Ein Sturz auf den Kopf kann schwerwiegende Folgen haben, darunter auch das Auftreten von epileptischen Anfällen. Diese sogenannten posttraumatischen epileptischen Anfälle (PTE) sind eine der häufigsten Komplikationen nach einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT).
Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
Ein SHT entsteht durch mechanische Einwirkung auf das Gehirn oder die umgebenden Strukturen. Die Ursachen sind vielfältig, reichen von Stürzen über Freizeitunfälle bis hin zu Verkehrsunfällen. Besonders häufig betroffen sind Kinder und Jugendliche. Je nach Schweregrad kann ein SHT milde sein (Gehirnerschütterung) oder zu schweren Verletzungen mit Koma führen. Schwere SHT können fokale Schädigungen wie intrakranielle Blutungen, Schädelbrüche oder Verletzungen mit Unterbrechung der Hirnhaut verursachen. Es können aber auch diffuse Schädigungen auftreten, die in der Bildgebung nicht immer sichtbar sind, sogenannte diffuse axonale Schädigungen. Der Schweregrad wird meist anhand der Glasgow Coma Scale (GCS) eingeteilt:
- Mild: GCS 13-15
- Moderat: GCS 9-12
- Schwer: GCS 3-8
Andere Kriterien sind Bewusstseinsverlust (mild: < 30 Minuten, moderat: 30-60 Minuten, schwer: > 60 Minuten) oder die Dauer der posttraumatischen Amnesie (< 24 Stunden vs. > 24 Stunden).
Posttraumatische Epileptische Anfälle (PTE)
Pathophysiologie
Nach einem SHT kommt es zu sekundären zerebralen Schädigungsprozessen, die Wochen bis Monate oder sogar Jahre andauern können. Diese Prozesse tragen wesentlich zur Entstehung einer posttraumatischen Epilepsie bei. Im Hippocampus kommt es zu einer erhöhten Erregbarkeit durch den Untergang inhibitorischer Interneurone und verstärkte Ausbildung exzitatorischer synaptischer Verbindungen. Auch in anderen Hirnregionen können ischämiebedingter Zelltod, Apoptose, verstärkte Migration von Mikroglia und Astrozyten sowie Gliose und kortikale Atrophie auftreten. Diese Veränderungen der Hirnstruktur können zu einer erhöhten kortikalen Hyperexzitabilität führen.
Auf zellulärer Ebene spielen verschiedene Mechanismen eine Rolle:
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- Oxidativer Stress: Führt zu Zellschwellung, intrazellulärem Ödem, Zelltod und vermehrter Produktion exzitatorischer Aminosäuren.
- Mitochondriale Dysfunktion: Beeinträchtigt die Energieversorgung der Zellen.
- Synaptische Veränderungen: Veränderungen in der synaptischen bzw. Rezeptorfunktionen.
- Störung der Blut-Hirn-Schranke: Ermöglicht das Eindringen von schädlichen Substanzen ins Gehirn.
- Ablagerungen von Blutprodukten: Insbesondere Eisen, können exzitatorische Wirkungen haben.
Eine besondere Bedeutung kommt neuroinflammatorischen Prozessen zu. Durch die genannten zellulären Prozesse werden Entzündungsfaktoren (Zytokine) freigesetzt und Leukozyten wandern ins Hirngewebe ein. Chemokine wie CXCL8 und CCL2 unterstützen diese Migration. In der Folge werden weitere Zytokine freigesetzt, insbesondere TNF‑α, TGF‑β und IL-1β. Epileptische Anfälle, die in dieser Phase auftreten, verstärken die Entzündungsprozesse zusätzlich. Umgekehrt tragen diese Entzündungsprozesse wesentlich zur Entstehung von Anfällen bei, insbesondere durch Zytokin-vermittelte Rezeptormodulation und erhöhte neuronale Exzitabilität. Neuroinflammation kann nicht nur einzelne Anfälle auslösen, sondern auch zur Epileptogenese beitragen.
Klassifikation
Posttraumatische Anfälle werden anhand ihres zeitlichen Auftretens in Bezug zum Traumaereignis in frühe und späte Anfälle eingeteilt.
