Ein epileptischer Anfall, insbesondere ein generalisierter Krampfanfall, kann für Eltern und Betreuer sehr beängstigend sein. Schnelles und richtiges Handeln ist entscheidend, um Komplikationen zu vermeiden und die bestmögliche Versorgung des Kindes zu gewährleisten. Dieser Artikel fasst die wichtigsten Aspekte der Notfallbehandlung von epileptischen Anfällen im Kindesalter zusammen, basierend auf aktuellen Leitlinien und Empfehlungen.
Was ist ein epileptischer Anfall?
Ein epileptischer Anfall entsteht durch eine übermäßige, synchrone Entladung von Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn. Die Symptome können je nach betroffenem Hirnbereich und Ausmaß der Entladung stark variieren. Es wird zwischen generalisierten und fokalen Anfällen unterschieden.
Generalisierte Anfälle: Betreffen beide Gehirnhälften gleichzeitig. Der bekannteste Typ ist der generalisierte tonisch-klonische Anfall (früher "Grand mal"). Dieser beginnt mit einer Versteifung der Muskeln (tonische Phase), gefolgt von rhythmischen Zuckungen (klonische Phase). Es kann zu Bewusstseinsverlust und Atemstillstand kommen. Weitere Formen sind myoklonische Anfälle (kurze, unwillkürliche Muskelzuckungen) und Absencen (kurze Bewusstseinsaussetzer).
Fokale Anfälle: Beginnen in einem begrenzten Bereich einer Hirnhälfte. Bei einem einfach-fokalen Anfall bleibt das Bewusstsein erhalten, während bei einem komplex-fokalen Anfall Bewusstseinsstörungen auftreten können. Fokale Anfälle können sich auf beide Hirnhälften ausbreiten und in einen generalisierten tonisch-klonischen Anfall übergehen.
Nach einem Anfall folgt meist eine postiktale Phase, die von Stunden anhalten kann und mit Symptomen wie Sprachstörungen, Müdigkeit, Lähmungen oder psychischen Veränderungen einhergehen kann.
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Ursachen epileptischer Anfälle
Epileptische Anfälle können verschiedene Ursachen haben. Bei Kindern sind häufig Fieberkrämpfe die Ursache, also Anfälle, die im Zusammenhang mit Fieber auftreten. Weitere mögliche Ursachen sind:
- Neurologische Erkrankungen: Epilepsie, akuter Schlaganfall, Hirnblutung, Raumforderungen (z.B. Tumore)
- Infektionen: Insbesondere Meningitis (Hirnhautentzündung) oder Enzephalitis (Gehirnentzündung)
- Metabolische Störungen: Hypoglykämie (Unterzuckerung), Elektrolytstörungen (z.B. Hyponatriämie)
- Zerebrale Raumforderungen: Ischämien
- Trauma: Schädel-Hirn-Trauma
- Toxine: Alkohol, Drogen, Medikamente
- Hypoxie: Sauerstoffmangel
- Genetische Faktoren: Idiopathische Epilepsiesyndrome
Notfallmaßnahmen bei einem epileptischen Anfall
Ein generalisierter Krampfanfall sieht dramatisch aus - und schnelles Handeln ist meist erforderlich. Die Mehrzahl der epileptischen Anfälle im Kindesalter endet spontan und erfordert keine akute Medikamentengabe. Dauert ein Anfall jedoch länger als fünf Minuten an, oder treten mehrere Anfälle kurz hintereinander auf, ohne dass das Kind zwischendurch das Bewusstsein wiedererlangt, spricht man von einem Status epilepticus. Dies ist ein Notfall, der umgehend behandelt werden muss, um bleibende Schäden zu verhindern.
Allgemeine Maßnahmen
Unabhängig von der Anfallsart sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:
Ruhe bewahren: Auch wenn es schwerfällt, ist es wichtig, ruhig zu bleiben, um dem Kind bestmöglich helfen zu können.
