Die Polyneuropathie ist eine häufige neurologische Erkrankung, bei der es zu Schädigungen des peripheren Nervensystems kommt. Dieses Nervensystem umfasst alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks. Die Schädigungen können verschiedene Ursachen haben und sich in vielfältigen Symptomen äußern, die von Empfindungsstörungen über Schmerzen bis hin zu Lähmungen reichen.
Einführung
Die Polyneuropathie (PNP) ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Rund fünf bis acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind betroffen, wobei die Rate mit zunehmendem Alter steigt. Die Erkrankung kann erworben oder angeboren sein, wobei erworbene Formen deutlich häufiger auftreten.
Ursachen der Polyneuropathie
Ärzte kennen mehr als 200 verschiedene Ursachen für die Polyneuropathie. Die häufigsten Auslöser sind:
- Diabetes mellitus: Bis zu einem Drittel aller Menschen mit Diabetes Typ-1 und Typ-2 entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Polyneuropathie.
- Chronischer Alkoholmissbrauch: Alkohol gilt als Nervengift und kann die Weiterleitung von Reizen und Signalen stören. Häufig geht Alkoholmissbrauch mit Mangelernährung einher, was zu einem Vitaminmangel führen kann.
- Vitamin-B12-Mangel: Ein Mangel an Vitamin B12 kann durch einseitige Ernährung, Magenoperationen oder bestimmte Erkrankungen verursacht werden.
- Weitere Ursachen: Nierenkrankheiten, Lebererkrankungen, Schilddrüsenerkrankungen, Infektionen (z.B. Borreliose, HIV), Autoimmunerkrankungen, Krebserkrankungen und bestimmte Medikamente können ebenfalls eine Polyneuropathie auslösen.
In etwa 20 Prozent der Fälle bleibt die Ursache der Polyneuropathie unklar (idiopathische Neuropathie).
Polyneuropathie durch Diabetes
Diabetes mellitus ist die häufigste Ursache für Polyneuropathie. Schlecht eingestellte Blutzuckerwerte schädigen die Nerven über Jahre hinweg. Eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte kann jedoch weitere Nervenschäden verursachen. Optimal ist eine sanfte Senkung des HbA1c-Wertes um weniger als zwei Prozentpunkte über drei Monate.
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Die diabetische Neuropathie kann sich in verschiedenen Formen äußern:
- Symmetrische Polyneuropathie: Die Beschwerden beginnen in den Füßen und breiten sich später auf Hände und Beine aus. Typisch sind Kribbeln, Taubheitsgefühle und eine reduzierte Schmerzwahrnehmung.
- Autonome Neuropathie: Nerven, die Herzschlag, Blutdruck, Blutzucker und die Funktion innerer Organe steuern, sind betroffen. Dies kann zu Herzrhythmusstörungen, Verdauungsbeschwerden, Blasenfunktionsstörungen oder sexuellen Problemen führen.
- Fokale Neuropathien: Nur wenige Nerven sind geschädigt, die Beschwerden treten plötzlich auf. Ein Beispiel ist die diabetische Amyotrophie mit heftigen Schmerzen am Oberschenkel oder in der Gesäßhälfte.
Polyneuropathie durch Alkoholkonsum
Langjähriger, hoher Alkoholkonsum kann eine Neuropathie auslösen. Alkohol stört die Reizweiterleitung und kann zu einer Unterversorgung mit Vitamin B1 führen.
Weitere Ursachen
Neben Diabetes und Alkohol können auch andere Faktoren eine Polyneuropathie verursachen, darunter:
- Vitamin-B12-Mangel
- Nierenkrankheiten
- Lebererkrankungen
- Schilddrüsenüberfunktion oder -unterfunktion
- Infektionen mit Viren und Bakterien
- Autoimmunerkrankungen
- Krebserkrankungen
- Chemotherapie
- Gifte
Symptome der Polyneuropathie
Die Symptome einer Polyneuropathie sind vielfältig und hängen davon ab, welche Nerven betroffen sind. Typische Symptome sind:
- Sensible Symptome: Kribbeln, Brennen, Taubheitsgefühle, Stechen, Schmerzen, gestörtes Temperatur- und Berührungsempfinden.