- Frühanfälle: Treten innerhalb von 7 Tagen nach dem SHT auf und sind eine Begleiterscheinung der unmittelbaren zytotoxischen und neuroinflammatorischen Prozesse.
- Spätanfälle: Treten mehr als 7 Tage nach dem SHT auf und sind Ausdruck eines etablierten Ungleichgewichts zwischen Erregung und Hemmung sowie einer multifaktoriell bedingten Epileptogenese.
Der Begriff "posttraumatische Epilepsie" wird verwendet, wenn es zu ≥ 2 unprovozierten posttraumatischen Anfällen kommt. Innerhalb der Frühanfälle werden noch die "Immediatanfälle" (innerhalb von 24 Stunden nach Trauma) unterschieden. Manche Autoren definieren auch "impact posttraumatic seizures" als Anfälle, die unmittelbar beim Trauma selbst oder wenige Minuten danach auftreten. Diese kurzdauernden, meist generalisierten Konvulsionen haben eine gute Langzeitprognose.
Häufigkeit und Risikofaktoren
Frühanfälle treten nach einem SHT in 2,6-16,9 % der Fälle auf, wobei der Schweregrad des Traumas einen wesentlichen Einfluss hat. Das Risiko für Frühanfälle ist besonders hoch bei intrakraniellen Blutungen, schweren Schädelbrüchen oder einer posttraumatischen Amnesie von > 24 Stunden. Der Anteil der Patienten mit Spätanfällen bzw. posttraumatischer Epilepsie variiert in der Literatur erheblich (1,9-30 %). Auch hier spielt der Schweregrad des Traumas eine wichtige Rolle. Weitere Risikofaktoren sind das Auftreten eines Frühanfalls und der Nachweis eines subduralen Hämatoms. Traumen mit intrazerebraler Blutung erhöhen das Risiko für Spätanfälle um das 30-fache. Patienten mit posttraumatischer Epilepsie haben häufig den ersten Anfall innerhalb des ersten Jahres nach dem Trauma (56 % bzw. 80 %). In seltenen Fällen kann der erste Anfall aber auch erst nach > 10 Jahren auftreten.
Klinisches Bild, Verlauf und Prognose
Posttraumatische Anfälle sind meist fokal eingeleitet, mit oder ohne Übergang zu bilateral tonisch-klonischen Anfällen. Das klinische Bild hängt von der Lokalisation der traumatisch bedingten Läsionen ab. Frühanfälle sind häufiger fokale Anfälle ohne Bewusstseinsbeeinträchtigung, oft mit motorischer Komponente. Temporallappenanfälle sind hier eher selten, ein Übergang zum Status epilepticus kommt hingegen häufiger vor. Sowohl die Schwere als auch die Frequenz der Anfälle variieren stark. Tendenziell gibt es Zusammenhänge zwischen dem Auftreten eines subduralen Hämatoms oder eines langdauernden Komas mit der Anzahl epileptischer Anfälle.
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Symptome eines epileptischen Anfalls
Ein epileptischer Anfall ist eine plötzliche Funktionsstörung des Gehirns, die sich durch verschiedene Symptome äußern kann. Die Symptome hängen von der Art des Anfalls und der betroffenen Hirnregion ab. Einem Anfall kann eine sogenannte Aura vorausgehen, die sich durch Wahrnehmungsstörungen, Halluzinationen oder Schwindelgefühle äußern kann. Allgemeine Symptome sind:
- Bewusstseinsveränderungen oder -verlust
- Geistige Abwesenheit (Absence)
- Wahrnehmungsstörungen (Sehstörungen, Geschmacks- oder Geruchshalluzinationen)
- Schwindelgefühle
- Übelkeit und Unwohlsein
- Kribbeln in den betroffenen Körperteilen
- Ungewöhnliche Muskelaktivität, Muskelzuckungen und Krämpfe
- Unwillkürliche Laute
Je nach Art des Anfalls sind die Betroffenen zwischen den Anfällen beschwerdefrei.
