Parasympathisches Nervensystem aktivieren: Methoden für mehr Entspannung und Wohlbefinden

In unserer heutigen, oft stressigen Welt ist es wichtiger denn je, Wege zu finden, um unser Nervensystem zu beruhigen und die Entspannung zu fördern. Hier kommt das parasympathische Nervensystem ins Spiel, der Teil unseres autonomen Nervensystems, der für Ruhe, Regeneration und Verdauung zuständig ist. In diesem Artikel werden wir verschiedene Methoden zur Aktivierung des parasympathischen Nervensystems untersuchen, um ein besseres Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung zu erreichen.

Was ist das parasympathische Nervensystem?

Das vegetative Nervensystem steuert lebenswichtige Funktionen des Körpers, die autonom ablaufen. Es wird auch als autonomes Nervensystem bezeichnet und kann aus schulmedizinischer Sicht nicht direkt willentlich beeinflusst werden. Es steuert lebenswichtige Vitalfunktionen des Körpers. Das vegetative Nervensystem umfasst den Sympathikus, den Parasympathikus und das enterische Nervensystem.

Der Sympathikus sorgt für Leistungsbereitschaft und schnelle Anpassung der Körperreaktionen in Belastungs- und Bedrohungssituationen. Er aktiviert den Körper und bereitet uns auf körperliche oder geistige Leistungen vor (oft als „Kampf-oder-Flucht-Reaktion“ bezeichnet). Durch den Sympathikus werden hauptsächlich leistungssteigernde Aktivitäten herbeigeführt. Er erhöht die Atemfrequenz, erhöht den Blutdruck und stellt Energie durch Abbau von Kohlenhydraten bereit. Die Muskulatur wird vermehrt durchblutet und erhält eine gewisse Grundspannung.

Der Parasympathikus ist der Gegenspieler des Sympathikus. Er senkt den Blutdruck und schenkt Ruhe. Er sorgt für Erholung, aktiviert die Verdauung und kurbelt verschiedene Stoffwechselvorgänge an. Als weitere wichtige Funktion steuert er unwillkürlich die meisten inneren Organe.

Das enterische System befindet sich im Magen-Darm-Trakt und steuert dessen Funktionen.

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Warum ist die Aktivierung des Parasympathikus wichtig?

Ein Ungleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympathikus kann zu einer Vielzahl von Problemen führen, darunter:

  • Chronische Anspannung
  • Erhöhter Blutdruck
  • Verdauungsprobleme
  • Schlafstörungen
  • Erschöpfung
  • Burnout
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Indem wir gezielt den Parasympathikus aktivieren, können wir diesen Problemen entgegenwirken und ein gesünderes, ausgeglicheneres Leben führen.

Methoden zur Aktivierung des parasympathischen Nervensystems

Es gibt viele verschiedene Methoden, um den Parasympathikus zu aktivieren. Hier sind einige der effektivsten und am besten erforschten:

Atemtechniken

Kontrollierte Atemübungen wirken nachweislich entspannend. Atemtechniken wie tiefes Atmen oder progressive Muskelentspannung können helfen, den Vagusnerv zu stimulieren und den Parasympathikus zu aktivieren. Diese Übungen lassen sich leicht erlernen und bringen Körper und Geist gezielt in einen entspannten Zustand.

  • Tiefe Bauchatmung (Zwerchfellatmung): Die Zwerchfellatmung gilt als Goldstandard für Stressreduktion. Studien zeigen, dass Zwerchfellatmung den Cortisol-Spiegel reduzieren kann. Bei dieser Technik atmest du tief in den Bauch ein, sodass sich das Zwerchfell weitet. Dies aktiviert den Vagusnerv und fördert die Entspannung.
  • 4-7-8-Atemtechnik: Diese Technik kann helfen, ins Hier und Jetzt zurückzukehren und Ruhe zu finden. Atme 4 Sekunden lang ein, halte den Atem 7 Sekunden lang an und atme 8 Sekunden lang aus. Diese Atmung aktiviert direkt den Parasympathikus (also den „Entspannungsnerv").
  • Boxatmung (Vier-Quadrat-Atmung): Einatmen (4 Sekunden), Luft anhalten (4 Sekunden), Ausatmen (4 Sekunden), Luft anhalten (4 Sekunden). Die gesamte Übung sollte mehrfach wiederholt werden.
  • Verlängerte Ausatmung: Eine verlängerte Ausatmung kann die Entspannung fördern.

