Demenz ist ein Oberbegriff für verschiedene fortschreitende Erkrankungen des Gehirns, die mit einem Verlust geistiger (kognitiver) Fähigkeiten wie Denken, Erinnern und Orientieren einhergehen. Die häufigste Form ist die Alzheimer-Krankheit. Demenz tritt besonders im höheren Lebensalter häufig auf, während sie unter 65 Jahren selten ist, dann meist in spezieller Form. Für Angehörige ist es emotional belastend, die Veränderungen bei Angehörigen und vertrauten Menschen mitzuerleben, von Verwirrtheit bis hin zur Hilflosigkeit. Um besser mit der Situation umgehen zu können, ist es wichtig, sich über die Krankheit zu informieren. Die Krankheit ist nicht heilbar und verläuft chronisch, die Symptome verschlechtern sich mit der Zeit.
Neben den kognitiven Einschränkungen entwickeln viele Demenzpatienten im Verlauf der Erkrankung auch nicht-kognitive Symptome, die als Verhaltensstörungen bei Demenz (BPSD), nicht-kognitive Störungen oder herausforderndes Verhalten bezeichnet werden. Diese Symptome können Aggressivität, Unruhe, Enthemmung, Affektlabilität oder Apathie umfassen und haben oft nachvollziehbare und behandelbare Ursachen.
Definition und Häufigkeit nicht-kognitiver Symptome
Bei einer Demenz entwickeln zwischen 76 und 96 % aller betroffenen Patienten im Verlauf der Erkrankung Symptome wie Aggressivität, Unruhe, Enthemmung, Affektlabilität oder Apathie. Verhaltensstörungen sind nicht nur Begleiter der Demenzerkrankung, sie haben auch nachvollziehbare und oft behandelbare Ursachen. Aggressivität und Enthemmung führen zu einer raschen Vorstellung beim Arzt, da sie mit offenkundigem Fehlverhalten verbunden sind. Sie treten jedoch nur in bis zu 50 % der Fälle auf. Viel häufiger entwickeln Demenzerkrankte Apathie und gedrückte Stimmung (50-90 %). Oft werden diese Störungen jedoch übersehen, da ihnen die Dramatik im klinischen Kontext fehlt.
Ursachen und Pathogenese
Die Pathogenese der Verhaltensstörung ist multifaktoriell. Bezüglich biologischer Ursachen wird die metabolische Hypothese favorisiert, bei der von einer Dysregulation der Hypophysen-Hypothalamus-Nebennierenrinden-Achse („Stress-Achse“) und einer resultierenden Imbalance im Transmittersystem mit Auftreten von Wahn (Dopamin) und depressiver Symptomatik (Serotonin) ausgegangen wird. Die Atrophie im Bereich der Nucleus raphe dorsalis (Serotoninmangel) kann ebenfalls zu affektiven Symptomen führen. Die frühzeitige Atrophie des paralimbischen Systems, wie bei Alzheimer-Demenz, kann durch den Eingriff in das dopaminerge Stoffwechselsystem zu Aggressivität durch Wahnsymptome (Vergiftung, Bestehlung) führen, während die Aggressivität bei fronto-temporaler Demenz eher durch Enthemmungsphänomene entsteht. Affektlabilität (Stimmungsschwankungen) bei vaskulären Demenzen kann ebenfalls Aggressivität verursachen. Eine solche ätiologische Unterscheidung der Aggressivität kann hilfreich sein, um differenziert zu therapieren.
Psychologische oder Umfeld-assoziierte Faktoren, wie ein defizitorientierter Umgang (unbewusste kontinuierliche Konfrontation mit den Defiziten) mit dem Erkrankten, und somatische Begleiterkrankungen sind ebenfalls anzuführen. Auch die durch die kognitiven Defizite, wie Desorientierung, Wortfindungsstörungen (Aphasie) oder Störung der Gesichtserkennung (Prosopagnosie), entstandene veränderte Wahrnehmung der Umwelt trägt zu Verhaltensstörungen bei.
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Somatische Ursachen
Verhaltensstörungen können auch infolge somatischer oder psychiatrischer Komorbidität auftreten, die erkannt und spezifisch behandelt werden könnten. Eine rein symptombezogene, symptomatische Therapie (zum Beispiel bei Aggressivität) kann dagegen zu langfristigem Einsatz von Neuroleptika mit Polypharmazie, Nebenwirkungen und erheblichen Kosten für das Gesundheitssystem führen.