Klassifikation epileptischer Anfälle
Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat ein Klassifikationssystem entwickelt, das Anfälle nach ihrem Beginn unterscheidet:
- Fokaler Beginn: Der Anfall beginnt in einer Hirnhälfte.
- Generalisierter Beginn: Der Anfall geht von beiden Hirnhälften aus.
- Unbekannter Beginn: Der Beginn des Anfalls ist nicht bekannt.
Anfälle mit fokalem Beginn werden weiter unterteilt danach, ob der Betroffene sie bewusst erlebt oder nicht. Sie werden dann nach ihrem anfänglichen Erscheinungsbild klassifiziert, entweder motorisch oder nicht-motorisch. Motorische Symptome umfassen Muskelaktivitäten wie Zuckungen, Krämpfe oder Muskelerschlaffung. Nicht-motorische Symptome können Innehalten, kognitive Einschränkungen, emotionales Verhalten, autonome Reaktionen oder sensible/sensorische Störungen sein. Anfälle mit generalisiertem Beginn werden ebenfalls nach ihren motorischen und nicht-motorischen Symptomen beschrieben. Nicht-motorische Symptome bei generalisierten Anfällen werden auch als Absencen bezeichnet.
Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall
Wenn man Zeuge eines epileptischen Anfalls wird, ist es wichtig, ruhig zu bleiben und die Person vor Verletzungen zu schützen. Bei leichten Anfällen mit wenigen Symptomen besteht keine unmittelbare Gefahr. Bei Anfällen mit eingeschränktem Bewusstsein sollte man die Person vor Gefahren schützen und ihr Halt und Nähe vermitteln. Bei großen generalisierten Anfällen sollte man den Notruf 112 wählen, für Sicherheit sorgen, den Kopf des Betroffenen abpolstern, enge Kleidung lockern und Menschen, die nicht helfen können, bitten weiterzugehen. Wichtig: Die betroffene Person nicht festhalten oder zu Boden drücken und nichts in den Mund schieben. Nach dem Anfall sollte man bei der Person bleiben und Unterstützung anbieten.
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Behandlung von posttraumatischen Anfällen
Akuttherapie
Bei einem Status epilepticus, einem Anfall der länger als 5 Minuten dauert oder bei einer Anfallsserie, ist eine sofortige medizinische Behandlung erforderlich.
Prophylaxe
In den "Brain Trauma Foundation’s Guidelines" wird empfohlen, Phenytoin innerhalb der ersten 7 Tage nach SHT einzusetzen, um das Auftreten von Frühanfällen zu reduzieren. Der Einsatz von Phenytoin oder anderer Antiepileptika zur Prävention von Spätanfällen wird nicht empfohlen. Levetiracetam ist eine weitere Option zur Prävention von Frühanfällen. Carbamazepin und Valproinsäure zeigten ähnliche Effekte wie Phenytoin. Bei Auftreten von Frühanfällen können Antikonvulsiva eingesetzt werden, die Therapie sollte aber nur wenige Wochen dauern.
Langzeittherapie
Die langfristige Behandlung von posttraumatischer Epilepsie zielt darauf ab, Anfallsfreiheit zu erreichen. Dies geschieht in der Regel durch die Einnahme von Antiepileptika. Es gibt mittlerweile rund 30 verschiedene Medikamente gegen Epilepsie, wobei moderne Wirkstoffe oft weniger Nebenwirkungen haben. Bei Patienten, bei denen die Antiepileptika nicht ausreichend wirken, kommen weitere Therapiemöglichkeiten in Betracht, wie die Vagusnervstimulation oder operative Verfahren.
Leben mit Epilepsie
Menschen mit Epilepsie können ein weitgehend normales Leben führen, solange das Risiko von Anfällen besteht, dürfen sie jedoch kein Kraftfahrzeug fahren. Die Angst vor einem Anfall kann Betroffene psychisch belasten, und das Risiko für eine Depression ist erhöht. Es ist wichtig, sich aus mehreren Quellen über die Risiken zu informieren und offen mit Angehörigen über Sicherheitsmaßnahmen zu sprechen. Epilepsie-Überwachungsgeräte, Sturzmelder und Epilepsie-Hunde können im Alltag helfen.