Strukturen ab. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Nackenschmerzen, die in Schulter, Arm oder Hinterkopf ausstrahlen
  • Bewegungseinschränkung des Kopfes
  • Stechende Schmerzen
  • Sensibilitätsstörungen (Taubheitsgefühl, Kribbeln) in Arm und Hand
  • Muskelschwäche oder Lähmungen in Arm und Hand
  • In seltenen Fällen: Schädigung des Rückenmarks mit diffusen Schmerzen im gesamten Körper, Gangunsicherheit, Störungen der Blasen- und Darmkontrolle sowie Sexualfunktionsstörungen

Diagnose

Die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls der Halswirbelsäule umfasst in der Regel die folgenden Schritte:

  1. Anamnese: Der Arzt erfragt die genauen Beschwerden und die Krankengeschichte des Patienten.
  2. Körperliche Untersuchung: Der Arzt untersucht die Halswirbelsäule, überprüft die Beweglichkeit, Sensibilität und Motorik.
  3. Bildgebende Verfahren:
    • MRT (Magnetresonanztomographie): Die MRT ist das Mittel der Wahl, um Bandscheiben, Rückenmark und Spinalnerven darzustellen.
    • CT (Computertomographie): Eine CT-Untersuchung kann ergänzende Informationen liefern, insbesondere bei Patienten mit Herzschrittmachern oder wenn eine zusätzliche Beurteilung der knöchernen Strukturen erforderlich ist.
    • Röntgenuntersuchung: Eine Röntgenuntersuchung kann Verschleißerscheinungen und den Abstand der Wirbelkörper zueinander beurteilen.

Konservative Behandlung

Nicht jeder Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule muss operiert werden. Wenn keine neurologischen Ausfälle (Lähmungen, Blasenstörungen) vorliegen, kann zunächst eine konservative Therapie versucht werden. Ziel der konservativen Behandlung ist es, die Schmerzen zu lindern, die Entzündung zu reduzieren und die Beweglichkeit wiederherzustellen.

Lesen Sie auch: Neurochirurgische Schwerpunkte in Karlsbad Langensteinbach

Zu den konservativen Behandlungsmethoden gehören:

  • Schmerzmittel und entzündungshemmende Medikamente: Diese Medikamente können helfen, die Schmerzen zu lindern und die Entzündung zu reduzieren. Kortisontherapie führt zu einer kurzzeitigen Verbesserung der Beschwerden. Die Therapie mit Nichtsteroidalen Antirheumatika (z.B. Ibuprofen, Diclofenac) kann ebenfalls hilfreich sein. Bezüglich des Nutzens von Opioiden (z.B. Tramadol, Tilidin) oder Muskelrelaxantien bei Bandscheibenerkrankungen konnte keine klare Aussage getroffen werden.
  • Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Muskeln zu stärken, die Beweglichkeit zu verbessern und die richtige Körperhaltung zu erlernen.
  • Wärmebehandlung: Wärme kann helfen, die Muskeln zu entspannen und die Schmerzen zu lindern.
  • Muskelentspannende Maßnahmen: Muskelrelaxantien können bei Muskelverspannungen helfen.
  • Mikrotherapie (CT-gesteuerte Injektionen): Bei der Mikrotherapie wird unter CT-Navigation eine feine Nadel in den knöchernen Wurzelkanal geführt und dort werden abschwellende und schmerzstillende Medikamente um die Nervenwurzel herum platziert. Die Mikrotherapie wird in der Regel zwei- bis dreimal im Wochenabstand wiederholt. In schweren Fällen können die Medikamente auch epidural eingebracht werden.
  • PRT (Periradikuläre Therapie): Dabei werden schmerzstillende, entzündungshemmende, lokal betäubende oder abschwellende Präparate über eine Spritze und unter Röntgenkontrolle in den Wirbelkanal (Epiduralraumtherapie) oder an eine Nervenwurzel verabreicht.

Die konservative Therapie behandelt nicht die Ursache der Beschwerden, sondern dient lediglich der Schmerzlinderung. Sie ist jedoch in vielen Fällen anfangs sinnvoll, um die Beschwerden zu lindern und einen Zeitgewinn zu erzielen. In dieser Zeit kann sich der Bandscheibenvorfall in vielen Fällen von alleine zurückbilden. Es sollte eine individuelle Therapie in Absprache mit dem Arzt erfolgen.

Erfahrungsgemäß werden unter konservativer Therapie über 90% der Patienten beschwerdefrei. Dies geschieht in einem Zeitraum von ca. 4-6 Wochen. Wenn die Beschwerden nach dieser Zeit nicht weitgehend verschwunden sind, muss man davon ausgehen, dass es sich um einen Bandscheibenvorfall handelt, der nicht von alleine schrumpft. Ein längeres Abwarten als 6 Wochen ist nicht zu empfehlen, da sonst ein Schmerzgedächtnis entstehen kann.