Kind schützen: Sorgen Sie dafür, dass sich das Kind während des Anfalls nicht verletzen kann. Entfernen Sie gefährliche Gegenstände aus der Umgebung und polstern Sie den Kopf des Kindes, falls es sich auf dem Boden befindet.
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Atemwege sichern: Achten Sie darauf, dass die Atemwege frei sind. Entfernen Sie gegebenenfalls Speichel oder Erbrochenes aus dem Mund. Vermeiden Sie es, dem Kind etwas in den Mund zu schieben (z.B. einen Zungenkeil), da dies zu Verletzungen führen kann.
Nicht festhalten: Versuchen Sie nicht, die Zuckungen zu unterdrücken oder das Kind festzuhalten. Dies kann zu Verletzungen führen.
Dauer beobachten: Achten Sie auf die Uhr und notieren Sie die Startzeit des Anfalls. Dies ist wichtig für die weitere Behandlung. Eine möglichst genaue Beschreibung über Ablauf und Dauer des Krampfes ist entscheidend für die Einordnung der Anfalls und die Festlegung weiterer therapeutischer Maßnahmen.
Beobachten: Beobachten Sie den Anfall genau. Treten rhythmische Zuckungen der Extremitäten auf (tonisch-klonisch, meist ≥20 Zuckungen), oft Initialschrei? Handelt es sich um einen klassischen generalisierten Anfall?
Nach dem Anfall: Nach dem Anfall sollte das Kind in die stabile Seitenlage gebracht werden, um die Atemwege freizuhalten. Bleiben Sie beim Kind, bis es vollständig wach und orientiert ist.
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Medikamentöse Therapie
Wenn ein Anfall nicht innerhalb von fünf Minuten spontan endet, muss er medikamentös unterbrochen werden. Als Medikament kommt bei den meisten Rettungsdiensten Midazolam aufgrund seiner umfangreichen Applikationswege zum Einsatz. Bei Patienten mit einer Neigung zu Anfallsserien kann die Gabe von Notfallmedikamenten abweichend bereits nach dem ersten Anfall erwogen werden.
Die medikamentöse Therapie des Status epilepticus erfolgt stufenweise:
Stufe 1: Benzodiazepine
Benzodiazepine sind Medikamente, die schnell wirken und die Krampfaktivität im Gehirn reduzieren. Sie sind in verschiedenen Darreichungsformen erhältlich, die auch von Laien verabreicht werden können:
Midazolam: Kann als Nasenspray (intranasal), in die Wangentasche (bukkal) oder intramuskulär (in den Muskel) verabreicht werden, falls kein intravenöser Zugang vorhanden ist. Die Dosierung richtet sich nach dem Körpergewicht des Kindes.
- kein iv-Zugang vorhanden: Midazolam 10mg in. oder im.
- Applikationsartintranasal / intramuskulärintravenösAmpulle Midazolam15 mg / 3 ml Midazolam5 mg / 5 m MidazolamRichtdosis>40 kgKG = 10 mg i.n. / i.m.<40-13 kgKG = 5 mg i.n. / i.m.>40 kgKG = 10 mg i.v.<40-13 kgKG = 5 mg i.v.Dosierung pro kgKG0,2 mg/kgKG i.n.
Lorazepam: Wird in der Regel intravenös (in die Vene) verabreicht.
- Lorazepam 4mg iv. oder Midazolam 10mg iv. (bei Pat ≥50kg)
Stufe 2: Antikonvulsiva
Wenn der Anfall trotz Benzodiazepinen anhält, werden zusätzlich Antikonvulsiva eingesetzt. Dies sind Medikamente, die die Erregbarkeit der Nervenzellen langfristig reduzieren.
- Levetiracetam: Ein häufig verwendetes Antikonvulsivum, das intravenös verabreicht wird. Levetiracetam 60mg/kg (max. 4500mg) über >10min iv.
- Valproat: Ebenfalls ein Antikonvulsivum, das intravenös gegeben wird. Valproat 40mg/kg (max. 3000mg) über >10min iv.
