Parkinson und COVID-19: Ein komplexer Zusammenhang

Die COVID-19-Pandemie hat die Welt vor neue Herausforderungen gestellt und die Forschung angeregt, die Auswirkungen des SARS-CoV-2-Virus auf verschiedene Organe und Systeme des menschlichen Körpers zu untersuchen. Neben den bekannten Auswirkungen auf die Atemwege und andere Organe rückt zunehmend die Frage in den Fokus, ob es einen Zusammenhang zwischen COVID-19 und neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson gibt.

Neuroinflammation und COVID-19: Eine mögliche Verbindung zu Parkinson

Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass eine SARS-CoV-2-Erkrankung bei einigen Patienten eine Neuroinflammation auslösen kann. Parkinson-ähnliche Symptome als direkte Auswirkung der Infektion wurden bereits früh in der Pandemie gemeldet. Diese Beobachtungen veranlassen Forscher, den Zusammenhang zwischen COVID-19 und Neurodegeneration systematisch zu untersuchen. Die Hirnpathologie von COVID-19 ist durch eine spezifische neuroimmunologische Aktivierung mit Astro- bzw. Mikrogliose und verstärkten Entzündungssignalen gekennzeichnet. Darüber hinaus hat das Virus eine Affinität zu den Basalganglien im Hirnstamm und kann nachweislich das Nervensystem angreifen und neurologische Symptome hervorrufen.

Forschungsprojekte zur Untersuchung des Zusammenhangs

Um dieser Frage nachzugehen, widmen sich führende europäische Fachleute in den Disziplinen Medizin, Zellbiologie, Datenwissenschaft und Künstliche Intelligenz sowie Ethik, Recht und Patientenbeteiligung im EU-Projekt COMMUTE. Die Abkürzung steht für „COMmorbidity Mechanisms UTilized in HealthcarE“ und gibt die Richtung der Forschungsarbeiten vor. Ziel des Projekts ist die Aufklärung von Mechanismen der möglichen Komorbidität von COVID und Alzheimer bzw. die Anwendung sowohl eines hypothesenfreien, datengesteuerten Ansatzes als auch eines hypothesengesteuerten, wissensbasierten Ansatzes. Im Projekt wird dazu das umfangreiche, publizierte Wissen aus der wissenschaftlichen Literatur extrahiert und in eine für Algorithmen nutzbare Form (als so-genannter „Knowledge Graph“) abgespeichert. Mit Hilfe moderner Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) lassen sich dann eine große Zahl von Krankheits-Hypothesen systematisch durchtesten. Beide Ansätze sollen zu einem intensiven Austausch zwischen computergestützten und experimentellen Methoden der Biologie anregen.

Ein weiteres Forschungsprojekt unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr. Joanne Trinh in Lübeck und Hamburg untersucht, ob eine Erkrankung an COVID-19 zu einer beschleunigten Nervendegeneration führen und damit neurologische Bewegungsstörungen wie etwa die Parkinson-Krankheit begünstigen könnte. Die Forschenden stellen die Hypothese auf, dass die neuroimmunologische Aktivierung bei COVID-19 zu einer beschleunigten Neurodegeneration führt. Die Gruppe wird die Neuroimmunaktivierung und die Wege der Proteinfaltung und -ablagerung sowie des Proteinabbaus in verschiedenen Hirnregionen der Substantia nigra (betroffene Region bei Morbus Parkinson) mittels Einzelzell-RNA-Sequenzierung und globaler Transkriptomik untersuchen. Ziel ist die Integration und Identifizierung von biologischen Signalwegen, die bei COVID-19 und Parkinson-Krankheit aktiv sind, und die Bewertung des Biomarker-Potenzials der erhaltenen Markerprofile bei lebenden Parkinson-Patienten nach COVID-19 zur Vorhersage der Parkinson-Ergebnisse.

Erkenntnisse aus Fallberichten und Studien

Obwohl es Fallberichte von COVID-19-Patienten gibt, die innerhalb weniger Wochen nach der Ansteckung mit dem Virus Parkinsonismus entwickelt haben, gibt es derzeit nur spekulative Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen COVID-19 und der Parkinson-Krankheit. Da der Zusammenhang zwischen COVID-19 und Morbus Parkinson erst in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten deutlich werden wird, ist es wichtig zu untersuchen, ob und wie sich COVID-19 auf die Krankheit auswirkt.