In der klinischen Arbeit zeigt sich, dass ein Teil der Verhaltensstörungen somatische Ursachen hat:
- Aggressivität, Unruhe und Enthemmung: Wichtige Ursache für diese Symptome sind Schmerzen im Rahmen von Stürzen, unerkannten Frakturen, Osteoporose oder Schmerzen durch fehlsitzende Zahnprothesen (Atrophie des Kiefers). Durch kognitive Defizite sind mittelschwer bis schwer Demenzerkrankte nur unzureichend in der Lage, Schmerzen zu äußern („underreporting of pain“) oder schmerzlindernde Haltungen einzunehmen. Infolge dessen tritt ein unspezifisches Gequältsein auf, das zu Aggressivität führen kann. Eine Neuroleptika-Überdosierung wie auch internistische Erkrankungen (Hyperthyreose, Harnwegsinfekte) können Aggressivität auslösen. Bei Missachtung des Grundsatzes „start-low-go-slow“ kann die zu rasche und zu hohe Neuroleptika-Dosierung Verhaltensstörungen auslösen. Therapie wäre das Ausschleichen des Neuroleptikums. Linkshemisphärielle Ischämien können zu einer organisch-affektiven Störung mit Affektlabilität und Unruhe oder zu einer organisch-wahnhaften Störung mit Bestehlungs- oder Vergiftungswahn und Aggressivität führen.
- Scheinbare Nahrungsverweigerung und Apathie: Die Nichtaufnahme von Nahrung kann durch eine somatische oder psychiatrische Komorbidität entstanden sein. Häufige Ursache ist die Besiedelung der atrophen Magenschleimhaut mit Helicobacter pylori. Die resultierende chronische Gastritis, die kognitiven Defizite und der Appetitverlust führen dazu, dass aus Angst vor Schmerzen keine Nahrung aufgenommen wird. Aufgrund der kognitiven Defizite kann dies nicht geäußert werden; es entsteht der Eindruck der Nahrungsverweigerung. Weitere Ursachen sind die Überdosierung mit Digitalis, Psychopharmaka oder eine Polypharmazie. Linkshemisphäriell gelegene Ischämien können zur „post stroke depression“ mit Antriebslosigkeit und Appetitminderung führen. Hier wäre eine antidepressive Behandlung angezeigt.
- Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen: Davon betroffene Patienten sind nachts wach und agitiert, tagsüber schläfrig und apathisch. Ursächlich können defizitorientiertes Vorgehen durch Bezugspersonen und somatische Begleiterkrankungen sein. Psychopharmakaüberdosierung und der unkritische Einsatz von Neuroleptika oder Benzodiazepinen führen bei dauerhafter Anwendung zum Persistieren der Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen. Eine dekompensierte Herzinsuffizienz mit Nykturie und häufigem Erwachen ist oft zu beobachten. In diesem Fall sollte die Herzinsuffizienz behandelt und es sollten keine Neuroleptika eingesetzt werden. Neuroleptika könnten zur Verstärkung der Herzinsuffizienz führen und damit die Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen verschlimmern. Auch an nächtliche Hypoglykämien muss gedacht werden.
- Wahn und Halluzinationen: Bestehlungs- und Vergiftungswahn sowie optische Halluzinationen treten in 30-50 % der Fälle auf. Somatische Ursache können eine Hyperthyreose, Störungen des Blutzuckerstoffwechsels, eine Digitalis-Überdosierung, anticholinerge Nebenwirkungen und eine Psychopharmaka-Überdosierung sein. Auch Seh- oder Hörminderungen begünstigen wahnhafte Symptome. Kraepelin beschrieb 1915 den „Verfolgungswahn der Schwerhörigen“. Es ist wichtig, sensorische Defizite auszugleichen.