Stufe 3: Narkose
Wenn auch die Antikonvulsiva nicht wirken, muss der Status epilepticus durch eine Narkose unterbrochen werden. Dazu werden in der Regel Propofol und Esketamin eingesetzt. Propofol (1-)2mg/kg iv. Esketamin 0,5(-1)mg/kg iv. Die Narkose ermöglicht es, höhere Dosen von Antiepileptika zu verabreichen und die Krampfaktivität im Gehirn zu kontrollieren.
Spezielle Situationen:
- Fieberkrampf: Bei Kindern unter sechs Jahren, die einen Fieberkrampf erleiden, sollte zusätzlich das Fieber gesenkt werden, z.B. mit Paracetamol oder Ibuprofen.
- Schwangere: Bei Schwangeren mit Krampfanfällen muss an eine Eklampsie gedacht werden. In diesem Fall wird Magnesiumsulfat intravenös verabreicht.
- Bekannter Alkoholabusus: Bei Patienten mit bekanntem Alkoholabusus sollte Thiamin (Vitamin B1) gegeben werden, um einem alkoholbedingten Anfall vorzubeugen.
Wann muss ein Arzt gerufen werden?
Ein Notarzt sollte gerufen werden, wenn:
- Der Anfall länger als fünf Minuten dauert.
- Das Kind nach dem Anfall nicht innerhalb von 10-15 Minuten wieder vollständig wach und orientiert ist.
- Mehrere Anfälle kurz hintereinander auftreten, ohne dass das Kind zwischendurch das Bewusstsein wiedererlangt.
- Das Kind sich während des Anfalls verletzt hat.
- Es sich um den ersten Anfall handelt.
- Das Kind an einer schweren Grunderkrankung leidet.
- Zusätzliche Symptome wie Fieber, Erbrechen oder Nackensteifigkeit auftreten.
Differenzialdiagnosen
Epileptische Anfälle müssen von anderen Erkrankungen abgegrenzt werden, die ähnliche Symptome verursachen können. Dazu gehören:
- Fieberkrämpfe: Gelegenheitskrämpfe im Kindesalter durch erhöhte Körpertemperatur.
- Synkopen: Kurze Bewusstlosigkeit aufgrund von Kreislaufproblemen.
- Dissoziative Anfälle: Psychogene, nicht-epileptische Anfälle.
- Hypoglykämie: Unterzuckerung.
- Herzrhythmusstörungen: Können zu kurzzeitigen Bewusstseinsverlusten mit krampfartigen Zuckungen führen.
Nachsorge und Langzeitbehandlung
Nach einem epileptischen Anfall ist eine sorgfältige Nachsorge wichtig. Bei einem erstmaligen Anfall sollte das Kind in einer Klinik mit neurologischer Fachabteilung vorgestellt werden, um die Ursache des Anfalls abzuklären und eine geeignete Therapie einzuleiten.
Bei Kindern mit bekannter Epilepsie muss die antikonvulsive Therapie möglicherweise angepasst werden. Es ist wichtig, dass die Medikamente regelmäßig und in der verordneten Dosis eingenommen werden, um Anfälle zu vermeiden.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie ist die häufigste Behandlungsmethode bei Epilepsie. Ziel ist es, die Anfälle zu unterdrücken und die Lebensqualität des Kindes zu verbessern. Es stehen verschiedene Antiepileptika zur Verfügung, die je nach Anfallsart und individuellen Bedürfnissen des Kindes eingesetzt werden.
Etwa 50 % der Menschen mit Epilepsie werden mit dem ersten Anfallsunterdrückenden Medikament anfallsfrei, mit dem zweiten weitere 10-15 % und insgesamt durch Medikamente ungefähr 2/3. Etwa die Hälfte der Menschen, die durch Medikamente langjährig anfallsfrei geworden sind, bekommen wieder Anfälle, wenn sie die Medikamente absetzen.
