Die Anerkennung von Parkinson als Berufskrankheit bei Landwirten, Winzern und anderen beruflich exponierten Personen ist ein wichtiger Schritt zum Schutz der Gesundheit dieser Berufsgruppen. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe, Voraussetzungen und Auswirkungen dieser Entscheidung.
Hintergrund der Entscheidung
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesarbeitsministerium (BMAS) hat eine wissenschaftliche Empfehlung für eine neue Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ beschlossen. Dieser Empfehlung gingen 14 Jahre intensive Beratungen voraus, in deren Verlauf viele internationale wissenschaftliche Studien ausgewertet wurden. Die Aufnahme der Erkrankung in die Liste der Berufskrankheiten bringt für Patienten Vorteile. Dazu zählen unter anderem höhere Rentenansprüche und finanzielle Unterstützung bei der Behandlung.
Zunehmende Erkrankungszahlen und Studienlage
Obwohl Parkinson zu den häufigsten Nervenkrankheiten gehört, sind die Ursachen nicht abschließend geklärt. Weltweit nimmt die Zahl der Erkrankten stark zu. Studien zeigen, dass Pflanzenschutzmittel das Risiko, an Parkinson zu erkranken, erhöhen können. In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass Pestizide zu Parkinson führen können. Der aktuelle Stand der Evidenz wird in der wissenschaftlichen Empfehlung für die Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) ausführlich dargestellt. Das mehr als 80 Seiten umfassende Dokument ist Grundlage für die abschließende Bewertung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Internationale Vorreiter
In Frankreich ist „Parkinson durch Pestizide“ seit 2012 als Berufskrankheit anerkannt, in Italien seit 2008. Deutschland zieht nun nach und reiht sich in die Liste der EU-Länder ein, die den Zusammenhang zwischen Pestizideinsatz und Parkinson anerkennen.
Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit
Damit eine Parkinson-Diagnose unter die neue Berufskrankheit fällt, müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:
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- Diagnose eines primären Parkinson-Syndroms ohne sekundäre Genese: Das bedeutet, die Erkrankung darf nicht Folge einer anderen Grunderkrankung sein.
- Erfüllung eines bestimmten Dosismaßes: Mindestens 100 trendkorrigierte Anwendungstage mit Pestiziden aus einer der drei Funktionsgruppen durch eigene Anwendung.
- Pestizide werden in die drei Funktionsgruppen der Herbizide, Fungizide und Insektizide eingeteilt.
Personen, die Herbizide, Fungizide oder Insektizide langjährig und häufig im beruflichen Kontext selbst angewendet haben und die oben genannten Voraussetzungen erfüllen, kommen in Betracht. Betroffene Berufsgruppen sind Landwirte und in der Landwirtschaft tätige Personen, Winzer und Gärtner.
Betroffene Berufsgruppen
Mit einer Anerkennung von Parkinson als Berufskrankheit haben betroffene Personen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Die genauen Leistungen sind dabei abhängig vom Einzelfall. Bei den betroffenen Personengruppen handelt es sich in erster Linie um Landwirte, Forstwirte Winzer und Gärtner. Wenn man bei einem der von der ÄSVB gelisteten Pestizide mindestens 100 Anwendungstage im Berufsleben vorweisen kann, ist das Kriterium einer Berufskrankheit bei einer gesicherten Diagnose Parkinson erfüllt.
Wie können Pestizide Parkinson auslösen?
Man vermutet derzeit verschiedene Mechanismen, über welche Pestizide Parkinson auslösen können.
- Induktion von freien Radikalen: Pestizide induzieren die Bildung von freien Radikalen, welche über oxidativen Stress zur Neurodegeneration beitragen.
- Störung der mitochondrialen Funktion: Ein weiterer, bedeutender pathobiologischer Mechanismus ist die Störung der mitochondrialen Funktion - neben weiteren vermuteten Störmechanismen auf zellulärer Ebene.
- Direkte zelltoxische Wirkung: In in-vitro-Untersuchungen gibt es Hinweise auf eine direkt zelltoxische Wirkung von Pestiziden, die zum direkten Zelltod führt. Dies wurde auch spezifisch für dopaminerge Neurone beobachtet.
- Aufnahme der Giftstoffe: Im Rahmen der beruflichen Pestizidanwendung kann es zu einer Aufnahme der Giftstoffe durch die Haut oder die Atemwege kommen, in Einzelfällen (z.B. bei schlechter Arbeitshygiene) auch zur oralen Aufnahme.
Es wird angenommen, dass Pestizide chronisch über freie Radikale zu oxidativem Stress und damit zur Neurodegeneration und Parkinson führen. Auch weitere Wirkmechanismen wurden identifiziert. In einer Vielzahl von Studien konnte der Zusammenhang zwischen Pestiziden aller Substanzgruppen und der Entstehung einer Parkinson-Erkrankung gezeigt werden.
