Polyneuropathien sind Erkrankungen, bei denen gleichzeitig mehrere periphere Nerven geschädigt werden. Diese Nervenbahnen durchziehen den ganzen Körper und verbinden das Rückenmark mit Muskeln, Haut und inneren Organen. Sie steuern als motorische Nerven die Muskeln, vermitteln als sensible Nerven Empfindungen wie Schmerz, Berührung und Temperatur, und beeinflussen als autonome Nerven innere Organe wie Herz, Darm und Blase, indem sie beispielsweise Blutdruck und Schweißsekretion regulieren. Während einige Formen der Polyneuropathie angeboren sind, entstehen die meisten als Folge einer anderen Erkrankung (erworbene Polyneuropathie).
Ursachen von Polyneuropathie bei jungen Erwachsenen
Die Ursachen für Polyneuropathien sind vielfältig und nicht immer eindeutig zu identifizieren. Es gibt rund 600 bekannte Ursachen, aber in etwa einem Viertel der Fälle bleibt die Ursache trotz ausführlicher Diagnostik unklar. In den meisten Fällen stellt die Polyneuropathie keine eigenständige Krankheit dar, sondern tritt als Folge oder Begleiterscheinung einer Grunderkrankung auf.
Metabolische Ursachen
Metabolische Polyneuropathien entstehen durch Stoffwechselstörungen. Ein fortgeschrittener Diabetes mellitus ist eine häufige Ursache, bei der es im Laufe des Lebens bei etwa jedem zweiten Patienten zu Nervenschäden kommt. Die diabetische Polyneuropathie kann mit unterschiedlichen Symptomen einhergehen, oft beginnend in den Füßen (distal-symmetrische Polyneuropathie). Auch ein Vitamin-B12-Mangel kann eine Polyneuropathie begünstigen.
Toxische Ursachen
Giftstoffe können ebenfalls eine Schädigung peripherer Nerven hervorrufen. Chronischer Alkoholmissbrauch ist eine weitere bedeutende Ursache, die oft mit einem Mangel an Vitamin B12, Folsäure sowie Vitamin B2 und Vitamin B6 verbunden ist. Auch Medikamente wie Chemotherapeutika können toxische Neuropathien verursachen.
Entzündliche Ursachen
Entzündliche Polyneuropathien werden überwiegend durch Autoimmun-Erkrankungen verursacht. Dazu zählen unter anderem das Guillain-Barré-Syndrom oder die chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (CIDP). Nach einer Corona-Erkrankung kann eine Small Fiber Neuropathie auftreten.
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Weitere Ursachen
Weitere mögliche Ursachen sind Infektionskrankheiten wie Borreliose, genetisch bedingte Erkrankungen, Schilddrüsenfunktionsstörungen, Nierenerkrankungen, Lebererkrankungen und Karzinome. Auch längere Aufenthalte auf einer Intensivstation können eine Polyneuropathie hervorrufen. Es ist wichtig zu beachten, dass die diabetische Polyneuropathie keine Altersgrenzen kennt und auch junge Patienten betreffen kann.
Symptome der Polyneuropathie
Abhängig von der Art der Nervenschädigung können verschiedene Beschwerden auftreten. Die Symptome können die sensiblen, motorischen oder autonomen Nerven betreffen.
Sensible Symptome
Bei Beteiligung von sensiblen Nerven kommt es zu Wahrnehmungsstörungen in Armen und Beinen. Typisch sind ein Taubheitsgefühl an Händen oder Füßen, Schmerzen, Hitze- oder Kältegefühl, kribbelnde, stechende oder elektrisierende Missempfindungen. Auch ein Schwellungsgefühl oder Gefühl der Eingeschnürtheit kann vorkommen. Da die längsten Nervenfasern meist am stärksten leiden, sind die Füße (Zehen) häufig als Erstes betroffen. Bei fortgeschrittener Schädigung der sensiblen Nerven können Koordinationsschwierigkeiten beim Laufen auftreten. Ein nachlassendes Temperatur- und Schmerzempfinden erhöht das Risiko für Verletzungen.