- Motorische Symptome: Muskelschwäche, Muskelkrämpfe, Muskelzucken, Muskelschwund, Gangunsicherheit.
- Autonome Symptome: Herzrhythmusstörungen, Blähungen, Appetitlosigkeit, Durchfall, Verstopfung, Inkontinenz, Impotenz, gestörtes Schwitzen, Schwindel.
Die Symptome beginnen meist an den Füßen und breiten sich später auf die Hände aus.
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Typische Symptome im Überblick
- Empfindungsstörungen: Kribbeln, Brennen, Taubheit, "Ameisenlaufen"
- Schmerzen: Brennende, stechende Schmerzen, oft nachts stärker
- Motorische Störungen: Muskelschwäche, Muskelkrämpfe, Gangunsicherheit
- Vegetative Störungen: Herzrhythmusstörungen, Verdauungsbeschwerden, Schwindel
Symptome der Small-Fiber-Neuropathie
Bei der Small-Fiber-Neuropathie sind vor allem die dünnen Nervenfasern der Haut betroffen. Typisch sind Schmerzen und ein gestörtes Temperaturempfinden. Die Nervenleitgeschwindigkeit ist oft unauffällig.
Diagnose der Polyneuropathie
Die Diagnose der Polyneuropathie umfasst verschiedene Schritte:
- Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte und die aktuellen Beschwerden.
- Körperliche Untersuchung: Der Arzt prüft Muskelkraft, Reflexe, Sensibilität und Koordination.
- Neurologische Untersuchung: Der Arzt untersucht die Funktion der Nerven.
- Elektrophysiologische Untersuchungen:
- Elektroneurographie (ENG): Misst die Nervenleitgeschwindigkeit.
- Elektromyographie (EMG): Misst die Muskelaktivität.
- Quantitative Sensorische Testung (QST): Testet verschiedene Gefühlsempfindungen auf der Haut.
- Thermode: Misst das Temperaturempfinden.
- Hautbiopsie: Untersuchung einer Gewebeprobe der Haut unter dem Mikroskop.
- Nerven-Muskel-Biopsie: Entnahme und Untersuchung einer Gewebeprobe aus dem Schienbein.
- Blutuntersuchungen: Zum Aufdecken von Ursachen wie Vitaminmangel, Diabetes oder Entzündungen.
Untersuchungsmethoden im Detail
- Messung der Nervenleitgeschwindigkeit: Strom wird durch die Nervenbahnen geschickt, um die Geschwindigkeit der Reizweiterleitung zu messen.
- Stimmgabeltest: Der Neurologe prüft das Vibrationsempfinden.
- Quantitative Sensorische Testung (QST): Sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut ermitteln 13 Werte, um die Schädigung der Nervenfasern zu erkennen.
- Thermode: Computergesteuerte Temperaturreize messen das Temperaturempfinden exakt.
- Nerven-Muskel-Biopsie: Eine Gewebeprobe aus dem Schienbein wird entnommen und untersucht, um die Ursache der Polyneuropathie zu finden.
- Hautbiopsie: Bei Verdacht auf Small-Fiber-Neuropathie wird eine Gewebeprobe aus der Haut entnommen und unter dem Mikroskop untersucht.
Behandlung der Polyneuropathie
Die Behandlung der Polyneuropathie richtet sich nach der Ursache. Ziel ist es, die Grunderkrankung zu behandeln, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.
Behandlung der Ursache
- Diabetes: Optimale Blutzuckereinstellung.
- Alkoholmissbrauch: Alkoholabstinenz.
- Vitaminmangel: Ausgleich des Mangels durch Ernährung oder Nahrungsergänzungsmittel.
