Orthostatische Hypotonie und Demenz: Ein komplexer Zusammenhang

Orthostatische Hypotonie, ein plötzlicher Blutdruckabfall beim Aufstehen, ist ein weit verbreitetes Phänomen, besonders bei älteren Menschen. Jüngste Forschungsergebnisse deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen orthostatischer Hypotonie und einem erhöhten Demenzrisiko hin. Dieser Artikel beleuchtet die aktuellen Erkenntnisse, mögliche Ursachen und Implikationen für die Prävention und Behandlung von Demenz.

Was ist orthostatische Hypotonie?

Orthostatische Hypotonie, auch bekannt als orthostatischer Schwindel oder Aufstehschwindel, beschreibt einen Blutdruckabfall, der auftritt, wenn eine Person von einer sitzenden oder liegenden Position in eine stehende Position wechselt. Dieser Blutdruckabfall kann zu Symptomen wie Schwindel, Benommenheit, verschwommenem Sehen und sogar Ohnmacht führen.

Der schnelle Wechsel vom Liegen oder Sitzen zum Stehen verursacht einen vorübergehenden Blutdruckabfall. Meist ist dieser leicht zu verkraften und verursacht keine Beschwerden. Doch mit zunehmendem Alter gelingt der Druckausgleich weniger gut. Benommenheit oder ein Schwindelgefühl begleiten dann den raschen Lagewechsel. Tritt dieser als „orthostatische Hypotonie“ bezeichnete Zustand häufiger auf, wird der Blutdruckabfall krankhaft. So kann es bei einer orthostatischen Hypotonie unmittelbar zu Ohnmachtsanfällen sowie zu Stürzen kommen.

Aktuelle Forschungsergebnisse zum Zusammenhang zwischen orthostatischer Hypotonie und Demenz

Mehrere Studien haben einen Zusammenhang zwischen orthostatischer Hypotonie und einem erhöhten Demenzrisiko festgestellt.

Eine Langzeitstudie mit 2131 Teilnehmern, die zu Beginn im Durchschnitt 73 Jahre alt und kognitiv unauffällig waren, ergab, dass Personen mit systolischer orthostatischer Hypotonie ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Demenz hatten (Hazard Ratio, HR 1,37). Eine große Variabilität der Blutdruckwerte bei wiederholt durchgeführten Aufstehtests ging ebenfalls mit einer erhöhten Demenzgefahr einher (HR 1,35).

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Forscher des Erasmus Medical Center in den Niederlanden analysierten Daten einer 1990 begonnenen Untersuchung mit über 6.000 Probanden und stellten fest, dass das Risiko, später an Demenz zu erkranken, durch orthostatische Hypotonie um 15 Prozent erhöht wird.

Die Autoren der Prospectiven Atherosclerosis Risk in Communities (ARIC)-Studie beobachteten bei den vom Schwindel beim Aufstehen beeinträchtigten Teilnehmern ein um rund 50 % erhöhtes Demenzrisiko.

In der ARIC-Studie litten zu Studienbeginn 552 von 11.709 Teilnehmern an einer orthostatischen Hypotonie. Aus der anschließenden Analyse ging hervor, dass bei Personen mit orthostatischer Hypotonie vaskuläre Erkrankungen signifikant öfter auftraten als bei den Studienteilnehmern ohne diese Anomalie. So war ihr Demenzrisiko um 54 % höher als bei den gesunden Personen.

Rawlings et al. verfolgten über einen Zeitraum von 25 Jahren die Krankengeschichte der Studienteilnehmer. Die Auswertung zeigte: Tatsächlich erkrankten vom Aufstehschwindel Betroffene häufiger an diesen Leiden. So war das Demenzrisiko bei ihnen im Vergleich zu gesunden Personen um 54 Prozent erhöht.

Mögliche Ursachen für den Zusammenhang

Die genauen Mechanismen, die den Zusammenhang zwischen orthostatischer Hypotonie und Demenz erklären, sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch mehrere Hypothesen:

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  • Sauerstoffmangel im Gehirn: Ein plötzlicher Blutdruckabfall kann zu einer vorübergehenden Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff führen. Wiederholte Episoden von Sauerstoffmangel könnten langfristig Hirnschäden verursachen und das Demenzrisiko erhöhen.
  • Vaskuläre Schäden: Orthostatische Hypotonie kann ein Zeichen für eine allgemeine vaskuläre Dysfunktion sein. Schäden an den Blutgefäßen im Gehirn können die Durchblutung beeinträchtigen und zur Entwicklung von Demenz beitragen.
  • Neurodegenerative Prozesse: Es ist möglich, dass orthostatische Hypotonie ein frühes Anzeichen für neurodegenerative Prozesse ist, die später zu Demenz führen.

Orthostatische Hypotonie als Risikofaktor für Demenz im jüngeren Alter

Britische Forscher der University of Exeter und der Universität Maastricht haben in einer umfassenden Studie 15 potenzielle Risikofaktoren für den Ausbruch von Demenz bei Menschen unter 65 Jahren identifiziert. Besonders auffällig ist die Verbindung von Störungen der Blutdruckregulation (orthostatische Hypotonie) mit einer erhöhten Demenzhäufigkeit.