Vorteile der Anerkennung als Berufskrankheit
Mediziner und Gewerkschaften setzen sich seit Jahren für die Anerkennung von Parkinson durch Pestizide als Berufskrankheit ein. Die Aufnahme der Erkrankung in die Liste der Berufskrankheiten bringt für Patienten Vorteile. Dazu zählen unter anderem höhere Rentenansprüche und finanzielle Unterstützung bei der Behandlung.
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- Bessere Unterstützung: Wer eine Berufskrankheit anerkannt bekommt, erhält bessere Unterstützung in der Reha, Umschulung oder deutlich höhere Rente.
- Finanzielle Entschädigung: Wenn ein Betroffener eine Berufskrankheit anerkannt bekommt, dann wird auch geprüft, inwiefern eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Diese Minderung der Erwerbsfähigkeit wird dann in Prozentzahlen angegeben, und dafür gibt es eine finanzielle Entschädigung. Die Zahlung orientiert sich am letzten Jahresbruttoverdienst des Beschäftigten.
Übergangslösung für Betroffene
Die Empfehlung des ÄSVB bildet für Unfallversicherungsträger und Gutachter eine einheitliche wissenschaftliche Grundlage für die Prüfung entsprechender Fälle. Damit kann die Erkrankung bereits jetzt, vor Aufnahme in die Berufskrankheiten-Verordnung, nach §9 Absatz 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch als sogenannte „Wie-Berufskrankheit“ anerkannt werden. Der Leistungsumfang bei Anerkennung ist derselbe wie bei einer Berufskrankheit.
Schutzmaßnahmen und Alternativen für Pestizide
Neben den klar definierten Anerkennungsvoraussetzungen und Leistungsansprüchen, bringe die Anerkennung von Parkinson durch Pestizide als Berufskrankheit weitere Vorteile. Die Notwendigkeit des Schutzes exponierter Personen werde noch klarer, so Prof. Dr. Daniela Berg, Vizepräsidentin der DGN und Mitglied der DPG.
Bewusstsein schärfen und Alternativen suchen
„Der Zusammenhang zwischen individueller hoher Belastung durch die in der wissenschaftlichen Empfehlung behandelten Pestizide und der Entstehung von Parkinson legt nahe, sich beim Einsatz dieser Pestizide ihrer Gefahren viel stärker bewusst zu werden, ihren Einsatz auch unter dem Aspekt des Schutzes vor neurodegenerativen Erkrankungen auf das Notwendigste zu beschränken und verstärkt nach für Mensch und Natur unschädlichen Ersatzstoffen zu suchen“, ergänzt Prof. Dr. Joseph Claßen, 1. Vorsitzender DPG.
Pflanzenschutz ist Alltag - aber nicht ohne Risiken
Pflanzenschutz ist Alltag. Pflanzenschutz wirkt. Er hilft, Schadorganismen einzudämmen und Erträge zu sichern. Dennoch stehen Mittel im Verdacht, auch auf Landwirte zu wirken. Dabei ist unklar, wie und in welcher Konzentration und in welcher Kombination. Und nicht nur Landwirte sind verschiedensten Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt.
Die Rolle der Exposition
Für die Studie haben die Teilnehmer Silikonarmbänder bekommen, die sie eine Woche getragen haben. Danach wurden die Armbänder mittels Flüssigkeits- und Gas-Chromatographie-Massenspektrometrie auf 193 Pflanzenschutzmittel untersucht. Am Ende konnten die Forscher 173 von den 193 Pflanzenschutzmitteln (89 Prozent) in allen Proben nachweisen. Die Gruppen unterschieden sich freilich: Bei konventionellen Landwirten konnten pro Armband 9 bis 74 Pflanzenschutzmittel nachgewiesen werden, 8 bis 66 bei Biobauern, 3 bis 66 bei Nachbarn und 2 bis 54 bei Verbrauchern nachgewiesen werden. Insektizide wie Permethrin und Chlorpyrifos wurden in allen Gruppen häufig gefunden, bei mehr als 85 Prozent.
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Warnhinweise und Verfahrensregeln
Die vorhandenen Warnhinweise und Verfahrensregeln für das Spritzen und Anmischen von Pestiziden sind grundsätzlich ausreichend, jedoch müssen sie konsequenter und flächendeckender angewendet werden. Defizite erkennt Kraus noch bei den Kontrollen und der Anwendung aktueller Vorschriften in kleinen und mittelgroßen Betrieben. Hier könnte die neue Einstufung als Berufskrankheit als Ansporn wirken.
Was tun bei Verdacht auf Parkinson?
Bei Vorliegen der nachfolgend beschriebenen Beschwerden sollten Sie Ihren Hausarzt oder Neurologen aufsuchen, da sie Frühwarnzeichen für Parkinson sein könnten. Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, da eine zügig eingeleitete Therapie den Krankheitsverlauf mildern und verlangsamen kann.