Psychologische und Umfeld-assoziierte Ursachen
Der unbewusst defizitorientierte Umgang mit Demenzpatienten durch ungeschultes Pflegepersonal oder Angehörige mündet in eine kontinuierliche Konfrontation mit krankheitsbedingten Einschränkungen. Da im Rahmen der Atrophie des Hippocampus die Lernfähigkeit verringert wird, führt das tägliche „Einüben“ von Zusammenhängen (Datum, Namen), die für den Alltag verzichtbar sind, je nach prämorbider Persönlichkeit zu Aggressivität oder Depressivität und zur Minderung des Selbstwertgefühls. Vor dem Hintergrund der schwierigen psychosozialen Situation von Demenzkranken (Verlust, Umzug ins Heim) und fehlender kognitiver Verarbeitung, ist im klinischen Alltag die Verstärkung von Verhaltensstörungen zu beobachten.
Posttraumatische Belastungsstörungen zum Beispiel als Ergebnis von Traumatisierungen durch den zweiten Weltkrieg können nun, bei eingeschränkter Kognition, zu Angstzuständen, Schlafstörungen, Alpträumen und Aggressivität führen. Bereits prämorbid bestehende affektive und psychotische Störungen oder Persönlichkeitsakzentuierungen sind geeignet, nun Verhaltensstörungen hervorzurufen oder zu verstärken und müssen im therapeutischen Gesamtkonzept berücksichtigt werden.
Diagnostik und Differenzialdiagnostik
Zunächst sollte die Verhaltensstörung als solche identifiziert und zugeordnet werden. Der Demenztyp ist zu beachten. Alzheimerkranke zeigen durch die limbische und paralimbische Atrophie Wahnsymptome oder Halluzinationen und durch frühzeitige Involvierung der hinteren Raphekerne Depressivität. An fronto-temporaler Demenz Erkrankte erleiden frühzeitig Enthemmungsphänomene und emotionale Indifferenz. Vaskuläre Demenzerkrankungen können durch Affektlabilität imponieren, Lewy-Körperchen-Demenzen durch ausgeprägte, wenig affektbeladene, szenische Halluzinationen.
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Die Abgrenzung vom Delir als Verwirrtheitszustand mit organischer Ursache, Bewusstseinsänderung, gestörter Aufmerksamkeit, vegetativen Symptomen und anderen kognitiven Defiziten ist notwendig. Ein Kriterium der Abgrenzung von Verhaltensstörungen ist die Unfähigkeit, Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, sie zu verlagern oder aufrechtzuerhalten.
Wichtig ist, die beschriebenen somatischen Komorbiditäten zu erkennen und zu behandeln. Auslösende Faktoren und Situationen sind mittels Fremdanamnese konkret zu identifizieren. Ein Patient mit fortgeschrittener Demenz, der seine verstorbene Ehefrau sucht und permanent hört, dass sie „doch tot“ sei, wird zwangsläufig Verhaltensstörungen entwickeln. Ein psychischer Befund ist hilfreich. Zu achten ist auf Wahnerleben, Stimmungsschwankungen, Appetitverlust und Schlafstörungen. Spezifische Skalen können zur Beurteilung von Ursachen (zum Beispiel Schmerzen, Depression) und Schweregrad der Verhaltensstörungen eingesetzt werden.
Therapie
Die neuen S3-Leitlinien zur Demenz stärken besonders die nichtmedikamentösen Therapieverfahren der Verhaltensstörung bei Demenz. Ziel ist, den derzeitigen Kenntnisstand zur Diagnostik und Therapie von Verhaltensstörungen darzustellen und den interdisziplinären Dialog zu fördern.
Allgemeine therapeutische Grundlagen
Verhaltensstörungen sind integraler Bestandteil des Demenzsyndroms und einer therapeutischen Intervention zugänglich. Hilfreich sind pflegerische Verfahren zur Prävention eines Delirs bei Demenz.
Die Therapie von Verhaltensstörungen sollte im therapeutischen Gesamtkonzept aufeinander abgestimmter nichtmedikamentöser und medikamentöser Behandlungsansätze durchgeführt werden. Im ersten Schritt erfolgt die Psychoedukation aller beteiligten Personen in validierendem, ressourcenorientiertem Umgang. Dann müssen auslösende Faktoren und Situationen erkannt und vermieden werden.
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Psychopharmaka sollten dann eingesetzt werden, wenn die nichtmedikamentösen Interventionen nicht effektiv waren. Zuvor muss eine gründliche somatische Abklärung erfolgen. Es sollte nicht vordergründig gefragt werden „Welches Medikament soll der Patient bekommen?“, sondern „Was hat er eigentlich?“.