Nicht-medikamentöse Therapien
In einigen Fällen können auch nicht-medikamentöse Therapien in Betracht gezogen werden, wie z.B.:
- Ketogene Diät: Eine spezielle Diät mit hohem Fettanteil und wenig Kohlenhydraten, die bei einigen Formen von Epilepsie wirksam sein kann.
- Vagusnervstimulation: Ein Verfahren, bei dem der Vagusnerv im Halsbereich elektrisch stimuliert wird, um die Anfallshäufigkeit zu reduzieren.
- Epilepsiechirurgie: In seltenen Fällen kann eine Operation in Betracht gezogen werden, um den Anfallsherd im Gehirn zu entfernen.
Notfallmedikamente für zu Hause
Neben den regelmäßig einzunehmenden anfallsunterdrückenden Medikamenten bekommen einige Menschen auch noch sog. Notfallmedikamente. Andere Wörter dafür sind "Bedarfsmedikation" oder "Akutmedikation". Sie sind dafür gedacht, einen Status epilepticus oder eine Anfallsserie zu verhindern. Die medizinische Leitlinie empfiehlt Notfallmedikamente in der Regel bei Anfällen zu verwenden, die länger als 5 Minuten dauern und/oder nach dem 3. Anfall innerhalb von 24 Stunden. Ein Notfallmedikament kann demnach aber auch schon nach dem 1. Anfall nützlich sein, wenn ein Mensch zu Anfallsserien neigt.
Menschen mit Epilepsie sollten daher über die Notfallmedikamente und deren Verwendung die Personen genau informieren, mit denen sie viel Zeit verbringen, z.B. Angehörige oder Kollegen. Bei Kindern und Jugendlichen sollten das Kitapersonal und/oder die Lehrkräfte schriftliche ärztliche Informationen über etwaige Notfallmedikamente bekommen.
Begleiterkrankungen und psychosoziale Aspekte
Etwa 70 Prozent aller Kinder mit Epilepsie sind kognitiv normal entwickelt. Andererseits ist eine Intelligenzminderung (IQ < 70) die häufigste Komorbidität bei Kindern mit Epilepsie. In epidemiologischen Studien sind Zerebralparese, Hydrozephalus, Tuberöse Sklerose und Sturge-Weber-Syndrom die häufigsten Begleiterkrankungen.
Epilepsie kann auch Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das soziale Leben des Kindes haben. Es ist wichtig, dass Kinder mit Epilepsie und ihre Familien psychosoziale Unterstützung erhalten, um mit den Herausforderungen der Erkrankung umzugehen.
Altersgebundene Epilepsiesyndrome
Im Kindes- und Jugendalter gibt es verschiedene Epilepsiesyndrome, die in bestimmten Altersgruppen gehäuft auftreten. Einige Beispiele sind:
- Fieberkrämpfe: Treten meist im Alter von drei Monaten bis fünf Jahren auf.
- West-Syndrom: Manifestiert sich meist im ersten Lebensjahr.
- Frühkindliche Absenceepilepsie: Beginn in den ersten vier Lebensjahren.
- Rolando-Epilepsie: Tritt meist im Schulalter auf.
- Juvenile myoklonische Epilepsie: Beginnt meist in der Jugend.
Fazit
Epileptische Anfälle im Kindesalter sind ein Notfall, der schnelles und koordiniertes Handeln erfordert. Die Kenntnis der verschiedenen Anfallsarten, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten ist entscheidend, um die bestmögliche Versorgung des Kindes zu gewährleisten. Eltern und Betreuer sollten sich mit den Notfallmaßnahmen vertraut machen und im Zweifelsfall immer einen Arzt rufen. Eine frühzeitige Diagnose und eine individuell angepasste Therapie können dazu beitragen, die Anfälle zu kontrollieren und die Lebensqualität des Kindes zu verbessern.
Wichtige Hinweise
- Dieser Artikel dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Arzt oder Apotheker.
- Die hier dargestellten Informationen basieren auf aktuellen Leitlinien und Empfehlungen, können sich aber im Laufe der Zeit ändern.
- Im Notfall sollte immer der Notarzt gerufen werden.
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