Frühwarnzeichen und Symptome
Charakteristisch für die Parkinson-Krankheit ist das Zittern, der sogenannte Tremor. Dieses Parkinson-Anzeichen wird von den Betroffenen meist als erstes, also im Parkinson Frühstadium, wahrgenommen. In einem Großteil der Fälle handelt es sich dabei um einen Ruhetremor. Dabei tritt das Zittern auf, wenn die Muskulatur vollkommen entspannt ist, zum Beispiel wenn die Hand im Schoß liegt.
- Verlangsamung der Bewegungen: Die Verlangsamung der Bewegungen fällt vor allem nahen Angehörigen oder Freunden als erstes Anzeichen für die Parkinson-Erkrankung auf. Während Betroffene früher Bewegungen flüssig ausführen konnten, erscheinen sie bei Parkinson allmählich immer stockender und gehemmter. Betroffenen gelingt es oft erst stark zeitverzögert, Arme und Beine in Bewegung zu bringen. Auch dieses Symptom einer Parkinson-Krankheit lässt sich im Parkinson-Frühstadium noch kaschieren.
- Muskelsteifheit: Die Muskelsteifheit wird zu Anfang oft fehldiagnostiziert. Gerade zu Beginn zeigen sich schmerzhafte Verspannungen in den Oberarmen oder der Schulter. Schnell ist die Diagnose „Alterserkrankung“ wie Rheuma oder Arthrose gestellt. Wenn aber eines der Parkinson-Syndrome vorliegt, schlagen Schmerzmittel nicht an und können den Rigor nicht mildern.
- Verändertes Gangbild: Das auffälligste Anzeichen eines Parkinson-Syndroms ist das Gangbild.
- Weitere Symptome: Neben den eindeutigen und typischen Symptomen kann noch eine Vielzahl weiterer Symptome auftreten. Diese können auch schon vor der eigentlichen Diagnose beziehungsweise im frühen Stadium auftreten. Wenn sich aufgrund eines Parkinson-Syndroms die Muskeln versteifen, verändert sich auch die Mimik der Betroffenen. In Gesprächen wirken sie dann plötzlich wie unbeteiligt. Ihr Blick ist eher starr und ihre Gestik schwach. Bis zu 85 Prozent aller Personen mit Parkinson leiden an chronischen Schmerzen. Im Zuge einer Parkinson-Erkrankung klagen Patienten, neben Schmerzen an den Armen, am häufigsten über intensive Nackenschmerzen oder Schulterschmerzen. Die Niedergeschlagenheit, die viele Parkinson-Erkrankte verspüren, hat sicherlich auch ihren Grund in der Erkrankung selbst. Es ist nicht einfach, plötzlich nicht mehr richtig gehen, sich nicht wirklich an Gesprächen beteiligen zu können oder wenn ständig Dinge aus der Hand fallen. Mehr als 80 Prozent der Parkinson-Patienten leiden an verschiedenen Schlafstörungen. In einigen Fällen werden Betroffene nachts wach oder können nicht wieder einschlafen. In anderen Fällen leiden die Erkrankten am sogenannten „Gewaltschlaf“. Dadurch, dass sich die Vorgänge im Körper im Krankheitsverlauf verlangsamen und die Nervenimpulse im Gehirn schwächer werden, ist auch der Kreislauf beeinträchtigt.
Meldung des Verdachtsfalls
Wer nicht bei der LKK krankenversichert ist, muss den Verdacht auf eine Berufskrankheit der SVLFG melden. Sie als Beschäftigte/r können auch selbst eine schriftliche Anzeige einreichen. Wegen der zu erwartenden hohen Anzahl von zu prüfenden Verdachtsfällen (mehrere Tausend) ist davon auszugehen, dass die Bearbeitung längere Zeit in Anspruch nehmen wird.
Aktuelle Situation und Ausblick
Es wird erwartet, dass sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales der Empfehlung des ÄSVB anschließt und Parkinson durch Pestizide in der zweiten Jahreshälfte 2024 in die Liste der Berufskrankheiten aufnimmt. Damit wäre Deutschland nach Frankreich und Italien das dritte EU-Land, welches über die Anerkennung als Berufskrankheit einen Zusammenhang zwischen der Anwendung von Pestiziden und Parkinson offiziell bekräftigt.
Stand der Verfahren
Nach Auskunft der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau werden bundesweit derzeit rund 3000 Fälle geprüft. Angaben zu einzelnen Bundesländern seien aus technischen Gründen nicht möglich, heißt es auf Nachfrage.
Statistische Einordnung
Laut Barmer-Krankenkasse erkranken in der Branche Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, zu der Winzer zählen, bundesweit weniger Menschen an Parkinson und anderen neurologischen Krankheiten als unter Beschäftigten des verarbeitenden Gewerbes. Letzteres ist allerdings breit gefächert: Hierzu zählen etwa die Herstellung von Leder, Tabak, chemischen Erzeugnissen, aber auch der Maschinen- und Flugzeugbau. Unter 100.000 Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe leiden 48 an Parkinson, in der Landwirtschaft 19 - der geringste Anteil an Betroffenen. Laut DAK sind in Rheinland-Pfalz 437 von 100.000 Menschen an Morbus Parkinson erkrankt.
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