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Eine aktuelle Veröffentlichung in der renommierten Fachzeitschrift “Brain” hat die Forschungsgruppe von Dr. Trinh einen neuartigen somatischen Modifikator bei X-chromosomalem Dystonie-Parkinsonismus identifiziert (Mosaic divergent repeat interruptions in XDP influence repeat stability and disease onset, Joanne Trinh et al., Brain, online 27).

Auswirkungen von COVID-19 auf Parkinson-Patienten

Ein erhöhtes Risiko, sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 anzustecken, besteht für Parkinson-Betroffene nicht. Auch eine erhöhte Mortalität bei Parkinson-Betroffenen ist nicht nachgewiesen. Insbesondere bzgl. der mutierten Varianten von SARS-CoV-2 und ihrer Auswirkungen ist unser Wissen aber noch sehr begrenzt und erst künftige Daten werden weitere Einblicke in die Risiken für Parkinson-Betroffene bieten können.

Erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe

Menschen mit Morbus Parkinson erkranken bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 häufiger schwer an COVID-19. Auch das Sterberisiko ist offenbar erhöht, wie eine Analyse von Krankenhausdaten zeigt. Der Grund dürfte in der erhöhten Gebrechlichkeit und den häufigen Risikofaktoren der Patienten für einen schweren Verlauf von COVID-19 zu suchen sein.

Das COVID-19-Risiko stieg mit dem Stadium der Parkinsonerkrankung. Im Stadium Hoehn & Yahr 1 bis 2 waren nur 0,8 % der Klinikpatienten an COVID-19 erkrankt. Im Stadium Hoehn & Yahr 3 und 4 stieg der Anteil auf 1 % und im Stadium Hoehn & Yahr 5 sogar auf 1,4 %.

Begleiterkrankungen als Risikofaktoren

Patienten mit Morbus Parkinson haben auch häufiger Begleiterkrankungen, die Risikofaktoren für einen schweren Verlauf sind. Dazu gehören eine Hypertonie (54,1 % versus 45,4 % bei anderen Klinikpatienten) und chronische Nierenerkrankungen (22,4 % versus 16,7%). Ein weiterer Risikofaktor ist ein männliches Geschlecht. Der Anteil der Männer unter den hospitalisierten Patienten mit Morbus Parkinson und COVID-19 war mit 60,5 % versus 54,3 % erhöht. Da der Morbus Parkinson in der Regel im höheren Alter auftritt, war das Durchschnittsalter mit 80,8 versus 67,4 Jahren deutlich höher. Alter ist bekanntlich einer der wichtigsten Risikofaktoren für einen tödlichen Ausgang von COVID-19. So ist es nicht verwunderlich, dass die Sterberate von Parkinsonpatienten mit COVID-19 im Krankenhaus mit 35,4 % deutlich erhöht war.

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Verringerte Krankenhausbehandlungen während der Pandemie

Patienten mit Morbus Parkinson wurden während der ersten Erkrankungswelle von COVID-19 in Deutsch­land seltener im Krankenhaus behandelt. Der Rückgang fiel mit 29 % sogar deutlich stärker aus als in der Gesamtzahl der Klinikpatienten, die zwischen dem 16. Januar und dem 15. Mai um 16,7 % abnahm. Auf dem Höhepunkt der Welle sanken die Behandlungszahlen von Parkinsonpatienten sogar um bis zu 72,7 %. Als Grund vermutet das Team um Lars Tönges vom St. Josef-Hospital der Ruhr-Universität Bochum die Angst der Patienten, sich im Krankenhaus mit SARS-CoV-2 anzustecken. Zum anderen könnten die Behandlungszahlen auch zurückgegangen sein, weil zur Sicherstellung von Intensivkapazitäten viele Behandlungen, die keine Notfälle waren, zurückgestellt wurden.