Körperliche Aktivität

Regelmäßige, moderate Bewegung kann helfen, Stress abzubauen und das Nervensystem zu regulieren.

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  • Sanftes Yoga: Besonders ruhige Yoga-Stile wie Yin Yoga oder Restorative Yoga sind ideal, um das Nervensystem herunterzufahren. Yoga gegen Stress und Yoga gegen Angst verbinden körperorientierte Ansätze mit Atemarbeit und können besonders effektiv sein, um das Nervensystem zu beruhigen.
  • Spazierengehen in der Natur: Gehen ist eine der einfachsten und natürlichsten Bewegungsformen, um den Vagusnerv zu stimulieren.
  • Dehnübungen & Faszienmassage: Langsames Dehnen, eine sanfte Faszienmassage (z. B. mit einer Faszienrolle) oder leichtes Stretching können Verspannungen lösen und den Parasympathikus aktivieren.
  • Achtsames Tanzen: Körperliche Aktivität hilft dir, das ausgeschüttete Adrenalin und Cortisol abzubauen und signalisiert dem Gehirn, dass die Gefahr vorüber ist - so kann sich das Nervensystem wieder sicher und ausgeglichener anfühlen.

Vagusnerv-Stimulation

Der Vagusnerv ist der Hauptnerv des parasympathischen Nervensystems. Er beeinflusst zahlreiche Körperfunktionen, darunter Herzfrequenz, Verdauung und Entspannung. Verschiedene Übungen können helfen, den Vagusnerv zu stimulieren:

  • Singen, Summen oder Gurgeln: Die beiden Äste des Vagusnervs verlaufen auf beiden Seiten des Halses entlang von Kehlkopf und Luftröhre. Summen, Brummen oder Singen erzeugen Vibrationen im Körper, die nachweislich den Vagusnerv aktivieren. Besonders effektiv: Das Summen des Klangs „Om“.
  • Kältereize: Kälte dämpft den Sympathikus, den anregenden Teil unseres Nervensystems. Mäßige Kälte aktiviert den Vagusnerv. Regelmäßiges Duschen mit kaltem Wasser erhöht daher die Entspannungsfähigkeit des Körpers, führt zu einer verbesserten Stimmung und einer gesteigerten Stressresistenz. Auch das Trinken von kühlem Wasser kann den Vagusnerv aktivieren.
  • Ohren und Hals massieren: Der Vagusnerv verläuft auch im Bereich des Ohres und des Halses. Durch sanfte Massagen dieser Bereiche stimuliert man den Nerv und sorgt so für die gewünschte Entspannung.
  • Akupressur: Für eine Selbst-Akupressur den Punkt in der Ohrmuschel, der mit dem Vagusnerv in Verbindung steht, 30 Sekunden drücken und wieder loslassen. Mehrmals wiederholen.

Meditation und Achtsamkeit

Regelmäßige Meditation und Achtsamkeitsübungen können den Geist und das Nervensystem beruhigen und dir bei regelmäßiger, täglicher Übung helfen, deine Stressresilienz zu stärken.

Ernährung

Deine Ernährung hat direkten Einfluss auf Dein Nervensystem und somit auch darauf, wie gut Dein Parasympathikus arbeiten kann.

  • Omega-3-Fettsäuren: Diese essenziellen Fettsäuren wirken entzündungshemmend und unterstützen die Funktion des Nervensystems. Omega-3- Fettsäuren können die Aktivität des Parasympathikus steigern und Stressreaktionen mildern.
  • Magnesium: Ein Magnesiummangel kann zu Muskelverspannungen, innerer Unruhe und Schlafproblemen führen. Das sind alles Anzeichen einer gestörten Parasympathikus-Aktivierung.
  • Adaptogene: Adaptogene sind Pflanzenstoffe, die dem Körper helfen, sich an Stress anzupassen und das Nervensystem auszugleichen.
  • Probiotika: Ein gesunder Darm sorgt für eine bessere Regulation des Nervensystems, da dort etwa 90 % des Glückshormons Serotonin gebildet werden.
  • Vermeide stark verarbeitete Lebensmittel: Vermeide stark verarbeitete Lebensmittel mit viel Zucker, künstlichen Zusatzstoffen und ungesunden Fetten.
  • Reduziere tierisches Eiweiß: Zu viel tierisches Eiweiß (Fleisch, Milchprodukte, Eier) kann entzündungsfördernd wirken und die Stresshormonproduktion ankurbeln.

