Neurologische Probleme nach Corona: Ursachen und Erkenntnisse

Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur respiratorische, sondern auch vielfältige neurologische Symptome in den Vordergrund gerückt. Viele Patientinnen und Patienten klagen sowohl während der akuten Infektionsphase als auch danach über kognitive Beeinträchtigungen, Fatigue, Kopfschmerzen, Gedächtnisprobleme und weitere neurologische Beschwerden. Diese als "Neuro-COVID" zusammengefassten Symptome werfen wichtige Fragen nach den zugrunde liegenden Ursachen und Mechanismen auf.

Neurologische Manifestationen von COVID-19

Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann verschiedene neurologische Symptome auslösen. Zu den häufigsten zählen:

  • Geruchs- und Geschmacksstörungen: Diese treten oft als frühe Symptome auf und können in einigen Fällen sogar die einzigen Symptome sein. Eine europäische Studie zeigte, dass über 85 % der COVID-19-Patienten mit milden bis moderaten Symptomen über Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns berichteten.
  • Kopfschmerzen und Muskelschmerzen: Diese unspezifischen Symptome sind weit verbreitet und können auch bei leichteren Verläufen auftreten.
  • Enzephalopathie: Schwerere neurologische Symptome betreffen das Gehirn und können sich als Verwirrtheits- und Agitationszustände, Ataxie und Bewusstseinstrübungen äußern.
  • Schlaganfälle: Ischämische und hämorrhagische Schlaganfälle wurden bei COVID-19-Patienten beobachtet, insbesondere bei schwer erkrankten und vorerkrankten Personen.
  • Entzündungen des Gehirns und Rückenmarks: In seltenen Fällen kann es zu Entzündungen des Gehirns (Enzephalitis) oder des Rückenmarks (Myelitis) kommen.
  • Guillain-Barré-Syndrom (GBS): Dieses seltene, aber schwere Krankheitsbild, bei dem die Myelinschicht peripherer Nerven durch eine Autoimmunreaktion geschädigt wird, wurde in Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen beobachtet.
  • Fatigue und kognitive Defizite: Anhaltende Erschöpfung, Konzentrationsstörungen und Gedächtnisprobleme sind häufige Beschwerden, die auch Monate nach der akuten Infektion bestehen bleiben können.

Ursachenforschung: Direkte Virusinfektion vs. Immunreaktion

Frühe Vermutungen gingen davon aus, dass eine direkte Infektion des Gehirns durch SARS-CoV-2 für die neurologischen Symptome verantwortlich sein könnte. Allerdings gibt es bislang keine eindeutigen Belege dafür, dass das Virus im Gehirn überdauern oder sich gar vermehren kann. Studien konnten zwar das Erbgut des Coronavirus im Gehirn nachweisen, jedoch keine SARS-CoV-2-infizierten Nervenzellen.

Eine alternative Theorie besagt, dass die neurologischen Symptome eine Folge der starken Immunreaktion des Körpers auf das Virus sind. Vergangene Studien hatten bereits Anhaltspunkte für diese These geliefert.

Neue Erkenntnisse aus Berlin und Greifswald

Eine Studie der Charité - Universitätsmedizin Berlin und der Universitätsmedizin Greifswald hat neue Erkenntnisse zu den Mechanismen neurologischer Symptome bei COVID-19 geliefert. Das Forschungsteam untersuchte Hirnstammgewebe von verstorbenen Patient*innen in verschiedenen Stadien der COVID-Erkrankung.

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Ein zentrales Ergebnis war der Nachweis entzündlicher Reaktionen in den Gehirnen von Personen mit akuter COVID-19-Infektion. Diese Reaktionen schienen sich im weiteren Verlauf der Krankheit abzuschwächen. Dies deutet darauf hin, dass neurologische Symptome bei COVID-19-Patient*innen möglicherweise mit der Immunantwort des eigenen Körpers zusammenhängen und nicht mit einer direkten Aktivität des Coronavirus SARS-CoV-2 im Gehirn verbunden sind.

