Protonenpumpenhemmer (PPI) sind weit verbreitete Medikamente, die zur Reduzierung der Magensäureproduktion eingesetzt werden. Obwohl sie bei der Behandlung von Erkrankungen wie Sodbrennen und Magengeschwüren wirksam sind, wird der Langzeitgebrauch von PPI zunehmend kritisch betrachtet. Jüngste Forschungsergebnisse deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der langfristigen Einnahme von PPI und einem erhöhten Demenzrisiko hin. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Studienlage, die potenziellen Risiken und gibt Empfehlungen für den Umgang mit PPI.
Was sind Protonenpumpenhemmer (PPI)?
Protonenpumpenhemmer (PPI) sind Medikamente, die die Produktion von Magensäure reduzieren. Sie wirken, indem sie gezielt die Protonenpumpe in den Belegzellen der Magenschleimhaut blockieren. Diese Pumpe ist für die Bildung von Salzsäure verantwortlich. Durch die Hemmung der Protonenpumpe wird die Ausschüttung von Magensäure stark reduziert. Bekannte Wirkstoffe sind Omeprazol, Pantoprazol und Rabeprazol. PPI werden häufig bei Sodbrennen, Refluxkrankheit und Magengeschwüren eingesetzt.
Verbreitung und Anwendung von PPI
PPI sind weit verbreitet und in vielen Ländern rezeptfrei erhältlich, was den Zugang erleichtert. In Deutschland werden jährlich über 3,5 Milliarden Tagesdosen verschrieben. Studien zeigen, dass PPI oft länger als notwendig eingenommen werden, obwohl sie nicht für den Dauergebrauch zugelassen sind. Dies ist vor allem deshalb bedenklich, weil der Langzeitgebrauch mit verschiedenen gesundheitlichen Risiken verbunden sein kann.
Kritik am Langzeitgebrauch von PPI
Der Langzeitgebrauch von PPI steht immer wieder in der Kritik. So wird die langfristige Einnahme mit verschiedenen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Dazu zählen vor allem kardiovaskuläre Erkrankungen und chronische Nierenerkrankungen, aber auch Demenz. Bisherige Studien zeigten für den Zusammenhang zwischen PPI-Gebrauch und Demenz widersprüchliche Ergebnisse. Zwei Metaanalysen aus dem Jahr 2020 konnten keinen Zusammenhang feststellen. Allerdings erfüllen diese Metastudien möglicherweise nicht die notwendigen Rahmenbedingungen, da auch Studienteilnehmende mit kurzfristigeren PPI-Einnahmen mitberücksichtigt wurden.
Neue Studienergebnisse zum Demenzrisiko
Eine neue US-amerikanische Untersuchung, veröffentlicht in Neurology unter dem Titel "Cumulative Use of Proton Pump Inhibitors and Risk of Dementia", nahm gezielt eine längerfristige PPI-Einnahme unter die Lupe. Dazu diente den Wissenschaftlern eine große Patientenkohorte aus einer kardiovaskulären Langzeitstudie (ARIC-Studie). In dieser wurden regelmäßig die Medikamenteneinnahmen der Studienteilnehmenden erfasst. Vom Zeitraum 2011 bis 2013 an wurden 5.712 Personen ohne Demenz (im Durchschnittsalter von 75,4 Jahren) beobachtet - im Mittel 5,5 Jahre lang. Eine Demenz entwickelten 585 Studienteilnehmenden.
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Ergebnisse der ARIC-Studie
Die ARIC-Studie (Atherosclerosis Risk in Communities) lieferte wichtige Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen PPI-Einnahme und Demenzrisiko. Die Studie ergab, dass Personen, die zum Zeitpunkt des Untersuchungsbeginns (2011-2013) Protonenpumpenhemmer verwendeten, kein höheres Demenzrisiko hatten als diejenigen ohne PPI-Einnahme. Jedoch zeigte sich ein erhöhtes Risiko bei Personen, die bereits zuvor insgesamt mehr als 4,4 Jahre PPI eingenommen hatten. Dieses Risiko lag um 33 Prozent höher als bei denjenigen ohne PPI-Gebrauch. Bei einer Verwendung von weniger als 4,4 Jahren konnte keine signifikante Korrelation festgestellt werden.