Weitere Tipps für den Alltag

  • Schlafhygiene: Sorge dafür, dass du genug Ruhezeit in der Nacht hast und nutze die 10 Regeln der Schlafhygiene, um deinen Schlaf zu verbessern.
  • Soziale Interaktion: Lockere, freundliche und liebevolle soziale Interaktionen sind ein gutes äußeres Zeichen, dass die Welt ein sicherer Ort ist.
  • Emotionen zulassen: Manchmal kann es richtig guttun, einfach mal die angestauten Emotionen herauszulassen.
  • Langsames & bewusstes Kauen: Wer langsam isst und gründlich kaut, unterstützt nicht nur die Verdauung, sondern aktiviert auch den Entspannungsmodus.
  • Progressive Muskelentspannung (PMR): Durch bewusstes Anspannen und Entspannen einzelner Muskelgruppen wird Dein Körper auf Ruhe programmiert.
  • Gezielte Kältetherapie: Kalte Duschen oder Eiswasser-Gesichtsbäder senken den Stresslevel und fördern die Vagusnerv-Aktivierung.

Vagusnervstimulation am Uniklinikum Tübingen

Am Uniklinikum Tübingen wird die Vagusnervstimulation in Studien erforscht und dafür eine elektronische Stimulation über das Ohr genutzt. Über die Elektrode läuft ein spezielles Programm ab, das eine gewisse Abfolge an Impulsen vorgibt. In einigen Studien wird die Stimulation auch mit einem funktionellen MRT kombiniert, das die Aktivität des Gehirns in Echtzeit sichtbar macht. Derzeit geht man aufgrund der Studienlage davon aus, dass diese professionelle Vagusnervstimulation Personen helfen kann, die unter Antriebslosigkeit, Depressionen, Epilepsie oder auch Störungen im Stoffwechsel oder der Verdauung leiden. Zudem könnte die Stimulation bei Trägheit oder Fatigue helfen.

Die professionelle Vagusnervstimulation gilt bisher als experimentelles Verfahren und wird deshalb am Uniklinikum Tübingen nur in Studien angeboten. Wenn von Ärzten dargelegt werden kann, dass die Stimulation bei einem Patienten oder bei einer Patientin sinnvoll ist, kann man das Gerät, das am Uniklinikum Tübingen genutzt wird, auch kaufen und einen Zuschuss über die Kranken- oder Rentenversicherung beantragen.

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Freiverkäufliche Systeme zur Vagusnervstimulation

Im Internet werden freiverkäufliche Systeme mit großen Versprechen beworben, allerdings gibt es keine nennenswerten Studien zur Wirksamkeit vieler Geräte. Viele Geräte sind nicht gefährlich, aber auch nicht als Medizinprodukte zur wirksamen Behandlung zertifiziert. Eine Garantie, dass sie den Vagusnerv tatsächlich stimulieren und eine therapeutische Wirkung haben, gibt es somit nicht. Bei Herz- oder Kreislaufproblemen oder in der Schwangerschaft sollten alle Geräte nicht ohne ärztliche Rücksprache angewendet werden.

Yoga zur Aktivierung des Parasympathikus

Yoga kann helfen, das parasympathische Nervensystem zu aktivieren. Yoga-Übende können in ihr Inneres schauen, ohne von Gedankenbewegungen abgelenkt zu sein. Diese Beruhigung kann durch Yoga und Meditation herbeigeführt werden. Yoga nutzt verschiedene Komponenten, um den Geist zur Ruhe bringen zu können, u.a. ethische Regeln (Yama, Niyama), Körperstellungen (Asanas), Atemtechniken (Pranayama), Konzentration (Dharana) und Meditation (Dhyana). Das parasympathische Nervensystem wird durch die Übungen des Yoga aktiviert. Durch die Übungen des Yoga wird der Parasympathikus aktiviert, wodurch der Mensch ruhig, entspannt und sich regenerieren kann.

Eine sehr wichtige Übung des Yoga nennt man Ajagari. Bandhas sind die Verschlüsse im Yoga. Sie entstehen durch eine bestimmte Form der Muskelkontraktion. Eine gesunde Lebensweise hat einen Einfluss auf den Geist und die Gedankenbewegungen. Ein Grundpfeiler des Yoga sind die Reinigungsübungen, die ShatKarma (sechsfache Handlung), die helfen, körperliche und seelische Schlacken abzubauen.

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