- Infektionen: Behandlung mit Antibiotika oder antiviralen Medikamenten.
- Autoimmunerkrankungen: Immunsuppressive Therapie.
- Krebserkrankungen: Behandlung der Krebserkrankung.
Symptomatische Behandlung
- Schmerztherapie:
- Antidepressiva: Wirken schmerzlindernd.
- Antikonvulsiva: Bremsen die Erregbarkeit der Nerven.
- Capsaicin-Pflaster: Betäuben den schmerzenden Bereich, fördern die Durchblutung und regen die Neubildung von Nervenfasern an.
- Opioide: Können bei starken Schmerzen eingesetzt werden, bergen aber ein Abhängigkeitsrisiko.
- Physiotherapie: Gleichgewichtstraining zur Verbesserung der Gangsicherheit.
- Elektrotherapie (TENS): Stimulation der Nerven durch elektrische Impulse.
- Akupunktur: Kann die Nerven beleben.
Medikamentöse Therapie im Detail
- Antidepressiva und Antikonvulsiva: Bewährte Mittel zur Schmerzbekämpfung.
- Capsaicin-Pflaster: Können die Neubildung kleiner Nervenfasern anregen.
- Alpha-Liponsäure: Zeigte in Studien einen günstigen Einfluss auf die Nervenfunktion und Symptome der peripheren diabetischen Polyneuropathie.
- Benfotiamin: Eine Vorstufe von Vitamin B1, die vermutlich günstige Effekte auf die Mechanismen hat, die an der Entstehung diabetischer Nervenschäden beteiligt sind.
Weitere Behandlungsansätze
- Psychotherapie: Kann helfen, die durch die Polyneuropathie eingeschränkte Lebensqualität zu verbessern.
- Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Kann die Beschwerden lindern.
- Krankengymnastik/Physiotherapie: Hilft bei Muskelschwäche, Bewegungsstörungen oder Lähmungen.
- Regelmäßige Kontrolle der Füße: Bei eingeschränktem Berührungs- und Schmerzempfinden.
Verlauf und Prognose
Der Verlauf der Polyneuropathie hängt von der Ursache und der Wirksamkeit der Behandlung ab. Bei frühzeitiger Diagnose und Behandlung der Grunderkrankung können die Nervenschäden oft gestoppt oder sogar rückgängig gemacht werden. In manchen Fällen ist die Polyneuropathie jedoch nicht heilbar, und die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Symptome.
Wichtige Aspekte für den Verlauf
- Frühzeitige Diagnose und Behandlung der Ursache
- Konsequente Therapie der Grunderkrankung (z.B. Diabetes)
- Vermeidung von Risikofaktoren (z.B. Alkohol)
- Regelmäßige Kontrollen und Anpassung der Therapie
Vorbeugung
Einige Risikofaktoren für die Polyneuropathie lassen sich beeinflussen:
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- Diabetes: Achten Sie auf eine gute Blutzuckereinstellung.
- Alkohol: Vermeiden Sie übermäßigen Alkoholkonsum.
- Ernährung: Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend Vitaminen und Nährstoffen.
- Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität kann das Risiko für Diabetes und andere Erkrankungen senken, die eine Polyneuropathie verursachen können.
Leben mit Polyneuropathie
Eine Polyneuropathie kann den Alltag erheblich beeinträchtigen. Es gibt jedoch verschiedene Maßnahmen, die Betroffene ergreifen können, um ihre Lebensqualität zu verbessern:
- Fußpflege: Regelmäßige Kontrolle der Füße auf Verletzungen und Druckstellen.
- Schuhwerk: Bequeme Schuhe tragen, die nicht drücken oder scheuern.
- Hilfsmittel: Bei Bedarf Gehhilfen oder orthopädische Schuhe verwenden.
- Ergotherapie: Erlernen von Strategien zur Bewältigung von Alltagsproblemen.
- Selbsthilfegruppen: Austausch mit anderen Betroffenen.
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