Medikamentöse Therapie
Antidementiva (Galantamin, Donepezil, Rivastigmin, Memantin) und Psychopharmaka sind bei Verhaltensstörungen wirksam.
Zuerst wird eine somatische Grunderkrankung medikamentös behandelt, wie zum Beispiel ein Harnwegsinfekt mit einem Antibiotikum. Die Psychopharmakotherapie der möglicherweise aus dem Harnwegsinfekt resultierenden Aggressivität ist symptomatisch und zeitlich begrenzt. Anticholinerg wirksame, sedierende und muskelrelaxierende Medikamente sollten gemieden werden, ebenso Medikamente mit hohem Interaktionspotenzial (PRISCUS-Liste).
- Behandlung psychotischer Symptome, gesteigerter Psychomotorik und Aggressivität: Eine Neurolepsie erfolgt mittels hochpotent atypischer Neuroleptika, wenn akute Gefährdungssituationen oder schwere psychotische Symptome vorliegen. Eine langsame Aufdosierung („start low go slow“) über 1-2 Wochen und ein kurzfristiger Einsatz aufgrund zerebro- und kardiovaskulärer Risiken sowie erhöhter Mortalität sind zu beachten. Mittel der Wahl ist Risperidon (0,25 bis maximal 2 mg/Tag). Olanzapin, Quetiapin und Aripiprazol wirken auf Aggressivität, nicht jedoch auf Wahnsymptome. Olanzapin hat anticholinerge Nebenwirkungen. Klassische Neuroleptika wie Haloperidol (erhöhtes Risiko für extrapyramidal motorische Nebenwirkungen) oder niederpotente Neuroleptika wie Melperon (Sedierung, Sturzrisiko) sollten kritisch verwendet werden. Als Neuroleptika bei Demenz mit Lewy-Körperchen sind Clozapin und Quetiapin ohne Verschlechterung der Parkinsonsymptomatik geeignet. Benzodiazepine sollten allenfalls kurzfristig eingesetzt werden. Es bestehen Abhängigkeitspotenzial, erhöhte Sturzgefahr sowie Depressiogenität. Wenn notwendig, sollten Oxazepam oder Lorazepam, die ihre Halbwertszeit im Alter nicht erhöhen, verwendet werden. Carbamazepin wirkt auf agitiertes und aggressives Verhalten, hat aber auch ein hohes Interaktionspotenzial. Valproinsäure zeigt keine Effekte bei agitiertem oder aggressivem Verhalten.
- Behandlung affektiver Symptome und Apathie: Am besten sind Serotinwiederaufnahmehemmer zur Behandlung einer affektiven Symptomatik untersucht. Eine Hyponatriämie mit Verschlechterung kognitiver Defizite oder Delir kann gelegentlich auftreten. Fluoxetin und Paroxetin (hohes Interaktionspotenzial) oder Trizyklika (anticholinerge Nebenwirkungen) sollten gemieden werden. Citalopram zeigte Wirksamkeit. Keine randomisierten kontrollierten Studien existieren zu Mirtazapin, Escitalopram, Venlafaxin, Reboxetin und Duloxetin. Der Einsatz erfolgt als individueller Heilversuch. Trazodon hat einen positiven Effekt auf Angstzustände. Risiken sind Sedierung, hypertone Entgleisung und Priapismus. Die Behandlung der Apathie ist nicht ausreichend untersucht. Der Einsatz von Antidementiva als individueller Heilversuch kann jedoch hilfreich sein.
Nichtmedikamentöse Therapieverfahren
Zu psychosozialen Interventionen liegen evidenzbasierte Daten vor. Effektstärken für Erinnerungstherapie, Ergotherapie, körperliche Aktivitäten und aktive Musiktherapie wurden publiziert.
Zunächst müssen alle Personen, die an der Betreuung des Patienten beteiligt sind, eine Psychoedukation und Schulung erhalten, um einen defizitorientierten Umgang zu vermeiden. Mögliche Auslöser der Verhaltensstörungen durch das Verhalten der Bezugspersonen müssen reduziert werden. In der Kommunikation mit dem Kranken sind kurze, prägnante Sätze, eine flexible Wortwahl und eine sonore, angenehme Stimmlage hilfreich.
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