Die Studie deckte zwei verschiedene Reaktionsmuster auf schwere systemische Entzündungen im Gehirn auf. Eines der Muster schien bestimmte Hirnareale zu beeinflussen, die mit den Hirnnerven verbunden sind, während das andere den gesamten Hirnstamm betraf. Diese breitere Auswirkung auf den Hirnstamm könnte erklären, warum einige COVID-19-Patient*innen eine Vielzahl von neurologischen Symptomen erleben.

Die Rolle des Vagusnervs

Die Berliner Studie legt nahe, dass der Vagusnerv eine Schlüsselrolle bei der Übertragung der Entzündungsreaktion von anderen Organen des Körpers auf das Gehirn spielt. Die Nervenzellen reagieren dabei nur vorübergehend auf die Entzündung. Es wird jedoch vermutet, dass eine Chronifizierung der Entzündung bei manchen Menschen für die oft beobachteten neurologischen Symptome bei Long COVID verantwortlich sein könnte.

Immunzellen als "Trojanisches Pferd"?

Die Forschungsgruppe um Dr. Helena Radbruch geht davon aus, dass Immunzellen das Virus im Körper aufgenommen haben und dann ins Gehirn gewandert sind. Sie tragen noch immer das Virus in sich, infizieren aber keine Gehirnzellen. Botenstoffe, die diese Immunzellen im Hirnstamm ausschütten, können Fatigue verursachen, da im Hirnstamm Zellgruppen liegen, die Antrieb, Motivation und Stimmungslage steuern.

Veränderungen im Gehirn durch COVID-19

Eine neuere Studie aus Oxford gibt konkrete Hinweise auf Unregelmäßigkeiten im Gehirn durch eine COVID-19-Erkrankung. Die Forscher:innen konnten anhand von Hirnscans Veränderungen im Gehirn messen. Interessanterweise betrafen diese Veränderungen vor allem die sogenannten limbischen Hirnregionen, was mit den häufig bei COVID-19 beobachteten Riechstörungen zusammenhängen könnte.

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Anhaltende Aktivierung des Immunsystems im Gehirn von COVID-19-Genesenen

Freiburger Forscher*innen haben im Gehirn von Personen, die eine SARS-CoV-2-Infektion überstanden haben, Anzeichen einer anhaltenden Aktivierung des angeborenen Immunsystems gefunden. Diese Immun-Zellansammlungen, sogenannte Mikrogliaknötchen, weisen auf eine chronische Immunaktivierung hin. Die Mikrogliaknötchen könnten eine zentrale Rolle bei den neurologischen Veränderungen spielen, die bei einigen Genesenen beobachtet werden.

Studienleiter Prinz betont, dass diese Ergebnisse ein wichtiger Schritt sind, um zu verstehen, wie COVID-19 das Gehirn langfristig beeinflusst. Dies könnte helfen, gezielte Therapien zu entwickeln, die diese Immunreaktionen modulieren und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.

Diagnostik und Therapie

Die Diagnose neurologischer Probleme nach einer Corona-Infektion gestaltet sich oft schwierig, da die Symptome vielfältig und unspezifisch sein können. Es ist wichtig, andere mögliche Ursachen auszuschließen und die neurologischen Komplikationen frühzeitig zu erkennen und gezielt zu behandeln.

Die Therapie richtet sich nach den jeweiligen Symptomen und kann beispielsweise die Behandlung von Schlaganfällen, die Gabe von Immuntherapien bei GBS oder die symptomatische Behandlung von Kopfschmerzen und Fatigue umfassen.

Bedeutung der Forschung für die Patientenversorgung

Das Verständnis der Mechanismen, wie COVID-19 das Gehirn beeinflusst, ist entscheidend für die Verbesserung der Patientenversorgung und die Entwicklung gezielter Therapien zur Linderung oder perspektivisch sogar zur Heilung von neurologischen Symptomen und den gefürchteten Langzeitkomplikationen der Krankheit.

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