Operative Behandlung

Eine operative Behandlung ist in folgenden Fällen indiziert:

  • Neurologische Ausfälle (Lähmungen, Blasenstörungen)
  • Unerträgliche Schmerzen, die nicht auf konservative Behandlungen ansprechen
  • Keine erhebliche Besserung nach einem konservativen Therapieversuch

Ziel der Operation ist es, den Druck auf das Rückenmark oder die Nervenwurzeln zu beseitigen und die neurologische Funktion zu erhalten.

Lesen Sie auch: Prof. Schroeder: Ein Lebenslauf

Es gibt verschiedene operative Verfahren zur Behandlung von Bandscheibenvorfällen der Halswirbelsäule:

  • Mikrochirurgische ventrale Diskektomie und Fusion (ACDF): Dies ist das Standardverfahren. Dabei wird über einen kleinen Hautschnitt am Hals die Bandscheibe entfernt und der Bandscheibenvorfall beseitigt. Anschließend wird ein Platzhalter (Cage) aus Titan oder Kunststoff (PEEK) in den Bandscheibenraum eingesetzt, um die Höhe des Bandscheibenraumes wiederherzustellen und das Segment zu stabilisieren. In der Mitte ist der Cage hohl und füllt sich nach der Implantation mit körpereigenem Knochenmaterial. Eine Einschränkung der Beweglichkeit wird von den Patienten nur sehr selten berichtet.
  • Bandscheibenprothese: Bei jüngeren Patienten mit wenigen Verschleißerscheinungen kann anstelle einer Fusion eine Bandscheibenprothese eingesetzt werden. Dadurch bleibt die Beweglichkeit des betroffenen Segmentes erhalten.
  • Hintere (dorsale) mikrochirurgische Dekompression: Bei seitlich gelegenen Bandscheibenvorfällen oder Einengungen des Rückenmarkkanals kann ein Zugang von hinten über den Nacken gewählt werden. Dabei wird die Nackenmuskulatur schonend aufgedehnt, um an den Wirbelkanal zu gelangen.

Die Wahl des geeigneten Operationsverfahrens hängt von der Lage des Bandscheibenvorfalls, dem Ausmaß der Verschleißerscheinungen und dem Alter des Patienten ab.

Die Operation wird in der Regel in Vollnarkose durchgeführt und dauert ca. 1 Stunde. Der Klinikaufenthalt beträgt in der Regel 4-5 Tage. Bereits am Tag nach der Operation können die Patienten umherlaufen.

Minimal-invasive Techniken

Die moderne Neurochirurgie bietet verschiedene minimal-invasive Techniken zur Behandlung von Bandscheibenvorfällen der Halswirbelsäule an. Diese Techniken haben den Vorteil, dass sie schonender für das Gewebe sind, zu weniger Narbenbildung führen und einen kürzeren Klinikaufenthalt ermöglichen.

Zu den minimal-invasiven Techniken gehören:

  • Mikrochirurgische Operation: Die Operation wird über einen kleinen Hautschnitt unter dem Operationsmikroskop durchgeführt.
  • Endoskopische Operation: Die Operation wird mit einem Endoskop durchgeführt, das über einen kleinen Hautschnitt eingeführt wird.

Bisher konnte noch in keiner Studie gezeigt werden, dass Methoden, bei denen "nur eine Nadel eingeführt wird", gleichgute Ergebnisse bringen wie die mikrochirurgische Operation.

Risiken und Komplikationen

Wie bei jeder Operation gibt es auch bei der operativen Behandlung von Bandscheibenvorfällen der Halswirbelsäule Risiken und Komplikationen. Zu den möglichen Komplikationen gehören:

  • Nervenschädigung (selten, Risiko zwischen 0,42 % und 1,45 % laut Studien)
  • Rückenmarksschädigung (sehr selten)
  • Infektion
  • Blutungen
  • Narbenbildung
  • Schluckbeschwerden
  • Heiserkeit

Das Risiko, durch eine Operation rollstuhlpflichtig zu werden, ist als sehr gering einzuschätzen.

Nachbehandlung

Nach der Operation ist eine konsequente Nachbehandlung wichtig, um den Heilungsprozess zu fördern und das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Die Nachbehandlung umfasst in der Regel:

  • Schmerzmittel
  • Physiotherapie
  • Krankengymnastische Übungsbehandlungen
  • In einigen Fällen: Tragen eines Stützkorsetts für einige Wochen

Ergebnisse

Viele unabhängige Studien haben gezeigt, dass es den operierten Patienten sowohl im Kurzzeitverlauf als auch im Langzeitverlauf besser geht als den Patienten, die sich einer konservativen Therapie unterzogen haben. Zusätzlich sind die operierten Patienten schneller beschwerdefrei und auch wieder schneller in den Alltag und in das Berufsleben integriert.

Eine Unzufriedenheit mit dem Operationsergebnis entsteht meist dann, wenn die Patienten vor der Operation nicht ausreichend über das Krankheitsbild aufgeklärt wurden. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Operation den Bandscheibenvorfall beseitigt, aber die Abnutzung der Bandscheibe nicht aufhalten kann. Die zunehmende Abnutzung der Bandscheibe kann im Verlauf zu Rückenschmerzen führen.

tags: #neurochirurgie #bandscheibenvorfall #hws #behandlung