Methodik der ARIC-Studie
Für ihre Auswertung erfasste das Team, wie oft und wie lange die Teilnehmenden im Studienverlauf Protonenpumpen-Inhibitoren eingenommen hatten und ob es eine Korrelation zum Auftreten einer Demenz bis zum Jahr 2017 gab. Das Ergebnis: Entwarnung gibt es für Menschen, die Protonenpumpen-Inhibitoren nur vorübergehend und selten einnehmen. Anders sah dies bei längerer Einnahme der Protonenpumpenhemmer aus: Personen mit einer kumulativen PPI-Einnahme von mehr als 4,4 Jahren hatten ein um 33 Prozent höheres Demenzrisiko als Menschen, die nie Säureblocker eingenommen hatten, wie das Team ermittelte.
Mögliche Ursachen für den Zusammenhang
Die biologischen Ursachen für die demenzfördernde Wirkung der Protonenpumpen-Inhibitoren sind noch unklar. Denkbar ist laut Forschungsteam aber auch, dass die Erhöhung des Demenzrisikos durch die Magensäureblocker auf Störungen und Entzündungen der Blutgefäße zurückgeht. Denn es besteht der Verdacht, dass Protonenpumpenhemmer über solche Nebenwirkungen auch Gefäßerkrankungen sowie Schlaganfälle und chronische Nierenleiden hervorrufen können.
Eine weitere Erklärung für die Assoziation bieten die unter PPI verminderte Vitamin-B12-Resorption und der damit vor allem bei Älteren einhergehende kognitive Abbau. Außerdem zeigten Experimentalstudien, dass PPI die Beta-Amyloid-Spiegel in den Gehirnen von Mäusen ansteigen ließen.
Weitere Studien und Metaanalysen
Neben der ARIC-Studie gibt es eine Reihe weiterer Studien, die den Zusammenhang zwischen PPI-Einnahme und Demenzrisiko untersucht haben. Eine 2015 publizierte German Study on Aging, Cognition and Dementia in Primary Care Patients (AgeCoDe) zeigte, dass Senioren, die PPI einnahmen, im Verlauf der folgenden Jahre signifikant häufiger eine Demenz entwickelten als Senioren ohne PPI-Einnahme (Hazard-Ratio [HR] 1,38; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,04-1,83).
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Eine Registerstudie mit Daten der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) kam zu ähnlichen Ergebnissen. Patienten mit einer regelmäßigen PPI-Verordnung hatten im Vergleich zu den übrigen Patienten ohne PPI-Verordnung ein signifikant erhöhtes Risiko für eine Demenz (Hazard-Ratio von 1,44; 95%-KI 1,36-1,52; p<0,001).
Es gibt derzeit 28 Beobachtungsstudien, überwiegend Kohorten- oder Fallkontrollstudien auf der Basis von Versicherungsdaten oder anderer Datenbanken wie nationaler Register, in denen das Demenzrisiko unter Protonenpumpenhemmern (PPI) im Vergleich mit Nichtanwendung geprüft wird. Einige Beobachtungsstudien untersuchen zusätzlich das Risiko unter H2-Antagonisten oder vergleichen die beiden Säureblockerklassen in dieser Frage. In anderen Arbeiten werden PPI- und Nichtanwender zudem kognitiven Tests unterzogen. In einer Reihe von systematischen Reviews und Metaanalysen wird die Evidenz zusammengefasst.