Weitere Risikofaktoren für Demenz im jüngeren Alter

Die Studie zeigt, dass Menschen mit geringer Bildung, niedrigem sozioökonomischem Status, Alkoholmissbrauch, sozialer Isolation und Gesundheitsproblemen wie Vitamin-D-Mangel anfälliger für Demenz sind.

Bedeutung für Prävention und Behandlung

Die Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen orthostatischer Hypotonie und Demenz haben wichtige Implikationen für die Prävention und Behandlung von Demenz:

  • Früherkennung: Regelmäßige Blutdruckmessungen, insbesondere beim Aufstehen, könnten helfen, orthostatische Hypotonie frühzeitig zu erkennen.
  • Behandlung von orthostatischer Hypotonie: Eine angemessene Behandlung der orthostatischen Hypotonie, z. B. durch Anpassung der Medikation, körperliche Maßnahmen und eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr, könnte möglicherweise das Demenzrisiko senken.
  • Lebensstiländerungen: Ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener Ernährung, regelmäßiger Bewegung und Vermeidung von Risikofaktoren wie Rauchen und übermäßigem Alkoholkonsum kann dazu beitragen, das Demenzrisiko zu verringern.
  • Weitere Forschung: Es sind weitere Studien erforderlich, um die genauen Mechanismen des Zusammenhangs zwischen orthostatischer Hypotonie und Demenz zu verstehen und gezielte Präventions- und Behandlungsstrategien zu entwickeln.

Demenz im jüngeren Lebensalter

Demenzerkrankungen können auch im jüngeren Alter entstehen. Von einer Demenz im jüngeren Lebensalter spricht man, wenn die ersten Symptome vor dem 65. Lebensjahr auftreten. Grundsätzlich können alle Demenzformen auch vor dem 65. Lebensjahr auftreten. Menschen unter 65 Jahren sind häufiger von Demenzformen betroffen, die sich auf das Verhalten und die Persönlichkeit auswirken, wie zum Beispiel Frontotemporale Demenz.

Herausforderungen bei der Diagnose von Demenz im jüngeren Lebensalter

Obwohl sich die Symptome nicht wesentlich von denen einer Demenz im höheren Lebensalter unterscheiden, bleiben frühe Demenzen oft zunächst unerkannt. So kommt es vor, dass jüngere Menschen mit Demenz erst Jahre nach Auftreten der ersten Symptome richtig diagnostiziert und behandelt werden. Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle:

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  • Demenz wird oft mit Vergesslichkeit gleichgesetzt. In jungen Jahren wird eine Demenz nicht vermutet.
  • Selbst Ärztinnen und Ärzte führen Symptome wie Vergesslichkeit oder auffälliges Verhalten häufig zunächst auf Depressionen, Burnout, Stress oder Beziehungsprobleme zurück.
  • Jüngere Menschen mit Demenz kommen erst gar nicht in die ärztliche Praxis - sei es, weil sie sich „nicht krank“ fühlen, sei es, weil sie aus Angst vor der Diagnose das Arztgespräch meiden.

Betroffene und Angehörige sollten daher auffällige Wesensveränderungen, Sprachprobleme oder psychische Beeinträchtigungen immer ernst nehmen und ärztlich abklären lassen.

Umgang mit der Diagnose Demenz im jüngeren Lebensalter

Die Diagnose Demenz ist für jeden Betroffenen ein Schock. Für Jüngere, die mitten im Leben stehen, ist die Diagnose jedoch oft noch belastender als für ältere Erkrankte. Sie müssen sich nicht nur mit der einer unheilbaren, fortschreitenden Krankheit, sondern auch mit den damit verbundenen Veränderungen auseinandersetzen.

Zu den besonderen Herauforderungen gehören:

  • Die Akzeptanz der Diagnose: Demenzerkrankungen sind für Jüngere schwerer zu akzeptieren. Sie schämen sich, wollen es nicht wahrhaben und glauben, es müsse eine Heilung geben.
  • Der Verlust des „alten Lebens“: Die eigenen Finanzen regeln, Kinder oder Eltern zu betreuen, Verantwortung im Beruf übernehmen - das bisherige Leben aufgeben zu müssen, ist im jüngeren Lebensalter nur sehr schwierig zu bewältigen.
  • Die Auswirkungen auf die Familie: Familien von jungen Erkrankten müssen akzeptieren, dass sich mit der Diagnose die gesamte Lebenssituation verändert. Besonders hart für Partnerinnen und Partner ist der schleichende Verlust von Gemeinsamkeiten, von Erinnerungen, von der Möglichkeit, gemeinsame Sorgen zu teilen. Zwar ist der Mensch noch da, doch das alte Gegenüber geht verloren.
  • Stigmatisierung im Alltag: Menschen mit Demenz erkennt man nicht auf den ersten Blick. Problematisch ist auch, dass die meisten Pflege- und Betreuungsangebote nicht auf die Bedürfnisse von jüngeren Menschen mit Demenz ausgerichtet sind.

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