Empfehlungen für Parkinson-Patienten

Grundsätzlich müssen Parkinson-Betroffene keine besonderen Maßnahmen ergreifen. Es ist aber in Übereinstimmung mit der MDS-Stellungnahme schon aufgrund des oft höheren Lebensalters von Parkinson-Patienten für dringend erforderlich, die Bedeutung von Maßnahmen zum Schutz vor einer Infektion für alle Patienten mit Parkinson zu betonen und empfehlen dringend, die allgemeinen Maßnahmen und Vorgaben einzuhalten, um eine Exposition gegenüber dem Virus zu vermeiden. Zusätzlich zu den grundlegenden Empfehlungen an die Allgemeinbevölkerung empfehlen wir, den Austausch mit ihren behandelnden Ärzten für konkrete Empfehlungen zu suchen, die auf ihre individuellen Umstände zugeschnitten sind.

Zu den wichtigsten Maßnahmen in der Bevölkerung zählen Kontakte reduzieren, die AHA+L-Regeln beachten (Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmasken in bestimmten Situationen tragen und lüften) und bei akuten Atemwegssymptomen zu Hause bleiben. Auch aufgrund des Auftretens von mutierten Varianten des SARS-CoV-2 wurde durch die Bundesregierung zuletzt eine Verschärfung der Maskenpflicht beschlossen (OP-Masken oder FFP2-Masken in Bussen und Bahnen).

Impfung gegen SARS-CoV-2

Die Impfung hat keine Auswirkung auf den neurodegenerativen Prozess bei Parkinson-Syndromen. Das Nebenwirkungsprofil nach Impfung unterschied sich bei Parkinson-Patienten nicht von dem Nebenwirkungsprofil der gesunden Probanden; insgesamt zeigten sich bei älteren Patienten geringere Nebenwirkungen als bei jüngeren Patienten. Wie auch bei anderen Impfungen gibt es keine Hinweise für eine Interaktion der parkinson-spezifischen Medikation und der Impfung gegen SARS-CoV-2. Zusammenfassend wird analog zur Empfehlung der „International Parkinson and Movement Disorder Society (MDS) empfohlen, dass sich Parkinsonpatienten und Patienten mit anderen Bewegungsstörungen impfen lassen sollten, da die Vorteile einer Impfung deutlich überwiegen.

Umgang mit Arztterminen und Therapien

Notwendige Arzttermine sollten wahrgenommen werden. Wenn Sie gesundheitliche Bedenken oder z.B. Symptome einer Atemwegsinfektion haben, rufen Sie Ihren behandelnden Arzt an, bevor Sie die Praxis aufsuchen. Wenn Sie eine neue Verschreibung von Parkinson-Medikamente benötigen und nicht in die Praxis kommen wollen oder eine persönliche Vorstellung in der Praxis nicht nötig ist, sollten Sie rechtzeitig Ihren behandelnden Arzt telefonisch kontaktieren, um ein neues Rezept zu erhalten. Rezepte sollten Ihnen nach Möglichkeit per Post übersandt werden. Sie können sich außerdem weiterhin nach der Möglichkeit sogenannter Televisiten erkundigen, bei denen der Arztkontakt elektronisch über Video (Smartphone, Tablet, Laptop etc.) erfolgt. Hierüber kann auch eine neurologische Untersuchung von Parkinson-Patienten erfolgen, weil viele Untersuchungsbestandteile gut visualisierbar sind. Die aktivierenden Therapien sollten unter Beachtung der Hygiene- und Schutzmaßnahmen wahrgenommen werden. Längere Unterbrechungen sollten vermieden werden, um eine mittelfristige und oft dann nicht mehr vollständig reversible Verschlechterung von Symptomen, die nicht auf die medikamentöse Therapie ansprechen, wie z. B. Gang-, Sprech- und Schluckstörungen, zu verhindern. Parkinson-Betroffene können sich auch von Therapeuten in der Praxis beraten lassen, welche Übungen sie zu Hause als Heimübungsprogramm absolvieren können und ob diese ggf.

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Weitere Forschung und Beobachtung notwendig

Da ein potenzieller Zusammenhang klinisch erst in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten offensichtlich wird, ist es wichtig, dass wir jetzt untersuchen, ob und wie COVID-19 die Präsentation von PD beeinflusst. Es sei daher wichtig, im weiteren Verlauf der Corona-Pandemie zu beobachten, ob und wie viele weitere Fälle von plötzlichem Parkinson bei Covid-Patienten auftreten. "SARS-CoV-2 gilt zwar als Atemwegsvirus, aber sein pathogenes Potenzial vor allem für neurologische Komplikationen hat uns immer wieder überrascht", sagt Brundin.

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