Einschätzung der Studienergebnisse
Die Studienergebnisse sollten nach Meinung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) ernst genommen werden. Sie seien ein Sicherheitssignal bei häufiger PPI-Einnahme. Allerdings sei weitere Forschung dringend notwendig. Es gelte, die Zusammenhänge zwischen PPI-Gebrauch und Demenzentwicklung zu sichern und die Ursachen dahinter zu verstehen.
Der Neurologe Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, kommentiert: „Die Ergebnisse dieser Studie sind als Sicherheitssignal bei häufiger PPI-Einnahme ernst zu nehmen.“ Er rät davon ab, die Protonenpumpen-Inhibitoren über längere Zeit hinweg zu nehmen: „Eine dauerhafte Verschreibung und die längerfristige Behandlung mit PPI ohne gesicherte Indikation sollte nicht erfolgen und die Patientinnen und Patienten sollten auf mögliche Risiken bei Langzeitgebrauch hingewiesen werden, auch in den Apotheken, da kleine PPI-Packungen frei käuflich sind.“
Einschränkungen der Studien
Es ist wichtig zu betonen, dass die meisten Studien zum Thema PPI und Demenzrisiko Beobachtungsstudien sind. Diese können zwar Zusammenhänge aufzeigen, aber keine Kausalität beweisen. Es ist also nicht sicher, ob die PPI-Einnahme tatsächlich die Ursache für das erhöhte Demenzrisiko ist oder ob andere Faktoren eine Rolle spielen.
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Epidemiologische Studien zeigen nämlich, dass Personen, denen Protonenpumpenhemmer verordnet werden, insgesamt einen schlechteren Gesundheitsstatus haben und damit auch ein erhöhtes Demenzrisiko aufweisen. So könnte beispielsweise Übergewicht vermehrt Arthritis zur Folge haben, deren Behandlung mit nichtsteroidalen Antirheumatika gerade bei Älteren gerne unter einem „PPI-Schutz“ durchgeführt wird. Oder Ältere mit hohem Alkoholkonsum, die wahrscheinlich schon primär einen Vitamin-B12-Mangel haben, entwickeln eine Gastritis oder gar ein Ulkus und erhalten ebenfalls einen PPI. Übergewicht und die damit einhergehenden metabolischen Erkrankungen sowie erhöhter Alkoholkonsum gelten aber bereits als primäre Risikofaktoren für demenzielle Erkrankungen.
Empfehlungen für Patienten und Ärzte
Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse sollten Patienten und Ärzte gemeinsam die Notwendigkeit einer langfristigen PPI-Einnahme kritisch prüfen. Eine längerfristige Behandlung mit PPI ohne gesicherte Indikation sollte nicht erfolgen. Patienten sollten auf mögliche Risiken beim Langzeitgebrauch hingewiesen werden - auch in den Apotheken, da kleine PPI-Packungen frei käuflich sind.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) empfiehlt, die Studienergebnisse ernst zu nehmen und weitere Forschung zu fördern, um die Zusammenhänge zwischen PPI-Gebrauch und Demenzentwicklung zu sichern und die Ursachen dahinter zu verstehen.
Alternativen zur PPI-Einnahme
Es gibt verschiedene Alternativen zur langfristigen PPI-Einnahme, die je nach Grunderkrankung und individuellem Bedarf in Betracht gezogen werden können. Dazu gehören:
- Lifestyle-Änderungen: Gewichtsreduktion, Verzicht auf Alkohol und Nikotin, Vermeidung von fettreichen Speisen und späten Mahlzeiten können Sodbrennen und Reflux reduzieren.
- Antazida: Diese Medikamente neutralisieren die Magensäure und können bei leichten Beschwerden helfen.
- H2-Rezeptor-Antagonisten: Diese Medikamente reduzieren ebenfalls die Magensäureproduktion, sind aber in der Regel weniger wirksam als PPI.
- Prokinetika: Diese Medikamente fördern die Magenentleerung und können bei Reflux helfen.
- Operative Eingriffe: In schweren Fällen von Refluxkrankheit kann eine Operation in Betracht gezogen werden.
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