Motorische Symptome
Sind motorische Nerven betroffen, können Kraftlosigkeit bis hin zu Lähmungen, Muskelkrämpfe und Muskelzuckungen auftreten. Im Verlauf kann es auch zu Muskelschwund kommen.
Autonome Symptome
Schäden an vegetativen Nerven können zu Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, Kreislaufstörungen oder Blasenentleerungsstörungen führen. Auch Störungen der Verdauung, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckschwankungen, Impotenz und herabgesetzte Schweißbildung sind möglich.
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Small Fiber Neuropathie
Bei der Small Fiber Neuropathie (SFN) sind die kleinen, unmyelinisierten Nervenfasern betroffen, die für die Schmerz- und Temperaturempfindung sowie für die Funktion der autonomen Nerven zuständig sind. Die Symptome können brennende Schmerzen, Kribbeln, Taubheitsgefühl, aber auch Störungen der Schweißsekretion, des Herz-Kreislauf-Systems und der Verdauung umfassen.
Diagnose der Polyneuropathie
Aufgrund der unterschiedlichen Ursachen und Beschwerden erfordern Polyneuropathien eine sorgfältige Diagnostik.
Anamnese und neurologische Untersuchung
Eine große Rolle spielt das Arzt-Patienten-Gespräch (Anamnese), bei dem es um die möglichst genaue Beschreibung der Symptome sowie um familiär auftretende Nervenleiden und verschiedene Vorerkrankungen geht. In einer anschließenden neurologischen Untersuchung prüft der Arzt die Sensibilität der Nerven, die Muskelkraft und die Reflexe.
Laboranalysen
Mithilfe von Laboranalysen können andere Erkrankungen ausgeschlossen werden (Differentialdiagnostik). Das Blut wird auf spezifische Antikörper getestet, um beispielsweise entzündliche oder infektiöse Ursachen zu identifizieren. Auch die Bestimmung von Vitamin-B12-Konzentration, Blutzuckerwerten, Leber- und Nierenwerten sowie Schilddrüsenhormonen ist wichtig.
Neurophysiologische Untersuchungen
Spezielle Untersuchungen des peripheren Nervensystems können bei der Diagnose helfen, wozu u.a. die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (Elektroneurographie) und die Messung der Muskelaktivität (Elektromyographie) gehören. Diese Untersuchungen können die Art und das Ausmaß der Nervenschädigung aufdecken.
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Bildgebung und Biopsie
Mittels hochauflösender Sonographie können beispielsweise Veränderungen in der Dicke eines Nervs detektiert werden. Gegebenenfalls wird eine Gewebeprobe von Muskeln und Nerven genommen (Biopsie), um die Ursache der Polyneuropathie zu bestimmen.
Therapie der Polyneuropathie
Da eine Polyneuropathie aus vielen verschiedenen Gründen entstehen kann, richtet sich die Therapie vor allem nach der Ursache.
Behandlung der Grunderkrankung
Liegt der Polyneuropathie eine Grunderkrankung zugrunde, steht als Erstes deren gezielte Behandlung an.
- Diabetische PNP: Gute Blutzuckereinstellung mit Medikamenten, ggf. Behandlung des Diabetes durch Ernährungsumstellung und Gewichtsreduktion.
- Alkoholbedingte PNP: Durch Alkoholverzicht und die unterstützende Behandlung mit Vitamin B1-Präparaten.
- Entzündliche PNP: Medikamente, die das Immunsystem beeinflussen.
- Infektionsbedingte PNP: Antibiotische Therapie der Infektion (z.B. Borreliose).
- Neuropathie durch Vitaminmangel: Hochdosierte Einnahme der entsprechenden Vitamine.
- Toxische Neuropathien: Entgiftung.
