Ohr-Nervensystem-Piercing: Risiken und Überlegungen

Piercings sind heutzutage ein beliebtes Mittel, um Individualität auszudrücken und den Körper zu schmücken. Während viele Piercings aus rein ästhetischen Gründen angebracht werden, gibt es auch solche, die mit der Hoffnung auf gesteigerte sexuelle Empfindungen verbunden sind, insbesondere im Intimbereich. Allerdings sind Piercings nicht risikofrei, und es ist wichtig, sich der potenziellen Gefahren bewusst zu sein, bevor man sich für ein solches Körperschmuckstück entscheidet.

Piercing-Trends und ihre historischen Wurzeln

Piercings sind keineswegs eine moderne Erfindung. Archäologische Funde und Darstellungen von Menschen und Göttern mit Piercings in verschiedenen Kulturen, darunter die Inka, Mayas, afrikanische und asiatische Völker sowie das alte Ägypten, belegen eine lange Tradition. Sogar der berühmte Pharao Tutanchamun wurde mit durchbohrten und geweiteten Ohrläppchen dargestellt, ebenso wie viele Buddha-Statuen. Diese historischen Spuren lassen sich bis zu 7.000 Jahre zurückverfolgen.

Forscher vermuten, dass das Piercen sogar noch älter ist. Viele Naturvölker praktizieren das Durchstechen bestimmter Körperteile aus spirituellen Gründen, um den Göttern näher zu kommen oder um Initiationsriten zu vollziehen. Durch den Schmerz, der mit dem Piercen verbunden ist, werden Jugendliche auf die Probe gestellt und müssen sich beweisen, um ihre Kindheit abzulegen.

Verbreitung von Piercings in der modernen Gesellschaft

In Deutschland tragen durchschnittlich etwa neun Prozent der Bevölkerung ein Piercing, wobei junge Menschen unter 30 Jahren die Mehrheit bilden. Ohrringe werden dabei nicht mitgezählt. Seit den frühen 1990er Jahren hat das Piercen einen regelrechten Boom erlebt.

Obwohl viele moderne Piercings eine Entsprechung in spirituellen oder ethnischen Modifikationen haben, lassen sich die wenigsten Menschen in Europa piercen, um Gott näher zu kommen. Stattdessen drücken sie durch ihren Körperschmuck die Zugehörigkeit zu einem Clan, einem Stamm oder einer bestimmten Schicht aus.

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Gesundheitliche Risiken von Piercings

Trotz der ästhetischen Anziehungskraft können Piercings auch gesundheitliche Risiken bergen. Etwa 10 Prozent der gepiercten Personen müssen aufgrund von Komplikationen einen Arzt aufsuchen. Zu den möglichen Problemen gehören:

  • Allergien: Allergische Reaktionen auf die verwendeten Materialien, insbesondere Nickel, sind häufig. Die "Nickeldirektive" der EU regelt zwar den Nickelgehalt in Schmuckstücken, doch kann Schmuck auch dann als "nickelfrei" beworben werden, wenn sich Nickel nur in der unteren Schicht befindet. Daher ist es ratsam, Schmuckstücke mit einem hohen Reinheitsgrad von Gold oder Silber zu wählen und diese erst einzusetzen, wenn die Wunde vollständig verheilt ist.
  • Empfindungsstörungen: Im gepiercten Bereich können Empfindungsstörungen auftreten.
  • Störung des Energieflusses: Gemäss der Traditionellen Chinesischen Medizin können Piercings den Energiefluss in den Meridianen stören und zu gesundheitlichen Problemen führen. Insbesondere Piercings im knorpeligen Teil der Ohren und in der Körpermitte gelten als problematisch, da sich dort Akupunkturpunkte für fast jedes Organ befinden.
  • Narbenbildung: Narben, die durch das Piercen entstehen, können den Energiefluss weiterhin behindern und eine vollständige Heilung verhindern. Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, depressive Phasen, Probleme im Magen-Darm-Trakt, Kopfschmerzen, Schwindel oder Rückenschmerzen können Anzeichen für störende Narben sein.
  • Infektionen: Durch unsachgemäße Nachsorge können Mikroorganismen in den Körper eindringen und Infektionen verursachen.
  • Schwellungen und Nachblutungen: Schwellungen und Nachblutungen sind normale Reaktionen des Körpers auf die Verletzung.
  • Abstossungsreaktion: Der Körper kann das Piercing abstossen, insbesondere bei falschem Schmuck oder häufigen Entzündungen.
  • Lymphknotenschwellung: Die Lymphknoten können anschwellen, da sie als Sammelstellen des Immunsystems krankmachende Keime herausfiltern.
  • Abszesse: Für die Entstehung eines Abszesses sind meist Bakterien verantwortlich.
  • Blutergüsse: Durch die Verletzung von Blutgefässen kann es zu einem Bluterguss kommen.

