Neuropathia Vestibularis: Ursachen, Diagnose und Behandlung

Die Neuropathia vestibularis, auch bekannt als Neuritis vestibularis oder akute unilaterale Vestibulopathie, ist eine Erkrankung des Gleichgewichtssinns, die durch eine akute Funktionsstörung eines oder beider Gleichgewichtsorgane im Innenohr verursacht wird. Sie manifestiert sich hauptsächlich durch heftigen Drehschwindel. Nach dem benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel und dem Morbus Menière stellt sie die dritthäufigste Ursache für peripher vestibulären Schwindel dar.

Epidemiologie

Die Inzidenz der Neuritis vestibularis wird auf etwa 3,5 pro 100.000 Einwohner geschätzt. Am häufigsten tritt die Erkrankung bei Erwachsenen im Alter von 30 bis 60 Jahren auf, wobei Frauen etwas häufiger betroffen sind als Männer.

Ursachen und Pathogenese

Die genaue Ursache der Neuritis vestibularis ist bis heute nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch eine virale Genese vermutet. Diskussionen gibt es auch über Durchblutungsstörungen oder Autoimmunkrankheiten. Eine wahrscheinliche Erklärung ist die Reaktivierung latenter Herpes-simplex-Viren Typ 1 (HSV-1) im Bereich des Ganglion vestibulare. Diese Reaktivierung könnte zu einer Entzündung des Nervus vestibularis führen, was wiederum die Signalübertragung vom Gleichgewichtsorgan zum Gehirn beeinträchtigt oder ganz unterbricht.

Symptome

Patienten mit einer Neuritis vestibularis leiden typischerweise unter einem plötzlichen, heftigen Drehschwindel, der aus völliger Gesundheit heraus entsteht. Typische Prodromi oder Auslöser fehlen. Der Schwindel ist in der Regel von Übelkeit und Erbrechen begleitet. Anders als beim gutartigen Lagerungsschwindel ist der Schwindel bei der Neuritis vestibularis permanent und nicht lageabhängig, verstärkt sich jedoch bei Kopfbewegungen. Scheinbewegungen der Umgebung (Oszillopsien) können ebenfalls auftreten.

Zusätzlich zu den genannten Symptomen können folgende Beschwerden auftreten:

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  • Gangabweichung und Fallneigung zur betroffenen Seite
  • Horizontal-rotatorischer Spontannystagmus zur gesunden Seite (ohne Frenzelbrille oft sichtbar)

Wichtig ist, dass die Neuritis vestibularis nicht mit einer akuten Hörminderung oder Tinnitus einhergeht.

Diagnose

Die Diagnose einer Neuritis vestibularis ist in erster Linie eine Ausschlussdiagnose. Bei der Anamnese ist es wichtig, die Art, Dauer, modulierenden Faktoren und zusätzliche Symptome des Schwindels zu erfassen.

Anamnese

Die Anamnese bei Schwindelbeschwerden sollte folgende Aspekte berücksichtigen:

  • Art des Schwindels: Drehschwindel deutet eher auf eine periphere vestibuläre Genese hin, während Schwankschwindel auch andere Ursachen haben kann.
  • Zeitdauer des Schwindels: Die Dauer kann Hinweise auf die Ursache geben (Sekunden, Minuten, Stunden, Tage).
  • Modulierende Faktoren: Auslöser wie Kopfbewegungen, Aufrichten des Körpers oder körperliche Anstrengung können wichtige Hinweise liefern. Auch Medikamenteneinnahme oder bedeutende Lebensveränderungen können modulierend wirken.
  • Zusätzliche Symptome: Erbrechen, Hörstörungen, Schmerzen, Gefühllosigkeit, Sehstörungen, Tachykardie und psychische Veränderungen können auf die Ätiologie hinweisen.

Ein Patient mit Neuritis vestibularis berichtet typischerweise von plötzlichem Drehschwindel mit starker Übelkeit und Erbrechen, der durch Bewegung verstärkt wird, aber nicht lageabhängig ist. Die Beschwerden halten in der Regel tagelang an.