Symptomatische Behandlung
Eine zügige und möglichst effektive Behandlung der durch die PNP verursachten Reiz- und Ausfallerscheinungen ist Teil der Therapie.
- Schmerztherapie: Allerdings sind die üblichen Schmerzmittel bei der Behandlung von Missempfindungen und Schmerzen meist wenig wirksam. Es hat sich aber herausgestellt, dass einige Medikamente, die ursprünglich gegen Depression bzw. gegen epileptische Anfälle entwickelt wurden, sehr wirksam sind. In schweren Fällen können Opioide in Betracht gezogen werden. Eine Alternative zu oralen Medikamenten können Schmerzpflaster mit hochdosiertem Capsaicin oder Lidocain sein, insbesondere bei lokalisierten Beschwerden wie Schmerzen und Missempfindungen. Seit 2017 können Ärzte in Deutschland medizinisches Cannabis auf Rezept verschreiben. Der Einsatz von medizinischem Cannabis bei chronischen neuropathischen Schmerzen wird kontrovers diskutiert.
- Physikalische Therapie: Auch die physikalische Therapie hilft bei der Schmerzbekämpfung. Dabei kommen verschiedene Verfahren zum Einsatz, wie z.B. die transkutane Elektrostimulation (TENS), bei der kleine Elektroden auf die Haut geklebt werden, die sanfte elektrische Impulse abgeben. Physiotherapie kann bei motorischen Einschränkungen und Gangunsicherheit dazu beitragen, die Beweglichkeit und Stabilität zu verbessern.
- Weitere Maßnahmen: Regelmäßige Bewegung kann neuropathische Beschwerden lindern und die Regeneration der Nerven anregen. Ideal ist die Kombination aus einem moderaten Ausdauertraining und Krafttraining. Zur Verbesserung von Gleichgewicht und Mobilität können schon einfache Übungen wie das Stehen auf einem Bein oder Gehen auf einer Linie helfen. Bei Sensibilitätsstörungen ist eine tägliche Fußpflege unverzichtbar. Um Folgeschäden an den Füßen vorzubeugen, empfiehlt sich eine regelmäßige medizinische Fußpflege beim Podologen. Taubheitsgefühle oder eine eingeschränkte Schmerz- und Temperaturempfindung können das Risiko für Stürze und Verletzungen am Fuß erhöhen. Umso wichtiger ist es, dass Sie geeignetes Schuhwerk tragen.
Selbsthilfegruppen und Ernährung
In einer Selbsthilfegruppe treffen Sie auf Menschen, die genau verstehen, was es bedeutet, mit Polyneuropathie zu leben. Hier können Sie sich mit anderen Betroffenen über ihre Erfahrungen austauschen und praktische Tipps für den Alltag erhalten. Ein spezielles Ernährungskonzept ist bei Polyneuropathie im Allgemeinen nicht notwendig - mit einer ausgewogenen Ernährungsweise versorgen Sie Ihren Körper mit allen essenziellen Vitaminen und Nährstoffen. Eine Nahrungsergänzung mit Folsäure, B12 oder anderen B-Vitaminen ist nur angeraten, wenn bei Ihnen ein ärztlich nachgewiesener Mangel besteht.
Verlauf und Heilungschancen
Ob eine Neuropathie heilbar ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Viele Polyneuropathien weisen einen chronischen Verlauf auf und begleiten Betroffene über eine lange Zeit. Ob eine Rückbildung möglich ist, können im individuellen Fall nur die behandelnden Ärzte abschätzen. Je nach Art und Schweregrad der Symptome kann die Lebensqualität betroffener Personen beeinträchtigt sein. Ebenso wie sich eine chronische Polyneuropathie schleichend über einen längeren Zeitraum entwickelt, dauert es eine Weile, bis sich der Körper an die verordneten Therapien gewöhnt hat. Ob Schmerzmittel oder nicht-medikamentöse Maßnahmen - oft braucht es einige Wochen, bis eine wesentliche Linderung der Beschwerden spürbar wird.
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