Spezifische Risiken von Ohrpiercings

Ohrpiercings sind zwar beliebt, aber auch mit Risiken verbunden, insbesondere wenn sie im knorpeligen Bereich des Ohres angebracht werden. Da sich im Ohr Akupunkturpunkte für fast jedes Organ befinden, können dort angebrachte Piercings Probleme im ganzen Körper verursachen.

Ein Helix-Piercing, das im oberen Bereich des Ohres getragen wird, zählt zu den Knorpelpiercings und heilt oft schlechter als Piercings im Ohrläppchen. Das Durchstechen des Knorpels ist schmerzhafter, da sich dort viele kleine Nerven befinden. Zudem besteht die Gefahr, dass Nerven verletzt werden oder Entzündungen auftreten.

Weitere Risiken und Komplikationen

Neben den bereits genannten Risiken können Piercings auch zu folgenden Komplikationen führen:

  • Zahnschädigungen: Insbesondere bei Piercings im Mundbereich kann es zu Zahnschädigungen kommen, wenn der Schmuck nicht die richtige Größe hat.
  • Kontaktallergien: Allergische Reaktionen auf die Materialien des Piercingschmucks sind häufig, insbesondere auf Nickel.
  • Komplikationen in bildgebenden Verfahren: Piercingschmuck kann in der bildgebenden Diagnostik stören oder mit medizinischen Eingriffen wie Operationen interferieren.
  • Verletzungen von Nerven und Blutgefässen: Insbesondere bei Piercings im Genitalbereich kann es zu Verletzungen von Nerven und grösseren Blutgefässen kommen.
  • Obliterationen der Milchdrüsengänge: Piercings an der Brustwarze können zu Obliterationen der Milchdrüsengänge mit Laktationsstörungen bei Frauen führen.
  • Endokarditis: In seltenen Fällen wurde eine Endokarditis nach Brustwarzen-, Nasen-, Kinn- und Bauchnabelpiercings beschrieben.
  • Phlegmone: Komplikationen von Bauchnabelpiercings wie Phlegmone können auch bei sehr jungen Mädchen auftreten.
  • Perichondritis und Abszesse: Piercings im Knorpelbereich von Nase und Ohr können zu Perichondritis und Abszessbildung führen, die aufwendige plastische Rekonstruktionen erfordern können.
  • Traumatische Ohrmuschelrisse: Durch Sport oder Bagatelltraumata kann es zu traumatischen Ohrmuschelrissen kommen, insbesondere wenn zu nah an der Peripherie gepierct wird.
  • Verletzungen der Arteria lingualis: Bei Zungenpiercings können Verletzungen von Ästen der Arteria lingualis zu starken Blutungen und zur Hämatombildung bis hin zu Obstruktionen der oberen Luftwege führen.

Was ist bei einem Helix-Piercing zu beachten?

Ein Helix-Piercing sollte ausschließlich in einem professionellen Piercing-Studio gestochen und nicht beim Juwelier mit einer herkömmlichen Ohrloch-Pistole geschossen werden. Beim Durchschießen der Helix können Nerven verletzt werden und heftige Entzündungen auftreten.

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Die Heilung eines Helix-Piercings dauert vergleichsweise lange, da das Knorpelgewebe nicht durchblutet wird. In der Regel dauert die Heilung beim gestochenen Helix mindestens sechs Monate, beim gestanzten Piercing kann es sich auf zwei bis vier Wochen verkürzen.

Um die Heilung bestmöglich zu unterstützen, sollte man auf folgende Dinge achten:

  • Die richtige Schmuckwahl: Anfänglich sollte ein Stecker und kein Ring getragen werden, um Reizungen und Entzündungen zu vermeiden.
  • Sorgfältige Pflege: Das Piercing sollte regelmäßig gereinigt und desinfiziert werden.
  • Vermeidung von Risikoverhalten: Das Piercing sollte nicht berührt oder daran herumgespielt werden. Haare, Mützen oder Schals sollten sich nicht im Piercing verheddern.
  • Verzicht auf Sport, Sauna und Schwimmbad: Um das Risiko von Infektionen und Reizungen zu vermeiden, sollte man mit einem frischen Piercing auf Sport, Sauna und Schwimmbad verzichten.

Wann sollte man einen Arzt aufsuchen?

Bei Komplikationen wie Entzündungen, Schwellungen, Blutungen, starken Schmerzen oder Anzeichen einer Infektion sollte man umgehend einen Arzt aufsuchen.

Gesetzliche Regelungen und Qualitätsstandards

Piercing ist bislang ein unlizensiertes Gewerbe. Es gibt keine anerkannte Ausbildung, und ein großer Teil der Piercer lernt durch Zusehen und mithilfe von Lehrvideos. Es gibt Bestrebungen, Piercer zu einem anerkannten Beruf mit einer standardisierten Ausbildung zu machen und klare Standards für Zertifizierung, Qualitätssicherung und Überwachung von Piercingstudios zu entwickeln.

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