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung umfasst:

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  • Allgemeiner Status des Patienten
  • Beurteilung der Kreislaufsituation (inklusive Blutdruckmessung und Herzauskultation)
  • Untersuchung der Halswirbelsäule
  • Klinisch-neurologische Untersuchung (Reflexstatus, Sensibilitätsprüfung, Romberg-Stehversuch, Unterberger-Tretversuch, Diadochokinese, Finger-Nase-Versuch, Knie-Hacken-Versuch)
  • HNO-ärztliche Untersuchung (Spiegeluntersuchung, Nystagmus-Untersuchung inklusive Lagerungs-Provokation)
  • Horizontaler Kopfimpulstest

Der Kopfimpulstest ist ein wichtiger klinischer Funktionstest zur Überprüfung des vestibulo-okulären Reflexes (VOR). Bei einer Neuritis vestibularis ist dieser Test pathologisch: Der Patient kann die Blickrichtung bei raschen, passiven Kopfbewegungen zur betroffenen Seite nicht halten, was zu einer Korrektursakkade (Catch-up-Sakkade) führt.

Apparative Diagnostik

  • Frenzelbrille: Die Untersuchung mit der Frenzelbrille zeigt in der Regel einen horizontalen oder rotatorischen Spontannystagmus zur gesunden Seite, der sich durch visuelle Fixation unterdrücken lässt und bei Aufhebung der Fixierung verstärkt.
  • Elektronystagmographie (ENG) mit kalorischer Prüfung: Bei unklarem Befund im Kopfimpulstest kann eine ENG durchgeführt werden. Diese zeigt bei einer Neuritis vestibularis eine Unter- bzw. Unerregbarkeit des ipsilateralen horizontalen Bogengangs.
  • Bildgebung (MRT des Schädels, Liquorpunktion): Bei Hinweisen auf eine zentrale Genese des Schwindels sind bildgebende Verfahren oder eine Liquorpunktion indiziert.
  • Vestibulär evozierte myogene Potentiale (VEMPs): VEMPs des M. sternocleidomastoideus, die die Sakkulusfunktion überprüfen, können in 30-50% der Fälle pathologisch sein.

Differentialdiagnosen

Wichtige Differentialdiagnosen zur Neuritis vestibularis sind:

  • Zentrale Ursachen (Kleinhirninfarkte, Multiple Sklerose)
  • Akustikusneurinom
  • Läsionen der vestibulären Nervenkerne

Unauffällige Kopfimpulstests oder auffällige Abdecktests können den Verdacht auf eine zentrale Genese des Schwindels lenken.

Therapie

Die Therapie der akuten Neuritis vestibularis basiert auf drei Säulen:

  1. Symptomatische Therapie
  2. Kausale Therapie
  3. Verbesserung der zentralen vestibulären Kompensation

Symptomatische Therapie

Antivertiginosa sollten nur in den ersten Tagen und bei schwerer Übelkeit und Erbrechen eingesetzt werden, da sie die zentrale Kompensation eines Vestibularisausfalls verzögern können.

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Kausale Therapie

Die kausale Therapie der Neuritis vestibularis erfolgt in der Regel mit Glukokortikosteroiden (Kortison). Studien haben gezeigt, dass eine Methylprednisolon-Monotherapie die Erholung der peripher vestibulären Funktion signifikant verbessern kann.

Verbesserung der zentralen vestibulären Kompensation

Die Förderung der zentralen Kompensation durch physikalische Therapie ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung. Vestibuläre Trainingsprogramme umfassen beispielsweise willkürliche Augenbewegungen und Fixation zur Verbesserung der Blickstabilisation sowie aktive Kopfbewegungen zur Anpassung des vestibulookulären Reflexes.

Die Mobilisation der Patienten ohne Erbrechen sowie Gehen ohne Hilfestellung ist meist innerhalb von 3-4 Tagen möglich. Die Beschwerden klingen nach 2-4 Wochen langsam ab, wobei die vollständige Arbeitsfähigkeit und Beschwerdefreiheit oft erst nach 1-2 Monaten erreicht wird.

Verlauf und Prognose

In 40-50% der Fälle tritt eine vollständige Restitution der Gleichgewichtsfunktion ein. 20-30% der Betroffenen erreichen nur eine partielle Restitution. In der Regel bilden sich die statischen Symptome wie Spontannystagmus, Schwindel und Fallneigung zurück, während dynamische Funktionsstörungen (z.B. Oszillopsien bei raschen Kopfbewegungen) bestehen bleiben können. Rezidive der Erkrankung sind selten und betreffen meist die vorher nicht betroffene Seite (ca. 1,9% der Fälle).

Komplikationen

  • Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (10-15% der Patienten entwickeln innerhalb von Wochen einen BPLS auf dem betroffenen Ohr)
  • Übergang in einen phobischen Schwankschwindel

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